Matt Cooper: Rhythm Is King, Harmony Is Queen
Diesmal möchte ich ein wenig über Harmonien reden und wie einfach das Ändern von Akkorden die Stimmung eines Liedes komplett verändert und so zu einer völlig gegensätzlich klingenden Version führt. Als Beispiel dafür betrachten wir die Reharmonisierung des Incognito-Klassikers Everyday. Zum ersten Workshop-Teil geht’s hier entlang!
Für die Produktion des Albums Bees Things and Flowers, auf dem Remakes von originalen Incognito-Klassikern und ein paar Originale zu hören sind, bat mich Bluey, den Song Everyday vom Album 100 Degrees and Rising zu reharmonisieren. Das Ergebnis der Transformation der ursprünglichen Up-Beat-Dance-Version hin zu der abgespeckten akustischen Version hat viele Hörer überrascht: Die Melodie ist zwar erhalten geblieben, aber die Harmonien wurden dramatisch verändert.
Harmony Is Queen
Die ursprüngliche Version ist harmonisch sehr einfach – vgl. Notenbeispiel „Everyday Original“. In der Original-Version wird die Harmonie von einem Piano gespielt, ein „Upbeat House Style Rhythmical Piano Part“. Beschäftigen wir uns mit der Original-Harmonik und fangen mit der Tonart an: Ausgehend von der Tonika Fj7 geht es zu Bb9sus, der die Dominante des nächsten Akkordes Ebj 7 ist. Der letzte Akkord der Sequenz ist die Dominante, die sich als C9sus zu C9 auflöst, bevor sie zurück zum Anfangs-Akkord Fj7 führt. Sie sehen, dass die Harmonie recht einfach ist. Die einzige Änderung in diesen beiden Takten liegt in der Middle8 (= Bridge) – vgl. Notenbeispiel „Everyday Middle8“.
In der Middle 8 wird der Ab13sus4 vier Takte lang ausgehalten. In den ersten sieben Takten erzeugt dieser harmonische Effekt eine Abwechslung zu den sich wiederholenden ersten beiden Haupttakten, die den Rest der Songharmonik ausmachen. Im letzten Takt geht es aufwärts über Bb13sus4 zu C13sus4, der als Dominante zurück zur Tonika Fj7 führt. Bei der Reharmonisation war meine Mission, die Melodie zu bewahren und zugleich Akkordformen zu suchen, die sowohl eine Beziehung zu der ursprünglichen Melodie haben als auch gleichzeitig das Feeling der Melodie dramatisch genug verändern, um dem Zuhörer eine komplett neue Erfahrung zu vermitteln.
Den Verse finden Sie im Notenbeispiel „Everyday Reharmonisation Verse“. In der ersten Substitution ersetzte ich den originalen Fj7 durch einen Am7/#5. Die Beziehung zwischen den beiden Akkorden ist sehr eng, da ihre Töne nahezu gleich sind – und trotzdem erzeugen sie einen sehr unterschiedlichen Sound. Der nächste Akkord ist ein Bbm9, der dem ursprünglichen Akkord Bb9sus sehr ähnlich ist, aber ohne den Sus-Vorhalt entsteht ein Moll-Akkord mit einem etwas „dunkleren“ Gefühl. Die nächste Substitution von einem Ebj 7 zu einem Cm9 ist sehr subtil, weil beide Akkorde bis auf den Basston eigentlich gleich sind.
In der zweiten Hälfte des zweiten Taktes wollte ich denselben Effekt erzeugen wie bei einem Dominant-Vorhalt, bei dem sich z. B. ein C9sus zu einem C9 auflöst. Da ich an dieser Stelle jedoch nicht die Dominante einsetzen wollte, ging ich einen Ganzton höher, um von Dm zu Dsus zu gelangen. In den nächsten zwei Takten hatte ich eine Menge Platz innerhalb der Melodie, denn die Melodie im dritten Takt bleibt auf derselben Note und im vierten Takt ist sogar eine Pause – das Gleiche gilt auch für Takt 7 und 8. So war ich ziemlich frei in der Auswahl der passenden Akkorde.
Lassen Sie uns diese Akkorde mit dem Original vergleichen.
Der Fj7-Akkord wurde durch einen Cj9 ersetzt, der sich über Ebj 9 zu Abj 9/11# (lydisch) bewegt und sich auf dem ersten Schlag des vierten Taktes befindet. Es gibt eine einfache Beziehung zwischen diesem Akkord und dem ursprünglichen Ebj 7-Akkord, denn eigentlich habe ich nur den ursprünglichen Ebj 7-Akkord beibehalten und ein Ab in den Bass gelegt. Sie sehen, dass die große Septime des Eb-Akkordes „d“ zu der übermäßigen lydischen 11 des Ab-Akkordes wird. Die Melodielücke im vierten Takt habe ich genutzt, um zur nächsten (erniedrigten) „b“-Tonstufe von Ab zu gehen, in diesem Falle zu Db, das entspricht dem Quartenzirkel der „b“-Ton – arten-Vorzeichen.
Die Reharmonisation der Bridge finden Sie im Notenbeispiel „Reharmonisation Bridge“. Der einzige Unterschied in der Bridge ist, dass ich wieder zum Db-major-Akkord zurückgegangen bin, um eine „Mini-Auflösung“ zum C-MollAkkord in Takt 2 zu installieren – es war eine gute Gelegenheit, hier so vorzugehen, ohne die Melodie zu ändern. Im Chorus (Notenbeispiel „Reharmonisation Chorus“) entschied ich mich, alle Akkorde möglichst nach Dur klingen zu lassen, da ich nach Fertigstellung von Verse und Bridge bemerkt habe, dass der Chorus in der Spannung möglichst gesteigert werden sollte – dabei wollte ich jeglichen Moll-Akkord vermeiden. Wie Sie im Beispiel sehen können, besteht der Chorus mit Ausnahme des Gb-Dur lydisch ausschließlich aus gradlinigen Major7- oder 9-Akkorden.
Wir gehen weiter zur Middle8, siehe Notenbeispiel „Reharmonisation Middle8“. Hier wollte ich die etwas stagnierende originale Harmonie der ersten vier Takte in etwas Diatonisches verwandeln, um die Melodie zu öffnen und sie interessanter zu gestalten. Dazu bin ich diatonisch in der Tonart von Db-Dur durch die Akkordstufen I, II, III und IV aufwärts gegangen, was einem ein wenig das Gefühl eines traditionellen Latin/Bossa vermittelt. Im fünften Takt ha be ich eine Wendung hoch zum G-Moll und wieder runter zum IV-Akkord Gbj 7 eingefügt. Die Middle8 endet auf einer dem Original ähnlichen aufsteigenden Bewegung aus Sus9-Akkorden.
Fazit
Damit sollten Sie einige Erkenntnisse über den Prozess der Reharmonisation einer bekannten Melodie gewonnen haben, die sich nun völlig anders präsentiert. Letztlich habe ich dabei nur an der Oberfläche der nahezu unendlichen Möglichkeiten gekratzt. Welche Akkorde passen und was sich in der jeweiligen Situation gut anfühlt bzw. anhört, ist eine Sache des persönlichen Geschmacks – es müssen nicht die vermeintlich „korrekten“ Lehrbuch-Akkord-Ersetzungen benutzt werden.
In diesem Workshop wollte ich keine strengen Regeln aufstellen, die unbedingt befolgt werden müssen – ich wollte lediglich meine kreativen Methoden und Ideen zeigen, die mir in der Welt des professionellen Keyboardspielens geholfen haben. Jazz ist für mich eine persönliche Art, sich in einer nicht konformen Weise auszudrücken – hier gibt es Regeln, die man befolgen und zur selben Zeit auch brechen sollte, wenn man sie verstanden hat.
könnte ich über diesen Weg an die Noten für Deep Waters kommen. Das Album heißt Positivity und läßt sich wahrscheinlich nur über die Gruppe Incognito bekommen.
Über einen Bescheid würde ich mich freuen
Vielen Dank Hans Schleder
Hallo,
leider haben wir das nicht.
Lieben Gruß