Im Gespräch mit Deep Purple Keyboarder Don Airey
Der 70-jährige Brite Don Airey war Keyboarder bei der Hardrock-Truppe Rainbow und spielt aktuell bei Deep Purple. Daneben veröffentlicht er Solo-Alben und geht mit eigener Band auf Tour. Ein Besuch beim Gig im Baden-Württembergischen Rutesheim: Auf der kompakten Bühne zählen eine Hammond A100 samt Leslie und Marshall-Röhrenverstärker zum Keyboard-Setup. Zeit für ein Gespräch.
Rutesheim erscheint wie ein übersichtlicher Durchfahrtsort nahe der Autobahn, irgendwo vor Stuttgart. Gehwege und Straßen sind gepflegt, die Gegend wirkt gut situiert. Auf den zweiten Blick kommt fast der Eindruck auf, die Einwohner tarnten sich mit der kleinbürgerlichen Durchschnittsfassade. Umgekehrt ist das Einzugsgebiet um Stuttgart und die Nähe zur Autobahn für Pendler attraktiv. Im nahegelegenen Industriegebiet befindet sich die Musikkneipe Uhlenspiegel, die durch die Autobahnanbindung ebenfalls bei Musikern wie Musikliebhabern punkten kann. Das Gasthaus mit Veranstaltungsraum ist in einem quaderförmigen Betonblock untergebracht. Über dem Logo prangt ein großes Banner mit rosagefärbtem Publikumsfoto, rechts neben dem Eingang findet sich Platz für den jeweiligen Tourbus. Im Eingangsbereich hängen Plakate für Blues- und Rock-Gigs, die Band Wishing Well verspricht »High Intensity Classic Rock« − das fasst die musikalische Ausrichtung des Clubs gut zusammen.
Drinnen ist am Abend Don Airey zu Gast, früher Keyboarder bei der Hardrock-Formation Rainbow und gut gebuchter Sessionmusiker. Seit 2002 übernimmt er bei Deep Purple für den mittlerweile verstorbenen Jon Lord Hammond und Synthesizer. Ansonsten nimmt er eigene Platten auf und geht in kleinem Rahmen auf die gefühlte »Ochsentour«. Aktuell ist er mit seinem Solo-Album One Of A Kind auf Tour, das flinke Prog-Rock-Melodiefahrten beinhaltet. Begleitet wird er von seiner Band mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang.
History
Airey als musikalisch umtriebig zu bezeichnen, scheint eine Untertreibung: Bereits sein Wikipedia-Eintrag spricht von mehr als 200 Alben, auf denen er seit Mitte der 1970er mitgespielt hat, darunter neben Rainbow auch bei Andrew Lloyd Webber, Black Sabbath, Ozzy Osbourne, Gary Moore, Cozy Powell, Thin Lizzy, Whitesnake, Jethro Tull, Judas Priest und Deep Purple. »Es müssten mehr als 400 sein«, meint der 70-Jährige Brite, der leicht raubeinig, aber herzlich wirkt.
Als 13-Jähriger hat er in der Schule eine Jazzband gegründet, erinnert er sich. »Einer der Lehrer spielte Trompete, ein anderer Schüler Kontrabass, jemand anderes Schlagzeug.« Jazz sei eine gute Schule für einen Keyboarder wie ihn gewesen, der später in Prog-Rock-Bands spielen würde, resümiert Airey. Später durchlief er eine klassische Ausbildung. Ob seine klassische Ausbildung ihn nicht vielleicht auch eingeengt hat, in bestimmten kreativen Schubladen zu denken, statt frei zu improvisieren, wie es Gitarristen manchmal äußern? »Das mag für Gitarristen stimmen, für Keyboards scheint mir das nicht wahr. Du musst viel lernen, es ist auch nicht gerade das einfachste Instrument. Ich war immer der Meinung, dass du das Instrument klassisch lernen musst.«
Airey hat bei Classic-Rock-Besetzungen oft mit einem oder zwei Gitarristen zusammengearbeitet. Schwierigkeiten, sich passend einzufügen, hatte er dem eigenen Bekunden nach keine. »Meine Aufgabe besteht meist darin, den Gitarristen zu unterstützen. Die Leute, mit denen ich am besten musikalisch zusammengearbeitet habe, waren wahrscheinlich Ritchie Blackmore und Gary Moore. Du musst praktisch warten, bis sie mit einer Idee um die Ecke kommen, dich mit den Keyboards dahinterlegen und sie unterstützen − to make ’em feel important! Es geht darum, ihnen einen guten Klangteppich zu legen, sozusagen weiterzuhelfen und Vorschläge zu machen. Jon Lord nannte das ›einen Heiligenschein um den Sound legen‹.«
Das Keyboard deckt den gesamten Frequenzbereich ab. Wer zu viel spielt, lässt mitunter keinen Raum mehr für Gitarristen. Dem stimmt Airey zu, meint aber gleichzeitig schmunzelnd: »Es ist sehr schwer für einen Keyboarder, einen Gitarristen zu übertönen! Es geht um die Kunst des Begleitens, denn Gitarristen kommen schließlich mit den Riffs an. Riffs stammen normalerweise nicht von Keyboardern.«
Deep Purple
Ob es eigentlich neben der Herausforderung auch eine Bürde war, den gefühlten »Thron« Jon Lords vor rund 16 Jahren bei Deep Purple zu übernehmen? »Es war toll, ich habe nicht wirklich viel darüber nachgedacht, da ich zunächst für eine Tour aushalf. Das hat viel Spaß gemacht, und ich liebe die Band. Es wurde eher mit den Jahren zur Herausforderung«, erklärt er augenzwinkernd. »Dadurch, dass Jon nicht mehr zurückkam, fand ich mich plötzlich dauerhaft auf Tour. Aber: ›Sei ein Mann!‹ « (lacht)
Sein »Lieblingsgerät« ist eine Hammond A100, darüber hat er einen Moog Voyager-Synthesizer platziert. »Ich spiele nur Hammond A100-Modelle. Das Modell ist wie eine B3 und eine C3, aber für den Hausgebrauch gedacht. Es hat Lautsprecher eingebaut.« Er besitzt vier Stück. »Der Grund, dass ich so viele habe: Wenn der alte Herr im Haus stirbt, der Orgel gespielt hat, beschließt die Witwe oft, die Hammond im Wohnzimmer loszuwerden. Die Exemplare sind meistens so gut wie neu!« Auf der Bühne steht eine A100 in erstaunlichem Zustand, in einem Case. »Die stammt von 1962. Als ich sie bekam, war sie praktisch noch ungespielt. Es besteht eigentlich kein technischer Unterschied zur B3, aber sie klingen dennoch anders. Jede Hammond klingt in sich nochmal unterschiedlich. Jedem meiner vier Exemplare habe ich entsprechend ihrem Eigenklang einen Namen gegeben, zum Beispiel ›The Beauty‹ oder ›The Beast‹.« (schmunzelt)
Auf Tour müssen oder wollen viele Bands das Budget überschaubar halten − statt einer »richtigen« analogen Hammond-Orgel kommt eine digitale Variante zum Einsatz, um Reisegewicht, Platz und Fehleranfälligkeit zu reduzieren. Er bleibt trotz der überschaubaren Clubs bei seinen Solo-Tourneen beim Original. »Ich habe viele Emulationen ausprobiert, sie sind meist hoffnungslos. Als Backup habe ich ein Studiologic Numa Organ-2-Keyboard dabei. Für seinen Einsatzzweck ist es sehr gut! Ich besitze auch noch ein MAG Custom Organ. Die werden in Prag von Max Ghirardi gebaut. Ich finde sie außergewöhnlich − so nah an einer Hammond, wie man ihr als digitales Instrument vermutlich kommen kann«, meint Airey, schränkt aber gleichzeitig ein: »Wenn du dich im oberen Tastaturbereich einer digitalen Hammond-Emulation bewegst, ›singt‹ der Klang nicht wie beim analogen Instrument. Sie funktionieren nicht wirklich wie das Original, und das wird auch nie in dieser Ganzheit umsetzbar sein.« Selbst bei kleinen Gigs will er daher nicht auf das Spielgefühl und den Klang des analogen Instruments verzichten. »Auf der A100 entdecke ich jeden Tag etwas Neues − das ist für mich ein Zeichen eines großartigen Instruments.«
Auch ein »richtiges« Leslie fehlt nicht im Gepäck: »Bei Deep Purple verwende ich zwei Leslies, dazu einen Hughes & Kettner Puretone-Röhrenverstärker mit einer 4x12er-Box. Bei dieser Tour verwende ich aus Platzgründen nur ein Leslie, dazu ein Marshall Heritage-Topteil und eine 4x12er-Box für die Hammond.« Bislang gebe es für ihn nichts, dass den Klangeindruck einer Leslie-Box auf der Bühne ersetzen könne, nicht zuletzt wegen der dreidimensional bewegten Luft. Ein Aufkleber des amerikanischen »Hammond Store« prangt auf dem Leslie. »Den betreibt ein Typ namens John Haburay, er kauft alte Hammonds auf und cased sie ein. Er hat das Leslie ebenfalls ›roadtauglich‹ verpackt.« Er spielt die Hammond an, und auf der Bühne entstehen typisch schwebende Leslie-Klänge, dazu angecrunchte, röhrende Verzerrung. »Sie klingt sehr kraftvoll!« Airey hat sichtlich Spaß an den Glissando-Fahrten.
Wirklich fragil sei das Setup nicht, meint Airey, erinnert sich allerdings an einen Ausfall: »Als wir letztes Jahr auf Tour hier gespielt hatten, fiel einer der Motoren im Leslie aus. Vor dem Konzert war einer der Gäste sehr interessiert an Leslies, er fragte, was passiert sei. Schließlich meinte er: ›Oh, ich hab einen Ersatzmotor zu Hause!‹ Ich entgegnete, dass der hier mit 110 Volt läuft. ›Ja, habe ich!‹ Daraufhin fragte ich, wo der denn sei. ›In meiner Garage, 5 Minuten entfernt.‹ Er ging also los, und ich gab ihm 100 Euro für den Motor. Der passte direkt rein, und alles funktionierte. Ein absolut erstaunlicher Zufall!«, meint Airey lachend.
Neben dem Moog Voyager liegen ein Source Audio Nemesis Delay-Pedal sowie ein kompaktes Stimmgerät. »Bei praktisch jeder Nummer muss ich den Synthesizer etwas nachstimmen, weil er analog ist. Wenn er warm wird, ändert sich das Tuning − das liegt in der Natur der Sache.« Hammond und Moog stehen im 90-Grad-Winkel an der Bühnenseite, an der Front hat er ein Kurzweil PC3 K8 aufgebaut. Das Keyboard dient ihm als MIDI-Tastatur und steuert einen Roland Integra-7-Klangerzeuger an. Bei Deep Purple kommen unter anderem ein Kurzweil K2600 und ein Memotron hinzu. »MIDI spielt bei mir eine große Rolle: Bei Deep Purple habe ich sechs Geräte damit verbunden, sodass ›große‹ Sounds entstehen. Den Memotron finde ich toll − neben der Rack-Mount-Version habe ich zu Hause davon auch das Keyboard-Modell, das ich liebe! Die Typen in Berlin sind völlig verrückt! Mir scheint, ihre Emulation ist die beste. Es macht Spaß zu spielen.«
Im »großen« Deep-Purple-Setup findet sich auch ein alter Emu-Sampler. »Der erweist sich als zuverlässig und hat einen tollen Klang. Das große Rack-System verwende ich praktisch seit fast 20 Jahren.« Alles durchläuft ein Soundcraft-Pult, das unter seinem Arbeitsplatz steht − auch bei der aktuellen Tour.
Im Solo-Programm spielt er neben eigenen Stücken auch einen Querschnitt seiner bisherigen Musikerkarriere, durch Prog-Rock-Truppen wie Colosseum II und Zusammenarbeiten mit Rainbow oder Gary Moore, etwa Still Got The Blues, bei dessen Aufnahme er mitgewirkt hat. Wie er sicherstellt, dass es nicht nach einer Tribute-Band klingt und er sich den Spaß daran erhält? »Nun, wir sind viel bessere Musiker als die meisten Tribute-Bands«, meint er lachend. Das sei das Geheimnis. Ob es daran liegt, dass Tribute-Bands beim Performen bestrebt sind, dem Original gerecht zu werden statt schlicht möglichst zu rocken? »Tribute-Bands sind ›fast da‹, aber vor ihnen liegt ein Graben, der eine Million Meilen tief ist, den sie nie überwinden werden. (lacht) Weil sie aus musikalischer Sicht nicht denken, wie sie sollten. Warum verbringt jemand sein Leben damit zu versuchen, jemand anders zu sein? Das geht mir nicht wirklich in den Kopf. Aber klar, die Leute wollen die alte Musik hören, und viele von den alten Musikern spielen sie nicht mehr.«
Wegen früherer Hits kämen die Zuschauer zu seinen Solo-Shows, meint er. »Ich mag es, die alten Songs zu spielen. Wir haben gerade in der Schweiz gespielt, [Deep Purple-Bassist] Roger Glover kam vorbei und kam bei einem Song auf die Bühne − er war wundervoll. Er hatte die alten Songs komplett vergessen − Eyes Of The World und Hollywood hat er wohl nie wieder angehört − und meinte, das seien tolle Songs! ›Ja, die habt ihr vor Jahrzehnten geschrieben!‹, entgegnete ich.«
Was nach der Arbeit auf über 400 Studioalben als Essenz hängenbleibt? »Keine der Platten waren einfach! Es gibt keine ›leichte‹ Recording-Session. An das Rainbow-Album Down To Earth erinnere ich mich gerne, die Session war klasse, und ich finde die Platte unglaublich.« In den letzten 20 Jahren sei Session-Arbeit praktisch ausgestorben, ergänzt er. »Ich arbeite viel in meinem eigenen Studio, die Leute schicken mir ihre Musik, und ich ergänze die Keyboards. Sie erzählen mir grob, was sie möchten, und ich setze es um.« Trotzdem vermisse er die gemeinsamen Session-Tage früherer Zeiten.
Beim Gig am Abend sind ca. 150 Zuschauer gekommen, die den Veranstaltungsraum dicht bevölkern und zur gefühlten Schwitzhütte werden lassen. Die Band startet mit einem Synthesizer-Intro, anschließend folgt Classic Rock im besten Sinne, von allen Beteiligten auf den Punkt gespielt. Der aktuelle Nazareth-Sänger Carl Sentance liefert typisch kraftvolle Hardrock-Vocals, vom Gitarristen Simon McBride kommt banddienlich und unterhaltsam gut dosiertes Spiel. Bei einigen Instrumentalstücken von Colosseum II verlässt Sentance die Bühne, Don Airey spielt singende, komplexe Synth-Linien. Ansonsten stehen Bluesrock-Songs auf dem Programm, bei denen die Hammond in allen Facetten zum Einsatz kommt. Auch die eigentlich abgenudelte Nummer Still Got The Blues wird von der Band absolut überzeugend gebracht. Als kleine »Überraschung« im Set spielt Airey das »Phantom der Oper«-Thema an, sowie den Rainbow-Song Difficult To Cure, der auf Beethovens Neunter Sinfonie basiert. Das Publikum scheint angesichts der gelungenen Mischung aus Blues- und Hardrock bestens unterhalten.
Don Airey ist ein begnadeter Organist ! Ich habe ihn mehrmals live erlebt. Ich bin seit frühster Jugend Deep Purple Fan. Jon Lord hätte keinen besseren Nachfolger haben können. Ich selbst bin Kirchenmusiker spiele aber auch leidenschaftlich Hammond in einer Rockband.