Nils Frahm spricht über sein aktuelles Album All Melody
Nils Frahms aktuelles Album All Melody verwebt einmal mehr auf kongeniale Weise akustische und elektronische Sounds, minimale Arrangements und opulente Klangästhetik. Selten standen sich Club und Philharmonie so nahe wie hier.
Nils Frahms Studio befindet sich im riesigen Aufnahmesaal 3 des ehemaligen Funkhauses in Berlin Köpenick. Akustik und Atmosphäre der Räumlichkeiten aus den 1950er-Jahren sind absolut unvergleichlich. Nach eineinhalb Jahren Umbauzeit und Modernisierung entstand hier All Melody − ohne jegliche technische Limitierung.
Nils Frahm empfängt uns in seiner aktuellen Wirkungsstätte − seinem Studio in den altehrwürdigen Mauern des legendären Berliner Funkhauses. Nach einer eineinhalbjährigen Umbauphase hat sich Nils Frahm im dortigen Saal 3 die Arbeitsumgebung seiner Träume verwirklicht − ein Ort, an dem Musik ohne jede Einschränkung erdacht, erschaffen und präsentiert werden kann. Ein Ort, der dem viel zitierten Ausspruch gerecht wird, nur die eigene Kreativität könne als Limit gelten. Das aktuelle und dort entstandene Album All Melody ist somit auch eine Geschichte über unbegrenzte künstlerische Freiräume und Möglichkeiten − eine Herausforderung, mit der Nils Frahm offensichtlich sehr gelassen umzugehen weiß…
Musikalisch verzaubern die zwölf Stücke des Albums einmal mehr mit Nils’ eingängiger, aber dennoch äußerst eigenwilliger Sound-Mixtur, welche die Grenzen zwischen akustischem und synthetischem Sound ebenso gekonnt verwischt wie zwischen Melodie und Rhythmik: ein traumwandlerisch schön angelegtes, repetitiv und dubbig klingendes Werk mit intensiver Stimmung, bei dem sich augenblicklich das Kopfkino zuschaltet.
Nils, deine Musik hat meist einen sehr visuellen Charakter. Welche Bilder erscheinen dir bei der Komposition?
Der visuelle Charakter ist auch mir bewusst, allerdings ist er für mich beim Komponieren weniger präsent. Ich experimentiere zunächst meist mit Sounds, schraube an Synthies und Effektgeräten, spiele und improvisiere, bis die entstehende Musik mich so richtig kickt. Cubase lasse ich dabei fast immer mitlaufen und nehme meine Sessions auf. Nächster Schritt ist dann die Selektion: Was mich am nächsten Tag noch wirklich beeindruckt, hat oftmals Bestand.
Arbeitest du mit Overdubs?
So gut wie gar nicht. Hier im Studio ist quasi mein Bühnen-Setup aufgebaut. Ich kann hier spielen, als würde ich auf einer Bühne stehen. Basis eines Stückes können etwa zwei parallellaufende Juno-60-Arpeggien sein, die ich live verändere und zu denen ich ein weiteres Element − vielleicht Klavier, Mellotron oder Orgelspiele. Zusammen mit meinen Lieblings-Effekten Hall und Tape-Delay entsteht schon in diesem Moment ein komplexer Sound, möglicherweise sogar ein fast vollständiges Stück. Mit dieser Arbeitsweise stelle ich zudem sicher, dass die Musik live aufführbar bleibt und nicht überfrachtet wird.
Nutzt du MIDI-Sequenzer?
Von Cubase kommt üblicherweise nur eine Clock. Damit synchronisiere ich die Arpeggiatoren der Junos und manchmal meinen Drumcomputer. MIDI-Sequencing im eigentlichen Sinne passiert so gut wie gar nicht. Ich hätte damit zu wenig Eingriffsmöglichkeiten in die Stücke. Die Arpeggios kann ich dagegen beim Spielen jederzeit verändern, transponieren, aus dem Sync nehmen, neu einstarten usw. Das macht für mich den Live-Aspekt von Synthesizern aus.
Nach welchen Vorgaben hast du dein Setup zusammengestellt?
Bei den Aufnahmen zu All Melody sind nur Instrumente zu hören, die ich auch live spielen kann. Die anstehende Tour ist ja ein Teil des Projekts. Die Junos sind natürlich mit dabei, zudem Mellotron, Piano und Rhodes sowie meine eigens für den Live-Einsatz entwickelte Pfeifenorgel mit ihrem MIDI-Controller. Instrumente wie etwa der Korg PS-3100 oder der Oberheim Four Voice sind hingegen nicht dabei, auch wenn sie toll klingen.
Sampeln wäre keine Option?
Nein, das hätte zur Folge, dass ich mich auf der Bühne zu sehr um einen Rechner kümmern müsste. Das wiederum ist für das Publikum nicht spannend genug. Ich will kein Laptop-Act werden. Mein Live-Konzept lebt davon, dass das Publikum in weiten Bereichen mein Tun sehen und nachvollziehen kann.
Wie würdest du deine Sound-Ästhetik definieren?
Ich versuche, die Herkunft einzelner Sounds verschwimmen zu lassen. Akustisches oder elektronisches Instrument, Stimme oder Synthesizer − das soll alles keine Bedeutung haben. Letztlich ist jeder Sound hin und her schwingende Pappe. (lacht) Das Klavier wird zur Drummachine, während die Drummachine vielleicht zum Orchester wird.
Wie erreichst du dieses Ziel?
Ich verwende ausschließlich analoge Instrumente und sehr viel analoges Outboard und Effektgeräte. Darin findet sich immer eine gewisse organische Qualität, die diesen Effekt möglich macht. Akustische Instrumente − wie etwa das Klavier − verfremde ich oder spiele sie bisweilen auf unkonventionelle Weise. Seinen Ursprung hatte das mit dem präparierten Flügel auf Felt (Album von 2011; Anm.d.Red.).
Deine zahlreichen Effektgeräte sind da sicher ebenfalls ein wichtiger Faktor?
Richtig − Tape-Echos und Eimerketten-Hall sorgen für sehr viel Wärme und Zufälligkeit im Sound. Alles ist in Bewegung, fließt, verändert sich ständig − manchmal kaum bewusst hörbar, aber dennoch wahrnehmbar. Auch meine digitalen Hallgeräte, vor allem die alten EMTs, haben eine gewisse analoge Klangkomponente und verschmelzen sehr gut mit dem Gesamtsound. Das EMT 245 gehört sogar zum Bühnen-Setup. All das ist ein wesentlicher Teil meiner Sound-Ästhetik. Ich bin ja großer Dub-Fan und habe mich ganz klar von dieser Sound-Ästhetik inspirieren lassen.
Ist es richtig, dass du zwei Tape-Echos in Stereo verwendest?
Ja, zumindest im Studio mache ich das. Mit den Roland RE-501 ist das möglich. Sie sind dazu präzise genug. Natürlich flanged und phased es ordentlich, aber genau das macht ja den Reiz der Sache aus − dadurch klingt jede Note ein wenig anders.
Beschreibe doch bitte kurz deinen Recording-Workflow bei All Melody.
Wie schon gesagt, befindet sich im Studio mein aktuelles Bühnen-Setup. Dazu gehören live auch drei Rack-Mixer als Sub-Mischer. Hier im neuen Studio laufen jedoch alle Signale aus den Instrumenten und Mikros in das Neumann-Pult im Regieraum und von dort über 48 Burl Mothership-AD-Wandler in Cubase. Dort kann ich also bis zu 48 Einzelspuren aufnehmen. Wenn möglich, nehme ich auch die Effektsignale parallel als Einzelspuren auf, um später flexibel mischen zu können.
Der Mix passiert von Hand im Analogpult?
Genau. Die Sounds sind ja bei der Aufnahme schon weitgehend fertig gestaltet − der Mix ist deshalb meist nur noch Pegelabgleich zwischen den verschiedenen Instrumenten und Effekten sowie hier und dort etwas Nachbearbeitung mit EQ und Kompression.