Realsamples

Historische Tasteninstrumente digitalisieren

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Die klangliche Essenz eines Flügels oder Cembalos in Einsen und Nullen zu überführen ist eine Kunst für sich, vor allem, wenn man es sich zum Ziel setzt, die Seele des Instruments mit in die digitale Welt hinüberzuretten. Die Libraries des kleinen Unternehmens Realsamples treten an, sich dieser Herausforderung zu stellen.

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Im Interview mit KEYBOARDS spricht Nicolay Ketterer, der kreative Kopf hinter Realsamples, über seine Philosophie und Herangehensweise beim Sampling historischer Unikate.

Wie kamst du auf die Idee, Sample-Libraries zu produzieren?

Eigentlich hat alles mit einem Fretless-Bass angefangen, den ich in erster Linie für mich selbst gesampelt hatte, da mir ein entsprechender Sound in meinen »AWE 64 Gold Soundblaster«-Libraries fehlte. Am Ende hatte ich knapp 3 GB Samplematerial aus 40 Velocity-Werten pro Halbton zusammen. Ich merkte dann recht schnell, dass ich nicht der einzige war, der sich für so eine Library interessierte. Und so sampelte ich neben dem Studium ein Instrument nach dem nächsten, bis da tatsächlich irgendwann ein echter Hauptberuf draus wurde.

Was gab schließlich den Ausschlag, sich auf historische Tasteninstrumente zu spezialisieren?

2007 kontaktierte mich ein Herr Beurmann, der sich im Gespräch nicht nur als ehemaliger Betreiber des Hörspiel-Labels Europa, sondern ebenfalls als Sammler alter Instrumente entpuppte. Bis zu seinem Tod 2016 hat er bis zu 300 Klaviere, Cembali und Spinette zusammengetragen, die er durch den Samplingprozess gerne einem größeren Publikum zugänglich machen wollte. Der Auslöser bestand ursprüngliche darin, einige Instrumente, die er im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe ausgestellt hatte, für die Besucher virtuell anspielbar zu machen.


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Das heißt, er wollte seine Sammlung in digitaler Form zugänglich machen?

Ja, genau. Die Idee war, das Ganze im Museum mit einem Gigastudio-System zu realisieren, an dem Interessierte dann verschiedene Modelle hätten ausprobieren und auf sich wirken lassen können −zum Beispiel die genauen Unterschiede zwischen einem englischen und italienischen Cembalo erfahrbar zu machen. Es war ihm irgendwie mittlerweile ein Dorn im Auge, dass die ganzen Instrumente dort in erster Linie nur zum Anschauen herumstanden. Als Musikwissenschaftler interessierte ihn der Klang, und er hatte viel Aufwand in die Instandsetzung der Instrumente investiert, sodass sie spielbar waren.

Schließlich beauftragte er mich mit der Digitalisierung einiger Exponate seiner Sammlung. Es war schon ein irres Gefühl, durch die Gänge dieses überdimensionalen Herrenhauses zu wandern und mal hier oder da ein paar Töne und Akkorde anzuspielen. Letztlich habe ich Aufgrund der ungeheuren Auswahl über den konkreten Auftrag hinaus noch viel mehr gemacht.

Was macht den besonderen Reiz dieser Instrumente aus?

Unter anderem auch die Stimmungen. Früher lag ein mittleres A bei einem Klavier zum Beispiel oft mal im Bereich von 415 Hz, bei Cembali geht das sogar runter bis auf 372 Hz. Das Interessante ist, dass die Instrumente natürlich auch für diese Stimmungen konstruiert wurden und somit ein komplett anderes Timbre besitzen als zum Beispiel ein moderner Flügel. In den 60er-Jahren fand darüber hinaus eine regelrechte Cembalo-Vernichtung statt, da man der Meinung war: So, jetzt stimmen wir die aber mal richtig!

Wie hast du die Edition in Bezug auf diese Tunings umgesetzt?

Da Umstimmen ja wie gesagt nicht funktioniert hätte, habe ich den für die Instrumente vorgesehenen Kammerton so belassen. Später habe ich dann noch eine digital nachgestimmte Alternativ-Version im Sampler programmiert.

Dann sind also beide Setups in einer Library enthalten?

Genau! Damit du die Sample-Instrumente modern nutzen kannst, aber auch in der historisch korrekten Originalversion. Bei einem meiner ersten Cembali, das ich früher mal für einen Freund gesampelt hatte, habe ich viel Lehrgeld gezahlt, da ich der Meinung war, die Einzeltöne über die Klaviatur normalisieren zu müssen. Damit hatte ich in einem Streich die komplette Binnendynamik des Instruments gekillt. Im Übrigen eine Sache, die auch heute noch bei vielen Piano-Libraries gemacht wird, was letztlich immer zu einem mechanischen und irgendwie künstlichen Klang führt. Das liegt in erster Linie daran, dass Normalisierung nie die gefühlte Lautstärke und Balance berücksichtigt, sondern immer nur dynamische Werte angleicht.

Wie gehst du beim Sampeln vor?

Ich versuche eigentlich erst einmal, alles zu vermeiden, was den Charakter eines Instruments unnötig abstrahiert. Sampeln ist ja ohnehin schon ein Kompromiss, da man ja immer nur Momentaufnahmen anfertigen kann − das ist ja schon eine erste Verkünstlichung. Mein Anspruch dabei ist, so viel Emotion wie möglich vom Instrument einzufangen. Das erreiche ich ohne jede Normalisierung, indem ich eine Art Spannungsbogen von bis zu 32 Tönen pro Taste aufnehme, sozusagen eine Wahrnehmungskurve. Der eigentliche Prozess ist eine sehr intuitive Angelegenheit.

Im Prinzip gehst du also ähnlich wie ein Klavierstimmer vor?

Sozusagen. Einige Firmen verwenden Roboter, um alle Tasten reproduzierbar auszulösen. In der Theorie finde ich die Idee gut, aber die Einzelsamples klangen dadurch meines Erachtens bislang immer härter, ohne die Feinfühligkeit, die ein gelungener Fingeranschlag transportiert. Was viele beim Sampling auch oft unterschätzen, sind die Nebengeräusche der Signalkette. Wenn man nachher ein zehnstimmiges Voicing auf dem virtuellen Klavier spielt, kommen da mit Pedal locker 20 bis 30 Einzelsamples zusammen, die gleichzeitig erklingen. Daher muss man schon bei der Aufnahme auf einen extrem niedrigen Noisefloor achten, da sich das sonst später Note für Note potenziert. Auch ich habe diese Auswirkung in meiner Anfangszeit gründlich unterschätzt. Mittlerweile achte ich sehr genau darauf, wie ich meine Signalkette aufbaue.

Eine Nachbearbeitung der Samples mit Denoisern oder Ähnlichem scheidet für mich im Übrigen komplett aus, da diese dynamisch arbeitenden Algorithmen im Nebeneffekt das Obertonverhalten des Sounds nachhaltig beschädigen. Die Obertöne sind schließlich der eigentliche Schlüssel zu einem vollen und dynamischen Klang. Es ist für mich sehr entscheidend, dass der Sound einen emotional erreicht!

Wie gehst du an die eigentliche Mikrofonierung heran?

Meistens nutze ich ein AB-Verfahren, bei dem ich im Prinzip immer versuche, eine schöne Phantommitte zu bekommen. Ich sehe zu, dass ich mit meinem Stereo-Setup alles perfekt abgebildet bekomme, ein Mikrofon für die Mitte ist dann eigentlich nicht notwendig. Wie es klingen soll, ist ja auch immer ein bisschen Philosophiefrage. Möchte ich den Flügel mit den Ohren des Pianisten oder aus der Zuhörerperspektive erleben? Ich möchte mich als aktiver Musiker, der ich eben bin, auch in genau dieser Weise in einen Sound hineinsetzen können. Dementsprechend biete ich die andere Variante, auch wenn ich die Argumente dafür verstehe, in meinen Editionen nicht an. Mein Ziel ist das unmittelbare Erleben des Sounds.

Das heißt, du mikrofonierst meist sehr dicht am Instrument?

Ja, relativ dicht! Mittlerweile allerdings nicht mehr so dicht wie zu Beginn. Ich möchte aber immer noch einen schönen Bass-Impuls haben. Bei Klavieren habe ich da immer diese amerikanischen Platten im Kopf, auf denen man diesen Pianobass hört, der dich völlig durchdringt. Diesen emotionalen Reiz möchte ich bei meinen Libraries eigentlich immer vermitteln.

Man soll das Holz schwingen hören und spüren?

Ja, sozusagen! Die Gefahr ist meist, dass, wenn man zu dicht herangeht, irgendwann der Nahbesprechungseffekt einsetzt, der das Signal für meinen Geschmack zu sehr verformt. Bei vielen Klassikaufnahmen, die ich mir bisher angehört habe, bevor ich selber an das Sampeln herangegangen bin, stört mich zudem, dass es immer so klingt, als würde man als Hörer ganz weit ab vom Geschehen im Zuschauerraum sitzen.

Welche Mikrofone setzt du bei deinen Sampling-Sessions ein?

Meist nutze ich einen U47-Typ für Klaviere und Cembali, da das Kapseldesign die plastische Unmittelbarkeit des Klangs sehr gut überträgt. Wenn ich allerdings ein sehr dunkles Instrument vor mir habe, wechsle ich auch gerne mal zu einem Neumann TLM 170. Aber auch der eingesetzte Preamp trägt einen nicht unbedeutenden Beitrag zum Gesamtsound bei.

Welche Preamps sind das in deinem Fall?

Ich hatte längere Zeit einen gut funktionierenden Preamp von Crane Song im Einsatz, den ich aber mittlerweile gegen einen Boutique-Amp von DS Audioservice ausgetauscht habe, da ich finde, dass dieser einfach noch lebendiger klingt.

Ist Mikrofon-Matching für dich relevant?

Ich nehme es mit, wenn ich es bekommen kann. Prinzipiell finde ich allerdings, dass bei solchen Dingen viel zu viel Wert auf die physikalische Theorie gelegt wird. In der Praxis entscheidet letztlich doch das Ohr.

Das Thema Phasenlage ist für mich viel entscheidender. Da schaue ich schon ein wenig genauer drauf, dass das Stellsignal da vernünftig rauskommt und nicht zu grob versetzt. Ein paar Töne klingen über den gesamten Bereich natürlich immer etwas anders. Schließlich kommt es aber immer auf das Ergebnis an. Das Gesamtbild muss letztlich einfach stimmig wirken.

Welchen Raum nimmt bei dir die Postproduktion ein?

Ich bearbeite so wenig wie möglich. Schon aus dem Aspekt heraus, dass man dadurch ja eigentlich nicht wirklich etwas besser machen kann. Durch kurze Signal- und Kabelwege versuche ich einfach schon im Vorfeld, dafür zu sorgen, dass das Impulsverhalten maximal gut durchkommt. Den Aufnahmerechner habe ich meist − natürlich komplett akustisch gedämmt − beim Sampling direkt mit im Raum stehen.

Auch beim Thema Raumklang arbeite ich eigentlich immer mit den örtlichen Gegebenheiten, die ich mir im Zweifel eben genau so einrichte, dass es für die Aufnahmen passt.

www.realsamples.de

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