Iiro Rantala über die neue Einfachheit
Manchmal reicht ein Blick über den Zaun in Nachbars Garten: Bei seinen skandinavischen Nachbarn entdeckte Iiro seine neue musikalische Tugend; Pate standen Esbjörn Svensson und auch — man mag’s kaum glauben — Abba. Anlässlich des E.S.T. Symphony-Konzertes in Hamburg plauderte Iiro über seine neuen Projekte.
Iiro Rantala ist ein Tausendsassa. Wenn ihm das Touren als Solokünstler nicht ausreicht, dann gründet er für wenige exklusive Festivalshows mal eben selbst eine Super-Group, beziehungsweise ein neues Super-Trio. Dass es sich zu recht auch wörtlich so nennen darf, wird klar, wenn man die Namen der beiden Partner erfährt: Lars Danielsson (Bass) und Wolfgang Haffner (Drums), beide selbst prominente Bandleader.
Nach der Auflösung seiner Stammformation Trio Töykeät 2008 hat Rantala bei ACT in den letzten Jahren dreieinhalb Alben hingelegt, wenn man das Live-Album aus Berlin (u. a. mit Michael Wollny) nur halb zählen will. Alben, auf denen sich die atemberaubend schönen Hommagen an den früh verstorbenen Esbjörn Svensson oder an den ewig lebenden J.S. Bach finden. Nächstes Jahr gibt er eine Solo-Tour in Gedenken an John Lennon – er arbeitet bereits an den Arrangements zu Working Class Hero oder Woman (Konzerte u. a. in Stuttgart und Köln).
Das Stück Freedom für unseren Workshop erschien auf der letzten Platte Anyone With A Heart Anfang des Jahres. Wenn ihm dann immer noch langweilig ist, findet er die Zeit, „nur zum Spaß“ Keith Jarretts Solo aus der berühmten Live-Aufnahme von So Tender (aus Standards Volume 2) Note für Note zu transkribieren. Dieses Solo, so meint Iiro Rantala, sollte man in KEYBOARDS veröffentlichen, keines seiner Stücke (haben wir trotzdem gemacht, Anm.d.Red.). Die Frage nach den Copyrights? „Das ganze Stück ist doch schon eine Kopie“, lacht er und summt das Thema von So Tender aus Charlie Chaplins Soundtrack zu City Of Lights! Und der hat es laut Iiro von Tschaikowski geklaut, aus der 5. Symphonie! „Das ist genau die gleiche Phrase, und ich glaube, sogar die Tonart ist stets die gleiche: A-Moll. Das muss ich nochmal prüfen. Also wirklich, Copyrights sind eine echte Grauzone!“
Zurück nach Hamburg. Wenn das Internationale Musikfest einen Orchesterabend mit den Stücken des Esbjörn Svensson Trios als besonderes Highlight auf die Plakate schreibt, benannt „E.S.T. Symphony“, dann ist es wiederum Rantala, der die pianistische Rolle ausfüllt und damit einer der wichtigsten Wirkstätten seiner Nachbarlandsleute betritt: Die E.S.T.-Scheibe Live in Hamburg wurde schließlich in eben dieser Laeisz-Halle aufgenommen.
Rantala spielt dieses Konzert nun schon zum zweiten Mal – er war auch der Pianist, der die Uraufführung der orchestrierten E.S.T.-Stücke im Stockholmer Konzerthus zum fünften Todestag von Svensson gespielt hat. „Magisch“, so sagt er, war diese Aufführung, quasi vor Heimpublikum, ja sogar vor der Familie. Standing Ovations gab es schon lange vor dem Ende, tatsächlich sogar schon vor der Pause! Ein nationales Jazz-Event, wie man es sich in Deutschland wohl nur schwer denken kann, „so als ob wir Nationalhymnen spielen würden“, erinnert sich Rantala.
Wie kamst du zu dem E.S.T.-Projekt?
Die Idee zu einer Orchesterfassung hat es wohl schon zu Lebzeiten von Esbjörn gegeben; er hatte ja selbst auch schon mal Stücke orchestriert. Es war dann Magnus (Öström, Drums bei E.S.T.; Anm.d.Aut.), der auf mich zukam: Man hatte sich für das Konzept entschieden, für jede Aufführung einen anderen Pianisten zu verpflichten – man wollte Esbjörn eben nicht mit nur einem anderen Pianisten ersetzen, und hätte sich auch auf gar keinen Namen einigen können. Mittlerweile haben Michael Wollny, Yaron Herman, Martin Tingvall und Jacky Terrason den Klavierteil gespielt – aber ganz aufgegangen ist das Konzept von einem stets neuen Pianisten natürlich nicht. (lacht) Ich spiele ja nun schon das zweite Mal – und ich bin bereits für weitere Shows gebucht.
Warum fallen dir diese Crossover-Projekte immer in den Schoß, und warum fallen sie dir so leicht? Oder ist das überhaupt ein Merkmal der skandinavischen Szene?
Na, das ist leicht: In Helsinki gibt es eben diese eine Bar, und in der triffst du alle Musiker aller Richtungen … und mal nebenbei bemerkt: Es sind die Klassik-Typen, die am allermeisten saufen; man glaubt nicht, was die schlucken können, diese Orchesterleute … Und dazu kommen auch noch die Tänzer und die Schauspieler, alle. In New York kannst du dein Dasein alleine als Komponist für Ballet und Theater fristen und sonst nichts anderes tun – aber dann hat man auch nur Kontakte in eben diese Szene, zum zeitgenössischer Tanz. In den nordischen Ländern ist das undenkbar, da leben wir das Gegenteil.
Das gilt auch für die Musik selbst? Eigentlich gibt es keine festen Genres: Ob Jazz, Pop, Klassik oder Kinderlied, da ist immer von allem was drin?
Ja natürlich! Hans Ek, der die Arrangements für E.S.T.-Symphonie geschrieben hat und die Show dirigiert, hat ja viel mit Björn (Ulvaeus) und Benny (Andersson) gearbeitet, z. B. bei den ABBA-Musicals Chess und Kristina från Duvemåla: Und gestern sagte er selbst: Wenn du die Drums und Synthesizer bei ABBA rausnimmst, dann hörst du nur Folk, folkloristische Melodien – und zwar traurige Melodien. Die kommen alle von Benny, und alle steigen sie einfach ab, immer schön nach unten, zumindest die grundsätzliche Linie. Hör mal The Winner Takes It All, das geht immer Daa-daa-daa-daa. (lacht) Ich glaube übrigens, ABBA zu spielen ist eine der besten Arten, Keyboards zu lernen! Egal welches Stück. Wenn man die richtig spielen kann – auch im Timing, im Groove präzise –, dann kannst du es!
Und was genau spielst du nun bei E.S.T.-Symphony?
Am Anfang haben sie mir einfach das E.S.T.-Songbook geschickt. (lacht) Aber dann auch gleich die Arrangements von Hans Ek. Da ist mein Part komplett drin, Note für Note; bei vielen Titeln spiele ich exakt das, was Esbjörn gespielt hat – gerade bei den großen Hits wie From Gagarins Point Of View. Da habe ich nur Freiheiten in den Solos. Bei so einer großen Produktion geht das auch nicht anders, du musst auf das Orchester hören, und vor allem musst du auf Magnus hören, der ist der eigentliche Herzschlag … und am allermeisten natürlich auf den Dirigenten. Es ist wirklich nicht einfach – und dabei bin schon froh, dass ich in Finnland so viele Erfahrungen bei Cross – over-Projekten sammeln konnte! In so eine Produktion kann man nicht einfach mal schnell einspringen.
Was genau macht es denn so schwer – oder was macht es dir so schwer?
Es ist wirklich schwer, in diese Stücke, in diese Melodien hinzukommen – nicht technisch, sondern emotional. Ich hab ja keine Probleme, mich in meine Stücke hineinzufinden, das sind ja meine. Aber diese Stücke, diese Melodien sind zunächst einmal einfacher als meine, wirklich simpler. Mal abgesehen von When God Created Coffee Break. (lacht) Tja, Einfachheit ist immer schwierig!
War das nicht überhaupt das Erfolgsgeheimnis von E.S.T.?
Absolut, denn für Pianisten ist Einfachheit, eine „Less is more“-Denkweise extrem schwierig. Jeder gute Pianist kann schnell spielen, was soll’s also? Wenn man sein Leben als Pianist bestreiten kann, dann ist man dafür offensichtlich technisch versiert genug! Bis auf Monk natürlich, der einzige Pianist, von dem man sagen könnte, er wäre clumsy. Aber ansonsten können wir doch alle buchstäblich die Scheiße aus den Skalen rausspielen, jederzeit.
Doch das Publikum will genau das gar nicht hören – zumindest nicht den ganzen Abend! Und das habe ich auch erst über die Jahre gelernt. Man will sich einfach zu oft selbst beeindrucken, und natürlich will man auch die anderen Bandmitglieder beeindrucken, und man glaubt sogar, man will auch das Publikum beeindrucken – aber auf guten Live-Aufnahmen hörst und spürst du, dass eben genau das nicht funktioniert hat und dass die Momente, in denen du dich zurückgehalten und konzentriert hast, die magischsten des ganzen Konzerts waren.
Das suchst du auch für dein Schaffen?
Ja, das ist jetzt auch die Zeit für mich. Anyone With A Heart ist ganz sicher das ruhigste Album, das ich je gemacht habe. Und ich freue mich über das Feedback, das ich bekomme: Leute können sich die Melodien merken, ja, sie summen sie nach! Das macht mich glücklich! Wohlgemerkt, heutzutage; zu den Zeiten von Trio Töykeät hätte ich es als Beleidigung empfunden: „Deine Musik klingt so schön!“ Was verdammt hätte ich denn da falsch gemacht, ich bin doch nicht Richard Clayderman? (lacht)
Nein, heute ist das eine Bestätigung für mich. Denn es war wirklich schwer, wirklich viel Arbeit. Nicht Arbeit-Arbeit, sondern Denk-Arbeit eben! Und es erfordert Mut. Eben wie Esbjörn ihn gehabt hat. Auch aus diesem Grunde habe ich mir geschworen, nächstes Jahr wirklich kein Konzert in Finnland zu spielen! Und nach den Aufnahmen zu Anyone With A Heart wusste ich auch, dass ich die nächsten Alben mit viel mehr Abstand zueinander produzieren möchte, um meinen Anspruch zu halten. Wir haben alles in nur zwei Tagen aufgenommen. Es war super, aber auch super stressig; ich sollte mein Glück bei so etwas nicht mehr so herausfordern! Und im Jazz gibt es sowieso zu viele Veröffentlichungen.“ (lacht)