Wer macht die Musik in "Automatica"?

Nigel Stanford und die Roboter

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Nigel Stanford Roboter Turntable
Roboterarme bearbeiten einen Turntable im Video zu „Automatica“. Nigel Stanford: „Sie mussten einen Andruck produzieren, der kräftig genug war, aber nicht zu hart, um die Turntables zu zerstören.“ (Bild: Nigel Stanford)

Der neuseeländische Musiker Nigel Stanford macht Elektropop, den er in Videoclips mit Experimenten verbindet. Im Song „Automatica“ lässt er Roboter musizieren, die E-Bass, Drums, Piano oder ein DJ-Deck bedienen. Bei der Komposition hatte er die optische Roboter-Umsetzung im Hinterkopf. Den Clip haben 30 Millionen Zuschauer gesehen.

Nigel Stanford und die Roboter

Nigel Stanford beschäftigt sich mit Musik und Wissenschaft – im Clip zu seinem 2014er Song „Cymatics“ zeigt er, wie unterschiedliche Materie auf Frequenzen reagiert. Das Video entwickelte sich mit 49 Millionen Zuschauern zum viralen Hit.

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Zuletzt hat er das Album „Automatica“ veröffentlicht – im Clip zum gleichnamigen Song musiziert er mit Robotern, die sich am Ende gegen ihren „Schöpfer“ richten. Den 2017 veröffentlichten Videoclip „Automatica 4k: Robots vs. Music“ haben 30 Millionen Zuschauer gesehen. Dabei war Stanford wichtig, Musik „originalgetreu“ zu komponieren, so als wäre sie wirklich von Robotern gespielt worden – ein Gespräch darüber, wie sich mit Robotern Musik machen lässt.

Keyboards.de: In dem Video zu „Cymatics“ machst du Phänomene sichtbar, wie beispielsweise Pulver, Feuer und Flüssigkeit auf Klänge reagieren, per Lautsprechermembran angeregt …

Nigel Stanford: Mein Hauptziel bestand darin, Instrumente sichtbar zu machen. Vor langer Zeit habe ich eine Dokumentation über Synästhesie gesehen – eine Krankheit, die die Hör- und Sehfunktion des Gehirns beeinflusst. Betroffene hören einen Klang, wenn sie helle Farben sehen, oder sehen eine Farbe bei entsprechenden Klängen. Ich habe die Krankheit nicht – denke ich jedenfalls – aber mir schien immer, dass Bassfrequenzen rot und hohe Frequenzbereiche weiß sind. Das brachte mich auf die Idee, in einem Musikvideo visuelle Elemente mit bestimmten Sounds zu verknüpfen. Jahre später sah ich Videos über Kymatik, eine Wissenschaft, die Frequenzen sichtbar macht. Die Idee für den Videoclip war geboren.

Nigel Stanford Roboter Jam
Nigel Stanford beim scheinbaren Jam mit den Maschinen (Bild: Nigel Stanford)

Keyboards.de: Eine Flüssigkeit in einer Schale, im Lautsprecherkonus befestigt, erzeugt Wellenverläufe. Auch Verlaufsmuster, in denen sich Pulver auf einer Platte als Reaktion auf Frequenzen ausrichtet, erscheinen beeindruckend. Wie hast du die „richtigen“ Experimente gefunden für interessante Muster gefunden?

Nigel Stanford: Ich durchlief langsam das gesamte Frequenzband und filmte das Ergebnis. Dadurch konnte ich sehen, welche Frequenzen die interessantesten Formen auslösten. Anschließend wählte ich vier Formen aus und komponierte Musik aus vier Noten. Die Noten entsprechen allerdings nicht den optischen Frequenzen der Formen. Sie hätten nicht wirklich gut geklungen.

Keyboards.de: Für deine Single „Automatica“ hast du im Video Roboterarme der deutschen Firma Kuka verwendet. Die Roboter bearbeiten akustische Instrumente wie Drums, E-Bass, Piano und auch DJ-Decks …

Nigel Stanford Roboter Bass
Die größte Herausforderung bestand darin, die Roboterarme E-Bass „spielen“ zu lassen. Nigel Stanford: „Die Roboter können nur zwei Noten pro ‚Hand‘ spielen. Passend dazu schrieb ich eine Basslinie, die auf einer Note basiert und per Slide variiert wird.“ (Bild: Nigel Stanford)

Nigel Stanford: Vor Jahren sah ich ein Video der Chemical Brothers, in dem ein Roboter eine Person stalkt, die einen Nervenzusammenbruch hat [„Believe“, 2005 – d. Autor]. Mir gefiel die Optik des orangefarbenen Roboters. Beim Brainstorming zu „Automatica“ habe ich Videos der Kuka-Roboter angesehen und die Firma um Unterstützung ersucht. Die Roboter baute ich in meiner Garage auf und programmierte sie mit der 3D-Software Maya sowie dem Plugin Robot Animator. Die Software hatte ich bereits verwendet, um 3D-Grafiken zu erzeugen, daher kannte ich die Grundzüge. Mir blieben nur rund vier Wochen vor dem Video-Shooting. Am Set spielten die Roboter schlicht die Programmierung ab, die ich vorgenommen hatte – dabei ging es nur um das Video.

Nigel Stanford Roboter Synthesizer
Im Bild wird ein Roland JD-XA-Synthesizer bespielt, der, wie die anderen Instrumente, nur für die Optik zum Einsatz kam. (Bild: Nigel Stanford)

Keyboards.de: Inwiefern waren die Einschränkungen der Roboter für die Komposition herausfordernd?

Nigel Stanford: Zuallererst haben die Roboterarme keine zehn Finger, sie konnten nur zwei Noten pro „Hand“ spielen. Passend dazu schrieb ich eine Basslinie, die auf einer Note basiert und per Slide variiert wird. Es wäre zu schwierig gewesen, am E-Bass zwischen den Saiten zu wechseln. Mit mehr Zeit und Ressourcen wäre das grundsätzlich möglich gewesen, aber ich hatte Greifarme benötigt, die sich hätten bewegen können. Piano und Synthesizer waren am einfachsten zu programmieren, da bei der Tastatur die Entfernungen der Tasten gleichmäßig sind. Nachdem sich die Roboter an der richtigen Stelle befanden, konnten sie die Bewegungen perfekt reproduzieren.

E-Bass und DJ-Turntables waren am schwierigsten, weil die Roboter einen Andruck produzieren mussten, der kräftig genug war, aber nicht zu hart, um beispielsweise die Turntables zu zerstören. Glücklicherweise arbeiten die Roboter mit einer Genauigkeit von 0,3 Millimetern. Insgesamt konzentrierte ich mich darauf, das Ergebnis optisch gut hinzubekommen. Laser, Feuer und Explosionen im Video waren nicht real. Die Piano-„Explosion“ haben wir auf drei Arten gefilmt und kombiniert: Unter einer Tastatur positionierten wir einen kleinen Metallzylinder, der mit Pressluft angetrieben wurde. Dadurch flogen die Tasten in einer Welle hoch. Als füllten wir eine Attrappe der rechten Pianohälfte mit Sprengstoff und filmten das Ergebnis. In der dritten Aufnahme drückt der Roboter vorsichtig auf die Tasten. Zusammengesetzt sieht das so aus, als ob der Roboter so hart anschlägt, dass das Klavier explodiert.

Nigel Stanford Roboter Klavier
Simulierte Explosion des Klaviers (Bild: Nigel Stanford)

Keyboards.de: Wäre es musikalisch sinnvoll möglich gewesen, einzelne Instrumente per Roboter einzuspielen?

Nigel Stanford: Das Klavier hätte ich damit aufnehmen können, aber das Instrument für den Videodreh war alt und defekt. Tatsächlich habe ich die Roboter beim E-Bass-Spielen per Mikrofon aufgenommen, um die Motorengeräusche n den Mix zu integrieren.

Keyboards.de: Wie hast du die Klänge in „Automatica“ erzeugt?

Nigel Stanford: Ich verwendete hauptsächlich die Plugins Serum, Omnisphere und Spire. Der E-Bass besteht aus rund acht Layern: ein gespielter und editierter Sample-Loop, dazu Subbass-Elemente und die akustischen Geräusche der Roboter.

Nigel Standford Roboter Klavier 2
Roboter beim Klavierspiel (Bild: Nigel Stanford)

Keyboards.de: Optisch wirkt die Videoproduktion sehr teuer. Ließen sich – abgesehen von den Sponsoren, die dich unterstützt haben – die Ausgaben wieder reinzuholen?

Nigel Stanford: Es war in der Tat sehr teuer! Am Ende habe ich es dadurch finanziert, indem ich die Musik weiter lizenzierte. Der Song wurde in einer Autowerbung von Alfa Romeo verwendet.

Webseite von Nigel Stanford

Youtube-Kanal von Nigel Stanford

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