Synthesizer-Künstler Morton Subotnick
Morton Subotnick ist Synthesizer-Künstler der allerersten Stunde. Seit fast genau 50 Jahren arbeitet er mit Don Buchlas legendären Instrumenten. Seinen Beitrag zu Robert Fantinattos abendfüllender Modular-Synthesizer-Dokumentation »I Dream Of Wires« nahmen wir im letzten Jahr zum Anlass, mit dem Urgestein der experimentellen Synthesizermusik über Vergangenheit und Zukunft modularer Systeme zu philosophieren.
Morton Subotnick, einer der Protagonisten in Robert Fantinattos Doku-Kunstwerk, hat wie kaum ein Zweiter die Historie des Synthesizers in all seinen Entwicklungsstadien und Ausformungen erlebt und mitgeprägt. So liegt nichts näher, als mehr über seine besondere Beziehung zu den Strippen-bewehrten Klangmonstern zu erfahren. Wir trafen Herrn Subotnick in bester Laune am Vorabend der Filmpremiere von »I dream of Wires« in Berlin.
Lieber Morton, träumst du von Patch-Kabeln?
Glücklicherweise bisher nicht (lacht).
Als Mitbegründer des San Francisco Tape Centers hast du schon in den frühen 60er-Jahren das Konzept des Homestudios propagiert − als Ort, an dem ein Musiker den gesamten Schaffensprozess seines Werkes selbst steuern kann. Heute ist diese Arbeitsweise allgegenwärtig. Ist dein Traum wahr geworden?
Ja und nein. Die grundsätzlichen Möglichkeiten eines Laptop-/Home-Studios entsprechen schon dem, was wir uns damals erträumt haben. Allerdings ist vor allem das Interface noch vollkommen unzureichend.
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Maus und Rechnertastatur als kreative Bremse?
Nicht nur das. Die Art und Weise, wie viele Tools − etwa Plug-ins − ausgestattet und gestaltet sind, steuert den kreativen Output in eine ganz bestimmte Richtung. Mir geht es jedoch um Tools, die wesentlich universeller handhabbar sind, die den Komponisten nicht aufgrund ihrer Konzeption limitieren oder in eine bestimmte Richtung drängen. Nehmen wir etwa den Moog-Synthesizer: Aufgrund seiner Tastatur impliziert er eine traditionelle Spielweise. Das wiederum hat dafür gesorgt, dass zahllose Künstler sein klang liches Potenzial an sehr traditionelle Musik »verschwendeten« − und zudem vor allem versucht haben, mit dem Synthesizer nur traditionelle Instrumente zu imitieren. Das Ergebnis waren Werke wie Switched On Bach. Das war weder neue Musik noch neuer Sound, sondern »old music with new machines«! Diese Art der Nutzung hat sich leider bis heute in weiten Bereichen erhalten. Ich empfinde sie als Einschränkung.
Du hattest anderes im Sinn …
Ganz richtig! Mit dem Buchla-System hätte man Switched On Bach nicht spielen können. Man wäre vor allem gar nicht auf die Idee gekommen, es zu tun! Wir wollten ein Instrument, so weit wie möglich losgelöst von traditionellen musikalischen Konzepten. Wir wollten wirklich neue Ausdrucksformen ermöglichen und suchten dazu das passende Instrument. Der Begriff des »Music Easel« (musikalische Palette) bürgerte sich ein und führte schließlich zur Namensgebung eines frühen Buchla-Synthesizers: eine leere Palette, die jegliche Nutzung möglichst ohne Richtungseinschränkung zulässt. Für besonders entscheidend hielten wir das Loslösen von der Tastatur und entwickelten deshalb zahlreiche Controller wie Touchplates und Pitch-to-Voltage-Converter.
Die Musik sollte ebenso neu sein wie die erzeugenden Instrumente?
… und deshalb sollten die Instrumente auch keine Konservatoriums-Fähigkeiten voraussetzen. Klassische Musik wird von einem erlauchten Personenkreis erlernt und möglichst werktreu wiedergegeben. Es passiert dabei zwangsläufig nichts wirklich Neues. Unser Instrument sollte es jedoch nahezu jedem erlauben, nie gehörte Musik entstehen zu lassen. Dazu schienen möglichst universelle Möglichkeiten und leichte Erlernbarkeit essenziell. Dons Entwicklungen besaßen diese Eigenschaften weit mehr als alle anderen bis dahin verfügbaren Instrumente.
Tragen diese Eigenschaften auch heute noch zur Faszination des Modular-Synthesizers bei?
Auch aktuelle Modular-Synthesizer ermöglichen die Klanggestaltung und Komposition vergleichsweise frei von einschränkenden technischen Vorgaben und sind somit losgelöst von aufgezwungenen Workflows. Man trifft Entscheidungen, indem man Kabel steckt. Man experimentiert einfach und kann dabei nichts falsch machen. Es entsteht immer irgendein klangliches Resultat, und das entzieht sich Bewertungen wie »gut« oder »schlecht«, »richtig« oder »falsch«. Nur die eigene Wahrnehmung steuert den kreativen Schaffensprozess. Das ist faszinierend und wird dank seiner Universalität immer ein faszinierendes und abnutzungsfreies Konzept bleiben. Ich selbst habe nicht das Gefühl, den Buchla-Synthesizer in all den Jahren ausgereizt zu haben. Er erlaubt mir auch heute noch die Umsetzung neuer Ideen.
Wie wird sich der Modular-Synthesizer in der Zukunft wandeln? Wird er Bestand haben?
Der Modular-Synthesizer hat – ebenso wie der analoge – seinen Fußabdruck gesetzt und wird nicht wieder verschwinden. Verglichen mit traditionellen Instrumenten, sagen wir Horn, Trommel oder Digeridoo, existiert er erst seit sehr kurzer Zeit. Er wird sich mit der Musik der Zukunft weiter entwickeln und neue Möglichkeiten bieten. Man kann dabei nicht direkt von »verbessern« sprechen − er wird sich verändern und sich neuen musikalischen Anforderungen anpassen.
Vor allem auf dem Gebiet der Controller ist da noch sehr viel Luft. Hier sollten sich die Entwickler fragen, was dem Instrumentalisten Spaß macht. Welche Art von Haptik und Bewegung kommt unserer natürlichen Motorik und Sensorik am nächsten? Sogar die direkte Steuerung mittels Gehirnströmen und Muskeltonus ist vorstellbar. Die Technologie dafür ist schon vorhanden.
Wie arbeitest du auf der Bühne? Wie sieht dein Setup aus?
Zentrale Bestandteile sind mein Buchla 200e- System und ein Laptop mit Ableton Live sowie einige Controller. Ich schicke gerne Sounds zwischen Buchla und Ableton Live hin und her. So arrangiere ich etwa mehrere Samples im Rechner, triggere sie mit Controllern und bearbeite sie klanglich im Buchla-System. Ich verändere Klang, Lautstärkeverläufe, Tonhöhe und Lautstärke. Umgekehrt sende ich Oszillatorsignale − mein Buchla ist mit nur zwei Oszillatoren ausgestattet − an Live und vervielfache sie dort mittels Software. Aus den zwei Oszillatorsignalen entsteht dann eine Vielzahl von Wellenformen, die gleichzeitig einen Klang bilden. Auch den kann ich wieder zurück in das Modular-System senden und dort nach Bedarf weiterbearbeiten. Für jeden Auftritt entsteht ein neues Buchla/Ableton-Instrument mit veränderten Möglichkeiten und anderen Samples. Letztere entstammen früheren Projekten.