Harald Grosskopf – Synthesist Reloaded
Heutzutage ist es fast schon üblich, dass Musiker alleine am Rechner arbeiten und im Alleingang Komposition und Produktion bewältigen. Ganz anders sah das allerdings in der Zeit gegen Ende der 70er-Jahre aus. Eine Albumproduktion brauchte viel Technik und Personal, gerade wenn elektronische Klangerzeuger mit im Spiel waren. Anstelle von Festplatten und MIDI hieß es damals: Bandmaschine und Steuersignal. 1980 brachte Harald Grosskopf das Solo-Album Synthesist auf den Markt − 2018 lässt er es mit Synthesist Reloaded wiederauferstehen.
Der Schlagzeuger und Ex-Krautrocker Grosskopf hatte sich damals sechs Wochen lang mit einem Berg an Technik in die Wohnung eines Freundes zurückgezogen, um dort in der Zeit ein Album aufzunehmen, das seither Synth-Enthusiasten, Musik-Fans und Sample-Jäger aller erdenklichen Musikrichtungen inspiriert und begeistert hat. Bis zu den Aufnahmen im Jahr 1979 war Grosskopf unter anderem als Schlagzeuger für Künstler wie Klaus Schulze oder der Band Ash Ra (Ex Ash Rah Tempel) von Manuel Göttsching aktiv und spielte eine Musik, die man heute im Allgemeinen der Berliner Schule und dem Krautrock zuordnet. Bands wie Klaus Schulze, Kluster/Cluster oder Tangerine Dream legten damals mit ihren repetitiven Sequenzer-Patterns und monotonen Drums den musikalischen Grundstein für die Musik, die etwas später als Techno/House bekannt werden sollte.
Ca. 1979 hatte Grosskopf angefangen, sich intensiv mit analogen Synthesizern und Komposition auseinanderzusetzen. Gleich im ersten Anlauf entstand sein erstes Soloalbum Synthesist, eine Landmarke elektronischer Musik und inzwischen mehrfach neu aufgelegt. Zwischendurch gab es einen Ausflug in die Neue Deutsche Welle mit dem Elektro-Trio Lilli Berlin − vier Alben, einige Singles − und ein Mitwirken als Sounddesigner auf Achim Witts Album Goldener Reiter, das im Can-Studio in Weilerswist produziert wurde.
Nachdem die ersten Computerprogramme analoge Signale aufnehmen und verarbeiten konnten, stürzte sich Grosskopf nach einer Durststrecke wieder intensiv in die Musikarbeit, produzierte zahlreiche Soloalben und ging Kooperationen mit anderen Musikern ein.
Da war 1994 Steve Baltes, aus dem Techno-Bereich kommend, mit dem er zwei seiner Soloalben und zwei Projektalben − N-Tribe − produzierte, u. a. in Moskau auftrat und welchen er 1997 dann als viertes Ashra-Mitglied in die Band einführte, als gerade eine Japan-Tour angesagt war.
Seit den Aufnahmen zu Synthesist sind nun etwas mehr als 30 Jahre vergangen, und es ist eine ganz neue Generation an Musik dazugekommen. Zusammen mit den beiden Produzenten Andreas Kolinski und Michael Wirtz hat Grosskopf den Synthesist nun zurück in die Gegenwart geholt, die Bänder neu digitalisiert, alte Sequenzen auf neuen Sequenzern nachgebaut und so das Kult-Album von damals mit aktueller Technik von heute neu aufleben lassen. Ich habe ihn in im Studio von Andreas Kolinski bei Krefeld besucht.
Harald, vor deinem Solo-Album Synthesist warst du schon eine ganze Weile in der damaligen Krautrock-Szene als Drummer aktiv. Beschreib doch mal deinen Weg vom Rocker zum Synthesizer/ Elektronik-Künstler. Wie kam das zustande?
Damals lebte ich schon eine Weile in Berlin, war Schlagzeuger in der Band Ash Ra und tierisch begeistert vom Groove der analogen Sequenzer. Das hat mich so sehr angeturnt, dass ich einfach keine Rock-Musik mehr machen wollte. Mich hat dieser Standard-4/4- Beat sehr gelangweilt, und man kann auf technoide Musik einfach viel besser tanzen als zu Rock-Musik. Ich habe meine damalige Band Wallenstein Mitte der 70er genau deshalb verlassen, um mich Klaus Schulze anzuschließen, der damals Schlagzeuger bei Ash Ra Tempel war.
Da wir bei Ash Ra nicht klassisch wie eine Band arbeiteten und dauernd zusammen im Proberaum rumhingen, hatte ich etwas mehr Zeit, die ich dann für meine Soloplatte nutzte. Ich war ja eigentlich Schlagzeuger und wäre sonst nie auf die Idee gekommen, eine Solo-Platte aufzunehmen. Also habe ich meine 8-Spur Bandmaschine, eine umgebaute Revox A87, eingepackt, ein Aufnahmegerät geliehen und mich sechs Wochen in die Wohnung von Udo Hanten (You), der mich zu der Solo-Platten-Idee angeregt hatte, zurückgezogen, um dort an der Synthesist-Platte zu schrauben.
Welches Equipment bzw. welche Synthies hast du dann für das Album genutzt?
Ich hatte damals gar nichts, außer einem Micromoog, der aber keinen so schönen Klang hatte wie zum Beispiel der Minimoog. So einen hab ich mir geliehen. Das Problem war allerdings, damals mehr als heute, dass die ganzen Moogs alle nicht wirklich stimmstabil waren. Wenn man eine 10-Minuten-Sequenz aufgenommen hat und diese dann mit einer zweiten Sequenz doppeln wollte, merkte man schon erheblich, wie sehr die beiden auseinander-»eierten«. Das war teilweise ganz schön frustrierend, denn oft hatte man an dem Punkt dann auch schon die erste Sequenz wieder verloren, es gab ja damals noch keine Presets. Das war zum Teil eine unglaubliche Quälerei. Erst hat man sich tierisch über die ersten Aufnahmen gefreut, nur um kurz danach unglaublich enttäuscht zu sein, weil alles plötzlich total verstimmt und schief war. Wir haben dann eine Glühbirne an das Netzteil vom Moog drangestellt, damit das Ding die Temperatur hielt. Die neuen heutzutage brauchen übrigens auch immer noch eine Viertelstunde, bis die warm sind und die Stimmung stabil bleibt. Ich habe mir vor Kurzem endlich einen brandneuen Moog zugelegt und finde übrigens, dass er genauso toll klingt wie die von damals. Ich höre da jedenfalls keinen Unterschied.
Zum Ende der 70er-Jahre war der MIDI-Standard noch nicht erfunden, wie muss ich mir die Produktion damals vorstellen?
Ich hatte technisch gesehen keine Ahnung, weil ich sowas vorher noch nie alleine gemacht hatte. Bei Studioaufnahmen damals habe ich maximal was an der Lautstärke meiner Drums nachgeregelt, aber von Filterung etc. wusste ich nichts. Auch in das Thema Synthies musste ich mich dazu erst mal einarbeiten. Und ja, damals gab es noch kein MIDI-Protokoll.
Ich hatte die Idee, mehrere Sequenzen parallel laufen zu lassen, wusste aber nicht, wie ich das bewerkstelligen sollte. Zu meinem Glück wohnte damals zufällig jemand im selben Haus, der Synthies baute und reparierte. Er half mir, indem er mir ein Spezialkabel lötete, was es mir ermöglichte, auf dem 8-Spur-Gerät eine Spur zur Synchronisation zu nutzen, um somit die Sequenzer zu steuern. Ich habe mir also selbst alles irgendwie zurechtgefummelt. Nach diesen sechs intensiven Wochen war ich ziemlich verunsichert, ob das, was ich in die Platte reingefühlt und reingehört habe, überhaupt transportiert werden kann. Die Platte verkaufte für die damalige Zeit lächerliche 10.000 Einheiten. Heutzutage würden einem die Füße dafür geküsst werden, damals aber dachte ich, dass alles ein unglaublicher Flopp sei, woraufhin ich die Platte erst mal zehn Jahre nicht mehr gehört habe. Erst jetzt bekomme ich langsam weltweite Resonanzen mit und realisiere, dass es so ein Kult-Album geworden ist.
Synthesist Reloaded wird nun die Reinkarnation des Albums im Jahre 2018 heißen. Seit dem Erscheinen des ersten Synthesisten sind inzwischen mehr als 30 Jahre vergangen, und seitdem hat die Digitaltechnik die Tonstudio- und Synthesizer-Welt komplett revolutioniert. Um die Musik von damals ins Jetzt zu transportieren, hat sich Harald Grosskopf mit den beiden Produzenten Andreas Kolinski und Michael Wirtz ein Team zusammengestellt, dass dieses technisch und musikalisch auch bewerkstelligen kann.
Wie habt ihr euch kennengelernt?
Harald: Ich habe Andreas über unseren gemeinsamen Freund Steve Baltes kennengelernt. Die Jungs haben zusammen mit Gitarrist Axel Heilhecker damals ein Konzertprogramm erstellt, was wir in Eindhoven gespielt haben. Das Projekt hieß Sunya Beat.
Andreas: Lustigerweise war ich damals gar nicht als Musiker mit an Bord, sondern war für die Live-Visuals zuständig. Harald und ich haben 2016 auf dem PsychFestival in Liverpool gespielt, und da konnte man schon merken, dass das alles unglaubliches Potenzial hat. Die Leute dort haben teilweise bei den ersten Tönen der Sequenzen schon angefangen zu jubeln, das waren anscheinend alles Kult-Licks. Ja, das war ein super Konzert, zusätzlich hat Harald noch live Schlagzeug gespielt, und ich muss sagen, dass er einfach einer der besten »Zum Sequenzer«-Spieler ist, die ich kenne. Das ist sowas von tight, unglaublich. Vor der Synthesist-Reloaded-Produktion haben wir zuerst gemeinsam das Album Naherholung produziert, was dann auch der Beginn unserer Zusammenarbeit im Studio war.
Andreas, wie war dann der Ansatz für die aktuelle Produktion/Reproduktion? Worum ging es euch?
Wir haben im ersten Schritt versucht, so nah wie möglich an den Originalsound zu kommen. Dazu haben wir mit meinem Moog Mother versucht, die Sounds nachzubauen, wobei wir allerdings sehr schnell gemerkt haben, dass gerade dieser Haifisch-Sägezahn vom Moog einfach ein anderes Obertonspektrum hat. Auch die Rasterung der Pulsweiten. Der Moog hat fixe Puls-Zeiten, das nachzubauen ging mit dem Moog Mother einfach nicht.
Harald: Es macht ja auch gar keinen Sinn, dass Ding eins zu eins nachzubauen − allerdings haben wir es geschafft, diese Magie bzw. Emotionalität von damals zu erzeugen. Zusätzlich stand alles unter der Prämisse, dass wir das alles auch später live aufführen möchten und natürlich dann diese Magie auch live erzeugen können.
Wie viel Platz habt ihr zum Improvisieren in der Musik eingeräumt, und wie sehr hält man dann am Original fest, damit die Fans vom ursprünglichen Synthesist die Tracks überhaupt wiedererkennen?
Andreas: Wir haben alle Titel in ihre Hauptsequenzen aufgebrochen, die Stücke hatten immer drei bis fünf Linien/Sequenzen, zusätzlich einige kleinere Melodiefragmente. Die habe ich als alter Score-Eater tatsächlich handschriftlich rausgeschrieben. Das alleine hat unglaublich lange gedauert, da Harald damals nicht unbedingt nach klassisch/motivischen Gesetzmäßigkeiten komponiert hat. Es gibt immer das Hauptthema, und danach fängt Harald meistens an zu improvisieren − und das muss man dann nachspielen, weil es echt so ist, dass die Fans die ganzen Improvisationen von damals mit allen Details verinnerlicht haben. (lacht)
Harald: Ich mache generell sehr viel mit Echo-Drums und bin deshalb unglaublich sensibel, was das Thema Latenz angeht. Für meine Solo-Live-Shows oder die Shows mit Eberhard Kranermann (Gründungsmitglied von Kraftwerk) nutze ich zwei Laptops mit Ableton Live. Auf dem einem Rechner laufen die Backings, und der andere, bei dem ich eine extrem kurze Latenz eingestellt habe, ist für die Drum-Samples und das Effekt-Processing zuständig. Mit dem MIDI-Fighter von Techtools regle ich die Echos und das Filtering meiner E-Drums.
Außerdem spiele ich live das neue Drummodul DrumIt Three von 2box und die dazugehörigen Pads. Wenn man Musik und Drums mit Echos auf einem Rechner laufen lassen würde, wäre die Latenz unerträglich − ich versuche live immer, so präzise wie nur irgendwie möglich zu spielen.
Andreas: Ja, das ist live schon ziemlich imposant, wenn du einen Drummer hast wie Harald und dann auch noch die Visuals von Patrick Arnold dazu − als das alles zum ersten Mal live zusammengekommen ist, hatte man wirklich das Gefühl, das Album von damals ins Jetzt geholt zu haben.
Das Publikum auf dem Psych-Festival war vom Altersdurchschnitt her recht jung, und obwohl die Musik ja ein gewisses Alter hat, sind alle drauf eingestiegen. Und das waren jetzt keine Synthie-Nerds oder so …
Michael, du bist der dritte im Bund und deckst ein ziemlich breites Spektrum ab: tagsüber als Toningenieur in der Automobilindustrie und in der Nacht Techno-Produzent. Wie bist du zu dem Projekt dazugekommen?
Michael: Ich habe am IMM in Düsseldorf Ton- und Bildtechnik studiert, Andreas ist einer der Dozenten dort, und wir haben auch nach meinem Studium lose Kontakt gehalten. Ich habe ihn letztes Jahr kontaktiert, weil mich seine Meinung bzgl. einiger Techno-Tracks von mir interessierte, worauf hin wir uns getroffen und das Album gemeinsam zu Ende produziert haben. Das Album erscheint gerade als Digital-Release auf Little Marvin unter Monokompatibel und trägt den Namen Super Wired.
Andreas war begeistert von meinem Modular-System und hat direkt den Zusammenhang zur Musik von Harald Grosskopf hergestellt. So kam ich zum aktuellen Projekt.
Hast du dich in das Thema Synthesist eingearbeitet, dich bewusst mit dem Original-Album auseinandergesetzt, oder gab es keine derartige Vorarbeit und du bist einfach frisch in die Session − wie war da dein Ansatz?
Harald Grosskopf war mir natürlich ein Begriff, da ich mit der Musik aufgewachsen bin. Trotzdem habe ich vorbereitend die Originaltracks gehört, um auch emotional auf die Ebene zu kommen. Die Musik ist langsamer als die Musik, die ich sonst so produziere, weshalb ich etwas voreingenommen in die Sessions gegangen bin.
Wie habt ihr euch die Aufgaben aufgeteilt, wie war die Rollenverteilung?
Harald ist natürlich für die Drums zuständig, da ist er zu Hause, denn er hat ein unglaubliches Timing. Deshalb haben wir uns entschieden, ihn live trommeln zu lassen und das neue Album in Jamsessions zu produzieren. Andreas war für die Melodien und Harmonien zuständig. Er hat die markanten Hook-Lines sowie den harmonischen Content in den existierenden Tracks von Harald analysiert, notiert und nachprogrammiert. Die nun vorliegenden MIDI-Files hat Andreas dann verwendet, um mit seinen drei Moog Mother 32 die bekannten Hooks von Harald nachzuspielen. Darüber hinaus hat er auch den Melodieteil übernommen und im 80er-Jahre-Spirit die Melodien aus den existierenden Tracks mit seinem Virus und dem Nord G2 neu interpretiert.
Erklär mir dein Setup. Wie hast du dich in die Session eingeklinkt, und wie habt ihr eure Systeme synchronisiert? Vielleicht könntest du einmal den Signalfluss beschreiben?
Ich hatte damals noch nicht das Shuttle Control von Endorphin.es und auch noch nicht die Multiclock von E-RM. Deshalb habe ich mein System ganz einfach via Audiosignal synchronisiert. Andreas hat dazu aus dem Rechner einen Rechteck-Impuls in 16teln ausgegeben, den habe ich in meinem Modular-System entsprechend verteilt und fertig. Hinzu kommt noch ein kurzer Reset-Implus bei jedem Neustart, damit alles immer im Sync ist. Die MIDI-Daten hat der O-Coast von Make Noise mit seinem internen MIDI-CV/Gate-Interface gewandelt und entsprechend über Multiples ins System verteilt.
Wie war der »Vibe« während eurer Sessions? Konntet ihr direkt loslegen, oder musstet ihr euch erst aneinander gewöhnen?
Zur Session bin ich mit einem komplett ungepatchten System gegangen. Während Harald seine Drums und Andreas die Signalverteilung der Moogs an den Start gebracht hat, habe ich langsam angefangen, Kabel für Kabel am Modularsystem zu patchen. Beim Hören der Original-Tracks habe ich mir die funktionale Dreiteilung in den Bereichen Transient-Shaping, Hook-Line-Modulation und FX-Gestaltung grob überlegt. Wir haben alle drei anfänglich ein wenig improvisiert, wie ein Orchester kurz vor der Aufführung, dabei hatte ich Zeit, um mein System zu patchen. Man merkt dabei schnell, wenn alle Beteiligten den Flow-Zustand erreicht haben. Man erkennt sofort, wenn es richtig klingt, das ist meist der Augenblick, an dem der Flow-Zustand startet. Dann wird kurz gestoppt, der Record-Button gedrückt, und los geht’s!
Ab Mai 2018 wird Synthesist Reloaded zusammen mit Sweet and Low aus Köln auf den üblichen digitalen Plattformen erscheinen. Für die Vinyl findet man eine Crowdfunding-Aktion über Haralds Homepage. Zusätzlich zu den neu produzierten Synthesist-Tracks und den Remasters der Originalaufnahme wird es Remixe des Synthesisten geben. Die Liste der Remixer hierfür umfasst unter anderem den Komponisten Michael Stearns (Hollywood-Sounddesigner für »Titanic« von Regisseur James Cameron), den Game-Sounddesigner Stephen Erin Dinehart (Lord of the Rings, F.E.A.R.), den Komponisten Kyle Dixon (Stranger Things, Netflix) sowie den Techno/House-Produzenten Niko Schwind (Stil vor Talent).
Einen Artikel von 1992 über Harald Grosskopf kannst du hier kostenfrei herunterladen.