Klavier spielen lernen: Rhythmisches Spiel
Anknüpfend an den letzten Workshop, in dem es zunächst um die Unabhängigkeit beider Hände ging, werden dieses Mal Strukturen und Abläufe komplexer Paradiddle und Vamps vorgestellt, die uns Pianisten nicht nur eine Menge Spielspaß bereiten, sondern sowohl für Piano-Solo als auch innerhalb eines Bandarrangements eine wichtige Rolle spielen. Und mal ehrlich: Steckt nicht in jedem von uns Keyboardern ein heimlicher Drummer?
Paradiddle und Vamps
Zur Erinnerung: Unter Paradiddle versteht man eine rhythmische Figur, die abwechselnd von der linken und rechten Hand ausgeführt wird, mit jeweils Einzel- und auch Doppelschlägen. Ein Schlagzeuger spielt in der Regel mit zwei Sticks, ein Vibrafonist aber durchaus auch mit jeweils zwei pro Hand. Das bedeutet, dass er in der Lage ist, einen Paradiddle mit einer Hand alleine auszuführen bzw. beidhändig vier verschiedene Schläge in individueller Abfolge zu spielen. Natürlich haben auch Pianisten diese Möglichkeit der rhythmischen Verteilung innerhalb einer Hand, beispielsweise zwischen 1. und 5. Finger. Aber dazu später mehr bei den Beispielen.
Als Vamp bezeichnet man in der Musiksprache ein in sich abgeschlossenes, rhythmisch-harmonisches Motiv, das – gleich einem Ostinato – immer wiederholt wird und die Basis für Thema und Improvisationen bildet. Vamps sind zumeist zwei-, bisweilen auch viertaktig, je nach Tempoauffassung und harmonischem Kontext. Klassiker sind beispielsweise Herbie Hancocks Cantaloupe Island oder Chameleon, ein Bass-Motiv auf Tonika und Subdominante, über das es sich in der rechten Hand unendlich variabel improvisieren lässt, sowohl harmonisch als auch – und natürlich – rhythmisch! Womit wir wieder beim Thema wären.
Zu den Übungen
Ich empfehle, ein moderates Tempo beim Ausprobieren der folgenden Übungen und Beispiele zu wählen, da es sich dieses Mal um 16tel-Rhythmisierungen handelt. Tempo 60 (die Viertel) sollte zu Beginn durchaus genügen, um zunächst die Bewegungsabläufe zwischen rechter und linker Hand zu verstehen. Alles sollte mit möglichst lockerem Handgelenk gespielt werden, die Anschläge aus der ganzen Hand, mit Unterstützung des Armes, und nicht nur aus den Fingern.
Übung 1+2 sind gut dafür geeignet, ein motorisches Grundfeeling für 16tel-Paradiddle zu erlangen. RLRR-LRLL (rechts-links-rechts-rechts/ links-rechts-links-links) ist einer der Basic-Paradiddle aller Schlagzeugschulen. Und nicht von ungefähr beinhaltet dieses Pattern doch sowohl abwechselnde Einzel- als auch Doppelschläge. Spielt man diese Figur links wie rechts mit dem 3. Finger, bei herabhängender Hand, so lässt sich fast das Spielen mit Drum-Sticks simulieren. Oder man nimmt die 2. Finger (Zeigefinger) und kippt beide Hände nach außen. Auch so lässt sich dieses Pattern selbst auf einer Tischplatte leicht üben. Wie gesagt, es geht zunächst um das Erlangen einer Grundmotorik, die für alle nachfolgenden Übungen und Beispiele enorm wichtig ist.
Und noch etwas: Vergessen Sie das Metronom: Sie sind das Metronom! Achten Sie auf äußerste Gleichmäßigkeit der 16tel, auf ein stets freies Handgelenk und gesamtkörperliche Lockerheit.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Betonen des Viertel-Rasters, das Akzentuieren der Schwerpunkte. Ein 4/4-Takt ist unterteilt in vier 16telGruppen. Nur jede erste 16tel pro Gruppe erhält einen deutlichen Akzent, also auf der Zählzeit 1, 2, 3 und 4, unabhängig davon, welche Hand gerade an der Reihe ist. Für Übung 1 bedeutet das, dass die Akzente abwechselnd gespielt werden. Nämlich auf den Zählzeiten 1 und 3 von der rechten, auf 2 und 4 von der linken Hand.
Achtung: In Übung 2 befindet sich eine Synkope auf der letzten 16tel der zweiten Gruppe. Sie bekommt auch einen Akzent, da diese 16tel der vorgezogenen Zählzeit 3 entspricht, wo genau aus diesem Grunde auch gar keine Note steht.
Probieren Sie diese beiden Paradiddle-Muster auch mit anderen Tönen, Intervallen oder Akkorden aus, bevor Sie weiter fortfahren.
In Übung 3+4 sind nun mit jeder Hand zwei Aktionen durchzuführen: abwechselnd mit der Außen- und der Innenhand. Auch hier bitte wieder darauf achten, dass aus der ganzen Hand gespielt wird, und nicht nur aus den Fingern. Und nicht die Akzente auf den Schwerpunkten vergessen. Sonst sieht/hört man vor lauter 16teln womöglich den Vierer-Wald nicht. Diese Übungen in Oktaven sind eine wichtige Vorstufe für spätere, komplexere Rhythmisierungen, insbesondere für die Bassgestaltung in der linken Hand.
In Übung 5+6 wird langsam deutlich, wie wertvoll Paradiddle in der Praxis sind. Die linke Hand in Beispiel 5 bildet einen Komplementär-Rhythmus, indem sie in die freien Lücken der rechten Hand spielt. Der Paradiddle lautet: R+L-RLLRLRLRLLR-RL
Dadurch, dass die rechte Hand größtenteils auf den Offbeats spielt und die Linke entsprechend auf den geraden Zählzeiten, entsteht eine interessante Rhythmik von spannender Komplexität. Der Groove rollt sozusagen nur auf Grund der Verzahnung von linker und rechter Hand, deren gespielte Events so gut wie nie zeitlich zusammen fallen. Das ist Paradiddle-Spiel, immer abwechselnd in die Lücken spielen!
Zu den Beispielen
Als Vamp dient eine zweitaktige Figur über Gm7 und C7. In Beispiel 1 ist der Vamp in einer einfachen Grundversion notiert, deren Rhythmisierung sich aber in den folgenden Beispielen mittels Synkopen, Fill- und Drop-Notes verändert. Beispiel 1 stellt also das Ausgangsmaterial mit den wichtigsten Noten und Schwerpunkten dar.
Beispiel 2 hat eine konstante Achtelbegleitung in Oktaven. Um bereits dort etwas funky Feeling zu erzeugen, ist in Takt 1 das G des VampMotivs rhythmisch leicht verschoben, sodass es zwischen die Achtelfigur der linken Hand gerät. In Takt 2 sorgen die Repetition auf der Zählzeit 3 und die 16tel am Schluss des Vamps für mehr Action.
In Beispiel 3 hat die linke Hand zwar wenig zu tun, dennoch wirkt sie wesentlich auffälliger, da sie mehr mit dem Vamp korrespondiert bzw. das Motiv vervollständigt. Die Slapbass-ähnlichen Drop-Notes der Bass-Oktavierung schieben die Melodieteile entsprechend mit Drive an. Hierbei sei auch erwähnt, dass die gebräuchlichsten Fill-Notes der linken Hand natürlich in erster Linie Oktave und Quinte sind, darüber hinaus aber auch Quarte, None, und natürlich die Septime, wie in Beispiel 4 zu sehen.
Rein optisch ist die Eigenständigkeit der Basslinie schon deutlich, aber versuchen Sie mal, die linke Hand alleine zu spielen. Schon gewöhnungsbedürftig, oder? Muss aber auch gar nicht sein. Falls es so ist, dass es Ihnen bereits jetzt leichter fällt, beide Hände gleichzeitig zu spielen, dann haben Sie das Wesentliche in Sachen Paradiddle bereits verstanden und bewegen sich schon auf bestem Groove-Level. Denn natürlich ist es einfacher, den ineinander verzahnten Rhythmus zwischen links und rechts rollen zu lassen.
In Beispiel 5 ist der Vamp mit einem massiven Walking-Bass in Slap-Oktaven mit zusätzlich harmonischen Funktionen unterlegt. Es entsteht eine Gegenstimme (G-Bb-C-EFF#) auf den Haupt-Beats 1 und 3, dennoch befinden sich die Drop-Notes zumeist in den Lücken des Vamp und sorgen so für den nötigen Druck.