°
Natürlich, die elektro-mechanischen Klassiker Fender Rhodes & Co sorgten schon ab den 60er-Jahren dafür, dass auch Band-Pianisten plötzlich ein Bühnenleben hatten. Bis aber mit dem legendären Kurzweil K250 zum ersten Mal realistisch klingende Nachbildungen des akustischen Pianos auf die Bühne kamen, sollte noch einige Zeit vergehen.
Den elektromagnetischen Instrumenten, die durch Jazz, Rock und Soul der 60er und 70er schnell einen ganz eigenen Charakter entwickelten, folgten vollelektronische Pianos auf Basis der damals sich rasant entwickelnden Transistortechnik. Abenteuerlich, welche Sounds man damals gut fand − bei manchen Geräten reichte es schon aus, wenn der Piano-typische Attack/Decay-Klangverlauf gegeben war: Plöng! Ansonsten unterschieden sich die Dinger nicht großartig von den Combo-Orgeln, die damals aus genau den gleichen Schaltkreisen zusammengelötet wurden. Cheesy vom Anschlag bis zum Ausklang, aber hey: moderne elektronische Sounds, polyfon … und es klingt mal nicht nach Orgel!
Heute haben diese Elektropiano-Sounds ihren ganz besonderen Charme und finden sich − zumindest in ihrer Anmutung − in James Blakes melancholischen Balladen oder dem Radiohead-Meilenstein Everything In Its Right Place wieder. Zwar werden diese Pianoparts auf Synthesizern gespielt, aber das Prinzip ist sehr ähnlich, und jeder kann es mit seinem Synth zuhause nachempfinden: Eine Sägezahnschwingung bekommt per Filter- und Amp-Hüllkurve einen Piano- ähnlichen Klangverlauf. Man nutzt dafür wohlgemerkt einen (!) Oszillator, füllige Schwebung ist hier fehl am Platz, ein sanft einschwingendes Vibrato kann ganz schick sein. Man muss nicht erklären, wie weit die Ästhetik dieser Klänge entfernt ist vom Klangerleben an einem ausdrucksstarken Konzertflügel. So nüchtern es klingt, so speziell ist auch der darin liegende, wenn man so will: minimalistische Ausdruck.
Spröder Transistorsound.
Etliche Pianos mit Transistorelektronik wurden in den 70ern gebaut und live gespielt. Die meisten Instrumente kamen (oh Wunder) aber natürlich aus den Fabriken der damals führenden Hersteller von Combo-Orgeln − aus Italien. Sehr beliebt war das Farfisa Professional Piano (siehe Vintage Park ab S. 84) oder z. B. das Crumar Dynamic Piano DP-80, das sich sogar anschlagdynamisch spielen ließ. Heute ist man fasziniert von dem spröden Sound der damaligen Frequenzteilerschaltung.
Aber auch die deutsche Firma Wersi mischte hier mit. Piano, Honky-Tonk, Kinura und Hawaii- und Slalom-Effekt − das gab’s damals nur im Wersi Pianostar T2000, dessen Vorgänger man glatt für eine Holzkommode halten konnte − moderner Schick für das traute Heim.
Den Holz-Look verfolgte zunächst auch Yamaha mit den ersten CP-Instrumenten; sehr clever der zweigeteilte Deckel, deren Hälften unterhalb des Keyboards als Stativ gedacht waren. Sie sahen deutlich moderner aus und waren klanglich eine Offenbarung, boten sie doch schon etwas Chorus, und außerdem konnte man seinen Sound aus einer Auswahl von Klängen mischen − im Prinzip ganz wie bei den Transistororgeln, aber anstelle von Flute und Oboe findet man hier Wellenformen, die in ihrer Mischung schon Aspekte eines Klavier erahnen lassen.
Den Holz-Look ließ man beim Nachfolgemodell CP35 dezent in den Hintergrund treten, und der schwarze Tolexbezug sorgt für den professionellen optischen Eindruck, den Yamaha beim nächsten Stagepiano fortsetzte, das eine neue Ära einläuten sollte – und abertausende Keyboarder auf der ganzen Welt halb verrückt werden ließ. »Was ist denn das für ein Sound?!?« »Ist von einem dieser neuen Dinger von Yamaha; schon mal von Frequenzmodulation gehört?« »Nee, klingt aber cool! Was’n das?«
FM-Pianos − ein neues Zeitalter beginnt.
Wer es damals miterlebt hat, wird den extrem perkussiv performten Piano-Sound sofort wieder im Ohr haben − die Rede ist von Ulla Meinekes Die Tänzerin. Edo Zanki hat den Song mit einem GS1 eingespielt, das mit 30.000 Mark für viele damals etwas kostspielig war. Etwas günstiger, aber immer noch unerschwinglich teuer für die meisten war das kleinere Modell GS2, es war das o. g. Instrument, das den Tolex-Look des CP35 fortsetzte.
Als dann der DX7 herauskam (Hurra! FM-Synthese für nur 4.500 Mark), gehörte es zur sportlichen Disziplin von Keyboardern, sich gegenseitig die selber erstellten DX-Sounds vorzuspielen. Es kursierten damals zig Varianten des »Tänzerin«-Sounds, keiner aber konnte mit dem smackigen Attack des Originals mithalten. Es begründet sich durch die unterschiedlichen Architekturen der Instrumente: 6 Operatoren beim DX7, 2 x 4 Operatoren beim GS − das klingt einfach anders.
Nichtdestotrotz ließen sich pfiffige Sound-Programmierer nicht aufhalten, immer neue FM-Pianoklänge zu entwerfen. Am liebsten gleich gedoppelt und verdreifacht mit mehreren DX-Modulen. Das cheffigste alle FM-Setups war damals das DX1 mit 88er-Pianotastatur in Verbindung mit dem TX816, welches acht DX7 in Form von Modulen in sich vereinte − das klang dann auch ähnlich fett wie ein GS1, kam aber trotzdem nicht ganz heran.
Und ja − von einem akustischen Klavier war der Sound im Grunde genommen auch weit entfernt. Wie bei Rhodes und Wurlitzer hat sich aus den FM-Instrumenten ein eigenständiger Sound entwickelt. Bis heute ist das FM-Piano Standard bei jeder Soul-Ballade und klangliche Entsprechung des Neonröhrenkitsch der 80er. Sehr gerne wurde der Sound auch dazu benutzt, den damals noch sehr schwachen gesampelten Pianos dynamischen Biss, Wärme und Fülle zu verleihen … und damit wären wir beim legendären Piano-Sound von David Foster angelangt. Akustisches Piano plus FM-Piano plus Chorus (besser noch ein Roland Dimension-D) plus Reverb − alles etwas teuer, aber: Wahnsinn!
PCM und das Wunder nahm seinen Lauf.
Sampling wurde bezahlbar, so kamen nicht nur preiswerte Sampler auf den Markt, sondern diese neue Technik zog ein in Homepianos, Workstations, Synthis − ach, einfach alles wurde digital, und täglich wurde uns eine neue Syntheseform präsentiert, die sich außer durch fantasievolle, möglichst sehr technisch klingende Bezeichnungen nicht sonderlich voneinander abhoben. Dennoch war die Entwicklung rasant.
Die Rompler-Technologie als Geburtsstunde des Digitalpianos, das ist − abgesehen von den 88 Tasten − aber nur die halbe Wahrheit, denn Sampling wurde bereits vorher von sündhaft teuren Instrumenten wie dem Fairlight CMI, NED Synclavier oder dem E-mu Emulator vorangetrieben.
Ein anderer Amerikaner aber ging 1984 seinen eigenen Weg: In engem Austausch mit Stevie Wonder entwickelte er das K250. Diese Workstation mit 88 Holztasten und »Hammer-Action«-Klaviatur ließ sich ebenfalls zum Sampler ausbauen, bot allerdings als erstes Instrument »ab Werk« ein Sample-ROM, in dem unter anderem ein 10-Bit-Steinway-Flügelsound schlummerte. Der zwölfstimmige Piano-Sound des 43 Kilo schweren Boliden von Raymond Kurzweil sollte für die nächsten Jahre wegweisend bleiben. Der Begriff »Kurzweil-Piano« stand fortan für Spitzenklasse. Das traf beim K250 ebenfalls wieder auf den Preis zu. Schon die Basisversion schlug seinerzeit mit mehr als 30.000 Mark zu Buche. Solche hochpreisigen Vorreiter lieferten den Herstellern allerdings die technische Grundlage für neue Instrumente, die sich rein auf die Wiedergabe gesampelter Piano-Sounds konzentrierten.
Die ersten Digitalpianos waren damals natürlich etwas ganz anderes als die Instrumente von heute. Selbst heutige Einsteiger-Instrumente unter 1.000 Euro hätte man damals als Wunder der Technik gefeiert. Aber damals gab’s maximal 16 Stimmen, StereoSampling war noch nicht erfunden bzw. einfach viel zu teuer, und die Sounds bestanden meistens aus den gesampelten Attacks mit anschließenden kurzen Loops. Dennoch war man begeistert: »Klingt wie ein echtes Klavier!«