Guy Fletcher und Jim Cox bei Mark Knopfler
Die Dire Straits sind lange Geschichte, seitdem ist Keyboarder Guy Fletcher mit Mark Knopfler unterwegs, der sich auf ruhigere Folk- und Americana-Anleihen besinnt. Ein Gespräch über die Praxistauglichkeit von Synth-Sounds in einer gitarrenlastigen Band, warum sie immer noch Hardware-Sampler statt Rechner auf der Bühne einsetzen – und warum eigentlich kaum ein Keyboarder den „Walk Of Life“-Sound hinbekommt. Darüber hinaus erläutern Fletcher und sein Pianisten-Kollege Jim Cox, warum Piano-Samples klanglich nicht in einem Rockkonzert funktionieren.
Es sind eben jene Rock-Legenden, die sich eigentlich vieles leisten können – trotzdem herrscht auf der Bühne Pragmatismus. Noch immer hat Fletcher Hardware-Sampler statt einem Software-Setup im Gepäck, sein Pianisten-Kollege Jim Cox spielt „künstliche“ Piano-Sounds mit einem Roland V-Piano auf der Bühne, keinen echten Flügel. Das mutet seltsam an für Knopfler, der immer für klanglichen Perfektionismus bekannt war. Warum eigentlich? Bei der aktuellen Tour zu Knopflers Doppel-Album „Privateering“ haben wir Fletcher und Cox getroffen, um dem Pragmatimus nachzuspüren.
Synthesizer-Pionier
Mit Guy Fletcher hat Mark Knopfler einen „Synthesizer-Pionier“ mit an Bord: Der Keyboarder hat Anfang der 1980er bei Roxy Music gespielt, bevor er 1984 – nach einer Soundtrack-Zusammenarbeit mit Knopfler – zu den Dire Straits stieß. Seit dem Ende der Band Mitte der 1990er begleitet er Knopflers Solo-Band und macht nebenbei Filmmusiken. Er betreibt auch ein Forum, in dem er sich um allerlei Fragen der alten Dire-Straits-Fans kümmert.
In der allgemeinen Wahrnehmung war die Truppe – klar – eine Gitarren-Band. Songwriter Knopfler hat sich allerdings schon damals immer mehr als Songwriter denn als Gitarrist begriffen und Songs ganzheitlich arrangiert, durchaus mit prominenten Rollen anderer Instrumente. Das beste Beispiel: Den Dire-Straits-Song „Walk Of Life“ kennt jeder – und doch bekommt kaum ein Keyboarder den Sound hin. Der Song zeigt, wie eng eine gute Pop-Idee und ein schlimmes Klischee beieinander liegen; einfach nur ein ähnlicher Sound, ohne die Chorus-artige Schwebung, und die Melodie wirkt nahezu unerträglich belanglos. „Das Hauptriff besteht aus zwei parallel gespielten Tastaturen: Ein modifiziertes Yamaha DX1-Organ-Preset, das einen Farfisa-artigen Orgel-Sound liefert. Der zweite, Akkordeon-artige Sound entstammt dem Synclavier. Kein Wunder, dass das bisher keiner richtig hinbekommen hat!“ erzählt Fletcher.
Er schlägt einen DX7 als Ausgangsbasis vor, um dem zumindest nahezukommen. Das hat Guy Fletcher – neben seinem Keyboard-Spiel selbst – letztlich bei den Dire Straits ausgemacht; die „Sound-Lücke“ zu finden, in der etwas angenehm unverbraucht und interessant klingt. So auch beim Synthesizer-Intro zu „Money For Nothing“, dessen grundtöniges Pattern ebenfalls vom Synclavier stammt. „Das habe ich damals die ganze Zeit gemacht: Presets modifizieren, als Synthesizer zum ersten Mal mit Presets auf den Markt kamen.“
Es wirkt wie ein Blick in eine andere Welt, als die Sounds noch eine Aufbruchsstimmung vermittelten. „Ich fand praktisch heraus, dass es eine Nische für Soundprogrammierung gab, weil sich noch niemand wirklich damit auskannte.“ Durch seine Arbeit mit dem sündhaft teuren Synclavier verstand er, wie FM-Synthese funktionierte. Heute mache er das kaum noch. Bei aktuellen virtuellen Instrumenten, den Emulationen der Vergangenheit, werden die berühmten Sounds bereits fertig mitgeliefert, eine Liste zum Durchklicken durch die Pop-Geschichte, fast so, als ob die heutige Klangwelt lediglich eine Art Tribut an die alte Zeit darstellt. „Doppelter Schwachsinn!“ lacht Fletcher.
Hardware vs. Software
Die Vergangenheit kommt einem auch bei dem Blick auf Fletchers aktuelles Tour-Setup in den Sinn: Er benutzt immer noch alte Akai-Sampler, das S6000-Modell, den letzten klassischen Hardware-Sampler. Der sei fantastisch, versichert Fletcher.
№2/3 2017
- Editorial
- Facts & Storys
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- Mit Mark Forster auf Tour
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- Amy Lives: Xanthoné Blacq
- Ströme− Eurorack Clubbing
- MARIO HAMMER & THE LONELY ROBOT
- Peter Pichler: Bewahrer des Trautoniums
- NONLINEAR LABS C15
- AKAI MPC LIVE
- GIPFELSTÜRMER: NOVATION PEAK
- Auf Lichtung gesichtet: Bigfoot
- Gute Vibes im Museum
- DIE HOHNER-STORY
- Transkription − Chuck Leavell: Song For Amy
- Impressum
- Inserenten, Händler
- Das Letzte − Kolumne
Warum sie bei Mark Knopfler immer noch Hardware-Sampler und „geschlossene“ Stage-Pianos verwenden, keine Rechner-Systeme, etwa für modellierte Piano-Sounds? Sie meiden normale Computer auf der Bühne, erzählt er, das seien offene Systeme mit entsprechender Anfälligkeit. „Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn ein derart komplexes System ausfällt und man keinen sofort verfügbaren Ersatz hat.
Aktuell haben wir für alle Keyboards, Hardware-Synthesizer und Sampler Ersatzgeräte dabei. Wir wissen aus langer Tour-Erfahrung, dass alles mal kaputtgehen kann, und tauschen es schnell aus.“ Mit seinen Akai-Samplern hatte er allerdings all die Jahrzehnte noch keine Probleme. „Früher sind oft die Hammond B3-Orgeln ausgefallen.“
Digitale Flügel-Sounds
„Für die Tour wollten sie keinen richtigen Flügel mitschleppen, was ich verstehen kann.“ erzählt Pianist Jim Cox. Auf der Bühne setzt die Band ein Roland V-Piano ein. Der Grund für den Verzicht auf einen akustischen Flügel liegt schlicht in der Logistik. „Es wird immer einzelne Auftrittsorte geben, wo sich Temperatur und Feuchtigkeit stark ändern. Man lädt morgens alles aus, und am Abend auf der Bühne ist es 30 Grad wärmer. Das Klavier wird heiß und kühlt danach wieder runter.“ Temperatur- und Feuchtigkeitsänderungen erschwerten das Halten der Stimmung ungemein, erzählt er. „Normalerweise engagiert man jeweils einen lokalen Klavierstimmer am Auftrittsort. Der wird dann immer irgendwann aufgeben und sagen: ‚ich hab getan, was ich konnte! Vor fünf Minuten hat es noch gestimmt!‘“ (lacht)
Ob digitale Pianos ein „Flaschenhals“ des eigenen Ausdrucks sind, eben weil der Klang nicht akustisch „mit den eigenen Fingern“ erzeugt wird? “Ja, es ist eine Limitation, aber sie werden besser und besser.“ erzählt Cox. „Wie gut das Ergebnis funktioniert, hängt davon ab, wie die Tastatur reagiert. Das Schöne am V-Piano ist schon mal, dass es normalgroße Piano-Tasten hat.“
Die Textur fühle sich wie bei einem Flügel an. „Bei In-Ear-Monitoring, wie wir es verwenden, ist der Unterschied zum akustischen Original am auffälligsten – dann kommt kein Sound von außerhalb. Wenn man also improvisieren will, fehlt dieser akustischen Impuls vom Instrument.“ Das sei abstrakter, gerade wenn man nur auf einer Seite einen Stöpsel im Ohr hat – er müsse dann den Monitor-Mann bitten, noch etwas vom V-Piano-Signal über eine normale Monitorbox zu schicken. „Über die Monitorbox entstehen um einen herum Geräusche und Vibrationen.“
Das theoretische Ideal auf der Bühne bleibe indes die „klassische“ Variante: „Ein großartiges Piano, gut abgenommen, in einer kontrollierten Situation.“ Aber auch manche aktuelle Produktion schlägt trotz der logistischen Hürden noch bewusst den „klassischen“ Weg ein: Cox war jahrelang mit der Tour-Band von Lyle Lovett unterwegs, dort hatte man einen großen Yamaha-Flügel im Gepäck.
Samples vs. Klangsynthese
Und der digitale Piano-Klang selbst, im Vergleich zu moderner Sampling- oder Modeling-Software? „Wir fanden heraus: Je komplexer der emulierte Piano-Klang, desto schlechter trägt er draußen im Konzertsaal.“ erzählt Fletcher. Es gehe um Durchsetzungsfähigkeit im Bandgefüge, und über PA-Verstärkung in den selten optimalen Konzerthallen. „Das V-Piano klingt in großen Hallen besser als ein komplexeres, gesampeltes Piano.“
Samples ergänzen sich anders bzw. „schaukeln“ sich anders auf als die Töne bei einem akustischen Instrument. „Es gibt viele großartige Piano-Samples, aber sie funktioniert oft nur für bestimmte Anwendungen, zum Beispiel langsame Balladen, mit viel Platz zum Entfalten der Töne. Wenn man ‚rockt‘, haben sie oft nicht den nötigen Biss und die Durchsetzungsfähigkeit.“
Samples sind ungemein praktisch, aber man muss sich der Einschränkungen bewusst sein. Jim Cox: „Du willst einen Piano-Sound nicht zu breit und dick auf der Bühne haben. Wir spielen in Myriaden verschiedener Hallen. Wenn ein Piano-Sound zu breit ist, dann ist es viel Arbeit, den ‚einzudampfen‘ und einzupassen.“ Mit dem Roland V-Piano seien sie klanglich sehr zufrieden. „Auch in unserem In-Ear-Mix funktioniert der Sound wirklich gut!“
Als Alternative zum V-Piano hat er für sich zu Hause das Casio Privia entdeckt: „Das ist unglaublich! Es fühlt sich dank der gewichteten Tasten wie ein Klavier an, klingt richtig gut, hat Lautsprecher eingebaut, und man kann Audio aufnehmen.“ Dazu wiegt es nur 11 kg, ist tragbar und mit 559 Euro recht günstig. Das sei ein guter Kompromiss.
Täuschend echte Hammond-Optik
Stichwort digitale Klangerzeugung: Guy Fletchers Hammond sieht auf den ersten Blick wie eine große, alte, schwere B-3 aus. Darauf angesprochen, lächelt er, die Augen glänzen. Wieder einen auf die falsche Fährte gelockt. „Es sieht so aus, nicht wahr? Ich habe von Hammond das Prototypen-Gehäuse gekauft. Man kann es in zwei Teile zerlegen: Oben ist eine XK-3C, die man herausziehen kann, darunter ist ein zusätzliches Manual im Gehäuse eingebaut. Es täuscht jeden, nur nicht mich als Spieler.“ Sie klinge sehr nah am Original, nur mag er das Spielgefühl nicht. Die Tasten sprechen viel direkter, härter an. „Die Tasten bei einer normalen B-3 gehen tiefer nach unten, bevor der Ton erklingt.“ Das sei für Glissandi hilfreich – für die typischen „Schweinerock“-Fahrten quer über die Tastatur. „Bei der Tastatur der digitalen Variante kommen die Töne schneller, dadurch entstehen Vorschlagsnoten, die gar nicht kommen sollten.“ Die Einstellung sei zu sensibel, man könne sie leider nicht anpassen. „Dafür klingt das Ergebnis gut.“
„Bandtaugliche“ Keyboard-Sounds
Gerade in gitarrenorientierten Bands sind „passende“ Keyboard-Sounds, die sich nahtlos ins Geschehen einfügen, oft schwierig. Aber worin besteht ein „bandtauglicher“ Keyboard-Sound eigentlich? Fletcher fällt dabei sein Nord-Synthesizer ein, den Klang, die Tatsache, dass er nicht zu kompliziert sei.
„Synthesizer mit guten, einfachen Oszillatoren funktionieren immer besser in einer Band, besonders in einer so großen wie unserer!“ Sie sind teilweise bis zu neun Musiker auf der Bühne, mit traditionellen irischen Instrumenten, Pianist, Keyboarder, zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, sowie gelegentlich einem Saxofonisten – klanglicher Platz ist also rar. „Oft passen da keine großen, breiten, Multi-Layer-Klänge.“
Die sind ihm ohnehin ein Gräuel: „Wenn du ein Keyboard im Laden anspielst, hat es Presets mit diesen großen, breiten Sounds. Die sind komplett unbrauchbar! Keines davon macht im musikalischen Kontext Sinn. Moderne Synthesizer haben den Faden verloren, was das angeht.“
Er bevorzuge etwa einen Minimoog, einen Prophet, Roland Jupiter-8 oder einen Yamaha CS-80. Warum die funktionieren? „Es liegt daran, dass sie Sounds produzieren, die nicht mehr Platz im Mix beanspruchen als eine einfache Gitarre. Sie passen in ein Arrangement und sind nicht zu massiv. Die Sounds, die ich mit Mark verwende, sind meist sehr einfach gehalten.
Oft sind es Pads, die kommen mit der Gitarre nicht ins Gehege.“ In der Knopfler-Truppe steht dann auch das passende Arrangement im Vordergrund, damit jeder dem Gesamtsound dienlich spielt und seinen Platz findet. „Die Art, wie die Songs geschrieben und arrangiert sind, macht es überhaupt möglich, dass eine so große Band sie umsetzen kann. Natürlich spielen wir auch nicht immer alle gleichzeitig.“
Die Reduktion gilt dann auch für die Sounds selbst, die bleiben beim Konzert meist banddienlich spartanisch, etwa „Brothers In Arms“: Im Studio kam hier neben einer Hammond ein Yamaha GS-1 zum Einsatz. Er wünschte, den hätte er noch: „Diesen wunderbaren, lebendigen Yamaha-Chorus-Pad-Sound wie beim CS-80, allerdings war der beim GS-1 noch besser.
Heute spielen wir den Song nur mit Hammond.“ „Walk Of Life“ ist unterdessen schon lange nicht mehr im Knopfler-Tour-Programm. Auch schließt Guy Fletcher gerade mit der Vergangenheit ab. Bei einer Online-Auktion hat er neulich seinen alten Roland Jupiter-8 Synthesizer verkauft, die alte Version, noch mit 12-Bit-Wandlern und ganz ohne MIDI. Der Jupiter-8 war sein Hauptsynthesizer zu Dire Straits-Zeiten.