Interview mit Lucid Grain über ihr Debütalbum
Erst neulich haben wir uns das Debütalbum des Projekts Lucid Grain einmal genauer angehört – jetzt sprechen wir mit dem Analog-Duo im Interview über Musik abseits von Songstrukturen, Science Fiction und Modular-Synthies!
Lucid Grain ist keine klassische Kollaboration – worum handelt es sich dann?
Anatol: Wir haben uns 2017 auf dem Munich Modular Meetup getroffen, nett miteinander gefachsimpelt und im Anschluss erstmal unsere Soundcloud-Profile ausgecheckt. Weil uns gefiel, was wir da hörten, haben wir uns zu einem Jam verabredet.
Martha: Beim Spielen haben wir schnell gemerkt, dass das Ergebnis mehr war als die Summe der einzelnen Teile. Alles passte ohne große Anstrengung organisch zusammen. Wir haben ein ähnliches Verständnis für Klang, Melodien und Struktur. Insofern ist Lucid Grain mehr als eine typische “Lass uns mal jammen”-Kollaboration.
https://soundcloud.com/modularfield/lucid-grain-rise-fall
Euer Album besteht aus “nur” 7 Songs, von denen einige deutlich länger sind als der typische Chartsong…
Anatol: Mit Songs hat das Album wenig zu tun, weil alle Stücke reine Improvisationen sind. Sie sind nicht auskomponiert, haben keine typische Popsong-Struktur, sind bewußt experimenteller gehalten – wobei uns wichtig ist, dass die Musik trotzdem “fließt” und hörbar bleibt, auch wenn es den ein oder anderen chaotische Moment gibt. Auch wenn wir mit analogen Synths arbeiten, orientieren wir uns nicht an der Frankfurter Schule, sondern achten darauf, einen eigenen Soundcharakter zu entwerfen.
Martha: Um die Jams für uns spannend zu halten, wussten wir vorher nie, was der andere vorbereitet hatte – wir haben die Instrumente aufeinander gestimmt, ein paar Melodielinien angepasst und dann direkt losgelegt. Die Sessions dauerten meist länger als 30 Minuten, teilweise sogar bis zu einer Stunde; wir haben unsere Patches auch gerne zwei-, dreimal gespielt. Der Charme besteht darin, dass die Ergebnisse immer anders klangen.
Anatol: Bei “Rise and Fall” gibt es nur zwei Stücke, die wir mit Overdubs bearbeitet haben. Im ersten Track spielt Martha zusätzlich eine Melodielinie mit einem Marxophone; den letzten Track, der dasselbe Ausgangsmaterial benutzt wie das erste Stück, habe ich mit Sprachsamples und Granularsynthese ausgeschmückt.
Martha: Ursprünglich wollten wir erst einmal eine EP mit zwei Tracks rausbringen. Als wir die Stücke einigen Labels angeboten haben, kam schnell die Frage nach einem kompletten Album auf. Und dann haben wir eben nachgelegt. Ich habe dann aus den Jamsessions Längen herausgeschnitten und die Stücke auf 7 bis 11 Minuten zusammengedampft. Ich denke, das ist eine gute Länge, denn bei Modular-Musik brauchen die meisten Stücke ein wenig, um sich zu entfalten.
>> Zu unserem Reingehört-Artikel zum Album “Rise & Fall”
Artwork und Sound erinnern an ferne Welten oder Galaxien – warum dieser weitläufige, breite Sound?
Anatol: Die Artwork stammt von Dino Franke, der als Creative Director Digital für einen großen Konzern arbeitet und außerdem bei unserem Kölner Label Modularfield die Artworks gestaltet. Er hat die Covers entwickelt, und wir fanden den Stil passend. Oh, und da wir beide einen Hang zur Science-Fiction und Tech haben, ging die Entscheidung für das Cover in einem Rutsch durch. Martha ist auch die einzige Frau, die ich kenne, die gerne Manuals liest – insofern decken sich da unsere Interessen.
Martha: Der weitläufige Sound hat sich spontan in den Jamsessions ergeben. Wenn man nicht weiss, was der andere an Sounds vorbereitet hat und man sich regelmäßig überraschen lässt, achtet man auch automatisch darauf, dem Gegenüber Platz zu lassen, sei es indem man eigene Sounds etwas herunterfährt, filtert oder in einem Hall aufgehen lässt. Diese Herangehensweise macht den Sound sehr lebendig, experimentell und nicht berechenbar.
Gab es bestimme Geräte, die besonders wichtig für Rise & Fall waren?
Martha: Für unser Album habe ich hauptsächlich meinen Modularsynthesizer benutzt, der sich allerdings permanent verändert, da ich regelmäßig Module kaufe und verkaufe. Das ist ja das Schöne an diesem Instrument – man kann es immer wieder umbauen, sich neue Klangerzeuger holen, Effekte austauschen, neue Sequenzer ausprobieren und vieles mehr. Von ein paar Modulen möchte ich mich allerdings nicht mehr so schnell trennen, darunter zum Beispiel René von Make Noise, ein nicht linearer Sequenzer, der einen zwingt anders zu denken und zu arbeiten als mit einer DAW oder sonstigen linearen Sequenzern. Oder das Yarns Modul von Mutable Instruments, das vorrangig ein MIDI Interface ist, aber noch viele nützliche Features besitzt wie einen 64-Step Sequenzer, einen Arpeggiator und interne Klangerzeugung.
Abgesehen davon kam noch mein ARP2600 ab und an zum Einsatz, das Avalanche Run Pedal von Earthquake Devices, der Moogerfooger Ringmodulator und mein iPad, auf dem ich Apps wie Samplr, Borderlands oder GliderVerb installiert habe.
Anatol: Ich habe für “Rise & Fall” Module von MakeNoise, Doepfer, Bastl und Mutable Instruments genutzt. Eine besondere Rolle spielt das MakeNoise Morphagene, das auf jedem Track zu hören ist. Das Modul nutzt Audiospuren, in die man per Control Voltage quasi “hineinzoomen” und dann “herumschnippeln” kann. Das fühlt sich ein wenig an, als würde man mit einer alten Bandmaschine Collagen zusammenpuzzeln. Ich bin immer wieder überrascht, welche Klangwolken man selbst aus einem vermeindlich trivialen Soundschnipsel herausholen kann.
Als zusätzliche Instrumente kamen das bereits angesprochene Marxophone, ein paar MAX/MSP-Granular-Sounds, ein paar Spuren Elektron Digitakt und eine Menge Public-Domain-Spachsamples dazu.
Wie geht es nach dem Debütalbum für euch weiter?
Martha: Wir arbeiten schon an der nächsten Veröffentlichung, geben demnächst eine Online-Masterclass zum Thema Modularsynths und haben auch schon den ersten gemeinsamen Lucid Grain Live-Gig absolviert – letzteres würden wir gerne intensivieren. Wer uns also buchen will, kann uns gerne über unsere Facebook-Seite anpingen oder unser Label Modularfield kontaktieren.