Röhren, Schalter & Lochstreifen

RCA Electronic Music Synthesizer – Computermusik vor 70 Jahren

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RCA Electronic Music Synthesizer studio
Die erste Version des RCA Electronic Music Synthesizer

Musik mit dem Computer machen – das heißt heute natürlich: PC, Mac und DAW. Doch daran war in der Anfangszeit vor 70 Jahren natürlich nicht zu denken. Richtig gelesen, die ersten Aufnahmen, die man als Computermusik bezeichnen kann, wurden im Januar 1955 veröffentlicht und mit dem RCA Electronic Music Synthesizer erzeugt.

Der erste RCA Electronic Music Synthesizer

Bereits 1951 gab es eine Patentanmeldung von Harry Olsen und Herbert Belar, die am Columbia-Princeton Electronic Music Center mit unterschiedlichen Schaltungen experimentierten. Die Patenterteilung erfolgt aber erst 1959, nachdem sie bereits die zweite Version ihres Synthesizers mit Sequenzer gebaut hatten.

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RCA Electronic Music Synthesizer Olsen Belar
Harry Olsen und Herbert Belar am RCA Electronic Music Synthesizer (Bild: 120years)

Die auf Röhrenschaltungen basierende Klangerzeugung gab nur recht einfache Töne von sich, obwohl die Technik mit Sinusoszillatoren, Frequenzteilern, Waveshaper, Noise, Filtern und Hüllkurven doch schon viel von dem bot, was sich später in Analogsynthesizern und Modularsystemen wiederfand.

Neben Erklärungen auf der ersten Seite der LP und Adaptionen klassischer Musik (btw. über 10 Jahre vor “Switched on Bach”) wurde auch diese charmante Version von “Blue Skies” aufgenommen:

Die Eingabe von Sequenzen hatte nahezu visionäre Elemente. Zwar konnte man nur die Mittel der Zeit nutzen – und das war ein Lochstreifen – doch das Konzept verblüfft noch heute.

Die Lochstreifen wurden mit einer Art “Schreibmaschine” erstellt, mit der man mehrere Reihen von Löchern als binären Code in eine breite Papierrolle stanzen konnte. Zuerst wurden natürlich die Noten eingegeben, wofür die 12 Tonhöhen einer Oktave zur Verfügung standen. Darüber hinaus ließen sich zusätzlich die Lagen von acht Oktaven programmieren.

RCA Electronic Music Synthesizer Punch
Die Programmiereinheit für die Lochstreifen

Doch das System war noch umfassender gedacht. Es konnten zusätzlich die Lautstärke pro Note (oder sagen wir Step) in 16 Stufen sowie Growth- (Attack) und Decay-Dauer einer einfachen Hüllkurve in jeweils mehreren Stufen programmiert werden. Als Krönung gab es sogar eine Spur zur Anwahl von Timbre, was im Grunde einem Program-Change-Befehl für Sound-Presets entsprach. Insgesamt ähnelt das schon sehr einem Tracker-Sequenzer.

In diesem kurzen Clip gibt es seltene Bewegtbilder von Herbert Belar am RCA Electronic Music Synthesizer zu sehen.

Da der RCA Synthesizer eine duale Klangerzeugung besaß, fand die Programmierung zwei Mal auf dem gleichen Lochstreifen statt. Bei variabel einstellbarer Geschwindigkeit konnten so bis zu 32 Noten- und Steuerbefehle pro Sekunde ausgegeben werden.

RCA Electronic Music Synthesizer Mark II

Der erste Synthesizer war quasi ein Laborgerät, das hauptsächlich zu Versuchszwecken verwendet wurde. 1957 wurde eine erweiterte Version mit vier Einheiten zur Klangerzeugung und zwei Lochstreifen gebaut. Der Tonumfang war zwei Oktaven größer, die Frequenzteilerschaltung wurde vereinfacht und zwei bislang nicht genutzt Spuren der Lochstreifen steuerten nun zusätzliche Oszillatoren mit variabler Frequenz an.

Um den Synthesizer populär zu machen, arbeitet man u.a. mit dem Komponisten Jim Timmens zusammen, der eingängige Musikstücke für die Mark II-Version schrieb. Tatsächlich wurde der Synthesizer aber vorrangig von Avantgarde-Musikern wie Milton Babbitt genutzt.

RCA Electronic Music Synthesizer MKII
Programmierung am RCA Electronic Music Synthesizer MKII mit zwei Lochstreifen

Die wartungsintensive Technik des Schaltschrank-großen Synthesizers verhinderte eine größere Nutzung oder auch eine sinnvolle Vermarktung. Bei Reparaturen in den 1960er Jahren bediente man sich an Bauteilen der ersten Version. In den 1970er Jahren wurde das Gerät durch Vandalismus stark beschädigt und konnte aufgrund nicht mehr zu beschaffender Teile nur unvollständig restauriert werden. Mit dem Einsatz “moderner” Röhren klang der Synthesizer auch nicht mehr wie zuvor. Der RCA Electronic Music Synthesizer Mark II wurde danach fast nicht mehr benutzt.

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