Goodbye Mr. Mellotron
Dass ich diesen rüstigen alten Engländer, der zusammen mit seinen Brüdern das legendäre Mellotron gebaut hatte, und von seinen Freunden kurz „Les“ genannt wurde, noch zu Lebzeiten kennenlernen durfte, war mal wieder einer dieser sogenannten Zufälle im Leben.
Meine „Mellotron-Story“ in dieser Zeitschrift (KEYBOARDS 2/94 bis 5/94) hatte nach der umfassenden Darstellung von Geschichte, Technik und Klang dieses analogen Vorfahren des heutigen Samplers mit der Bitte geendet, man möge mich doch über jede weitere Aktivität der scheinbar spurlos verschwundenen Herstellerfirma dieses „Tonband- Keyboards“ informieren.
Prompt kam frohe Kunde in Form eines aufregenden Anrufes aus Bremerhaven. Ein lieber KEYBOARDS-Leser versicherte mir, dass in der Nähe von Birmingham/GB Les’ Sohn John Bradley das Werk seines Vaters fortführe und es endlich wieder alles an Mellotronmodellen, Sounds oder Ersatzteilen zu kaufen gäbe!
Mellotronfreaks haben sofort die Flöten- und Geigenklänge solcher Klassiker wie ,Strawberry Fields Forever‘ (The Beatles) oder ,Nights in white satin‘ (The Moody Blues) im Ohr. Für das von 1963 bis 1986 gebaute Keyboardfossil existierte mehr als ein Jahrzehnt lang keinerlei Service mehr. Seine Technik, ein knapp zwei Meter langes, dreispurig mit Originalinstrumenten bespieltes Stück Tonband für acht Sekunden unter jeder (!) der 35 Tasten von jeweils 35 Tonköpfen abspielen und beim Loslassen der Taste per Spiralfeder zum Bandanfang zurückkehren zu lassen, hatte bei der Einführung des Mellotrons im Jahre 1963 nicht nur die Creme der Rock- und Popszene begeistert, sondern auch eine eigene Sparte des Progressive Rock ins Leben gerufen. Bands wie King Crimson, Genesis oder Yes verdanken dem Mellotron einiges. Mit dem Mellotron war es zum erstenmal in der Geschichte der Musik möglich geworden, auf einem Tasteninstrument echte, d. h. nicht synthetisch hergestellte Klänge von Streich- und Blasinstrumenten, Orchestern oder Chören polyphon zu spielen.
Geschichten vom Anfang
Nach einem freundlichen Telefonat mit John Bradley’s Kompagnon Martin Smith stand schon bald ein Termin für das Interview mit Les Bradley im ländlichen Blithbury bei Birmingham fest. Dort erschien ein freundlicher, bestens aufgelegter Les Bradley, dem man seine fast 80 Jahre und die erst kürzlich überstandene Krebsoperation nicht anmerkte.
KEYBOARDS: Les, was habt ihr drei Bradleybrüder eigentlich vor dem Mellotronprojekt gemacht?
Les Bradley: Nun, im Jahr 1932 gründete mein Vater die Firma „L.C.Bradley & Sons“. Ich bin von Anfang an dabeigewesen, meine jüngeren Brüder Norman und Frank kamen erst nach ihrem Schulabschluss hinzu. Wir stellten fast alles her, Spielautomaten, Waagen, verschiedene Mechaniken, etwas Elektronik, Mahlwerke, fast alles, was man als Ingenieur so herstellen kann. Als 1939 der Krieg begann, mussten wir die Produktion umstellen, denn für uns stand schon bald zur Entscheidung, ob wir in die Army oder in die Rüstung gehen wollten. Als Handwerker lag für uns natürlich die Entscheidung auf der Hand, künftig elektrische Motoren und Bauteile für die Marine herzustellen.
KEYBOARDS: Was habt ihr nach dem Krieg gemacht?
Les: Wir bauten in den ersten Jahren Schneidewerkzeuge und als Vaters besonderes Steckenpferd Kirmesautomaten, aus denen man kleine bedruckte Karten ziehen konnte, auf denen die Zukunft vorhergesagt wurde. Erst 1949 begannen wir Tonköpfe herzustellen, lange nachdem die Amerikaner euer deutsches „Magnetophon“-Tonbandgerät mit rübergenommen hatten. In den USA war es übrigens ,Mr Jingle Bells‘ Bing Crosby, der als erster ins Tonbandgeschäft einstieg und ,Ampex‘ gründete. Als die ersten Informationen über die Konstruktionsweise von Tonköpfen veröffentlicht wurden, entwarf mein Vater verschiedene Kopftypen, die unter dem Namen ,Bradmatic‘ zu Hunderten z. B. nach Australien oder Neuseeland verkauft wurden. Bis circa 1960 konzentrierten wir uns ganz auf die Herstellung von Tonbandgeräten und Köpfen. Dazu kamen später Verstärker, Zeitschaltmechanismen und eine unserer speziellen Erfindungen, ein Tonkopf, den man, nachdem er auf der einen Seite verschlissen war, einfach umdrehen und weiterbenutzen konnte. Im April 1962 rief uns der Amerikaner Bill Fransen wegen einer größeren Bestellung von Tonköpfen an. Wir trafen ihn zum ersten Mal bei Auslieferung der Ware in seinem Londoner Hotelzimmer und er stellte uns zwei von dem Amerikaner Harry Chamberlin erbaute ,Chamberlin- Mellotrones‘ vor.
KEYBOARDS: Wie, gab es damals schon den Namen ,Mellotron‘ für diese Prototypen?
Les: Es waren absolut keine Prototypen, sondern vollfunktionsfähige ,Tonbandkeyboards‘ der zweiten Gerätegeneration mit bereits verbessertem Bandrückholmechanismus. Chamberlin hatte in Handarbeit alle Geräte seit ca. 1951, anfangs in seiner Garage, später in einer kleinen Fabrik in den USA hergestellt. Unter dem Namen ,Mellotrone‘, mit zusätzlichem e, hatte er sie sich dort auch patentieren lassen. Sie besaßen zwar noch etliche Kinderkrankheiten, ich erinnere mich da z. B. an ein fürchterliches Grundbrummen und an Probleme beim Bandrücktransport, aber die von Harry aufgenommenen Sounds wie ,Geigen‘ oder ,Spanische Gitarre‘ hauten uns um!
KEYBOARDS: Dein Sohn John spielte mir heute morgen eine ältere LP mit tollen Chamberlinklängen vor, die gerade wegen ihres ausgezeichneten Attackverhaltens (z. B. bei der ,Spanischen Gitarre‘) durchaus einem modernen Digitalsampler entstammen könnten.
Les: Ja, das hatte Chamberlin wirklich raus. Wir mit unseren späteren Mellotrons haben diesen schnellen Attack nie so gut hingekriegt. Dafür waren unsere Maschinen aber wesentlich robuster. Aber schon 1960 hatte er in seinen M 200-und M 300-Geräten Männerchorstimmen!
KEYBOARDS: Nach allem, was ich über Bill Fransen bisher gehört habe, muss er ja ein ziemlicher Glücksritter gewesen sein, und soll Chamberlin um zwei Geräte und die Rechte daran betrogen haben.
Les: Nun, es stimmt schon, dass Bill’s couragierte und burschikose Art einen beeindrucken und mitreißen konnte. Das amerikanische Patent für das ,Mellotrone‘ galt ja nicht für England und Bill war, anscheinend mit Chamberlin’s Einverständnis, eigens auf der Suche nach geeigneten Geldgebern rübergekommen, um hier Geräte in größeren Stückzahlen bauen zu lassen. Sie sollten mit Halbzollbändern bestückt unter dem Namen ,Franson‘ auf den Markt kommen! Er und sein Begleiter Harry Harvey zeigten uns sogar noch exakte Kopien von Chamberlin’s Konstruktionsplänen, die sie sich in England als ihre Erfindung hatten patentieren lassen!
KEYBOARDS: Welche Rolle hat eure Firma übernommen?
Les: Wir sollten bis auf wenige Teile das ganze Instrument herstellen. Bill Fransen war außer sich, als die Finanzierung des Projektes nicht so richtig in Gang kommen wollte. Er war fest davon überzeugt, dass das Mellotron ein Welthit werden würde. Als Bill im August 1962 wegen einer Familienangelegenheit für sechs Wochen zurück in die Staaten flog, arbeiteten wir Bradleys fieberhaft an diesem verdammten Ding und vernachlässigten dadurch natürlich unsere normalen Geschäfte. Im September sah es finanziell bei uns derart katastrophal aus, dass Fransen sofort nach seiner Rückkehr begann, per Anzeige Geldgeber zu suchen. Wir hatten Glück, dass sich der bekannte Orchesterleiter Eric Robinson für unser Projekt interessierte.
Mit Robinson auf Abenteuer
Die ,Eric Robinson Organisation‘, die später ,Mellotronics Ltd.‘ heißen sollte, betrieb damals in London das IBC-Studio, welches u. a. viele Soundtracks und Effektsounds für den Showman Perry Mason aufgenommen hatte. Hier nahm Eric Robinson auch sein eigenes Orchester auf. Für uns war das eine ideale Situation, denn so kamen wir an die ganzen Orchester- und Instrumentenklänge. Robinson sicherte uns zudem die finanzielle Basis, damit wir endlich die ersten Geräte bauen konnten.
KEYBOARDS: Wie stark wirkte eigentlich Harry Chamberlin bei der Weiterentwicklung des neuen Mellotrons mit?
Les: Nun, irgendwie verselbständigte sich unser Mellotronprojekt so stark, dass wir anderthalb Jahre, nachdem wir mit den Arbeiten am Tron begonnen hatten, allmählich das Gefühl bekamen, uns mit Harry in Kontakt setzen zu müssen. Er kam auch sofort aus den Staaten rübergeflogen und ich erinnere mich noch genau, wie angespannt die Situation wurde, als er in unserer Halle Fransen gegenüberstand. Bill streckte ihm die Hand entgegen, aber Chamberlin sagte nur: „Ich weiß nicht, ob ich einem Menschen wie dir noch die Hand geben sollte!“ Irgendwie gelang es uns aber, die beiden Streithähne zu beruhigen. Beim Rundgang durch unsere Fabrik war Harry tief beeindruckt von den Weiterentwicklungen, die wir an seiner Idee vorgenommen hatten. Schließlich kamen wir überein, dass ihm 30.000 Dollar für seine Verluste und die bisherigen Vorarbeiten am Mellotronprojekt gezahlt wurden, und er uns an allen weiteren Entwicklungen des Tonbandkeyboardprinzips teilhaben lassen würde.
KEYBOARDS: Hast du genauere Angaben, wie viele ,Chamberlins‘ eigentlich hergestellt wurden?
Les: Ich weiß es nicht exakt, aber ich glaube, es waren nicht viele, denn Chamberlin brauchte etwa einen Monat, um ein Gerät fertigzustellen. Du kannst dir also vorstellen, wieviel ihm die 30.000 Dollar bedeuteten.
[Anmerkung des Verfassers: Was die Stückzahlen aller ,Chamberlins‘ angeht, weiß David Kean von ,Mellotron Archives USA‘ Genaueres: M 200 ca.100, M 300/350 Remote ca.200, M 400 1, M 500 2-3, M 600/660 ca.200.]
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- Groovesampler in der Praxis
- Die Mellotron-Story
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Mut, Schweiß und Ideen
KEYBOARDS: Seid ihr zu Anfang der Mellotronentwicklung einfach vom vorhandenen Chamberlinprinzip ausgegangen, um es nur leicht modifiziert zu kopieren, oder hattet ihr von vornherein vor, das ganze Konzept gründlich zu überarbeiten?
Les: Es blieb uns überhaupt nichts anderes übrig, als das ,Mellotrone‘ von grundauf zu überarbeiten, denn es war so unzuverlässig, dass es eines ortsansässigen Technikers bedurft hätte, es Instand zu halten. Bei unseren Experimenten mit dem ,Chamberlin‘ war uns aufgefallen, dass die Tapes beim Zurückspulen entweder hängenblieben, sich nur teilweise zurückspulten oder es am Ende des Rückspulvorgangs zu großen Banddehnungen kam. Wir haben es mit kleinen Rückspulmotoren versucht, doch es klappte nicht so, wie wir wollten.
KEYBOARDS: Wie viele Leute waren denn bei ,Bradmatic Ltd‘ mit dem Mellotronprojekt beschäftigt?
Les: Mein Vater hatte die Firma mit nur fünf Leuten begonnen. Beim Tron waren es schon 35 Mitarbeiter geworden. Auf insgesamt fünftausend Quadratmetern stellten wir, außer den Gehäusen und der Tastatur, ansonsten alles selbst her: Bandrahmen, die ganze Elektronik, Tonkopfleisten etc. Die Masteraufnahmen wurden uns vom IBC Studio auf Viertelzollbändern angeliefert, die wir dann auf eine von mir konstruierte Doppeldeckerbandmaschine umkopierten, mit der wir anschließend die Mellotronbänder bespielen konnten. Oben auf dem Doppeldecker lief ein Dreiachtelzollmastertape mit drei Spuren, das absolut synchron auf ein leeres Dreiachtelzollband darunter kopiert werden sollte. Bei den ersten Versuchen hatten wir, trotz eines Synchronstarts beider Tapes, auf ca. 18 Metern Band für das Mark I und II einen Längenunterschied von gut zehn Zentimetern zwischen beiden Bändern! Wir erhöhten den Bandandruck auf sechs bis acht Pfund, aber das verschlimmerte alles nur noch. Wir standen fürchterlich unter Druck, denn Bill Fransen hatte angerufen und die ersten Mastertapes für Anfang der Woche angekündigt. Mein Bruder Frank und ich arbeiteten das ganze Wochenende ohne nennenswerte Ergebnisse durch. Am Montagmittag lief die verdammte Sache endlich synchron. Die Lösung war, beide Bänder über eine Vielzahl von Führungsrollen laufenzulassen, so dass wir schließlich nur einen Millimeter Bandschlupf erreichten.
KEYBOARDS: Hattet ihr auch mal an eine Stereoversion des Mellotrons gedacht?
Les: Oh ja, aber leider stand uns nie genügend Geld zur weiteren Entwicklung dieser Idee zur Verfügung. Außerdem war Stereo damals überhaupt noch nicht in Mode.
KEYBOARDS: In den Sixties lag die Standardbandgeschwindigkeit meistens bei 9,5 cm/Sek. Warum habt ihr euch denn beim Mellotron für 19 cm/Sek entschieden?
Les: Wir versuchten es mit 9,5 cm/Sek, doch die damaligen Laufwerke waren einfach zu schlecht. Sie erzeugten zu viele unerwünschte Nebeneffekte und wir hätten sie für unsere Zwecke beträchtlich verbessern müssen. Bei 19 cm/Sek fallen diese Nachteile wesentlich weniger ins Gewicht. Für das doppelmanualige Mark I, unser erstes Mellotron, stellten wir, um mal einen ersten Eindruck vom Klang des Gerätes zu bekommen, eine Demoversion der ,Leadsektion‘-Bänder des rechten Manuals und einige Sounds der späteren ,Begleitsektion‘ des linken Manuals fertig. Damit wir nicht jedesmal im Innern der Maschine herumkriechen mussten, konstruierten wir uns eine Art Arbeitschassis, auf dem wir den ganzen Bandmechanismus befestigten. Ich sehe Eric Robinson noch mit fragender Miene davorstehen, als wir das erste Mal das Gerät probelaufen ließen. Es klang einfach grausig! Was, zum Teufel, war verkehrt? Bald stellten wir fest, dass die Lead- und Begleitsektion- Bänder versehentlich mit verschiedenen Tonhöhen aufgenommen worden waren! Die Zusammenstellung der Begleitsektion wurde zum reinen Alptraum: wir mussten zum einen das Timing der einzelnen Rhythmusspuren zueinander konstant halten, für jede Aufnahme immer exakt die Aufnahmeanfänge justieren und zum anderen das Ganze auf drei Parallelspuren synchronisiert kriegen. Und das ohne heutige digitale Editmöglichkeiten.
KEYBOARDS: Waren das Mark I oder seine überarbeitete Version, das Mark II, eigentlich als Bühnenkeyboards konzipiert worden?
Les: Nein. Seltsamerweise sahen wir es damals nur als Heimgerät an. Wir waren sogar ziemlich überrascht, als einige Musiker die ersten Mellotrons nur mit den 18 Leadsounds einsetzten und sich von uns die ganzen Rhythmustapes des linken Manuals gegen eine zweite Leadsektion ersetzen ließen, was ihnen live und im Studio eine Menge mehr Möglichkeiten erschloss. Das führte ja später zum Bau des bekanntesten Mellotrons, des kleineren M 400, das nur noch drei ausgewählte Leadklänge benutzte.
Masters and slaves
KEYBOARDS: Gab es Pläne, weitere Leadsounds aufzunehmen, um noch mehr Auswahl zu haben?
Les: Nun, weil alle Aufnahmen aus London kamen und sehr kostspielig waren, dachte man an sowas nicht. Es gab wohl eine Menge anderer Leads, aber da sie ,Mellotronics‘ gehörten, waren immer irgendwelche Gründe vorhanden, sie dann doch nicht einzusetzen. Als Jahre später George Clouston Chef von Mellotronics wurde, besuchte er unsere Firma und fragte nach diesen ca. dreißig Bändern. Ich hätte sie gerne als neues Mastermaterial benutzt, aber er ordnete an, dass sie alle in unserem Heizofen verbrannt werden sollten! Also mussten wir sie zähneknirschend in seinem Beisein vernichten. Als er jedoch kurz ins Büro ans Telefon gerufen wurde, gab ich vor, auf die Toilette gehen zu müssen und konnte so unbemerkt noch sechs Mastertapes retten, die jetzt David Kean in den USA besitzt.
KEYBOARDS: Wieso wurden fast alle verkauften Mark I-Geräte kurze Zeit später zurück in die Fabrik beordert?
Les: Das hatte vor allem mit der Elektronik zu tun. Sie war doch recht laut und wurde von uns kostenlos gegen eine modernere und leisere ersetzt. Das hat schon immer zur Firmentradition gehört. Wenn es unser Fehler ist, kostet es den Kunden nichts. Die meisten Mark I wurden direkt in Mark II umgebaut.
KEYBOARDS: Wer waren denn die ersten Mellotronkäufer?
Les: Private Gesellschaftsklubs, die es für Hintergrundmusik und gelegentliche Tanzfeste benutzten. Du kannst dir denken, wie erstaunt ein frustrierter Musiker reagierte, wenn er mit einem Finger plötzlich eine sechsköpfige Begleitcombo unter seiner Kontrolle hatte. Obwohl der Verkauf des Mark I nicht immer so einfach lief, wie wir es uns erhofft hatten. Das Mellotron war seiner Zeit schon ein bisschen voraus! Viele Musiker zeigten sich anfänglich nicht gerade begeistert, wenn sie in der Begleitsektion z. B. ein C drückten und ein D erklang! Es brauchte schon etwas Umgewöhnung, sich in das vorgegebene Akkordschema einzufühlen. Die das Gerät mochten, schafften es binnen weniger Minuten. Aber eine Menge klassisch ausgebildeter Musiker packten das Ding überhaupt nicht an!
KEYBOARDS: Obwohl ihr doch auf dem Mark I und II ein Klavier angeboten habt! Gerade dieser Sound kommt mir beim Mellotron wegen der systembedingten leichten Gleichlaufschwankungen fehl am Platze vor.
Les: Aber die Kunden wünschten ihn sich in den Anfangstagen.
Stars in der Maschine
KEYBOARDS: Stimmt es, dass die Musiker, die man auf den Mellotronbändern hört, berühmte Leute waren? Dein Bruder wollte mir partout keine Namen nennen.
Les: Ja,ja, das ist typisch Norman! Nun, die englische Musikergewerkschaft bereitete uns Schwierigkeiten, indem sie behauptete, das Mellotron mache Musiker brotlos, vergaß dabei aber, dass es einen braucht, die Maschine zu spielen. Sie drohte damit, Musiker auszuschließen, wenn sie für das Mellotron arbeiten würden! Aber das juckte uns nicht. Der Hauptorganisator aller Aufnahmen war der damals recht bekannte Londoner Arrangeur Eric Cook. Er hatte alle möglichen Musiker an der Hand, die auch gerne für uns arbeiteten. George Chisholm z. B., der beste Posaunist Englands, zeichnete für die meisten Blechblasklänge verantwortlich.
Die weltberühmten ,Violins‘ unserer Mellotrons waren übrigens der einzige Sound, den wir von Chamberlin übernommen hatten. Harry erzählte uns, dass er ihn in den Fünfzigern von drei älteren Damen habe einspielen lassen. Wenn du dir diese amerikanischen Aufnahmen genau anhörst, wirst du im Hintergrund ein leichtes 60 Hz Grundbrummen hören, das erst durch die Konvertierung auf unsere europäische Wechselspannung mit ihren 50 Hz so deutlich hervortrat. Wir haben später immer wieder versucht, bei jeder Überspielung der ,Violins‘ durch entsprechende Equalizereinstellungen diesen Brummer herauszufiltern. Das ist auch der Grund, warum bei uns nicht alle Geigenaufnahmen gleich klingen.
KEYBOARDS: Warum habt ihr anfangs noch keine Chöre aufgenommen? Die waren doch beim späteren M 400 der Renner.
Les: Es schien uns nicht ins Konzept des Mark I und II zu passen. Chamberlin hatte ja schon eine sonore Männertenorstimme in seinen Maschinen. Aber statt die untere Oktave von einem Bariton singen zu lassen, war Harry einfach hingegangen und hatte den Tenor mitsamt seinem Vibrato per Tapespeed langsamer aufgenommen. Grauenhaft! Vielleicht lag uns das noch im Magen?
KEYBOARDS: Wie kam es dann später für das M 400 doch noch zu dem tollen ,8 Choir‘, der sich aus ,Female‘ und ,Male Choir‘ zusammensetzt?
Les: Ich glaube, das war Eric Robinson’s Stiefsohn Peter Nichols. Ihm oblagen die ganzen Choraufnahmen. Für den ,8 Choir‘ hatte er mit seiner ,Nagra‘-Bandmaschine zuerst vier Frauenstimmen und dann vier Männerstimmen des ,Ted Taylor Chors‘ aufgenommen. Jede Aufnahme klingt so schon toll, aber zum ,8 Choir‘ zusammengemischt entwickelte er sich rasch zum absoluten Hitsound des Mellotrons. Viele Bands liebten ihn besonders in der Kombination mit ,Church Organ‘.
Richy, dein Anzug knistert!
Orchesteraufnahmen fielen vorwiegend in Eric Robinson’s Ressort. Dabei übernahm Bill Fransen oft die Aufsicht. Auch da gab es manchesmal unerwartete Schwierigkeiten: Rich Kilby, ein erfahrener Cellist, der seit vierzig Jahren sein Instrument im Orchester gespielt hatte, sollte plötzlich alleine, ohne ein Orchester im Hintergrund, jeden Einzelton mit dem gleichen Anstrich und Vibrato in der gleichen Lautstärke sauber intonieren. Spätestens ab dem fünften Ton lag die Intonation so daneben, dass wir einen durchstimmbaren Oszillator zu Hilfe nahmen, um Richy einen tonalen Anhaltspunkt zu geben. Selbst dann kriegte er es nicht immer hin. Also wurde ein zweites Mikro neben ihm aufgestellt, das nicht nur sein Cello, sondern allerlei Nebengeräusche, wie das Rascheln seines Hemdes, aufnahm. Lag er bei einem Ton völlig schief, traute sich niemand, ihm das ehrlich zu sagen. Sie meinten bloß: „Sorry, Rich, mach’s nochmal, dein Anzug hat bei der Aufnahme geknistert!“
KEYBOARDS: Beim Cello klingen die unteren fünf Töne so merkwürdig schnarrend und kratzig. Wie kommt das?
Les: Das ist da auch kein Cello, sondern ein gestrichener Kontrabass. Sie riefen mich aus London an und fragten, mit was sie beim Cello die tiefsten Töne bespielen sollten, denn ein Cello reicht nicht so tief hinunter. Ich riet ihnen, die unterste Cellosaite tieferzustimmen oder per Tapespeed künstlich nach unten zu transponieren. Nein, kam die Antwort, das gäbe es auch im richtigen Leben nicht, das sei unethisch!
KEYBOARDS: Bei manchen Mellotronaufnahmen gibt es Lautstärkeunterschiede zwischen einzelnen Tasten. Bei der ,Flute‘ z. B. klingt ein Ton schriller. Benutztet ihr keine Limiter oder ähnliches?
Les: Nein, es wurde direkt aufs Band gemastert. Was die Klangunterschiede einzelner Instrumente angeht, so war es für uns alle höchsterstaunlich herauszufinden, dass ein livegespielter Ton durchaus gut klingen kann, er aber als Sample im Zusammenhang mit anderen Einzelsamples desselben Instrumentes oft ganz anders wirkt. Hört man in einem Konzert Einzeltöne, so sind sie flüchtig und vergehen innerhalb weniger Sekunden. Bei einer statischen Aufnahme wie beim Mellotron jedoch wird jeder einzelne Ton immer gleich wiedergegeben. Natürlich wussten wir, dass sich bei einigen Sounds eine intensivere Nacharbeit, z. B. am Pitch oder am EQ, durchaus gelohnt hätte. So war z. B. der ,Boys Choir‘ recht mäßig mit nur einem Mikrofon (in der Hand gehalten!) aufgenommen worden.
Musik in der Kantine
KEYBOARDS: Les, wie hieß der erste Hit, bei dem ein Mellotron benutzt wurde?
Les: Das war Graham Bond’s Fassung von ,This wheel’s on fire‘ mit Julie Driscoll, die später mit demselben Lied und Brian Auger am Mark II, einen Riesenerfolg hatte.
KEYBOARDS: Eure Instrumente sind von Tausenden bekannter Künstler benutzt worden. Kennst du viele davon persönlich?
Les: Nein, die meisten Geschäfte liefen über ‚Mellotronics‘ in London. Bill Fransen verkaufte dort z. B. jedem der Beatles ein Mark II. Nur gelegentlich kamen Rockgrößen in unsere Firma, wie z. B. Uriah Heep, Dave Greenslade, Barclay James Harvest und natürlich die Moody Blues.
KEYBOARDS: Ihr Keyboarder Mike Pinder hat bei dir doch mal gearbeitet.
Les: Ja, er baute die Mark II zusammen und testete sie. Ich mochte ihn immer, er war ein ehrlicher Kerl. Ich wusste, er hatte eine kleine Band. Eines Tages bemerkte ich, dass er morgens immer öfter zu spät kam. Zur Rede gestellt, erzählte er mir, dass er bis spät in der Nacht mit seiner Band unterwegs gewesen sei. Kurz darauf teilte er uns mit, dass er Profi werden wolle und kündigte. Gut acht Monate später sah ich ihn mit seinen Moodies bei uns wieder, alle in diese hochmodernen bunten Hippieuniformen gekleidet. „Wie sieht’s mit einem gebrauchten Mellotron aus, Les?“ fragte Mike. Wir hatten keins, aber ich wusste, dass eins in der Kantine der Reifenfirma Dunlop in Birmingham zum Verkauf stand.
KEYBOARDS: In der Kantine?
Les: Ja, dort hatte bis vor kurzem ein Musiker während der Essenszeiten ein ,Mark II‘ zur Unterhaltung der Angestellten gespielt! Gegen 14 Uhr hörte ich ein Jubelgeschrei. „Wir haben es, wir haben es!“ freuten sich die Moody Blues. Wir checkten das Gerät durch und ersetzten Mike die Begleitsektion durch eine weitere Leadsektion. Mit ihrer ersten Hitsingle ,Love and Beauty‘, auf der sie das Tron sehr effektvoll eingesetzt hatten, traten die Moodies eine Lawine los. Wenige Wochen später folgten die Beatles mit ,Strawberry Fields Forever‘. Nun, der Rest ist Geschichte. Mike Pinder besaß später fünf Mark II. Ich hatte lange nichts mehr von ihm gehört, als er mich unerwartet anrief. „Les, guck am Donnerstag um 20.30 Uhr mal BBC 1-TV.“ Mehr wollte er nicht verraten. Donnerstagabend traute ich meinen Augen nicht: Mike hatte zwei Mark II’s ins Studio geschleust! Am Freitag rief ich ihn an und wollte wissen, wie er es geschafft hatte, die Dinger an der Musikergewerkschaft vorbei ins Fernsehen zu bringen. „Die vom BBC habe ich bequatscht und die Gewerkschaft kann mich mal!“ war seine Antwort.
KEYBOARDS: War die Gewerkschaft denn damals so mächtig?
Les: Das ist sie immer noch, doch heute wendet sie ihre Macht nicht mehr an. Sie hätte damals sofort die Sendung abbrechen lassen können! Als die Produktion der ersten Mellotrons angelaufen war, wurde Bill Fransen Bezirksvertreter für Mittelengland. Er baute eine kleine Vertriebsfirma auf und machte allerlei dummes Zeug, wie z.B. Riesentransport- Lkw zu kaufen, die ihn bald in arge finanzielle Bedrängnis brachten. 1965 verschwand er über Nacht mit einem Berg Schulden aus England. Später arbeitete er in Frankfurt bei der PanAm. Obwohl er sich bei uns nichts hatte zu Schulden kommen lassen, meldete er sich später am Telefon immer mit ,Mr Armstrong‘, weil er sich offenbar nie ganz sicher war, ob man nicht doch nach ihm fahnden würde.
KEYBOARDS: Würdest du die insgesamt vierhundert verkauften Mark I und II als einen Erfolg bezeichnen?
Les: Ja, sicher! Wir haben zwar nicht viel dran verdient, aber wir lernten manches dazu, was uns später noch zugutekommen sollte.
KEYBOARDS: War das Nachfolgemodell M 300 als Heim- oder als Bühnengerät konzipiert worden?
Les: Es war eigentlich beides. Für 790 Pfund Sterling erhielt der Kunde ein einfacher zu bedienendes Instrument mit 52 Holztasten, das auch vom Gewicht her leichter war als seine Vorgänger. Wir hatten auf eingebaute Lautsprecher und Verstärker verzichtet. Stattdessen boten wir eine Aktivbox an, die hinten am Gerät angeschlossen werden konnte. Auch die Begleitsektion mit nur neun Rhythmen war überschaubarer gestaltet worden. Viele Privatleute waren von der Maschine sehr angetan. Auch einige Bands, wie Barclay James Harvest, benutzten ein M 300 gern. Es war zwar nicht der Verkaufshit, aber es war ein gutes Instrument. Es besaß nur einen Fehler: statt der sonst üblichen Kunststoffrollen zur Führung der einzelnen Bänder benutzten wir beim 300er kleine Nylonrollen, die leider die Bänder statisch aufluden. So geschah es immer wieder, dass sich Tapes um die Antriebsachse wickelten und rissen. Erst vor kurzem, als John und ich ein M 300 für das ,British Museum‘ restaurierten, entdeckten wir endlich die Ursache und konnten sie durch das Einsetzen von Kunststoffrollen völlig beheben.
KEYBOARDS: Habt ihr für das M 300 Klänge aus den Vorgängern verwendet?
Les: Nein. Alle Aufnahmen wurden unter David Voracker’s Regie neu aufgenommen. Er hat sehr sauber gearbeitet, leider konnte ich damals nicht dabeisein, denn ich erlitt 1966 meinen ersten schweren Herzanfall, der mich für drei Monate aus dem Rennen warf.
KEYBOARDS: Wie viele 300er wurden überhaupt gebaut?
Les: Zwischen 1968 und 1971 wurden nur sechzig Stück hergestellt. Insgesamt haben wir in all den Jahren etwa 2.500 Mellotrons gebaut, davon entfallen gut 2.000 Stück auf das kleinere M 400.
KEYBOARDS: Wer kam eigentlich auf die Idee nach dem M 300 das schneeweiße M 400 zu bauen.
Les: Das war wohl mein Bruder Frank. Während der Experimentierphase für das Mark II hatten wir mal ein halbiertes Mark II mit nur einem Manual (von 35 Tasten) gebaut, das zu Testzwecken ausschließlich mit Rhytmustracks, Percussion und Basstönen bespielt worden war. Aber irgendwie befriedigte uns diese Version nie so recht, bis Frank eines Tages vorschlug, statt der Rhythmen dort Sounds aus der ,Leadsektion‘ einzuauen. Als London das Gerät sah, hieß es sofort: „Das Ding wird gebaut!“ Aber George Clouston legte mal wieder sein Veto ein, denn er wollte keinen weiteren Eklat mit der ohnehin aufgebrachten Musikergewerkschaft riskieren. Auf eigene Faust begannen wir daraufhin die Elektronik, die Mechanik und das Styling des Gerätes zu optimieren, denn wir waren vom Konzept dieses kleinen, portablen Bühnenmellotrons mit auswechselbaren Bandrahmen voll überzeugt. Zu Hilfe kam uns die Mike-Pinder-Episode im Fernsehen und daraus resultierend die vielen Austritte aus der Musikergewerkschaft, die den Bann gegen das Mellotron brechen halfen. Als dann 1970 das M 400 doch rauskam und die Verkäufe rasant anstiegen, wussten wir, dass wir das Richtige getan hatten.
KEYBOARDS: Welche Klänge gehörten beim 400er zur Standardbestückung?
Les: Meistens waren es ,Flute‘, ,Violins‘ und ,Cello‘, gelegentlich statt des Cellos auch ,Brass B‘. Als wir 1973 mit der Produktion des M 400 nicht mehr nachkamen, vergab ,Mellotronics‘ kurzerhand die Lizenz zum Bau von ca. 70 bis 80 Geräten an die EMI. Wir lieferten ihr nur den Antriebsmechanismus und die Tonkopfleisten, den Rest besorgten die EMI-Leute selbst. Sie überarbeiteten das Styling etwas, aber alles in allem mussten wir später die meisten ihrer Geräte gründlich überholen, weil sie einfach schrecklich zusammengebaut und eingestellt worden waren. Mit dem M 400 kam endlich auch mehr Geld in unsere Kasse. In den besten Zeiten verließen zwischen 15 und 16 Geräten pro Woche unsere Fabrikhalle.
Mellotron zum Aufnehmen
KEYBOARDS: Hattet ihr Pläne für das Nachfolgemodell des M 400?
Les: Es war angedacht, die Bandrahmen durch kleinere, handlichere Kassetteneinschübe zu ersetzen.
KEYBOARDS: Ähnlich wie bei Dave Biro’s ,Birotron‘, das mit Achtspurkassetten arbeitete?
Les: Vom Prinzip her schon, doch nicht mit diesen scheußlichen Nebengeräuschen, die das ,Birotron‘ immer erzeugte. Leider wurden unsere Pläne durch eine landesweite Rezession durchkreuzt. Peter Levesley, unser Chefkonstrukteur, verließ uns damals und gründete seine eigene Firma. Wir hatten mal wieder nicht die finanziellen Mittel, um uns weitere gründliche Entwicklungsvorarbeiten in dieser Richtung leisten zu können. In den Siebzigern habe ich sogar mal einen Mellotronprototypen gebaut, mit dem man aufnehmen konnte! Auf den unteren fünf Tasten eines Mark II, das als Effektmaschine mit einer Unzahl an Geräuschen bespielt worden war, bestand nun die Möglichkeit, eigenes Material Taste für Taste über den eingebauten Input abzuspeichern. Aber wie so oft sagte London mal wieder Nein zu unseren Ideen und damit war die Sache gestorben. Es war eine Schande, denn das Ding klang wirklich gut! Wäre uns 1977 nicht der blöde Konkurs des Dallaskonzerns, unserer damaligen Vertriebsfirma, in die Quere gekommen, hätten auch die Voraussetzungen für eine verkleinerte Maschine mit einer besonderen Bandrückführung günstig gestanden. Neben einigen neuen Sounds wie ,Rhodespiano‘, ,Xylophone‘ und ,Glockenspiel‘ gab es auch Versuche eines Recordingverfahrens auf FM-Basis.
KEYBOARDS: Dachtet ihr schon an die Entwicklung einer digitalen Klangspeicherung?
Les: Na klar, aber dafür war es noch ein wenig zu früh. Für das Mark II z. B. hätten wir etwa drei Stunden an Speicherzeit gebraucht und die ersten RAM-Bausteine kosteten anfangs noch ein Vermögen. Um die von uns benötigte Speichermenge unterzubringen, hätten wir ein Instrument so groß wie ein Wohnzimmer bauen müssen! Und das kann man ja wohl nicht ,transportabel‘ nennen, oder?
KEYBOARDS: Bereiteten euch die ersten Stringsynthesizer, wie z.B. der ,Freeman‘, nicht Kopfschmerzen?
Les: Natürlich, aber die ersten dieser Geräte und viele der späteren auch erzeugten schreckliche Klänge, die dem Mellotron nichts anhaben konnten. Wenn ich da noch an die hohlklingenden Synthichöre mancher Maschinen denke, wird mir richtig schlecht
KEYBOARDS: Wer kam eigentlich auf die Idee, euer florierendes Geschäft damals dem Dallaskonzern anzugliedern?
Les: ,Mellotronics‘ in London! Wir als Herstellerfirma bestimmt nicht! Wir lieferten ihnen zwischen 50 und 60 Mellos im Monat. London wollte, nachdem sie schon seit Anfang der 70er Jahre mit Dallas Arbeiter zusammengearbeitet hatten, mit dem vollen Konzernanschluss die Verkaufsmöglichkeiten für unsere Maschinen verbessern. Niemand ahnte etwas vom bevorstehenden Konkurs des Konzerns. Nach seinem überraschenden Bankrott hatten wir plötzlich Außenstände von 50.000 bis 60.000 Pfund, die uns ,Mellotronics‘ für die bereits gelieferten Geräte noch schuldete.
KEYBOARDS: Da dem Konzern auch die weltweiten Rechte am Namen ,Mellotron‘ überschrieben worden waren, standet ihr ja denkbar ungünstig mit einem gutlaufenden Produkt da, dessen Namen ihr aber nicht mehr benutzen durftet.
Les: Es war schon grotesk. Jahrelang baust du dir eine Produktpalette auf, deren Handelsmarke du dann aber nur unter Strafandrohung weiterbenutzen darfst! Uns fehlten die finanziellen Mittel, einen großen Prozess zu führen. So sahen wir uns genötigt, künftig unsere Geräte selbst unter dem neuen Namen ,Novatron‘ zu vertreiben, denn der alte Name war uns strikt untersagt worden. Wohl durften wir Ersatzteile als ,Ersatzteile für das Mellotron‘ weiterhin herstellen und verkaufen.
KEYBOARDS: Das Novatron-Hauptmodell blieb weiterhin das M 400. Welche Verbesserungen nahmt ihr daran vor?
Les: Nun, wir verbesserten zuerst den Geräuschspannungsabstand etwas. Als Option boten wir eine Hallspirale und ein Noisegate an, doch die Kunden bevorzugten das Grundmodell. Das Mellotron ist nun mal ein traditionelles Instrument! (lacht.)
KEYBOARDS: Gehörte die früher nur als Option erhältliche SMS2- Platine jetzt zur Standardbestückung des Novatrons?
Les: Oh ja, sie sorgte für einen wesentlich verbesserten Gleichlauf und ein saubereres Ausgangssignal.
KEYBOARDS: Ich erinnere mich, dass auch euer letztes Novatron, das Modell T 550, in einem Flightcasegehäuse steckte, das nicht ganz ungefährlich war!
Les: Ja, da hast du Recht. Wir bauten nur drei dieser Roadmodelle, deren Verarbeitung der spitzen Ecken und Kanten noch einiges zu wünschen übrigließ. Es wurde bei uns zum Standardwitz, den Kunden des ,T 550‘s zu erzählen, dass sich oberhalb der Tastatur eine kleine Dose mit Pflaster befände!
Das Ende vom Lied?
KEYBOARDS: Wie kam es 1986 zum Konkurs eurer Firma?
Les: Nun, wir produzierten noch in kleinen Stückzahlen Mos-Fet-Verstärker und Lautsprecher, doch die Schulden wuchsen ständig an. Dann platzte nach einem halben Jahr Verhandlung ein Auftrag von 12.000 Pfund, in den wir schon einiges investiert hatten. Einen Tag später erschien der Gerichtsvollzieher, den wir aber Gottseidank persönlich kannten und so noch eine letzte Galgenfrist erwirken konnten. Doch schon einige Tage darauf wurde uns klar, dass wir, um den Schaden so gering wie möglich zu halten, freiwillig in Liquidation gehen mussten. Uns war allen zum Heulen zumute! Ich werde es nie vergessen, wie wir am Tag nach dem Konkurs morgens in unsere Fabrikhalle zum Ausräumen kamen und ich plötzlich die Tränen nicht mehr halten konnte. So viele Tage und Nächte hatten wir hier verbracht, und nun? Als wir die Halle soweit ausgeräumt hatten, bot uns der neue Besitzer an, ein doppelmanualiges ,Mark 5‘, das zwei nebeneinandergebauten ,M 400‘s entsprach, mitsamt einem Transportcase dort lagern zu können. Als wir einige Tage später einen Interessenten dafür fanden und das Gerät abholen wollten, mussten wir feststellen, dass jemand alle Tapes daraus gestohlen hatte. Hinzu kam noch, dass unser Spezialwerkzeug und viele Ersatzteile für die verschiedensten Mellotrons einfach auf dem Müll gelandet waren. Niemand war daran interessiert! Ich darf gar nicht dran denken, es war einfach nur schlimm! Ich verkaufte noch einen Teil der Masterbänder, das ganze Aufnahmeequipment, ein Mark II und ein M 300 an das ,Science Museum‘ in London, wo sie wohl auch eines Tages ausgestellt werden. Das ging wenigstens den richtigen Weg. Damit schien das Kapitel ,Mellotron‘ endgültig beendet zu sein.
KEYBOARDS: Mitte der 80er Jahre erschien in den USA eine Firma mit Namen ,Mellotron Digital‘. Wie verhielt sich die Sache?
Les: ,Mellotron Digital Corp.‘ saß in Clearwater, Florida. Wie bei allen amerikanischen Vorbesitzern des Handelsnamens ,Mellotron‘, konnten sie für ihre Library nur auf die schlechteren Masterkopien der ehemaligen ,Mellotronics‘ in London zurückgreifen, während ich noch die Originalmasters besaß. Um ihr Samplerprojekt XT 2000 mit Klängen zu versorgen, machten sie sich sogar die Mühe, die insgesamt 400 Masters durchzuhören und technisch zu bearbeiten. Ihr Ingenieur Chuck Fadonsak baute einen weißen Dummy mit einem IBM-Monitor, auf dem irgendein Sequenzerprogramm lief, während zwei Akai S900-Sampler die Tronsounds abspielten, um so Geldgeber für ihr Samplemellotron zu beeindrucken!
Nachdem auch ,Mellotron Digital Corp.‘ bankrott war, ersteigerte sich Fadonsak den moderneren Teil der Konkursmasse nebst der überarbeiteten Sounds, um an seinem XT 2000 ( bisher vergeblich ) weiterarbeiten zu können. David Kean erstand für 10.000 Dollar die alten Librarybänder, die Lagerrestbestände und die Rechte am Namen ,Mellotron‘. Durch eine Gaunerei seitens der alten Namensinhaber fand sich Kean bald darauf wegen der öffentlichen Benutzung der Handelsmarke ,Mellotron‘ vor Gericht auf 50.000 Dollar Schadensersatz verklagt! In seinem Vertrag hatte man wissentlich die Namensklausel trotz vorheriger Absprache nicht mitaufgenommen. Doch er kriegte Recht und sein Gegner sitzt heute im Gefängnis! 1990 verkaufte ich Dave Kean alle 42 M 400- Dreispurmasters, sämtliche ,Mark I/II‘- und ,M 300‘-Aufnahmen, die ,Chamberlin Leadmasters‘ sowie Mitschnitte von Bill Fransen’s Mellotrondemonstrationen!
Das Mellotron heute
KEYBOARDS: David gründete ,Mellotron Archives USA‘ und scheint sich heute als rühriger Mellotron- und Chamberlinsammler nur noch um die Ersatzteilsorgen anderer amerikanischer Sammler zu kümmern.
Les: Ich habe ihm neben den Masterbändern auch einige andere Geräte, wie z. B. die Bandschneidemaschine, verkauft. Aus dem Londoner ,Mellotronics‘-Studio bekam er noch die Mastermaschine, mit der man direkt Mellotronbänder bespielen kann. Er hat wirklich alles zur perfekten Bandherstellung, aber irgendwie scheint er nicht richtig „in die Gänge zu kommen“. Vielleicht sind auch seine Finanzen nicht die stärksten.
KEYBOARDS: Wie stehen denn heute in Europa nach eurem Konkurs die Chancen für das Mellotron?
Les: Es ist eigentlich diesem Herrn hier neben mir, Martin Smith, zu verdanken, dass es heute ,Mellotron Archives UK‘ gibt (Anm. des Verfassers: Seit 1997 firmiert ,Mellotron Archives UK‘ wieder unter dem alten Namen ,Streetly Electronics‘ in 15 Bleak Hill Road, Erdington, Birmingham, B23 7EL, England Tel: 0044/ 1889/504211 ).
Martin Smith: Ja, als junger Bursche besuchte ich einmal Les’ Firma in Streetly und durfte mir die Mellotronproduktion anschauen. Ich habe schon damals den warmen Ton dieser Instrumente und die Musik, die mit ihnen erzeugt wurde, geliebt. Anfang der 90er kam mir der Gedanke, mit Leslie und seinem Sohn John in Kontakt zu treten und sie zu einer Fortführung des Mellotronprojekts zu motivieren. John war sofort Feuer und Flamme. Les hingegen wollte lieber seinen geruhsamen Lebensabend genießen, versprach jedoch im Bedarfsfall, John und mir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Und dann ging’s los!
John Bradley: Wir besprachen die Angelegenheit mit David Kean und er sah wirklich keinen Grund, warum ich als langjähriger ,Streetly‘- Mitarbeiter und als waschechter Bradley nicht den Namen ,Mellotron Archives UK‘ benutzen sollte.
KEYBOARDS: Wie sieht denn heute eure Marschrichtung aus?
Martin: Nun, erstmal warten wir in ganz Europa alte Mellotrons. Wir renovieren sie auf Wunsch sowohl technisch als auch optisch, damit sie hinterher wie neu aussehen. Gerade haben wir in Frankreich Jean- Michel Jarre’s ,Mark II‘ und ,M 400‘ wieder auf Vordermann gebracht, damit er sie auch auf Tournee wieder einsetzen kann. In das ,Mark II‘ haben wir auf seinen Wunsch hin eine Plexiglasrückwand und verschiedene Lampen eingebaut, die im Dunkeln einen faszinierenden Anblick bieten! Zu unseren Kunden gehören z. B. Paul McCartney, dessen Mark II, Mark 5 und M 400 wir regelmäßig checken. Oder der Ex- Rolling Stone Bill Wyman. Sein renoviertes Mark II siehst du hier im Wohnzimmer stehen. Wir besorgen auf Wunsch auch Geräte, denn durch die aktuelle Retrowelle sind wieder viele junge Bands wie z. B. Oasis auf das Mellotron aufmerksam geworden. Wir lieferten ihnen eine schwarze ,Mellotron Sound Effects Console Typ EMI 9010‘, die aber statt der Effekte von uns mit Mark-II-Bändern bestückt wurde, weil sich Oasis eine exakte Kopie des von den Beatles benutzten ,Abbey Road‘-Studiomellos wünschten. Wir haben im Moment Robert Fripp’s King-Crimson-Mellos hier, mit denen z. B. die Alben ,In the Court of the Crimson King‘ oder ,In the Wake of Poseidon‘ aufgenommen wurden. Auf Barclay James Harvest’s berühmtem M 300 hast du heute morgen ja selbst gespielt. Es gibt viele Mellotronbesitzer, die sich freuen, dass es für ihre Maschinen die bewährten Klänge und einige neue wieder zu kaufen gibt.
KEYBOARDS: Habt ihr vor, neue Mellos in einer Kleinserie zu produzieren? Der Markt wäre ja wohl vorhanden.
MS: Ja schon, aber wenn, dann nur in einer limitierten Spezialedition. So denken wir als absolutes Unikat an ein durchsichtiges Plexiglas- M-400! Technisch wollen wir in zukünftigen Trons neben einem stabilen Gleichlauf auch eine feststehende Tonkopfleiste integrieren, deren vier Audiospuren pro Taste elektrisch angewählt, gemischt und im Stereopanorama geregelt werden können.
KEYBOARDS: Les, wenn wir die Zeit zurückdrehen könnten, sagen wir mal ins Jahr 1962, was würdest du anders machen?
Les: Ich denke, ich würde es genauso anfangen wie damals! Ich könnte ja nicht mein heutiges Know-how mitnehmen und eigentlich ist es jetzt in meinem Leben auch ein bisschen zu spät, noch was Neues zu beginnen, aber ich bin wieder mit dabei und kann den Jungs mit Rat und Tat helfen. Ich fände es schon toll, wenn die Sache laufen würde, aber besteht in der Welt da draußen überhaupt noch Bedarf an unseren Maschinen?
Martin: Ich seh’ es so: du kannst dir heute ein Digitalkeyboard mit einem perfekt gesampleten Grand Piano kaufen und dennoch werden weiterhin Steinways gebaut. Das Mellotron besitzt einen eigenen Sound. Es sind keine echten Geigen, es ist eine ganz eigene Version von Geigen, die die Leute anspricht. Es ist etwas in diesen Geigen, was dir die Haare am Nacken hochstehen lässt, das aber digital aufgenommene Geigen nicht besitzen.
Les: Man kann die Mellotrongeigen auch sofort raushören. Wenn sie richtig eingesetzt werden, sind sie auch heute noch ein kraftvolles Instrument in der Hand eines Musikers!
Martin: Das hat auch damit zu tun, dass kein Mellotron wie das andere klingt. Es besteht eine gewisse Interaktion zwischen den verschiedenen Teilen des Gerätes: eine Gummiandruckrolle, die ein Band über einen Topfkopf zieht, der eine etwas andere Impedanz besitzt, ein etwas anderes Filzandruckplättchen, das das Band ein wenig anders über den Kopf führt… Alle diese zufälligen Kleinigkeiten beeinflussen den Klang.
Les: Oh ja, jedes Mellotron ist ein Individuum.
KEYBOARDS: Danke für dieses Interview und euch allen viel Glück! Keep on mellotroning!
Leslie J. Bradley erlag am 15. Januar 1997 kurz vor seinem 81. Geburtstag einer Krebserkrankung.