Im Interview: Joy Askew
Es gibt viele KollegInnen, die einen tollen Job in der zweiten Reihe machen — als Pianisten bzw. Keyboarder für die großen Künstler unserer Zeit. So auch Joy Askew, geboren in England, wohnhaft in New York und in den 80er- und 90er-Jahren als Keyboarderin engagiert auf Joe Jacksons legendären „Night & Day“- und folgenden Tourneen. Sie spielte auf dem ersten Teil von Peter Gabriels „Secret World Tour“, sie begleitete Laurie Anderson, Jack Bruce und in jüngster Zeit Sufjan Stevens…
Zum Interview treffe ich Joy und ihre Band in einem mexikanischen Restaurant in Bielefeld, wo ich zunächst eine unauffällige Gruppe junger bis mittelalter Menschen wahrnehme, die sich gegenseitig die Speisekarte übersetzen. Die elegante Dame in der Mitte ist Joy Askew, schräg gegenüber quietschvergnügt die quirlige Misty Boyce – ihrerseits Tournee-Keyboarderin des amerikanische Megastars Sara Bareilles. Ferner am Tisch: zwei stoisch ruhige Bielefelder Profimusiker, die als Rhythmus-Team vorzugsweise von New Yorker Singer/Songwritern angeheuert werden, wenn diese von den ebenfalls am Tisch sitzenden Zwillingsbrüdern Beuse (bb-promotion) auf verwinkelte Tourneen durch die deutsche Clubszene gebucht werden. So klein ist die große Welt …
Hi Joy, – wir sind so froh, dass es endlich geklappt hat! Hattest du nicht auch Calamares bestellt?
Nope, ich esse nichts, was Vater und Mutter hat – diese Gemüseplatte ist genau richtig. Ja, bin auch froh. Wie habt ihr mich denn gefunden?
Vier Klicks im Netz: Was macht eigentlich Joe Jackson? Von da zu YouTube-Mitschnitten aus der Zeit seiner größten Popularität Anfang der 80er. Wir sahen dich in eurer riesigen Keyboardburg, und dann waren wir schon auf deiner Seite und hörten das wundervolle Drunk On You von deinem neuesten Album.
Ja, die Zeit mit Joe Jackson ist unvergesslich und die „Night & Day“-Tour 1982/83 war bis dahin das größte Projekt meiner Laufbahn. Er lebt jetzt in Berlin, und in zwei Wochen sind wir noch einmal verabredet, wenn wir dort spielen.
Joe Jackson war in Deutschland sehr populär, und die „Rockpalast“-Aufzeichnungen gelten auch heute noch als die besten Aufnahmen überhaupt aus dieser Reihe. Du warst ja an den Albumaufnahmen nicht beteiligt – wie bist du damals in die Tourband gekommen?
Das ist eine lange Geschichte. Anfang der 70er spielte ich in der ersten Frauenrockband Englands, „The Bitch“. Über zahlreiche Stationen landete ich Ende der 70er bei einer Fusion-Band „The Jazz Sluts“ – die Musiker spielten teilweise in Frauenkleidern, völlig schräg. Dabei waren aber sehr gute Musiker, die alle noch eine Karriere machen sollten. Martin Ditchem (dr, perc), er schrieb gemeinsam mit Sade Your Sweetest Taboo, später spielte er auf hunderten von Alben – von den Rolling Stones bis Tina Turner. Aber auch Julian Marshall (Keyboards), der in New York das Pop-Projekt „Eye to Eye“ mit Deborah Berg begann – sie hatten bald einen Hit Nice Girl. Als er eine Tourband zusammenstellen wollte, rief er mich an. Ich war schon immer wild auf einen Aufenthalt in den USA, besorgte mir ein Visum und ging mit meinen Keyboards rüber.
Mutig! Was waren damals deine Instrumente?
Ja, ich wollte unbedingt was Neues machen! Ich hatte damals einen Prophet-5, einen Micromoog und ein super Exemplar von einem Rhodes, das klang ganz unglaublich – ach, da muss ich dir gleich noch eine Geschichte erzählen: Eines Morgens kam ich in das Rehearsal Studio in New York – da war mein Rhodes weg! Ich dachte erst: „Klar, New York, hier ist ja nichts sicher.“ Was war passiert? Zu der Zeit nahm Donald Fagen gerade The Nightfly auf (erstes Soloalbum des Steely-Dan-Mitgründers), aber Donald war mit dem Rhodes in seinem Studio nicht zufrieden. Also setzte er sich mit seinem Tech ins Auto und klapperte alle Studios in New York ab, um ein besseres zu finden. Und das war meins. Er nahm’s einfach mit und hinterließ einen Zettel: „In einer Woche bring ich’s zurück“. Ich war nicht lange sauer. Er hat mir später dafür sogar einen Credit auf der LP spendiert.
№2/3 2017
- Editorial
- Facts & Storys
- Modular Kolumne
- Mit Mark Forster auf Tour
- MANDO DIAO IM INTERVIEW
- Amy Lives: Xanthoné Blacq
- Ströme− Eurorack Clubbing
- MARIO HAMMER & THE LONELY ROBOT
- Peter Pichler: Bewahrer des Trautoniums
- NONLINEAR LABS C15
- AKAI MPC LIVE
- GIPFELSTÜRMER: NOVATION PEAK
- Auf Lichtung gesichtet: Bigfoot
- Gute Vibes im Museum
- DIE HOHNER-STORY
- Transkription − Chuck Leavell: Song For Amy
- Impressum
- Inserenten, Händler
- Das Letzte − Kolumne
Wie ging’s weiter?
Wir probten sechs Wochen lang – aber dann gab es Stress mit der Plattenfirma, ich weiß nicht mehr genau, was, und dann wurde die Tour abgeblasen. Ich hatte noch sechs Wochen auf meinem Visum und war wild entschlossen zu bleiben! Ich ging dann abends immer zu Jamsessions in diverse Jazz-Clubs. In einem traf ich Tommy Mandel [Keyboard-Legende in den USA, Live-Band von Bryan Adams, Aufnahmen mit B 52s, Bon Jovi, Pretenders usw.; Anm.d.Aut.]. Er gab mir ein paar Wochen später die Nummer von Joe Jackson, der sein Night & Day-Album auch gerade in New York aufgenommen hatte. Ich rief ihn an und erfuhr, dass er mich seinerseits schon seit drei Monaten suchte – aber in England! Er wollte unbedingt eine Frau an den Keyboards haben, anscheinend war ich damals die einzige in England, die dafür in Frage kam.
Die Aufzeichnung der 12. Rockpalast-Rocknacht vom 16./17. April 1983 ist ja vom WDR als DVD wiederveröffentlicht worden! Da kann man dich prima in Aktion sehen.
Wir waren zu zweit an den Keyboards. Ed Rynesdal und ich hatten eine riesige Keyboard-Burg, die Joe in der Mitte der Bühne platzieren ließ, Schlagzeug links und Percussion rechts von uns. Wir hatten ein Yamaha CP-80 mit Prophet-5 darauf, eine Hammond C3 mit Prophet-5 darauf, dann noch ein Rhodes und ein Clavinet. Wir haben es rechteckig zueinander aufgebaut, damit wir drumherum gehen und uns abwechseln konnten.
Die meisten der großen Hits damals – z. B. Stepping Out, Slow Song oder Breaking Us In Two – waren ja komplett auskomponiert. Bei reiner Begleitung haben wir schon unsere eigenen Voicings und Fill-ins gebracht. Für das ältere, rockigere Material hat mir Joe ein paar Mal „Nachhilfe“ in „Classic Rock-Piano“ gegeben, toll! Bei manchen Titeln konnte ich auch völlig frei agieren. Z. B. habe ich bei Tuxedo Junction die Bläserriffs auf dem Prophet-5 eigenständig entworfen.
Wie ging es nach Joe Jackson weiter?
Wir haben dann noch zwei weitere Touren zusammen gemacht, die „Big World“ (1986) und die „Blaze of Glory“ (1989), auf drei weiteren Alben war ich auch dabei, bis Laughter And Lust (1991). Eine aufregende Zeit. Ich war parallel schon anderweitig beschäftigt, zum Beispiel bei [der amerikanischen Avantgarde-Künstlerin] Laurie Anderson, so um 1986 herum. An ihrem Konzertfilm „Home of the Brave“ habe ich auch mitgearbeitet. Laurie hatte zu der Zeit ein Synclavier. Das hat sich auf Tour regelmäßig mit einem „System Crash“ verabschiedet, ein Horror! Ich habe es zum Glück nur bei einigen Titeln gespielt.
Und dann kam bald die nächste Riesen-Tournee – Peter Gabriels „Secret World Tour“?
Ja, aber das ging wieder über Umwege und Zwischenstationen. Die Verbindung kam über den Bassist Tony Levin zustande, den langjährigen Begleiter von Peter Gabriel. Zu dieser Zeit lebte ich in einem Winz-Appartement in New York, hatte nur ein DX7 und eine Korg CX3 zu Hause. Als Peter mich anrief, bin ich zu Manny’s Musical Instruments [riesiger Musikfachhandel in New York], habe die Kreditkarte auf den Tisch gelegt und mir für ein paar Wochen alles zusammengeborgt, was man damals haben musste – auch einen Akai-Sampler, mit dem ich zum ersten Mal gearbeitet habe.
Peter kam vorbei und war freudig überrascht, dass ich schon sieben Titel bestens vorbereitet hatte. Wir haben uns gleich super verstanden, ein bisschen auch, weil wir beide aus England sind und uns viel zu erzählen hatten. Dann habe ich beim ersten Teil der „Secret World Tour“ 1993 mitmachen können (Anm. d. Autors: Leider ist Joy nicht auf der DVD zu sehen, die nur vom zweiten Teil der Tournee 1994 produziert wurde).
Das war dann technisch sicher eine etwas größere Nummer?
Ich hatte ein Yamaha CP-80, einen PPG, den Akai , ein paar DX7 und zwei riesige Racks. Dort waren unter anderem mehrere Prophet-5 als custom made 19″-Versionen eingebaut, ein Keyboard-Tech hatte das perfekt gemacht. Dazu bekam ich MIDI-Patcher und ein sehr großes Pedal-Board – unter anderem waren dort auch Gitarrenfußtreter drauf, ein „Metallizer“ zum Beispiel. Und die Korg-Orgel, sagte Peter, sollte ich noch oben drauf setzen … Als Masterkeyboard benutzte ich ein Korg 01W/ProX, teilweise hatte ich acht Splits darauf für solche Titel wie Sledgehammer. Die Samples hatte ich mir in tagelanger Arbeit im Real World Studio direkt von den Originalbändern auf den Akai S1000 gezogen. Das war ein Erlebnis, an dieser Monster-SSL-Konsole zu arbeiten, wow!
Für die Tour hatte sich Joy Askew eine Band zusammengestellt aus den beiden Bielefelder Profimusikern Mark Beumer (Bass) sowie Elmar Lappe (Drums) und aus New York die 28-jährige Misty Boyce mitgebracht, eine hervorragende Multiinstrumentalistin, Sängerin (und sehr nettes Energiebündel), die abwechselnd Keyboards über ein M-Audio-Computerkeyboard und Apple Notebook oder Gitarre über einen Bugera-Combo spielte.
Wie ging es weiter in den 90ern? Deine ersten eigenen Alben erschienen bald, allesamt hochgelobt von den Kritikern.
Zurück in New York kümmerte ich mich erst einmal um meine eigene Karriere als Singer/Songwriter. Mein erstes Album Tender City erschien 1996. Auch Peter Gabriel hatte einen Gastauftritt und andere bekannte Musiker wie Larry Klein oder Jerry Marrotta. Aber die „Sampleritis“ hatte mich seit der Tour mit Peter nicht mehr losgelassen, Drum & Bass, damals noch „Jungle“, war aufgekommen, und man konnte, man durfte die abgefahrensten Sound- und Loop-Konstruktionen realisieren – meine Roland- und Akai-Sampler wurden gar nicht mehr ausgeschaltet.
Ich gründete ein Duo mit Takuya Nakamura, ein Multiinstrumentalist und begnadeter Trompeter, und wir spielten gemeinsam die CD ECHO ein, ein Electro-Jazz-Projekt, – „deconstructed Jazz Standards“, das war für mich eine der kreativsten Perioden.
Was machst du zurzeit?
2008 erschien meine CD Pirates Of Eel Pie [enthielt den Indie-Hit Hip These Days].
Wunderschön, das gibt es heute selten, dass man eine CD vom ersten bis zum letzten Song durchhören kann und immer wieder überrascht wird!
Danke. Aber der Eigenvertrieb hat natürlich Grenzen, eine starke Medienpräsenz kann man schwerlich aufbauen. Aber ich habe eine gut organisierte Homepage, auch meine Lehrwerke kann man dort erwerben, zum Beispiel „Vocalize with Joy Askew“. Ich spiele sehr viel in New York und Umgebung, ab und zu kommt eine Club-Tournee im Ausland zustande, wie jetzt in Deutschland, dank Olaf Beise. Letzte Frage.
Hast du noch Zeit zu üben, und wenn ja: Was machst du?
Die Zeit nehme ich mir! In den Tagen vor Konzerten oder einer Tour achte ich erst einmal darauf, dass Flüssigkeit, Geschmeidigkeit, Fingersätze, Spreizfähigkeit wieder auf Level sind. Ob du’s glaubst oder nicht, dazu hole ich mir sogar den alten „Hanon“ aus der Schublade! [Der Klaviervirtuose in 60 Übungen von Charles-Louis Hanon aus dem Jahre 1873]. Wie gesagt, für die Mechanik. Aber die Sicherheit im musikalischen Spiel erarbeite ich mir ganz anders: Ich suche mir irgendeinen Titel, einen Song, den ich mag, egal welche Epoche, welcher Stil, ob auf Klavierbasis oder nicht, höre ihn ab, studiere ihn ein und interpretiere ihn schon bei den ersten Durchgängen auf meine Weise. Dabei achte ich streng darauf, nicht in Klischees zu verfallen oder Licks und Wendungen einzubauen, die man so im Hinterkopf hat. Nein, ich achte auf den Spirit des Songs und arbeite ganz eigene Figuren aus.
Natürlich singe ich gleichzeitig, so wie ich es live bei meinen Titeln auch mache. Dieser Ansatz ist unheimlich ergiebig und hilft sehr, inspiriert zu spielen und eine starke Sicherheit zu entwickeln. Auch und gerade für den eigenen Stil. Ich empfehle: einen Titel pro Monat, und den dann in der beschriebenen Art durcharbeiten. Probiert’s mal!