Ulrike Haage: Pianistin, Komponistin, Musikphilosophin
Mit Ulrike Haage kann man über alles reden, was irgendwie mit Musik zu tun hat: Sie macht Theatermusik, Hörspiel- und Kindermusikproduktionen sowie Filmmusik − aktuell für den neuen Spielfilm von Doris Dörrie über Fukushima. Sie schrieb Popgeschichte als Mitglied der erfolgreichen deutschen Gruppe Rainbirds. Und auch Jazzgeschichte: Als bis heute jüngste und einzige weibliche Musikerin erhielt sie 2003 den Albert-Mangelsdorff-Preis, die höchste Weihe des Jazz.
Wenn man mit Ulrike Haage über Musik redet, fließen alle Themen ganz logisch zusammen, scheinen miteinander verbunden: Komposition, Improvisation, Produktion; das Arbeiten alleine und in einer Band, auf Papier, am Instrument oder mit dem Laptop. Maelstrom heißt ihr neues Album, genauso das zentrale Stück darauf. Und wie der namensgebende mythische Wasserwirbel entfaltet Haages Musik eine Strudelwirkung auf den Hörer: Je schneller man sich abwärts dreht, desto unklarer werden jegliche Genregrenzen. Der nordischen Mythologie nach wird der Mahlstrom von einer göttlichen Mühle angetrieben.
Ist Maelstrom eine Mühle zum Vermahlen von Jazz, Pop und klassischer Minimal Music?
Ja, Jazz, Pop und Minimal, diese drei Elemente ziehen an mir − und trotzdem ist alles in einem Herzen beherbergt. Das sind für mich keine getrennten Kanäle, aus denen diese Elemente in mir zusammenfließen. Das macht diese Platte auch aus. Mit ihr habe ich einen Weg eingeschlagen, den ich konsequent weitergehen möchte − bzw. ich werde dorthin gezogen, das ist wie ein Sog, eben wie der Maelstrom.
Beim Titelstück hast du mit klassisch ausgebildeten Musikern zusammengearbeitet, für das komplexe, polyrhythmische Drumming.
Ich wollte immer schon mit klassisch ausgebildeten Musikern zusammenarbeiten und so Klassik mit Jazz und Minimal Music zusammenbringen. Mit Almut Lustig und Brigitte Haas hatte ich gleich zwei klassische Perkussionisten für Maelstrom − und ich war total hin und weg von der Präzision, mit der sie sich vorbereitet haben. Aufgenommen haben wir Maelstrom im Studio an einem einzigen Tag!
Aber wie hat der Mahlstrom begonnen?
Komponiert habe ich Maelstrom in Görlitz, der kleinen Grenzstadt zu Polen − eine ganz eigenwillige Stadt, mit toller Architektur aus Renaissance und Gotik, ein bisschen italienisch fast. Man ist sofort in einer anderen Welt; toll, um sich zu konzentrieren!
Konkret angestoßen wurde das Stück von den zwei Görlitzer Kirchtürmen, die nachts immer dieselbe Uhrzeit schlagen, aber rhythmisch leicht versetzt − das habe ich wohl in meine Träume eingebaut und in meinem Kopf weiterentwickelt. Entsprechend ist Maelstrom ein Stück geworden, in dem sich zwei Rhythmen die ganze Zeit überlagern. Für die Musiker eine große Herausforderung − aber erst mal habe ich es »pur« als Noten aufgeschrieben.
Du hattest in der Zeit kein Klavier?
Mein mobiles Equipment bestand einfach aus meinem Laptop [u. a. mit Sibelius, AbletonLive, Logic, ProTools; Anm.d.Aut.] plus Audio-Interface und einem Keyboard zum Anspielen − aber auch ganz viel Notenpapier und Stifte, weil ich eben sehr gerne nur auf Papier anfange. Ich höre auch ganz viel ohne ein Sample, nur aus den Noten heraus; da brauche ich nicht unbedingt Klänge. Zum Glück hatte ich in Görlitz aber eine wunderbare »Herberge« in Form der alten Kirchenmusikschule, wo ich mit offenen Armen empfangen wurde. Dort standen zwei Flügel, ein alter August Förster und ein noch älterer Blüthner, die hatten ziemlich viel Charakter und haben mich richtig herausgefordert.
Wie kam dann die Perkussion ins Spiel?
Ich schreibe immer Partituren von allen meinen Stücken; bei Maelstrom hatte ich die PerkussionsTeile schon vor dem ersten Treffen an die anderen Musiker verschickt. Aber natürlich habe ich ihnen auch Audio-Files gegeben; da sind noch Dynamiken drin, die über die Partitur hinausgehen, oder ich »maschel« die Sounds noch auf, damit es ein bisschen nach Raum klingt und die Perkussionisten gleich eine bessere Vorstellung haben.
Nachdem wir uns zum ersten Mal gemeinsam die Partitur angeschaut haben, bekam ich zunächst alle Instrumente klanglich vorgestellt, mit verschiedenen Schlegeln und Spieltechniken. Ich hatte natürlich schon eine klare klangliche Idee von der Perkussion in dem Stück − aber als ich die Schlägelkästen gesehen habe, da tat sich für mich eine ganz neue Welt auf! Einen ganzen Tag haben wir allein damit verbracht, die Instrumente und vor allem Schlägel genauestens zu bestimmen.
Dann haben die Perkussionisten auch am Gesamtklang mitgewirkt?
Ja, da gibt es zum Beispiel diesen Offbeat, dafür wollte ich eine hohe Snare. Das haben wir ausprobiert, und es klang auch okay, aber richtig gefiel es mir nicht. Und dann kamen wir darauf, dass wir stattdessen eine Bongo nehmen. Alleine wäre ich nie darauf gekommen − bei Bongos denke ich nunmal an »Bon-go Bon-go«. Jetzt ist der Klang prägnant hörbar und eben genau so, wie ich mir zuvor die hohe Snare vorgestellt hatte.
Du hast länger nach einem passenden Studio gesucht für die Produktion in Berlin.
Wir haben uns Räume an der UdK [Universität der Künste] oder auch die bekannte Siemens-Villa angeschaut. Aber dann haben wir die UFO-Studios gefunden, in einer alten Brauerei auf der Greifswalder Straße, inmitten furchtbarer Town-House-Gebilde. Da hatten wir die Wärme von einem Ziegelstein-Gebäude, das zusätzlich noch acht Meter hoch war! GrenzflächenMikrofone, Geithain-Lautsprecher, als Pult hatten wir ein analoges Neve, aufgenommen haben wir mit 96 kHz − das war schon luxuriös!
Du konntest für den Klavierklang nicht auf die Görlitzer Klaviere oder deinen heimischen Flügel zurückgreifen?
Bei mir zu Hause habe ich einen Bösendorfer, der ist wesentlich wärmer, weicher und runder − und hat diese unglaublich tollen Höhen. Aber in dem Ziegelstein-Studio habe ich auf den Bechstein [C. Bechstein grand piano D 282] zurückgegriffen, weil der im Bassbereich eine Klarheit hat wie sonst keiner. Und neben der Gleichmäßigkeit auch diese kantilene Mittellage, die ich auch gut gebrauchen konnte. Zudem hat er sich mit diesen Ziegelsteinwänden zu einem ganz eigenwilligen Sound verbunden.