Schauspieler und Musiker Lars Eidinger im Interview
Wer jetzt denkt, er hätte sich heute morgen am Bahnhofskiosk im Magazin vergriffen, darf sich nun wieder beruhigen. Denn der allen Lesern bestens als Theater- und Filmschauspieler bekannte Lars Eidinger präsentiert dieser Tage mit I’ll Break Ya Legg einen enorm deepen Instrumental-Hip-Hop-Longplayer, dessen Erstveröffentlichung bereits 19 Jahre zurückliegt. Klingt verwirrend? Gut so!
Die ursprünglich nur sechs Tracks beinhaltende und komplett im elterlichen Keller produzierte 10″-Scheibe wurde zum 12″-Re-Release auf dem Studio-!K7-Sublabel Studio 54 nun noch um fünf bisher unveröffentlichte Tracks ergänzt. Was I’ll Break Ya Legg so interessant macht, ist die Tatsache, dass das Album fernab von romantischen Endneunziger Retro-Erwartungen mit seinen prägnanten Lo-Fi-Sounds und seiner leicht morbiden Atmosphäre ungemein frisch und selbstbewusst im Hier und Jetzt zu stehen scheint.
Wir sprachen mit dem Schauspieler, Musiker und DJ Lars Eidinger über die Hintergründe und seine Beziehung zur vielleicht überraschendsten Veröffentlichung des Jahres.
Lars, welchen Stellenwert nimmt Musik heute in deinem Leben ein?
Vieles von dem auf der Platte habe ich ja bereits 1996 aufgenommen. Produziert habe ich das Ganze auf einem Rechner, den wir uns eigentlich zu dritt gekauft hatten, da wir es leid waren, im Jugendfreizeitheim Musik zu machen, weil man da immer auf irgendwelche Leute angewiesen war. Diese Errungenschaft stand dann im Keller bei meinen Eltern. Schließlich habe ich den PC dann den anderen beiden abgekauft, da sich herausstellte, dass ich eh der einzige war, der längerfristiges Interesse am Musikmachen hatte. Obwohl ich ja eigentlich gar kein Instrument spielen kann, hatte ich trotzdem immer eine Vision einer bestimmten Musik im Kopf, die ich gerne selber machen würde. Das Aufkommen von Computern und Software, womit sich dies auf einmal von der Aufnahme über den Mix bis hin zum Mastering alles zu Hause realisieren ließ, war eine echte Revolution.
Ich bin mit diesem reduzierten Setup auch immer schnell zu Ergebnissen gekommen, die ich gut fand, was mich dann, glaube ich, auch von Kumpels mit weitaus mehr Synthesizern und Equipment unterschieden hat, die mit ihren Tracks irgendwie nie richtig fertig wurden. Das erste Stück, das ich jemals gemacht habe, ist auf der Platte gelandet. Ich habe ja komplett Sample-based gearbeitet und mir alles, was ich brauchte, zu Hause direkt von Platten zusammengesucht und das dann kombiniert. Dann habe ich mir von den Alben die Labelkontakte rausgesucht und habe die einfach ganz dreist angeschrieben und ihnen die Tracks auf Kassette geschickt. Die einzigen, die geantwortet haben, waren !K7. Sie schickten ein Fax in die Redaktion, in der mein Bruder arbeitete, da sie dort ein entsprechendes Gerät hatten, und teilten mir mit, dass sie mein Album veröffentlichen möchten.
Mit welcher Software hast du damals produziert?
Ich glaube, das war bereits Cubase. Das ganze Rechnersystem war für damalige Verhältnisse wirklich unfassbar teuer. Insgesamt haben wir, soweit ich mich erinnere, so um die 2.000,− Mark ausgegeben. Der Sample-RAM der Soundkarte war ziemlich beschränkt − ich meine irgendwas um die 4 MB, sodass wir nur die Drums in Stereo abspielen konnten − was mir sehr wichtig war − und alles andere in Mono. Das bestimmt auch zu einem großen Teil die Tonalität des Albums. Es klingt schon ziemlich Lo-Fi, aber irgendwie habe ich so auch aus der Not eine Tugend gemacht. Auch das Pitchen von Drums war ja problematisch, da es ja keine vernünftigen Tools gab, die in der Lage waren, die Samplelänge beizubehalten. Drums sind ein gutes Stichwort.
Deine Grooves kommen für Mid-90s-Hip-Hop schon ziemlich trippig daher.
Ja, ich wollte ja auch in erster Linie instrumentale Musik machen. Selber höre ich bis heute auch viel Rap, aber letztlich reizte mich das Instrumentale irgendwie mehr. Ich habe das Gefühl, die Musik entfaltet sich da noch mal anders. Man hat einfach mehr Platz, um sich selbst da rein zu projizieren und Stimmungen zu transportieren. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum sich die 90er am meisten mit meinem Lebensgefühl gedeckt haben. Dazu hatte ich auch immer einen Hang zu düsterer, eher melancholischer Musik. Ich bin ja musikalisch schon sehr durch die 80er geprägt, in denen genau genommen auch eine gewisse Form von Romantik und Suche nach dem Schönen in der Melancholie dominierte. An dieses »Sich gefallen in der Rolle des traurigen Clowns« konnte ich wirklich total gut andocken.
“Als Massive Attack ihr Debüt Blue Lines veröffentlichten, war das eine echte Erleuchtung für mich.”
Welche Künstler haben dich besonders beeinflusst?
Und wenn man dann erst mal dahinterkommt, wo die ganzen Samples herkommen und wie wenig da teilweise dran verändert wurde − das war ein echtes Readymade! Es gibt da ja dieses Picasso zugesprochene Zitat: »Bad artists copy, great artists steal!« Bei der Sample-basierten Arbeit haben mich daher vor allem Acts wie Art of Noise oder DJ Shadow stark beeinflusst. Auch die Technik, dass man den Beat erst mal als Grundgerüst hinstellt und den Track von da aus weiterentwickelt, hat mir sehr gefallen. Das Setzen von Grooves hat ja irgendwie auch etwas Mathematisches − irgendjemand sagte mal, es wäre ein bisschen wie Lego bauen. Es hat einfach etwas Spielerisches, mit all diesen einzelnen Steinen zu spielen, bis man dann nur noch in diesen Strukturen denkt − ich habe sogar davon geträumt. Irgendwann beginnt man dann sogar, Alltagsgeräusche als potentielles Audiofile zu betrachten. Viele Sachen habe ich unterwegs mit einem Diktiergerät einfach mitgeschnitten. Dieses selektive Wahrnehmen hat mir sehr gefallen, das hatte für mich schon fast etwas von Architektur.
Mit modernen Fieldrecordern ist Sampeln unterwegs ja mittlerweile in unfassbarer Qualität möglich.
Es klingt jetzt vielleicht etwas blöd, aber ich bin mittlerweile auch echt Fan von meinem Smartphone. Weil das im Grunde genau das ist, was ich immer wollte − ein Gerät zu haben, was alles kann. Damit steht auch plötzlich das Medium gar nicht mehr so im Vordergrund. Es geht gar nicht mehr primär darum, letztlich etwas auf CD oder Platte zu pressen. Zudem lassen sich neben Sounds ja auch Bilder mittlerweile auf die gleiche einfache Art sampeln. Dadurch, dass man ja im Prinzip sein Smartphone immer dabei hat, ist man auch ständig in der Lage, Dinge festzuhalten, mit ihnen zu spielen und etwas in neue Zusammenhänge zu bringen.
Bei der Fotografie ist ja das Interessante, dass man sich für einen bestimmten Blickwinkel entscheidet, der die eigene Art zu gucken charakterisiert. Man merkt dabei dann auch sehr eindrücklich, dass man anders hinschaut als andere, da gibt es eben Unterschiede. Bei der Musik, wie ich sie gemacht habe, ging es auch viel um Entscheidungen und persönlichen Geschmack. Ich finde im Übrigen an der Kunst generell interessant, dass es da diesen Moment gibt, in dem ich mir klar werde: Das interessiert mich, das interessiert mich nicht, und das da nehme ich jetzt. Es geht doch immer um eine ganze Kette von Entscheidungen, die man da fällt.
Ich denke, dass das heutzutage wirklich das Schwerste an der Musik ist: dieses Sich-Entscheiden!
Aus diesem Grund war es wahrscheinlich auch so wichtig für mich, dass ich damals bei den Mitteln so limitiert war. Später habe ich mein Setup dann noch um Minimoog, MPC, 808 und lauter so Sachen ergänzt. Dieses Mehr an Möglichkeiten hat mich dann aber paradoxerweise doch wieder ein wenig mehr eingeschränkt. Ich habe das auch mal in einem Interview mit Jean-Michel Jarre gelesen, wo er sagte, dass es sich bei Stil eigentlich um eine Form von Reduzierung handelt. Wenn man sich zum Beispiel die − immer gleichen − Drumsounds von DAF oder Joy Division anhört, da merkt man schon nach kurzer Zeit, von wem der Track ist.
Diese Form der Beschränkung ist wahrscheinlich gerade heute einer der wichtigsten Schlüssel zu mehr Kreativität.
Ich hatte gestern ein interessantes Gespräch mit André Benjamin von OutKast, mit dem ich gerade in Köln einen Film drehe. Er sagte mir, dass es für ihn, je älter er wird, immer schwieriger wird, Musik zu machen, da man irgendwann anfängt, die Leute denken zu hören. Ich finde, das ist eine gute Beschreibung. Wenn man heute all diese Möglichkeiten betrachtet und sich dann auch noch fragt, was die Leute später darüber denken könnten, wenn sie die Musik hören, entfernt man sich immer weiter vom Impuls oder der eigenen Motivation, Musik zu machen. Eigentlich sollte das ja etwas Ursprüngliches sein, was aus einem selber kommt und eben nicht für jemand anderes gemacht ist. Diesen Effekt kann man sehr oft bei zweiten Platten beobachten, nachdem das erste Album richtig erfolgreich gewesen ist. Wenn man auf einmal anfängt zu prognostizieren, was andere Menschen über die eigene Musik denken, dann läuft die eigene Kunst Gefahr, zu einer Karikatur ihrer selbst zu werden.
Wenn ich beispielsweise in Interviews von Künstlern gelesen habe, dass jemand ganze zwei Wochen an einem Bassdrum-Sound für das Album feilt, dann hat mich das gleichsam fasziniert und gelähmt. Ich habe da quasi keine Zeit drauf verwendet. Wenn ich eine Bassdrum gesampelt habe, habe ich sie auch sofort, so wie sie war, benutzt. Das mache ich bei der Fotografie genauso − ich lasse alles so, wie es ist. Dinge zu bearbeiten und zu filtern, hat mich irgendwie immer abgestoßen − ich mag da lieber das Pure und Direkte. Ich würde meine Musik auch eher als Collage beschreiben, exakt so, wie man Bilder zusammenklebt − nicht perfekt ausgeschnitten. So ist alles eben ein bisschen rauer, echter und imperfekt.
Soweit ich weiß, bist du ja auch noch als DJ aktiv.
Eigentlich lege ich schon weitaus länger auf, als ich Schauspieler bin. Das habe ich schon zu Schulzeiten gemacht − ohne Scheiß, da noch mit Kassetten! Danach habe ich dann angefangen, mit zwei MD-Decks aufzulegen, weil da eine ganze CD drauf passte. Derweil habe ich natürlich auch auf so einen Technics 1210 MK2 geschielt, den man sich natürlich erstmal nicht leisten konnte. Irgendwann hatte ich dann aber die Kohle für zwei Plattenspieler und einen Mixer zusammen, und seitdem lege ich Platten auf − eigentlich bis heute! Was auch schon wieder total seltsam ist, da ja die meisten heute statt mit einem Plattenkoffer nur noch mit ’nem Stick unterwegs sind.
Früher habe ich mich wirklich gründlich auf meine Sets vorbereitet und habe Übergänge geübt. Wenn man jetzt House oder Techno mixt, ist das ja eigentlich relativ easy, weil sich das alles in einem ähnlichen Bereich aufhält. Bei Instrumental-Hip-Hop gab es da hingegen schon eine Spannbreite von 80 bis 120 BPM − da wird das schon schwieriger, und du musst genau wissen, was geht und was nicht. Heute mache ich überhaupt keine Übergänge mehr, und ich muss immer ein wenig lachen, wenn die Leute zu mir kommen und sagen: »Hey, mach mal bessere Übergänge!«, denn ich mache einfach gar keine, da ich mich komplett dagegen entschieden habe.
Wie bekommst du Musik und Schauspielerei, in der du ja auch unglaublich eingespannt bist, eigentlich zeitlich unter einen Hut?
Das verstehen eigentlich die wenigsten, außer denen, die das genauso machen wie ich … Für mich ist das tatsächlich ein Ausgleich! Wenn ich nach der Arbeit ausgehe und dann nur drei Stunden schlafe oder sogar die Nacht komplett durchmache, dann gibt mir das in diesem Moment etwas − auch wenn sich das dann meist drei Tage später rächt. Mir gibt das wirklich Energie! Depressiv werde ich eher, wenn ich pünktlich ins Bett gehe − das ist eine Form von Disziplin, bei der ich das Gefühl habe, mich irgendwelchen Zwängen unterzuordnen.
Ich finde es persönlich ja schon ein wenig unattraktiv, wenn Menschen über sich sagen, dass sie so unglaublich viel beschäftigt sind, aber ich habe wirklich oft über Wochen und Monate keinen einzigen Tag frei. Es ist mittlerweile so, dass, wenn ich mal Theater spiele und abends Vorstellung habe, sich das für mich dann schon wie ein freier Tag anfühlt. Meine Autistic Disco Events in der Schaubühne plane ich deshalb auch immer im Anschluss an eine Vorstellung, da ich weiß, dass ich dann Zeit habe. Mir ist natürlich klar, dass das für viele nicht wirklich nachvollziehbar ist, wie jemand nach drei Stunden Hamlet noch acht Stunden Platten auflegen kann. Ich kann da in so einer Situation einfach unglaublich viel Energie mobilisieren. Wenn mir allerdings jemand vorher sagen würde: »Hey du musst jetzt die nächsten acht Stunden hinter den Plattentellern stehen und kannst dich zwischendurch nicht mal hinsetzen«, würde ich auch denken: »Mensch, das schaff ich doch gar nicht!«
Ich glaube, ich kann da einfach eine Form von Sensitivität ausleben, die ohnehin irgendwie in mir steckt und welche ich in so einem Moment dann noch mit einem kompletten Raum um mich herum teilen kann. Das finde ich wahnsinnig befriedigend.