Gregor Schwellenbach im Interview
»Der Schwellenbach ist doch klassischer Pianist«, dachte ich vor meinem Interview mit dem Kölner Künstler. Damit galt er für mich immer als Exot unter den Artists des Elektro-Labels Kompakt. Dabei enthält sein Portfolio neben klassischer Piano- und experimenteller akustischer Musik sowie ausarrangierten Orchestrierungen auch Minimal und House. Sein »Elektro-Hit« Cassiopeia von 2015 zählt auf Spotify bereits über 1,2 Millionen Klicks. Im Dialog spreche ich mit Gregor über seine Musik, seinen Facettenreichtum, den Kontrabass, Kölsche Musik und Vanilleeis.
Gregor Schwellenbach ist gebürtig aus Sankt Augustin, lebt in Köln und fühlt sich dort auch »ze Hus«. Das beweist er bei einem Auftritt im WDR, als er live ein Medley aus »En unsrem Veedel« und »Yesterday« zum Besten gibt − natürlich mit einem kleinen Augenzwinkern.
Songwriting – Tools und Methode zur Steigerung der Kreativität – Gregor Schwellenbach – Wochenrückblick #51
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Gregor, zu deiner Arbeit zählen Theater-, Fernseh- und Hörspielproduktionen. Daneben produzierst du klassische, experimentelle und elektronische Musik, und du bist dir nicht zu schade, um als Entertainer Kölsche Songs live zu spielen. Gibt es eigentlich etwas, das du nicht machst?
(lacht) Die Kölschen Songs gehören eigentlich nicht zu meinem Portfolio, aber wenn ich denke, dass es das ist, was das Publikum in dem Moment gerade braucht, kann ich auch das.
Ich versuche, nichts zu machen, was ich nicht tatsächlich aus einer künstlerischen Motivation machen will. Ich habe das Glück, dass ich die Sachen, die andere vielleicht notgedrungen machen, gerne mache. Ich genieße seit einiger Zeit das Privileg, keine Projekte nur wegen des Geldes zu machen oder weil ich mich dazu gezwungen fühle. Ich mache tatsächlich nur die Sachen, bei denen ich auch das Bedürfnis habe, sie zu tun. Es ist ein großes Glück, dass ich mir das leisten kann.
(Bild: Jan Höhe)
Wie kommt es, dass ein Pianist bei einem Elektro-Label unter Vertrag steht?
Ich spiele zwar Klavier, aber eigentlich sehe ich mich nicht als Pianist. Ich bin auch kein besonders virtuoser Pianist. Mein Klavierspiel kommt aus dem Bedürfnis, Musik zu machen. Ich spiele Klavier auch eher wie ein Komponist oder ein Arrangeur, der eine gewisse Melodie im Kopf hat und sie umsetzen möchte. Was für einen Maler die Bleistiftskizze ist, ist für mich das Klavier. Ich erstelle am Klavier eine Skizzierung der Musik, die ich im Kopfe habe, und kann sie dort ausproduzieren und aufnehmen lassen.
Ich fühle mich bei Kompakt in einem Elektro-Techno-Umfeld viel besser aufgehoben als bei einem Label, das auf akustische Musik spezialisiert ist. Wenn mich jemand fragt, welche Musik ich mache, sag ich auch genau das: ›Ich bin zwar klassisch ausgebildet, aber bei einem Elektro-Label unter Vertrag!‹ Dann bekommt man schon eine gewisse Ahnung davon, was ich mache und wie mein Set funktioniert.
Ich mag die Kompakt-Clique, die wegen ihrer Verspieltheit, ihrer Autonomie und wahrscheinlich auch wegen des lokalen Bezugs total prägend für meinen Musikgeschmack war. Ich finde, das passt einfach zu mir, und ich mag es gerne, meine Musik, die mit einer klassischen Tradition zusammenhängt, mit der Techno-Szene zu verbinden.
Durch die Kompakt-Clique haben sich auch viele Co-Produktionen und Features von dir ergeben. Wie sieht da die Zusammenarbeit aus?
Das ist immer unterschiedlich. Was allerdings total typisch ist, ist, dass ich bei elektronischen Produktionen den Akustik-Part übernehme. Ich spiele also alle Instrumente, die eingespielt werden müssen, egal ob Gitarre, Kontrabass, was ich übrigens studiert habe, Piano oder Synthesizer.
Ich bekomme die MIDI-Spuren, die so skizziert sind, wie es klingen soll. Ich schreibe dann erst einmal die Noten auf und ändere sie so, dass, wenn das Stück vom Instrumentalisten später eingespielt wird, der Spirit, den der Künstler mit dem Track ausdrücken möchte, erhalten bleibt. Dafür brauche ich meine beiden Skills, dass ich erstens ein gutes Gespür für elektronische Musik habe und erkenne, worum es dem Produzenten oder der Produzentin geht, und verstehe, was die emotionale Aussage der Spur sein soll. Das kann ich dann auch gut dem Instrumentalisten vermitteln.
Das Ganze nehme ich dann auf, mache einen Premix und editiere alles, und dann übergebe ich es in einer Art Sample-Library an den Produzenten.
Wie kam es dazu, dass du Kontrabass studiert hast?
Ich bin mit 14 auf die Jazz-Schiene gewechselt. Jazz wollte ich aber nicht studieren, weil mir das zu einseitig war, ich wollte etwas Universelles studieren und habe mit dem klassischen Klavier begonnen. Verschiedene Professoren haben mir dann aber gesagt, dass ich für das klassische Klavier nicht gut genug bin. Ich hatte Kontrabass als Zweitinstrument gewählt, dann aber gemerkt, dass ich mit Kontrabass die Chance habe, zu studieren. Dann habe ich Klavier zu meinem Zweitinstrument erklärt und mit Kontrabass als Hauptinstrument Schulmusik studiert.
Hast du für deine Produktionen ein Studio?
Ich habe ein Studio zusammen mit Matthias Keul, der für mich eine Kölner Keyboarder-Legende ist. Seine Musik habe ich schon als Teenager gehört. Er hat einen alten Steinway-Flügel, den ich gerne für Klaviersachen nutze. Über die Jahre hinweg habe ich mir aber auch viel 70er-Jahre-Vintage-Equipment zugelegt: viele Rundfunk-Preamps, alte Mikrofone, den neuen ARP Odyssey mit den großen Tasten, jede Menge alte Spielzeug-Keyboards von Yamaha und Casio, die ich klanglich sehr schätze, und ein Rhodes MK1, das ich als Kind immer haben wollte und damals für mich als Keyboarder das einzige Instrument war, das erschwinglich war. Allerdings haben mir zu dem Zeitpunkt alle von einem Kauf abgeraten; ich solle mein Geld sparen und in einen digitalen MIDI-Synthesizer investieren. Blöderweise habe ich darauf gehört. Ich habe mir dann damals also kein Rhodes für 400 Mark, sondern 20 Jahre später eins für 1.000 Euro gekauft.
Kleine Sachen produziere ich selbst bei mir im Studio. Wenn die Besetzung größer als zehn Musiker ist, nehme ich mir Engineers dazu. Ich habe bereits mit zehn- oder zwölfköpfigen Bläser- und Streichergruppen gearbeitet oder auch mit großen Orchestern, die dann aber ihre eigenen Techniker und auch Räume für die Aufnahme haben. Da muss ich dann nur die Noten schreiben.
(Bild: Michael Schaab)Du hast gerade dein eigenes Label Galerie gegründet. Warum?
Ich wollte Musik rausbringen, die nicht zu anderen Labels passt. Für Kompakt hat sie zum Beispiel zu wenig mit Club-Kultur zu tun. Ich wollte mit Einzel-Releases aber auch nicht zu einem anderen Label gehen, weil ich mich ja bei Kompakt sehr wohlfühle. Deshalb dachte ich, dass es Sinn macht, mein eigenes Label zu gründen, wo ich Sachen rausbringen kann.
Der erste Release The Body As Archive ist eine sehr experimentelle und ultra-minimalistisch komponierte Musik, die ich für einen Film geschrieben habe, dann aber gemerkt habe, dass sie auch eigenständig funktioniert. Das zweite ist ein Live-Mitschnitt eines Konzerts, bei dem ich zusammen mit Kurt Wagner von Lambchop gespielt habe. Der dritte Release wird Orgel-Musik von Johann Sebastian Bach sein, die ich für einen Kinofilm produziert habe, der 2019 erscheint.
Wie entstand die Idee zu The Body As Archive, einer so minimalistischen und experimentellen Musik mit sehr reduzierter Instrumentierung?
Der Film ist ein Dokumentarfilm über den Zusammenhang zwischen Choreographie und Neurologie. Eine sehr abstrakte Fragestellung, die aber trotzdem sinnlich ist. Ich habe dann gemeinsam mit dem Regisseur und dem Produzenten des Films überlegt, wie das Konzept aussehen könnte, und alte Produktionen von mir und andere Musik zusammen durchgehört. Dabei haben wir gemerkt, dass eine sehr minimalistische Schiene im Film sehr gut funktioniert.
Ich habe dann versucht einfach, sehr abstrakt und sinnlich zu sein, und kam dann darauf, nur Instrumente zu spielen, die ich selber spiele, also Klavier, Synthesizer, Rhodes und Kontrabass. Da ist auch nix programmiert! Heraus kam eine Musik, die keine Melodien, keine Harmonien und keinen richtigen Rhythmus hat. Es ist oft nur der Klang der Instrumente selbst. Wenn man wissenschaftlich versucht, ein Thema wie Bewegung zu verstehen, dann analysiert man es und stellt es in ein Regal. So habe ich versucht, die Klänge auseinanderzupflücken und sie einzeln hintereinander aufzureihen, um diese Suche nach Ordnung und Struktur anzutriggern, während man gleichzeitig in einer sinnlichen Welt ist. Das wollte ich mit der Musik zum Ausdruck bringen.
Die Musik von The Body As Archive unterscheidet sich sehr stark zu deinem House-Hit Cassiopeia. Gibt es bereits in der Entstehung zu diesen verschiedenen Arten von Musik einen Unterschied?
Cassiopeia ist ein Musterbeispiel und ein Sonderfall, weil es in der Entstehung relativ leicht von der Hand ging. Live habe ich als Zugabe immer einen Song von Kölsch gespielt. Im selben Sommer hat er sein Set immer mit einem Track von mir begonnen. Deshalb kam es dazu, dass wir auch mal was zusammen machen wollten. Er hat mir dann eine Skizze geschickt, die ich etwas geändert habe. Dazu habe ich dann innerhalb eines Tages Klavier und Streicher aufgenommen. Das war auch ganz easy, weil der Track ja total basic ist: ein Beat, ein House-Piano in a-Moll, vier Takte Geigenmusik, und das war’s. Bei der Entstehung wusste ich, was zu tun ist, es hat mir Spaß gemacht, und ich habe es einfach getan. Vielleicht ist es auch genau deshalb mein erfolgreiches Stück, was ich je gemacht habe.
The Body As Archive dagegen ist eine Filmkomposition. Ich habe dann erst mal ein diffuses Bild davon erstellt, welche Art von Musik dieser Film überhaupt braucht. Das war ein Ringen und Suchen und ein Prozess, der über mehrere Wochen ging, mit sehr viel Ausprobieren. Irgendwann ist dann der Knoten geplatzt, und ich hatte einen Ansatz.
Ein ganz großer Unterschied ist, dass bei Cassiopeia die Einfachheit des Tracks die Provokation ist. Er geht einfach auf die 12 und ist vielen meiner Techno-Freunden eigentlich zu simpel. Das genau finde ich aber gut, weil es eine Art der Musik ist, die mich glücklich macht. Da denke ich: „Ihr könnt sagen, was ihr wollt, ich finde den Track trotzdem gut!“ Das ist so wie Vanille-Eis, es gibt viele verschiedene Sorten, aber trotzdem das eine, das man gut findet.
Bei The Body As Archive ist die Provokation, dass es nichts anderes gibt, was so klingt. Es ist groß und sperrig und hat diesen „Was soll das denn?“-Effekt, weil es so minimalistisch ist. Ich finde, man kann es nur mit sehr großer Konzentration hören. Das hat natürlich viel weniger Reichweite, weil es eher ein Kunstprojekt ist. Das ist das andere Ende meines Spektrums, zwischen Musik, die ansprechend ist, und der Musik, die vom Hörer ganz viel verlangt.
Startest du beim Songwriting mit dem Klavier?
Das kommt auf das Projekt an. Entweder starte ich elektronisch in Ableton, wo ich Samples und Klänge reinlade und damit rumspiele. Manchmal jamme ich auch im Studio mit meinen Instrumenten wie Gitarre, Bass und allen möglichen Keyboards. Oft gehe ich auch spazieren, singe etwas vor mich hin und schreibe es dann in Noten auf. Selten fange ich mit dem Klavier an – mit ihm setze ich dann eher das um, was ich im Kopf habe. Es gibt da keinen Standard.
Woher kommt dein Facettenreichtum?
Ich interessiere mich für sehr viele Sachen und möchte ganz viel rausfinden! Ich bin ja über Film-, Theater- und Fernsehmusik zum Musikmachen gekommen. Davor habe ich 10 bis 15 Jahre lang nur Musik für andere gemacht. Erst dann habe ich unter meinem Namen angefangen, Musik zu machen. Ich brauch immer erst eine Inspiration, die von außen kommt. Bevor ich also selbst loslege, analysiere ich erst ein Thema, vielleicht aus einem Buch oder einem Film, und möchte es verstehen, trage ganz viele Informationen zusammen, und erst daraus entstehen meine die Ideen. Das ist vielleicht auch der Grund, warum ich viele Kollaborationen eingehe oder die Musik von anderen einbeziehe.
Was sind deine nächsten Projekte?
Ich werde oft als klassischer Pianist abgestempelt. Es ist für mich wie eine Pendelbewegung, gerade habe ich zwei Kunstplatten und davor zwei Elektro-Sachen produziert, aktuell bin ein normaler Komponist, aber zurzeit denken viele: „Ach, du bist ja der Pianist, der auch Techno macht.“ Deshalb werde ich wohl als Nächstes auch wieder etwas Clubbigeres machen!
Rauschender Charakter
Gregor hatte mir vor dem Interview sein Album The Body As Archive geschickt, und ich muss sagen: Bei mir hat er den „Was soll das denn?“-Effekt definitiv erzielt. Die Musik ist sehr experimentell und minimalistisch. In einem Stück, The Body As Archive Pt. 3, hört man lediglich vereinzelte Kontrabasstöne, ohne erkennbaren Rhythmus und ohne Melodie. Es erklingt einfach immer wieder derselbe Ton in unregelmäßigen Abständen und einem langen Ausklang. Daneben hört man das Rauschen der Mikrofone, den Raum und auch das Knarzen eines Stuhls, was dem Ganzen tatsächlich einen sehr besonderen Charakter verleiht. Auch wenn ich mit solcher Musik nichts anfangen kann, da ich immer eine Melodie und ein Schema brauche, ist es tatsächlich so, dass man aufmerksamer hinhört, weil man sich immer fragt, ob da noch mehr kommt. Und darauf wartet, dass etwas passiert. Genau das wollte Gregor erzielen.
Sein Track Cassiopeia ist vom Genre her natürlich das komplette Gegenteil. Dennoch ist seine Art, zu komponieren und wenig Mittel gezielt einzusetzen, erkennbar. Einzigartig ist für mich, dass er es trotz der Einfachheit schafft, so facettenreich in verschiedenen Genres unterwegs zu sein und seinem Motto treu zu bleiben.
Ich freue mich sehr darauf, Gregor am 24.11. bei den von uns veranstalteten Kunstkonzerten live zu erleben. Infos zum weiteren Programm findet ihr in diesem Heft auf Seite 24. Vielleicht gibt es auch Kölsche Musik und Vanilleeis.