Vom Blech zum Synth

Lingby – der unerwartete Wandel eine Band

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Judith Heß an der Posaune (Bild: Dirk Heilmann)

Als die »Indie-Pop Band mit dem Waldhorn-Swag«, so wurde ihre Musik bereits in der Vergangenheit betitelt. Was auch immer man sich darunter vorstellen mochte oder sollte, die Schublade klemmte bereits damals und nun noch mehr. Lingby haben einen Wandel hinter sich. Wie es dazu kam und was der Auslöser war, das haben sie uns Backstage erzählt.

Muss es immer das alte Rezept sein? Es ist doch schon beinahe Gang und Gäbe, dass eine Band – sobald sie den Sound gefunden haben, der ihren Fans gefällt – kaum noch etwas anderes machen kann. Aber ist das wirklich erstrebenswert, sich immer wieder neu zu kopieren? Sicher eine etwas überspitze Formulierung, schließlich machen genügend Künstler – das will ich ihnen zumindest nicht absprechen – genau die Musik, auf die sie Lust haben, in einem Genre, das ihnen besonders liegt. Aber ein bisschen was ist sicher dran an der These, und sicher geht einiges an mitunter avantgardistischer Musik verloren, weil es eben nie geschrieben wird. Lingby haben einen Wandel gewagt vom bisherigen Ufer mit dem Waldhorn-Swag hinaus ins Unbekannte … doch der Reihe nach.

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»Waldhorn-Swag« – was soll das sein? Förster-Rock? Sieht man von dieser vielleicht auch gar nicht mal so ernst zu nehmenden Beschreibung einmal ab, ist, nein, war ihre Musik irgendwo im Indie-Pop angesiedelt. Zugegeben: Das Waldhorn war da, neben Posaune und Flügelhorn schon eine Art Alleinstellungsmerkmal, aber ihre Musik darauf klanglich zu reduzieren, wäre dann doch sehr kurzsichtig. Es ist, nein, war (verdammt!) vielmehr nur eine Facette von vielen. In erste Linie war es wohl Lingbys Hauptmerkmal, Blechbläser neben Bass, Gitarre, Schlagzeug, Klavier und natürlich Gesang völlig gleichberechtigt zur Geltung kommen zu lassen.

Aber egal wie es einmal war, inzwischen sind sie weitergesegelt. Der fünfte Mann im Boot am Bass hat sich einige Zeit zuvor schon verabschiedet, und die übrigen vier haben sich bewusst dazu entschlossen, die Lücke nicht neu zu besetzen, sondern als Band zu füllen.

Auch das – zugegeben – nie so ganz festgelegte Frontmann/-frau-Bild hat sich etwas gewandelt. War es zuvor noch eher Gitarrist und Sänger Willie Dück, stehen nun vermehrt die beiden Schwestern Judith und Carmen Heß im Mittelpunkt, und Last but not Least, haben sie sich für ihr neustes Album Silver Lining mehr und mehr vom Indie-Pop weg- und deutlich in Richtung TripHop hinbewegt. Der Weg dieses ungewöhnlichen Wandels war zwar offenbar weniger geplant als irgendetwas anderes, was aber nicht bedeutet, dass es weniger gelungen sei.

Klangvariation werden hier von allen übernommen. Martin spielt hier nicht nur Schlagzeug, sondern bedient auch ein Metallophon und das Sampling-Pad Roland SPD-SX (im Hintergrund).
Judith (links) ist es schon länger gewohnt, die Instrumente zu wechseln. Die anderen mussten sich daran erst gewöhnen.
Ein bisschen »Waldhorn-Swag« darf es noch immer geben.

Der erste Anstoß war der Tod von Judiths und Carmens Vater. Die beiden, die bei Lingby jetzt für Bass, Blech, Gesang und die Keys zuständig sind, waren diesmal maßgeblich für das Songwriting verantwortlich. Die Verarbeitung des Todes ihres Vaters gibt dem neuen Lingby-Sound dabei ihre erste Klangfarbe, aber mindestens genauso entscheidend waren die logistischen Umstände. Entgegen alter Gewohnheiten wurden die Lieder nicht gitarrenlastig im Proberaum oder Studio geschrieben und aufgenommen, sondern in intimer, heimischer Atmosphäre auf den hier stationierten Instrumenten. In diesem Fall waren das hauptsächlich elektronische Tasteninstrumente, wie das vertraute Arbeitspferd Nord Stage Mark I oder ein Roland Juno-106, die sie beide schon ewig im Inventar haben. Ein JP-08 aus der Roland-Boutique-Reihe sowie ein Behringer Model D wurden hingegen gezielt angeschafft, um die neuen Klagvorstellungen zu bedienen. Selbstverständlich hat man auch über die originalen Vorgänger nachgedacht, aber »… die spielen bekanntlich preislich in einer anderen Liga«, so Judith, »und außerdem sind sie ja auch irgendwie zu schade, um sie dem harten Tour-Alltag auszusetzen. Die Clone im Miniaturformat haben einen fast ebenwürdigen Sound, sind live gut einsetzbar und eben erschwinglich.«

Die Kreativität endete aber nicht am konventionellen Instrument. Um Beats einen individuellen Klang zu geben, sampelten die vier ins Glas fallende Eiswürfel und Metallspinte, die mit Eisenstangen bearbeitet wurden. Gepitcht, verfremdet und geschnitten wurden daraus kleine Soundschnipsel entnommen, die anschließend als elementare Klangcharakter in den Beats dienen – live wiederum werden sie von Schlagzeuger Martin Steinke über ein Roland SPD-SX abgefeuert. Getrieben hat sie dazu am Ende Olaf Opal, der mit seinem erfahrenen Produzentenohr die Arbeit und den Feinschliff am Album bereichert hat.

Neu und alt vermählt. Der Urahn des JP-08 ist der Roland Jupiter-8 – neben dem Juno-106 einer der erfolgreichsten Roland-Synths.
Der Model D ist unschlagbar im Preis/ Sound- Verhältnis.

Das Geheimnis, dass sie von Opal lernen durften: in Registern denken – eine Aufgabe, die jeden Musiker in der Band beschäftigen sollte und bisweilen viel abverlangt. In Registern denken bedeutet, genau hinzuhören, in welchen Frequenzen bisher noch eine Lücke klafft und wie man diese am besten füllen kann. Welches Instrument passt am besten oder welcher Sound? Ein teils mühsamer Prozess, in dem sich jeder involvieren muss, der bei Erfolg aber eine sehr vielschichtige Musik entstehen lässt.

Für die Platte schön und gut, aber wie will man das dann live umsetzen? Das kann tatsächlich zu einem Problem werden und dann heißt’s: eindampfen! Ebenfalls ein Prozess, bei dem über jeden Song neu nachgedacht werden muss. Was sind essenzielle Sounds? Worauf kann man verzichten? Kann ich an meinem Instrument ein anderes imitieren, und kann ich das machen, während ich meine unverzichtbare Spur weiterspiele? »Die Gitarre spiele ich jetzt nicht mehr einfach von vorne bis hinten durch, sondern setzte sie relativ dezent und dadurch aber auch gezielt ein. Dann kommt sie umso stärker zum Vorschein und ist auch tatsächlich relativ laut abgemischt«, erzählt Willi.

(Bild: Dirk Heilmann)

Und der Bass? Der wird nun von ihm bzw. von Judith gespielt, sofern es nicht eine Synth-Bass-Spur aus einem der Keyboards gibt. Dafür muss das Instrument gelegentlich auf der Bühne wandern, was noch die kleinere Herausforderung ist. Ungewohnt war es allerdings – außer für Judith, die das bisher auch schon zu früheren Lingby-Zeiten tat –, dass jeder live nun für mehr als nur »sein« Instrument verantwortlich ist.

Das Ergebnis ihrer neuen Musik kann man nicht einfach mit besser, schlechter, gelungener oder weniger gelungen bezeichnen. In puncto Vielschichtigkeit haben sie auch nichts eingebüßt und sind hier auch immer noch als Lingby zu erkennen. Aber die vier Musiker*innen haben einen Sprung geschafft; den Sprung von einem Genre in ein anderes, ohne sich dabei selbst untreu zu werden.

Was als Nächstes kommt, wissen sie im Moment noch nicht ganz genau. Die Release-Tour jedenfalls war sehr erfolgreich, und sie werden auch weiter Musik schreiben, aufnehmen und veröffentlichen. Diesmal soll es – als Kontrast zu Silver Lining – vom Leben handeln.

(Bild: Dirk Heilmann)

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