Interview: Michael Wollny über seine Hassliebe zu Keyboards
Ein Gespräch über Hassliebe zu Keyboards, Scheuklappen & Vielfalt, Notationswege und nicht zuletzt über das neue Album Weltentraum. Ein Gespräch mit dem Typ, den man entweder mit schauerlich ernst gemeinten Komplimenten totumschreibt oder es schlicht bei seinem Namen belässt, der schon Marke genug ist.
Bleiben wir mal bei den Tatsachen: Seit dem [em]-Debut 2005 ist Michael Wollny von der Presse umschwärmt, mit Preisen überhäuft und von anscheinend nicht nur einer Muse geküsst worden. Und wer davon bis heute noch nichts mitgekriegt hat, der sollte sich schleunigst die Jazz-Baltica-Aufnahme mit Tamar Halperin am Cembalo von 2010 auf YouTube zu Gemüte führen. So jung, so sympathisch – da freut man sich über einen Anlass zum Plausch. Besonders wenn es um ein neues Album geht!
Weltentraum ist dezenter als die früheren Alben in der [em]-Konstellation mit Eva Kruse. Gab es neben dem Bassisten Tim Lefebvre noch andere Unterschiede im Konzept?
In einem Trio ändert eine neue Person alles, angefangen bei den Spielregeln, über die Grammatik bis hin zu der Art und Weise, wie man zusammen spielt. Und bei uns war es ja so, dass Eva aus privaten Gründen eine Auszeit brauchte und Eric und ich uns entschieden weiterzuspielen. Und es ist dadurch eigentlich eine komplett neue Sache geworden – nicht [em]II, sondern ein anderes Trio. [em] befindet sich gerade im Winterschlaf. Wir wissen auch noch nicht, was damit nun passiert, ob wir damit in zwei Jahren weitermachen oder eben nicht.
Also wenn es einen ganz grundsätzlichen Unterschied gibt, dann würde ich sagen, dass jetzt das Spielen mit Tim, dadurch dass viel weniger notiert und ausgeschrieben wird, viel mehr Raum für Spontaneität und Improvisation frei setzt. Wir haben die Vorgaben sehr vereinfacht, was sich in meinen Ohren so anhört, als ob das Spielen miteinander komplexer geworden ist. Die Idee, Songs, Lieder und Balladen zu machen sowie mehr Ruhe und Melodie einzubringen, ist auch ein großes Anliegen meinerseits gewesen. Es sollten Stücke und Versionen sein, die singen, die wirklich zelebrieren und gesanglich möglich sind – eben echte Lieder sind.
Wie geht ihr bei der Arbeit im Studio vor?
Im Jazz spielt man ja allgemein zusammen Take für Take, bis man glaubt, den richtigen oder zwei bis drei Alternativen zu haben. Entschieden wird dann später. Diesmal haben wir aufgebaut, alles mikrofoniert und die ganze Aufnahme mit diesem einem Setup durchgezogen. Dabei haben wir jetzt in der Mehrzahl nicht First-, sondern eher SecondTakes genommen. Es gibt natürlich Stücke, die arrangierter sind als andere, aber die Herangehensweise war wirklich: Mikro an, wir spielen zwei, drei Versionen, hören uns dann alles an und machen dann mit dem nächsten weiter.
Du nutzt dein Instrument wirklich klanglich voll und ganz aus. Wie stehst du da zu elektronischen Tasteninstrumenten?
Als Pianist hat man natürlich immer so eine gewisse Hassliebe zu E-Pianos, weil man in verschiedener Hinsicht ohne sie nicht auskommt. Man weiß aber natürlich auch, dass es immer eine Simulation von dem „Real Thing“ bleibt. Als Student und als Schüler habe ich die Mehrzahl der Konzerte an einem E-Piano gespielt, weil einfach kein Klavier da war. Ich hab damals ein Doepfer-Masterkeyboard mit gewichteten Tasten gehabt und ein Mikropiano von Kurzweil. Aber es war halt eine Simulation, und das hat mich das akustische Klavier noch mehr vermissen lassen.
Trotzdem denke ich, dass man Keyboards braucht, weil es für viele Leute auch ein möglicher Einstieg ist, zwar nicht der optimalste, aber man kann sich ja oft nicht gleich ein Klavier leisten.
Ich bin zwar Pianist, aber auch ein ziemlicher Cembalo-Banause. Ich habe zu Hause ein E-Piano im ständigen Einsatz, und zwar ein E-Cembalo von Roland. Das ist im Prinzip ein E-Harpsichord mit ziemlich tollen Simulationen, finde ich, (lacht) von Orgeln, Spinett, Celesta etc.
Dieses Instrument ist eigentlich mein einziger Kontakt zur elektronischen Welt. Ich habe zwar auch ein akustisches Spinett zu Hause, das sich aber ständig verstimmt. Ein weiter Vorteil von E-Pianos ist, dass der Unterhalt viel einfacher und kostengünstiger ist. Auch wenn ein elektronisches Musikinstrument nie auf dem Level eines gut gestimmten akustischen Instruments ist, ist es doch zumindest immer in der richtigen Stimmung.
Auf Weltentraum ist natürlich ein akustisches Klavier zu hören, welches?
Ein Steinway D! Ich glaube ein Hamburger – da bin ich mir aber nicht so ganz sicher, vielleicht war es auch ein New Yorker. Jedenfalls ist der Flügel in den Bauer Studios ein legendäres Instrument; da spielt man und hat sofort tausende Ideen, der gibt total viel zurück. Er ist auch einer von den wenigen matten Flügeln, die ich in letzter Zeit so bespielt habe. Nicht zuletzt ist das Studio auch wegen dieses tollen Instruments so bekannt.
Du tobst dich ja auch gründlich im Genre-Dschungel aus. Gibt es musikalische Richtungen, mit denen du gar nichts anfangen kannst?
Ich habe beispielsweise mal versucht, Heavy Metal zu mögen, weil ich wusste, dass das eine interessante Musik sein kann. Aber ich kann’s einfach nicht … (lacht) Was ich ganz schlimm finde, vielleicht aber noch vor Heavy Metal: diese ganze Dancefloor-Musik. Früher war ich großer Fan von Westbam und der Mayday und wie das alles heißt, aber ich kenne mich da auch überhaupt nicht mehr aus. Schlager sind auch nicht so meins, wobei ich Easy-Listening schon ganz gern mag. Chansons kann ich mir ganz gut anhören.
Alles hat halt so seine Zeit …
Ja, das war ja früher auch noch viel extremer, so eine Generation über uns. Da waren dann die richtigen Rocker oder welche, die eben nur Jazz gehört haben. Heute ist das anders. Bei den meisten Leuten, die ich kenne, mischt sich alles. Es ist heute eben alles verfügbar. Mit zwei Klicks auf YouTube ist man schon in einer ganz anderen Welt. Die Vielfalt ist schon ein Glücksfall der Gegenwart – wobei da natürlich auch noch viele andere Aspekte hinzukommen. Ich denke, das Internet hat auf der anderen Seite auch eine Art Krise der Geschwindigkeit ausgelöst. Es entwickelt sich auf einer Geschwindigkeitsebene, die wir Menschen selbst nicht mehr kontrollieren können. Das hat an vielen Orten zu großen Schäden geführt – nicht nur in der Finanzwelt.
Welche Rolle spielt Notation beim Komponieren?
Also ein ganz wichtiges Hilfsmittel für mich beim Komponieren ist die Notationssoftware Sibelius. Als Pianist hat man ja oft das Problem, dass man alles gleich spielt und vor Spaß und Improvisieren gar nicht auf den Punkt kommt. Wenn man eine Idee hat, die man aufschreiben möchte, spielt man leider oft einfach weiter. Insofern ist es schön, in diesem Fall mit dem Computer zu notieren.
Man muss sich aber vor Augen halten, dass es nicht die Notation ist, um die es geht. Sie ist lediglich Hilfsmittel, um sich an Dinge zu erinnern, die man mal gut fand. Das gilt ja auch für die klassische Musik, in der zwar alles akribisch ausnotiert ist, aber letzten Endes ist nur eine Vorlage. Mit diesem Hintergrund ist Notation natürlich auch ein großes kreatives Element, da du das Gleiche auf völlig verschiedene Arten aufschreiben kannst. Auf der einen Seite kann das mal total inspirierend sein, auf der anderen Seite wird es dadurch aber manchmal auch unverständlich oder sogar einengend. Ich versuche immer, eigene Schüler anzuregen, Stücke auf möglichst viele verschiedene Arten aufzuschreiben, weil ich aus Erfahrung weiß, wie sehr die Notation das, was am Ende dabei rauskommt, beeinflussen kann, obwohl man das vielleicht gar nicht vorhatte.
Notiert sehen die Sachen vielleicht nicht immer sexy aus, aber manchmal sind sie dadurch einfach leichter zu verstehen. Wenn man den eigenen Intellekt befriedigen möchte, kann man die Dinge natürlich auch komplizierter schreiben …
… und dabei natürlich aufpassen, dass es nicht zu verkopft wird.
Genau. Gerade war ich mit Tamar Halperin auf Tour. Sie kommt aus Israel und im Flugzeug hat sie hebräische Bücher gelesen, wo man ja von rechts nach links liest. Davon ausgehend haben wir darüber gesprochen, dass sie Noten am liebsten von rechts nach links lesen würde, worüber ich noch nie nachgedacht hatte. Wobei es doch so natürlich ist, dass die Lesegewohnheit auch die Art, Noten zu lesen, beeinflusst sowie die Geschwindigkeit, Zeilensprünge …
In Sibelius gibt es eine Zwölftonreihenfunktion, wo man die Töne variieren kann, mit Krebs oder auch Spiegelungen. Man kann sich dann mit einem Mausklick zwei, drei Seiten Kompositionsmaterial erstellen. Wenn ich eine Idee habe, tippe ich die erst einmal in Sibelius ein, lasse dann die verschiedenen Variationen drüber laufen und benutze verschiedene Tonarten und den ganzen Kram. Dann stelle ich mir das alles aufs Klavier und versuche, nur mit diesem Material zu improvisieren. Man kommt dann plötzlich zu ganz komischen Akkorden und Mustern, die man sonst nicht so schnell gehabt hätte.
In Bachs Die Kunst der Fuge sind beispielsweise auch viele interessante Sachen versteckt. Wenn man das Notenblatt mit Fokus auf die Melodie im Violinschlüssel beispielsweise einfach umdreht, findet man eine BassStimme, die so umgedreht genau dieselbe Melodie im Bass-Schlüssel spielt. Oder du nimmst das Thema der Fuge, drehst das Blatt um, hältst es gegen das Licht und merkst, dass er die da sichtbare Melodie auch irgendwo verwendet hat. Mit Notation kommt man halt auch manchmal einfach zu neuer Inspiration.
Ich bereue gerade etwas meine eigene Faulheit. Ich versuche, das Durchforsten von Notenblättern eigentlich stets zu umgehen und höre lieber heraus …
… was ohnehin am besten ist. Letzten Endes geht es ja um das Produkt. Ich denke, die Freude, den Kompass immer wieder darauf ausrichten zu können, was einem wirklich etwas gibt – und nicht nur weil man glaubt, das Richtige tun zu müssen, nicht simpel oder nicht komplex sein zu dürfen –, ist extrem wichtig.
Ich habe zum Beispiel beim Kontakt mit elektronischen Musikern gelernt, dass da jeder sein eigenes System entwirft. Ich habe noch keinen getroffen, der sein Gerät genau so bedient, wie Korg oder Roland es gemeint haben. Jeder hat da so seinen Tisch mit Gerätchen – auf mysteriöse Weise verkabelt –, die er je nach Virtuositätsgrad auf eigene Art bespielt.
In der Musik allgemein bemühen sich viele, ein eigenes System zu haben, eine Tonsprache auf eigenen Regeln und Gesetzen beruhend, egal ob du jetzt Maschinen verkabelst oder es Harmonien sind, die du miteinander verbindest. Es ist immer spannend, wenn man eine Maschine erst einmal selbst erforscht, weil man auf diese Art vielleicht Sachen findet, die gar nicht so gemeint waren.
Drum finde ich es so schlimm, dass es so eine Tendenz in der elektronischen Musik gibt, vieles „user-friendly“ zu machen, mit Autokorrektur und anderem. Bei Logic Pro klickst du mit der Maus auf ein Schlagzeug, und dann kommt ein Groove, bei dem du nur noch einstellen musst, ob du mehr Hi-Hat oder Tom-Tom willst. So etwas finde ich sehr schade, da es letztlich so unkreativ ist. Und das zieht sich halt mittlerweile überall durch: Autokorrektur in SMS auf dem iPhone, und Amazon, das mich fragt: „Du hast das gekauft, interessiert dich auch das?“
Deshalb finde ich diesen Ansatz der elektronischen Musiker, Sachen auf eigene Art zu bearbeiten, umso wichtiger.
Machst du ja auch, wenn du den Flügel nach deinen Wünschen und Maßstäben präparierst.
Genau