Bereits 1959 gegründet

Modular-Exot: PAiA 2700

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(Bild: Bernhard Lösener)

Dass die Söhne Hawaiis neben der Surfkultur auch für nerdige, elektronische Klangerzeuger verantwortlich sind, wissen nur wenige. Die Gründer der legendären amerikanischen Synth-Schmiede PAiA, die seit Jahrzehnten ein Eldorado für Synthfreaks und Lötkolben-Junkys ist, haben hawaiianische Wurzeln, was sich auch im Firmennamen PAiA, der sich auf einen Ort auf Maui/Hawaii bezieht, niederschlägt. Legendär ist neben frühen Produkten, wie dem Drumcomputer Thumpa Thumpa (der übrigens klingt, wie er heißt) vor allem das PAiA Modular-System 4700.

Vater und Sohn Simonton gründeten 1959 die in Texas ansässige Firma PAiA Electronic Inc., deren Firmenphilosophie durch eine sympathische, vom Geist der 60er-Jahre beeinflusste Offenheit geprägt ist. Die PAiA-Geräte gibt’s meist als Bausatz, und Modifikationen nach eigenem Gusto wurden dem Kunden im Manual ausdrücklich empfohlen. Außerdem gab es viele, auch firmenfremde Spezialisten, die Geräte für PAiA entwickelten. KEYBOARDS-Autor Craig Anderson hat z. B. seinen mittlerweile legendären, flexiblen Quadrafuzz-Effekt für PAiA konzipiert. Das Kit wird bis heute für faire 77,− Dollar angeboten (www.paia.com). Neben Anderson, der auch für den achtbandigen PAiA-Vocoder verantwortlich ist, haben viele andere Entwickler wie Marvin Jones, Steve Wood oder Scott Lee zum PAiA-Universum beigetragen.

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Wenige Leute wissen, dass die innovative kleine Firma 1975 auch den ersten programmierbaren Drumcomputer entwickelt hat; er wurde u. a. von Peter Gabriel (der ihn von Synth-Wizard Larry Fast bekam) auf Games Without Frontiers und Biko eingesetzt.

Der FatMan kann als echter DIY-Klassiker bezeichnet werden und wird seit 1992 bis heute mehr oder weniger unverändert angeboten. Er ist ein einfacher, monofoner Analog-Synth mit MIDI- und CV/Gate-Schnittstelle (Bild: Dieter Stork)

Ein sehr erfolgreiches PAiA-Gerät ist der FatMan, ein monofoner, analoger Synth-Expander, der als Pultgerät und als 19″-Einschub angeboten wird und klanglich seinem Namen alle Ehre macht.

Die Produktpalette von PAiA umfasste in den 70er- und 80er-Jahren u. a. Effektgeräte, Drumsynthesizer, eine Stringmachine, einen frühen monofonen Synthesizer mit Speicherplätzen namens Proteus, diverse Effektgeräte, ein Theremin, Röhren-Vorverstärker und ein vom 2005 verstorbenen Firmenchef John Simonton entwickeltes Modular-System. Die Geräte wurden meist als Bausatz angeboten und waren vergleichsweise günstig.

PAiAs Programmable Drum-Set kam 1975 heraus und ist der erste programmierbare Drumcomputer überhaupt. (Bild: Dieter Stork)

PAiA brachte auch das Polyphony-Magazin heraus, aus dem später Electronic Musician hervorging. Die Firma gehört zu den dienstältesten Synth-Herstellern überhaupt und hatte mit ihren Modular-Bausätzen großen Einfluss auf die amerikanische DIY-Szene.

Modular

PAiAs erster Modular-Synthesizer kam 1972 heraus und war wahlweise als Bausatz oder Fertiggerät erhältlich. Das System 2700 ist ein einfacher, monofoner Modular-Synth mit VCO, VCA, 12-dB-Tiefpassfilter, Envelope Follower und zwei Hüllkurven, der auch für den Einsatz als Lehrgerät gedacht war. Er kostete je nach Ausstattung 180,− bis 800,− Dollar (was im Vergleich zu einem bis zu 10.000,− Dollar teuren Moog Modular-System sehr preiswert war) und wirkt ziemlich basic. In der ersten Auflage wurden sogar Hemdknöpfe als Trigger-Taster verwendet. Eine erweiterte, etwas professionellere Version (2720) kam kurze Zeit später auf den Markt und wurde mit weiteren Modulen LFO/Noise, Inverter/Buffer, Sinus Converter/Pulsweiten-Modulator, Schmitt Trigger und Portamento sowie einem Keyboard mit 37 Tasten ausgestattet.

4700

Das ab 1974 erhältliche Nachfolgesystem 4700 (unser Testgerät) konnte auch zusammengebaut erworben werden. Das wie der Vorgänger mit einer schicken Aluminiumfront ausgestattete System 4700 bietet einen besseren Rauschspannungsabstand und einen kraftvolleren Grundsound. Der Keyboard- Controller des Systems, das auch bei der Produktion des Albums Computer Experiments, Volume One von Larry Fast zum Einsatz kam, arbeitet mit einem MOS-6503-Prozessor, der u. a. dafür sorgt, dass die VCOs auch polyfon gespielt werden können; damit gehört die System-Version P 4700J von 1975 zu den ersten digital gesteuerten Synthesizern überhaupt.

Das Modular-System bietet u. a. drei VCOs (4720), eine ADSR-Hüllkurve (4740), ein Multimodefilter mit 4-Pol-Tief-, Hoch- und -Bandpass (4730), das auf einem CEM 3379 basiert (der u. a. auch beim Ensoniq ESQ-1 verwendet wird), zwei »Balanced Modulator«- Module, die sowohl als VCA wie auch als Ringmodulator eingesetzt werden können, mehrere Netzteile (4770) und einen Federhall (4712). Später kam noch ein Step-Sequenzer mit 12 Schritten (4780) hinzu.

9700

Nachdem das Interesse an Modular-Synthesizern in den 80er-Jahren abgeflaut war, brachte PAiA erst wieder zur Jahrtausendwende ein neues ModularSystem heraus, das bis heute erhältlich ist. Die vier Module des kompakten 9700S-Systems, das auch komplett inklusive MIDI-Einheit, Gehäuse und Netzteil für ca. 570,− -Dollar zu haben ist, bieten eine Menge Features. Das Kit mit vier Modulen verfügt über zwei VCOs, VCA, zwei Multimode-Filter, zwei AR-Modulationshüllkurven, die dank Cycle-Funktion auch als LFO einsetzbar sind und eine ADSR-Hüllkurve. Günstiger kann man ein komplettes ModularSystem kaum bekommen, allerdings muss man es natürlich auch selbst zusammenbauen. Das ist für den einigermaßen erfahrenen DIY-Aktivisten kein wirkliches Problem, da alles gut dokumentiert und erklärt ist, und die Hürden vom Hersteller bewusst niedrig gehalten wurden.


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Kompatibel

PAiA-Module sind im Frac-Format (= Fractional Rack) gehalten, das sich etwas von der Eurorack-Norm unterscheidet und u. a. auch von Herstellern wie Blacet und Bug Brand benutzt wird. Wer möchte, kann aber auch nur die PAiA-Elektronik kaufen und sie an Eurorack-kompatible Frontplatten schrauben. Das PAiA-System 9700 kommuniziert auch problemlos mit anderen Eurorack-Modulen (1 Volt/Okt etc.), allerdings sollte man das Netzteil mit einplanen, da die Netzversorgung (18 V) nicht Eurorack-kompatibel ist.

Der Grundsound der PAiA-Systeme ist nicht superfett, aber lebendig und warm. Das Filter klingt ok, wirkt aber längst nicht so sahnig wie etwa ein klassisches Moog-Filter. Je nach Ausstattung lässt sich eine breite Palette klassischer Analogsounds erzeugen. Will man vor allem abgefahrene und experimentelle Sounds erzeugen, empfiehlt sich die Kombination mit Geräten anderer Hersteller, denn wirklich exotische Module sind nicht im PAiA-Programm. Für alle jedoch, die furchtlos dem Eigenbau gegenüberstehen, den Geruch von geschmolzenem Lötzinn lieben und den Geldbeutel schonen wollen, sind die PAiA-Module eine interessante Alternative.

 

Das Gerät wurde uns freundlicherweise von Ingo Rippstein (www.synthmaster.de) zur Verfügung gestellt.

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