Interview mit Jazz Musiker Pablo Held
Home Cooking:
Die Ursprünge des Jazz liegen in den USA, aber wer sich heute für diese Musik interessiert weiß, dass Jazz längst zu einer globalen Kunstform mit den unterschiedlichsten stilistischen Ausprägungen geworden ist. Und wer sich auf die Suche machen möchte, kann überall auf dem Globus fantastische Jazzmusiker mit total eigenständigen improvisatorischen und kompositorischen Ideen finden.
Überall auf dem Globus? Das bedeutet natürlich auch: vor der Haustür! Hätte Jogi Löw die Aufgabe, den Kader für eine Jazzpianisten Nationalmannschaft zusammenzustellen, würde ihm das mit Sicherheit nicht leichtfallen, denn die Anzahl an kreativen Tastenkünstlern ist allein in Deutschland immens – es kocht und brodelt an heimischen Tastaturen. In der neuen Reihe „Home Cooking“ portraitiert Keyboards-Autor Jarry Singla einige dieser Musiker und Musikerinnen. Jede Folge enthält zudem eine kurze Transkription aus einer Komposition oder einem Solo, gedacht als kreativer Impuls für alle, die sich am Instrument in die Welt des jeweiligen Pianisten vertiefen möchten.
Der in Köln lebende Pianist Pablo Held kann mit nur 25 Jahren zu den kreativsten und erfolgreichsten Jazzmusikern gezählt werden, die in den vergangenen Jahren in Deutschland auf sich aufmerksam gemacht haben. Mit Superlativen wird dementsprechend nicht gespart, wenn es um Pablo geht: Er gilt als „Idealkombination von Improvisationsphantasie und musikalischer Ökonomie“ und als „Senkrechtstarter unter den jungen Jazzpianisten“, der „… mit seinem Schaffen die lebendige deutsche Jazzszene zum ‚Glühen‘ bringt“.
Aufgewachsen in einer Musikerfamilie erhielt Pablo als Vierjähriger ersten Schlagzeugunterricht, wechselte mit zehn zum Klavier und begann sein Jazzklavierstudium in Köln bei John Taylor und Hubert Nuss mit 18. Heute ist er unter anderem Träger des WDR Jazzpreises in der Kategorie „Improvisation“ und arbeitete bereits mit so renommierten Musikern wie Dave Liebman, Till Brönner oder Nils Wogram. Beim KEYBOARDS-Interview in der Kölner Südstadt wird schnell klar, dass Pablo ein Musiker ist, der einerseits seine Wurzeln in der Jazztradition hat, andererseits aber über einen weit gefächerten musikalischen Horizont verfügt und den es interessiert, Konventionen aufzubrechen.
Pablo, lass uns beginnen mit einer eher allgemeinen Frage, die deine Musik betrifft: Hast du eine bestimmte Auffassung von Jazz? Würdest du sagen, dass eine bestimmte Herangehensweise an Jazz typisch ist für dich?
Besonders spannend finde ich am Jazz, dass diese Musik immer offen ist für andere musikalische Einflüsse. Für mich ist Jazz ein Vehikel, um möglichst frei mit anderen Menschen kommunizieren zu können, und ich bin fest davon überzeugt, dass Werte wie Ehrlichkeit, Offenheit, Bescheidenheit, Rücknahme des Ego und gegenseitige Zuneigung nicht nur im „normalen“ Leben, sondern auch im Jazz von großer Bedeutung sind. Musikmachen ist etwas sehr Intimes – und daraus folgt die Bedeutung dieser Werte. Wer beim Spielen sein Ego nicht zurücknimmt oder nicht offen ist, mit dem kann und will ich nicht musikalisch kommunizieren. Man sollte nie unterschätzen, dass es genauso wichtig ist, an diesen Werten zu arbeiten wie an den instrumentaltechnischen Aspekten des Musikmachens.
Sind musikalische Vorbilder heute für dich noch wichtig und wenn ja: Wer sind deine „Heroes“?
Zu meinen großen Vorbildern zähle ich nach wie vor Musiker wie den Pianisten Herbie Hancock, den Saxofonisten Wayne Shorter und den Trompeter Miles Davis. Diese Musiker inspirieren mich auch heute. Dadurch, dass ich nun aber schon seit vielen Jahren tief in deren Musik „eintauche“, ist sie für mich mittlerweile weniger geheimnisvoll.
Zurzeit machst du vor allem mit deinem Trio mit dem Kontrabassisten Robert Land- Fermann und dem Schlagzeuger Jonas Burgwinkel auf dich aufmerksam. In den letzten Jahren habt ihr drei hochgelobte CDs auf dem Münchner Label Pirouet Records veröffentlicht. Was ist das Besondere an dieser Band?
Mit dem Trio verfolgen wir nun schon seit mehreren Jahren ein besonderes Livekonzept. Jeder von uns lernt zunächst Versionen unserer Stücke, die ich als „Basis-Arrangements“ bezeichne. In der Livesituation werden diese dann aber verworfen. Wir gehen ohne Setliste auf die Bühne und improvisieren frei, aber jeder Spieler kann jederzeit ein Stück aus unserem Repertoire oder auch nur ein Fragment aus einem Stück „anzetteln“. Die anderen gehen darauf ein oder spielen etwas Konträres. So wird das Repertoire der Band immer wieder anders zusammengefügt. Die Sets unserer Konzerte bestehen nicht aus einzelnen Stücken, sondern es sind ca. 40 Minuten lange Blöcke. Dabei ist unser permanentes Ziel, sofort im Austausch miteinander zu sein, nicht auf die eigenen Ideen fokussiert zu sein, sich von den Ideen der anderen leiten zu lassen und ihnen ständig so gut wie möglich zuzuhören.
Bereitest du dich auf solche Spielsituationen gezielt vor?
Ich halte es für sehr wichtig, gezieltes Hören zu trainieren. Beim Anhören von Aufnahmen habe ich sehr oft bewusst geübt, so vielen Instrumenten wie möglich gleichzeitig zuzuhören, zum Beispiel, den Bass und das Schlagzeug gleichzeitig bewusst wahrzunehmen.
Wie gehst du an Improvisation heran?
Mittlerweile versuche ich oft, die „normale“ jazzpianistische Situation mit Akkorden in der linken Hand und improvisierten Melodielinien in der rechten aufzubrechen. Ich denke über viele Sachen nach, um meinen Geist zu öffnen, damit andere Sachen als die Üblichen passieren können, und stelle mir Fragen wie die Folgenden: Ist es möglich, ein Solo mit nur kurzen Tönen zu improvisieren, oder eines mit nur langen? Wie wäre es, ein „wirres“ Solo oder ein total ruhiges zu spielen? Kann ich beim Improvisieren wie ein Saxofonist denken? Warum muss ein Solo immer laut oder pompös aufhören? Kann es auch möglich sein, es ausplätschern zu lassen, ohne dass es an Spannung verliert?
Heutzutage gibt es sehr viele Musikhochschulen, an denen man Jazz studieren kann. Auch du warst an der Kölner Hochschule. Wie ist deine Haltung zum Thema „akademische Jazzausbildung“?
Das Wichtigste an der Hochschule war für mich, die Menschen dort, sprich meine Lehrer und die anderen Studenten, kennenzulernen. Und mit Hubert Nuss hatte ich einen Lehrer, der mich in puncto musikalischer Spielphilosophie so inspiriert hat wie kein anderer. Von ihm habe ich gelernt, meine gesamtmusikalische Haltung auf Entspannung und Wohlfühlen zu gründen, sowohl beim Spielen als auch beim Musikhören. Hubert hat mir vermittelt, meine Anschlagstechnik aus einer entspannten Haltung heraus zu entwickeln und mithilfe des Armgewichts den Klang erzeugen.
Heute weiß ich, dass es in Konzertsituationen oft wie von selbst läuft, wenn man entspannt ist, nicht wenn man den Leuten etwas beweisen will und dabei verkrampft. Auch Leitsätze wie „Es kann nur gut werden und anderen gefallen, wenn es zunächst dir selbst gefällt“ haben mich sehr geprägt. Trotz dieser fantastischen Erfahrungen war es mir immer wichtig, mich auch über den Horizont der Hochschule hinaus weiterzubilden. Ich will die Dinge nicht nur ankratzen, sondern einen tiefen Zugang zur Musik finden. Wenn mich zum Beispiel ein Musiker interessiert, von dem ich noch nicht viel weiß, höre ich eine Zeit lang nur dessen Musik – nach dem Motto: „Das ist die Medizin, die du jetzt gerade mal brauchst.“ So ergeben sich intensive Phasen der Beschäftigung mit nur einer Sache, was dann irgendwann auch in meine eigene Arbeit einfließt.
Hast du Hörtipps für Keyboarder, die aus dem Pop- oder Rockbereich kommen, sich für Jazz interessieren und einen Zugang zu dieser Musik finden möchten?
Spontan fallen mir da CDs ein wie Tale Spinnin‘ von Weather Report oder die Miles-Davis Scheiben In A Silent Way und Bitches Brew. Mein Lieblingskeyboarder ist Jim Beard, der u. a. durch seine Zusammenarbeit mit Wayne Shorter bekannt wurde. Insbesondere kann ich seine CD Advocate empfehlen, und von der ist das Solo beim ersten Track (Fever) mein absolutes Lieblings-Keyboardsolo. Dann natürlich viele CDs von Herbie Hancock, z. B. Trust, Manchild, Mr. Hands oder Sunlight – und die CD The Inner Mounting Flame von John McLaughlin’s Mahavishnu Orchestra mit dem Keyboarder Jan Hammer. Was all diese CDs besonders macht, ist das improvisatorische Element, das sie beinhalten – dadurch werden sie mehr als „einfach nur funky“.
Spielst du selbst andere Tasteninstrumente als das Klavier?
Hier und da setze ich Rhodes oder Wurlitzer ein. Und seit einiger Zeit besitze ich ein Nord Electro 3HP, von dem ich meist den Wurlitzer-Sound verwende. Das Nord Electro spiele ich auf der CD Dreams, Drums And Drones des Gitarristen Norbert Scholly.