Alternativen zum Modularsystem mit klassischem Signalweg
Die sogenannte Westcoast-Szene um Don Buchla und Serge Tcherepnin hat früh bewiesen, dass Filter nicht grundsätzlich im Mittelpunkt der Sound-Erzeugung stehen müssen. Wir zeigen alternative Klanggestaltungskonzepte abseits der ausgetretenen Pfade.
Es muss nicht immer mit Filter sein – die sogenannte Westcoast-Szene, maßgeblich mit den Synthesizer-Pionieren Don Buchla und Serge Tcherepnin assoziiert, setzt weniger auf die Bearbeitung von Grundwellenformen mittels Hüllkurven-gesteuertem Filter als vielmehr auf das Erzeugen komplexer Wellenformen auf Oszillator-Ebene. Frequenz- und Amplituden- bzw. Ringmodulation sowie Wave-Shaping spielen eine zentrale Rolle. Das Filter bleibt dabei eher Nebensache.
In den beiden vorangegangenen Synth-Lab-Folgen haben wir solche Klanggestaltungskonzepte näher unter die Lupe genommen und festgestellt, dass der aktuelle Modularsynthesizer-Markt zahlreiche Möglichkeiten bietet, solche Ideen umzusetzen. Neben Buchlas aktuellen Systemen, ausführlich in KB 1.2014 vorgestellt, besteht durchaus die Chance, einen solchen Synthesizer deutlich preisgünstiger zu verwirklichen. Nutzt man beispielsweise das rechhaltige Angebot von Doepfer, kann man schon in einer Größenordnung um 1.500 Euro ein System zusammenstellen, das die wichtigsten konzeptionellen Merkmale eines Buchla-Synthesizers beinhaltet. Die klanglichen Ergebnisse sind allemal hörenswert!
Steht ein höheres Budget zur Verfügung, lässt sich die Auswahl deutlich erweitern. Neben Doepfer haben andere Eurorack-Modul-Hersteller Gefallen am „Westcoast-Konzept“ gefunden und mit sehr viel Sachverstand entsprechende Module realisiert, die klanglich auf höchstem Niveau rangieren. Dabei handelt es sich sowohl um Konzepte, die stark an Buchlas klassisches Vorbild angelehnt sind, als auch um vergleichsweise freie Adaptionen. Wir wollen uns eine Auswahl dieser Module näher anschauen.
Oszillatoren und Waveshaper
Oszillatoren und Waveshaper sind essenzielle Bestandteile des „Westcoast-Konzepts“ – dementsprechend steigen und fallen die klanglichen Qualitäten eines Systems mit ihren Fähigkeiten. Klassiker ist Buchlas Dual-Oscillator-Modul 258. Eng verwandt ist der Furtherrrr Generator des Wiener Boutiqueherstellers Endorphines. Er beinhaltet zwei VCOs, von denen einer den anderen moduliert, plus einen nachgeschalteten Waveshaper. FM (linear oder exponentiell), Amplituden- und Ringmodulation sowie Waveshaping lassen sich gleichzeitig nutzen und deren Intensitäten extern modulieren. Mehrere Wellenformen stehen zum gleichzeitigen Abgriff zur Verfügung.
Die klangliche Bandbreite ist beeindruckend und reicht von sahnig-fetten, schwebungsreichen Flächen an der Grenze zwischen Klang und Geräusch bis hin zu britzeligem Lärm. Der Charakter bleibt immer vergleichsweise weich und angenehm rund. Ein eingebautes Stimmgerät verrät via LEDs harmonische Frequenzverhältnisse zwischen beiden VCOs und erleichtert somit das Erzeugen tonaler FM-Sounds.
Direkter Mitbewerber mit sehr ähnlichem Aufbau ist DPO von Make Noise. Hier bleibt zwar PWM außen vor, dafür können sich beide VCOs gegenseitig frequenzmodulieren (Kreuzmodulation). Der Waveshaper besitzt zudem einen Eingang für externe Signale. Die Klangqualität liegt auf einem ähnlich hohen Level, erscheint jedoch weniger „vintage“ und hörbar präziser als beim Furtherrrr Generator. Auch komplexeste Modulationen klingen beeindruckend durchsichtig und präsent. Kreuzmodulationen erzeugen regelrechte Klanglandschaften – sehr spektakulär!
Kombinationsmodule vs. “diskreter” Aufbau
Bei den bisher beschriebenen Modulen handelt es sich um Kombinationen verschiedener Baugruppen. Solche Module profitieren von einer perfekten Abstimmung sämtlicher Elemente und ihrer internen Signalpegel. Entsprechend breit sind die Sweet-Spots, die sich sehr schnell beim „Schrauben“ auftun. Vorteilhaft ist zudem die geringe Anzahl an notwendigen Steckverbindungen. Meist sind neben Ein- und Ausgängen nur externe Modulationsquellen zu patchen.
Selbstverständlich ist es auch möglich, sämtliche Funktionsgruppen als eigenständige Module in das System zu integrieren. Bei unserem in der vergangenen Folge vorgestellten Doepfer-System handelt es sich um eine solche „diskrete“ Zusammenstellung. Auch hier gibt es Alternativen, die bezüglich technischer Konzeption und Klangqualität fast alles technisch Machbare ausschöpfen. Ein nennenswertes Beispiel ist Intellijels Oszillatormodul Rubicon. Neben einem äußerst präzisen Tracking und sämtlichen Standard-Modulationen bietet Rubicon sowohl lineare als auch exponentielle „Through-Zero-FM“. Gegenüber „normaler“ FM entstehen hier zusätzliche Seitenbänder (Obertöne) und damit sehr interessante und dichte Klanggebilde. Nach Belieben kombiniert mit Standard-VCO und Waveshaper, versprechen solche Kombinationen eine maximale Klangausbeute – vorausgesetzt, man lässt sich auf die komplexe Thematik ein und verfügt über das notwendige Kleingeld sowie ausreichend viele Patchkabel …
Lowpass Gate (Filter) und VCA
Auch der Westcoast-Style verzichtet nicht vollständig auf Filter. Buchla verwendet jedoch meist Vactrol-bestückte Lowpass-Gates, also Abschwächer, die Pegel und/oder Frequenz des Signals zeitabhängig beschneiden. Ein sehr schön klingendes Exemplar ist Optomix von Make Noise. Hier findet sich auch ein Triggereingang für die einfache Erzeugung des legendären „Buchla-Bongo“-Sounds.
Eine hoch interessante Variante ist Malekkos Wiard Borg Filter. Auch hier handelt es sich um ein Lowpass-Gate mit typisch scharfbratzigem, bisweilen dreckigem Sound. Besonderheiten sind der modulierbare Resonanzparameter und die stufenlos variable Charakteristik (LP, HP und BP). Da dieses Filter Signale nicht vollständig sperren kann, ist es als VCA ungeeignet.
Beide Module liefern zusammen mit Oszillatoren und Waveshapern sehr besondere sowie eigenständige Sounds jenseits der strahlend-glatten Moog- oder Oberheim- Ästhetik. Grundsätzlich lassen sich Lowpass-Gates auch zur Lautstärkemodulation verwenden. Voraussetzung ist jedoch, dass das Modul ein Signal vollständig ausblenden kann. Nicht alle Modelle sind dazu technisch in der Lage. Ein dediziertes VCA-Modul und passende Ergänzung zum (Vactrol-basierten) LowpassGate ist etwa Intellijels Micro-VCA. Er arbeitet sehr präzise und liefert, gesteuert von einer Hüllkurve, knackig-perkussiven Sound.
Ein weites Betätigungsfeld für Klangbastler, die mit ihrem Modularsystem ausgetretene Klangpfade verlassen möchten — es gibt noch mehr als fette Bässe und 303-Lines! Ob man sich für eine preisoptimierte Lösung entscheidet oder ein Maximum an Klang- und Fertigungsqualität sucht — das Angebot an Modulen, die eine Klangerzeugung im Westcoast-Style ermöglichen, ist reichhaltig und wächst stetig.
Modulationsquellen
Auch die Modulationsquellen sind im Buchla- oder Serge-inspirierten Universum selten in Form von Standard-ADSRs oder – LFOs anzutreffen. Oftmals handelt es sich um komplexe Module, die je nach Beschaltung als Hüllkurve, Trigger-Generator oder sogar Oszillator (LFO) arbeiten können.
Wir haben bisher das Doepfer-Modul A- 171/2 kennengelernt. Eine noch reichhaltiger ausgestattete Alternative stellt Make Noises Maths da: Es entspricht in etwa zwei Doepfer A-171/2-Modulen mit einem Mixer für Modulationsintensitäten. Maths liefert zwei AD-Hüllkurven mit variablen und modulierbaren Kurvenformen, arbeitet als LFO bzw. Oszillator, erzeugt und verarbeitet Trigger und besitzt einen Mixer/Abschwächer für Modulationstiefen. In Kombination mit einem Oszillator/Waveshaper-Modul (s. o.) entsteht ein sehr kompakter und ebenso spezieller, aber funktionsfähiger Synthesizer. Wer bizarre Klang- und Geräuschfolgen, noisige Atmos und ähnlich experimentelle Ergebnisse schätzt, wird in einer solchen Kombination viel Potenzial entdecken.
Quasi-zufällige Ereignisse und Modulationen sind ebenfalls zentraler Bestandteil des Buchla-Konzepts. Der Zufallsgenerator Wogglebug – ebenfalls von Make Noise angeboten – stellt einen Teil von Buchlas berühmtem Modul „Source of uncertainty“ da. Der Wogglebug liefert Trigger und Steuerspannungen mit regelbarer Zufälligkeit. Darüber hinaus erzeugt er sogar Audiosignale mit Zufallscharakter. In Verbindung mit einem Modul wie Maths lassen sich Sequenzer- ähnliche Ereignisse realisieren, die sich mehr oder weniger vorhersehbar verändern – wahlweise rasend schnell oder auch „in Zeitlupe“.