Unplugged Tour

Tobi Reiss – Unterwegs mit Laith Al-Deen

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Ein echtes Klavier bei einer Unplugged-Tour zu spielen kann ein Genuss sein, aber man geht doch lieber auf Nummer sicher mit dem elektronischen Stage-Keyboard seiner Wahl. Das Problem: Die Elektronik will sich optisch nicht wirklich einfügen, wenn das Bühnenbild ansonsten von akustischen Gitarren, Harmonium, Drums und Percussion bestimmt wird. Tobi Reiss hat eine äußerst schicke und zugleich clevere Lösung gefunden.

Tobi Reis
(Bild: Jörg Sunderkötter)

Schon der Gedanke daran, welche Instrumente man bei einer Unplugged-Tour am Veranstaltungsort vorfinden wird, lässt einen leicht schaudern. Da hat wohl jeder Keyboarder schon seine Erfahrungen gemacht: Man kann oft froh sein, wenn das Klavier überhaupt funktioniert und einigermaßen gestimmt ist.

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Sich auf die Ecken und Kanten eines akustischen Instruments einzulassen, kann auch im positiven Sinne ein Abenteuer sein und einen Gig zu etwas Besonderem machen. Aber darauf muss man sich einlassen und auch akzeptieren, dass man nicht immer so abliefern kann, wie man es gewohnt ist.

Tobi Reiss entschied sich dafür, sein Nord Stage einzusetzen, da das Progamm von Laith Al-Deens Live-Acoustic-Tour auch Songs enthält, wo auch mal ein Rhodes-Sound und z. B. ein Delay-Effekt als rhythmisches Element gebraucht werden. »Nachdem ich auf der letzten Tour ein recht großes Setup gespielt habe, wollte ich jetzt einmal etwas anderes probieren. Das Nord Stage ist bei mir aber nach wie vor das Kern-Instrument. Es bietet einfach auf kleinstem Raum alles, was man braucht: Pianos, Orgeln, Synthesizer und viele Effekte, wobei der große Vorteil ist, dass alles auf dem Bedienfeld zu sehen ist und man schnell an alles herankommt«, verrät mir Tobi. »Außerdem spielen wir ja nicht nur unplugged, denn die große Tour − mit Strom sozusagen − folgt ja noch dieses Jahr.«

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Von außen sieht’s aus wie ein Klavier, … (Bild: Jörg Sunderkötter)

Wenn man unplugged spielt, erwartet das Publikum, dass die Songs auf spezielle Weise gespielt werden und anders klingen als auf dem Album, es geht weniger um die möglichst original klingende Live-Version. »Aber auch auf der großen Live-Tour«, bestätigt Tobi, »ist prinzipiell ein gewisser Spielraum vorhanden. Zunächst versuchen wir, das abzubilden, was auf dem Album zu hören ist. Meistens entwickeln wir das während der Tour aber weiter. Das kann durchaus dazu führen, dass eine ursprünglich elektronisch klingende Nummer dann doch ganz akustisch oder sogar auch mal nur mit Klavier gespielt wird.«

Der Gig im Osnabrücker Rosenhof ist dann auch so, wie man ein Unplugged-Konzert erwartet. Der Laden ist ausverkauft, viele Al-Deen-Fans sind gekommen, die Stimmung ist entsprechend gut − beim Publikum und bei der Band, die entspannt loslegt und supertight spielt. Bemerkenswert ist, wie feinfühlig und ideenreich die Musiker die Arrangements in der Intensität variieren können. Man spürt, dass ein Groß- teil der Band − wie auch Tobi − schon seit vielen Jahren bei Laith Al-Deen spielt.

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… drin liegt das Nord Stage. (Bild: Jörg Sunderkötter)

Die Band folgt dem Leadsänger, ohne dass große Gesten seinerseits notwendig wären. »Aber Laith hat so seine Zeichen, die er gibt«, klärt mich Tobi auf, »um die Intensität oder einen Break anzuzeigen. Da ist man auch aufmerksamer, über die Jahre hat man sich da kennengelernt − und er fängt dann irgendwas an, dem wir dann folgen. So kann es passieren, dass er uns noch während des Applauses ein Zeichen gibt, mit der nächsten Nummer noch nicht anzufangen − dann legt er allein mit der akustischen Gitarre los, und dann kann da was ganz anderes draus entstehen − wie er gerade Bock hat.«

Die richtigen Sounds. In solchen Situationen muss man als Keyboarder natürlich seine Instrumente im Griff haben, um sofort mit dem richtigen Sound reagieren zu können. Komplexe Layer-Sounds mit komplizierten Effekt-Settings sind eher fehl am Platz. Was man jetzt braucht, sind Sounds, die in einem Song immer funktionieren − akustisches oder E-Piano, Pads, Orgel etc. Tobi deutet bei dem Thema wiederum auf sein Nord Stage: »Ich habe ein paar Basics immer bereitliegen; so zum Beispiel ein Grandpiano und ein akustisches, etwas älter klingendes Piano oder ein E-Piano. Und ich kann damit sofort spielbereit sein und außerdem schnell an den Klängen etwas schrauben − ein echter Vorteil des Nord Stage. Wenn sich das Stück spontan in Richtung Reggae entwickelt, dann kann ich ruckzuck auf das E-Piano mal einen Phaser oder Flanger legen. Meine Basis-Patches habe ich so programmiert, dass ich über das Pedal immer verschiedene Flächen dazufahren kann.

Noch ein kleines, aber praktisches Detail: Bei dem Song Nur wenn sie tanzt spiele ich mit dem Delay eine Linie, die wie aus dem Sequenzer klingt. Da wir bei den Akustikkonzerten nicht zum Klick spielen, tappe ich schnell das Tempo ein, und das Delay ist genau im Timing der Band. Das hilft natürlich ungemein, da du nicht das Tempo mit einem Regler finden musst.«

Das Klappklavier

Die Sache mit dem Klavier-Fake. Die tollen Möglichkeiten und der Sound des Nord Stage machen ohne Zweifel auch bei einem Unplugged-Konzert einen guten Job, optisch aber würde es einen Bruch zum vorwiegend akustisch spielenden Teil der Band darstellen. Irgendein Gestänge mit einem Keyboard obendrauf käme hier absolut nicht infrage, »schlimmstenfalls womöglich ein X-Stativ«, kreischt Tobi und lacht. Es musste also etwas her, das ins Umfeld passt. Das Klappklavier war die Lösung: Von außen sieht es aus wie ein Upright − innen bietet es eine stabile Auflagefläche für Keyboards.

»Es ist folgendermaßen«, erklärt Tobi weiter. »Wenn man auf einem kleinen Keyboard, das auf vier Füßchen steht, Klavier spielt und sitzt davor etwas gekrümmt wie an einem Bürotisch, dann fühlt sich das immer komisch an. Beim Klappklavier ist es genau andersrum. Ich spiele ja viel Piano, unplugged wie auch mit dem großen Set − mit dem Klappklavier fühlt es sich schon ganz anders an. Aus Sicht des Konzertbesuchers habe ich selber ein interessantes Phänomen entdeckt, als ich ein Konzert von Johannes Falk besucht habe. Ich kenne die Jungs, und einige aus unserer Band haben mitgespielt. Während des Konzerts habe ich gedacht, dass das Klavier doch echt gut klingt, und habe mir tatsächlich Gedanken darüber gemacht, wie die es wohl abgenommen haben. Dann bin ich nach dem Konzert auf die Bühne, um festzustellen, dass in dem Klappklavier ein Nord Stage liegt. Ich war ich echt baff, weil mich tatsächlich diese optisch-akustische Wirkung beeinflusst hatte. Noch verblüffender ist, dass das auch umgekehrt aus der Sicht des Musikers funktioniert: Wenn man es gewohnt ist, am Klavier oder Flügel zu spielen, dann spürt man ja, dass der ganze Klang in diesem Holzkonstrukt vor einem passiert. Und dieser Eindruck stellt sich ein bisschen mit dem Klappklavier ein, weil eben dieser Körper da ist. Im Großen und Ganzen ist es ein ganz tolles Spielgefühl, da man den Eindruck hat, der ganze Kasten würde selbst klingen − auch wenn das gar nicht der Fall ist.«

Genau das ist ein Aspekt, worum man seine Bandkollegen an Gitarre, Bass und Schlagzeug beneiden kann: Man fühlt sich als Keyboarder doch ein bisschen »abgenabelt« von dem Ding, was in der Band passiert. Die anderen haben immer ihre traditionellen Instrumente − digitale Instrumente verhalten sich einfach immer ein wenig anders. »Ja, das ist ein Manko«, bestätigt Tobi, »da ist etwas unterbrochen − gerade wenn man es gewohnt ist, viel Klavier zu spielen. Dann kommt noch die Haltung als Keyboarder hinzu.« Stimmt: Man hat die Hände parallel vor sich, als würde man Schreibmaschine schreiben. Ein Drummer sieht per se cooler aus mit seinen Bewegungen und ein Gitarrist sowieso, der kann sich hinstellen und posen und sieht immer cool aus. »Ja, und der Keyboarder ist immer so der Nerd (lacht). Da kann man glücklich sein, wenn man über Eck ein Mellotron oder eine Orgel hat, sodass man den Adler machen kann. Ich hatte mein Setup auch schon mal in U-Form aufgebaut. Aber dann ist das auch so, dass man sich zumauert. Deswegen finde ich die Idee auch gut, ein Instrument zu haben, das aussieht wie ein Klavier. Von mir aus darf das auch aussehen wie ein spaciges Piano − vielleicht sogar mit Beleuchtungselementen, LED − oder was auch immer. Man muss etwas haben, das cool aussieht.«

Keyboards mit Soul und Groove. Es macht riesigen Spaß, Tobi beim Spielen zuzuschauen. Toll, wie souverän und Song-orientiert er seinen Platz im Band-Sound einnimmt. Es ist aber weit mehr als nur »zweckmäßiges« Spielen, denn es blitzen immer schöne Riffs und Licks aus dem größtenteils Pop-orientierten Sound heraus.

Mich interessieren Tobis musikalische Wurzeln: Woher kommen diese geschmackvoll dosierten Zutaten wie Jazz, Soul und Funk, und wie entwickelt man die Fähigkeit, dem Groove der Band seine persönliche Note beizusteuern, ohne sich aber in den Vordergrund zu spielen? »Grundsätzlich war ich immer sehr inspiriert von Pianisten, die sehr rhythmisch spielen«, sagt er. »Dr. John hat das mal ganz gut erklärt. Er ist aus New Orleans und hat versucht, durch sein Spiel die ganze Band zu ersetzten. Den Rhythmus in allem, was er macht, dann links die Bassläufe, zwischendurch so Bläser-Dinger, und das alles hat er zu einem Konstrukt gemacht. Das fasziniert mich sehr. Von der Pop-Seite habe ich viel Elton John gehört, der also auch pianistisch ganz interessant ist, finde ich. Und Jazz-mäßig − richtiger Jazz ist mir irgendwie zu verkopft −, aber Herbie Hancock finde ich super … da ist eben sehr viel Soul und Funk drin. Genau das ist es, wo ich herkomme.

Aber ansonsten stehe ich ganz abgesehen vom Instrumentalen einfach auf gute Popmusik. Alles aus den 80ern, da gab’s tolle Melodien. Das war die Zeit, als man Gitarrensoli noch mitsingen konnte, weil es einfach tolle Hooks waren. Und es gab echt tolle Stücke.

Vom Songwriting her interessiert mich am meisten, wie ein guter Song entstanden ist. Wie man das dann umsetzt, ob man da ein bisschen Soul mit reinbringt oder ein bisschen was Rhythmisches usw., das ist dann Teil 2 der Entstehung.«

Dr. John, Herbie Hancock und Elton John: eine interessante Mischung, aber im Falle von Tobi stimmt das Bild. Vor allem beim Begleiten von Songs mit dem Klavier − hier ist wohl Elton John die Referenz schlechthin − hört man bei Tobi die alte Schule. Er muss etwas schmunzeln, denn »man versucht es natürlich zu vermeiden, da es sonst heißt ›das klingt aber wie Elton John‹, (lacht) aber ich musste das tatsächlich lernen, als ich anfing, mit Laith zu spielen. Ich habe vorher in Bands gespielt und auch viele Konzerte alleine gemacht, bei denen ich Klavier gespielt und gesungen habe. Da hat man viele Freiheiten. Aber einen Sänger in seinen Nuancen rhythmisch und im Tempo richtig zu begleiten, das musste ich erst mal lernen. Damit haben übrigens nicht nur Keyboarder Schwierigkeiten, viele Musiker sind es einfach nicht gewohnt, zu begleiten. Bei Laith muss man seine Ohren aufsperren und aufpassen. Er hat sehr viele Nuancen und ganz viele Fähigkeiten. Wenn man den begleiten kann und das auch tut, dann macht das ganz, ganz viel Spaß.«

 

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