Filmmusik, Werbemusik, Trailermusik von 2WEI
Simon und Christian, das sind 2WEI. Zwei, die inzwischen schon mehr geworden sind. Im Team wird bei 2WEI mit insgesamt sechs Leuten gemeinsam Film-, Trailer- und Werbemusik komponiert. Wie das Business aufgebaut ist, was Kompositionen leisten müssen und wie sie ihre Nische suchten und fanden, haben sie uns erzählt.
Erst Anfang 2016 haben sich Christian und Simon zusammengetan, obgleich die erste Idee dazu schon viel älter war. Kennengelernt und befreundet haben sich die beiden damals während ihres Musikproduktions-Studiums in Enschede an der ArtEZ Musikhochschule im Studiengang Media Music. Und schon damals haben sie sich − halb im Scherz, halb im Ernst − dazu entschlossen, sich eines Tages in LA über einem Surfshop ein Studio einzurichten − das war 2005. Nach dem Studium kamen beide ihrem Traum in den USA schon näher. Zunächst Simon, der in LA zwei Jahre als 2nd Engineer in den legendären Conway Recording Studios engagiert war, wo er Tag ein, Tag aus Top-Musikern wie Alica Keys, Britney Spears und zig weiteren Superstars begegnete. Das Timing meinte es zunächst nicht gut mit den beiden, denn als Simon zurück nach Deutschland kam, klatschte er quasi am Flughafen mit Christian ab, der nun seinerseits für knapp sechs Jahre in die Staaten ging und dort mit Junkie XL und sogar Hans Zimmer zusammenarbeitete. Eine extrem harte, aber auch gute Schule mit teilweise 100-Stunden-Wochen. Da musste man sich eben durchbeißen.
Und vor gut zwei Jahren setzten sie ihr gegenseitiges Versprechen in die Tat um, wenngleich LA durch Hamburg ersetzt wurde − vorerst. In der Anfangszeit empfingen sie Kunden noch in ihren privaten Wohnungen, die dort aus platztechnischen Gründen auf dem Bett Platz nahmen, um den Kompositionen der beiden zu lauschen. Inzwischen sind sie zwei Mal umgezogen und haben sich räumlich (und auch personell) erweitert.
Ihr macht ja Trailermusik, aber auch Werbe- und Filmmusik. Wie ist da bei euch das Verhältnis in etwa?
Simon: Richtig, Werbemusik macht bei uns momentan den größten Anteil aus, das ist auf jeden Fall über die Hälfte. Trailermusik ist dann ein anderer wesentlicher Teil und Filmmusik fast »der Rest«. Außerdem machen wir in etwa einen Film pro Jahr. Letztes Jahr waren wir z. B. bei Fack ju Göhte 3 dabei, dieses Jahr an einer Doku und nächstes Jahr wird’s ein deutscher Spielfilm mit hoher Starbesetzung. Allerdings dürfen wir noch nicht viel darüber sagen.
Christian: Was wir schnell gelernt haben, ist, dass Trailermusik eine ganz andere Industrie als Werbemusik ist. So wird die Musik nicht aufs Bild geschrieben, sondern es läuft genau anders herum: Wir produzieren erst fertige Titel mit epischen, orchestralen Sounds, ganz ohne konkreten Auftrag. Unser Label in LA − Position Music − legt dann vor Ort den Trailerstudios unsere Musik nahe. Der Trailer selbst wird dann auf die schon existierenden Tracks geschnitten.
Custom-Anfragen kommen da relativ selten, und es sind dann auch immer Pitches. Auch mit dem Filmscore hat die Trailermusik zu 99% nichts zu tun, allein schon deshalb, weil die Trailer in der Regel deutlich früher fertig sein müssen, während an dem Film noch geschnitten oder sogar gedreht wird.
Wie kommt es, dass für Trailer gerne bereits existierende Musik verwendet wird?
Simon: Hollywood-Trailer sind meist nach einem ähnlichen Schema aufgebaut und funktionieren ganz anders als Spielfilme. Ich vermute, dass die Trailer-Häuser unter so viel zeitlichem Druck stehen, dass sie gar nicht die Zeit haben, etwas komponieren zu lassen. Filmproduktionsstudios wie Warner Brothers oder Paramount beauftragen meist vier, fünf Trailer-Häuser gleichzeitig, die einen kompletten Trailer abliefern sollen. Diese müssen in extrem kurzer Zeit fertig sein, da gibt es dann einfach keine Zeit für komponierte Musik.
Christian: Dazu kommt, dass jedes einzelne Trailer-Haus mehrere Alternativen mit verschiedenen Musiken präsentieren will. Und so kann man mit präexistenter Musik einfach schneller und effizienter arbeiten, als wenn man einen Komponisten beauftragt, um darauf zu hoffen, dass er dann den goldenen Track darauf komponiert.
Simon: Und dann ist dies natürlich noch eine Budgetfrage. In diesem Produktionsstatus wird selten Geld für Kompositionslayouts hingelegt.
Nun habt ihr ja schon zwei Alben mit Trailermusik auf den Markt gebracht. Nach welchem Rezept komponiert ihr meist eure Trailermusik?
Christian: Zunächst ist es so, dass Trailermusik meist eine ähnliche Soundpalette gebraucht, wie der Film selbst hat. Bei Hollywood-Blockbustern ist es meist große, orchestrale Musik, gemischt mit organischen und/oder synthetischen Sounds, um eben moderner und zeitgemäßer zu klingen. Jedoch ist heutige Filmmusik meistens viel subtiler. Da gibt es dann erst zum großen Finale noch mal echt epische Klänge. Und im Prinzip sind die Trailermusiken ähnlich aufgebaut. Das heißt, sie steigern sich über den ganzen Track, bis sie einen Höhepunkt erreichen. Allerdings mit dem Unterschied, dass ein Trailer eben nur etwa 2:30 min geht und ein Film viel länger.
Die Trailermusik hat daher meistens einen deutlich schnelleren Rhythmus: Die ersten 30 bis 60 Sekunden sind da, um Spannung aufzubauen, bis die Musik dann über verschiedene Stufen Tempo aufnimmt und die letzten 45 Sekunden in »epischem Geballer« enden. Und diese Struktur hat Filmmusik nur sehr selten.
Mit diesem Wissen schreiben wir dann auch Tracks, damit die Trailer-Editoren darauf gut schneiden können. Parallel achten wir immer darauf, dass man sich ein solches Stück auch als Musik ohne Bild gut anhören kann. So schreiben uns zum Beispiel ständig Fans, dass sie unsere Musik zum Lernen oder Workout anhören. Ziemlich witzig und erst mal nicht so naheliegend.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, für Trailermusik zu covern statt eigene Sachen zu komponieren?
Simon: Das war eigentlich ganz einfach: Unser erstes Album Escape Velocity (2017) besteht nur aus Originalen, bis auf eine Ausnahme: Gangsters Paradise.
Dieser Song wurde sehr gut angenommen, sowohl von Fans als auch von Trailer-Häusern. Danach haben wir dann Survivor von Destiny’s Child für einen Tomb-Raider-Trailer gecovert, was bisher unser größter Erfolg wurde. Um das Ganze urheberrechtlich abzusichern, mussten wir bzw. unser Label bei Beyoncé die Verlagsrechte dafür einholen. Wir haben herausgefunden, dass sie sowas normalerweise immer verweigert, aber unseren Song fand sie dann wohl doch sehr geil und hat ihn durchgewunken. Der Song hat bei YouTube inzwischen über 12 Millionen Views und bei Spotify über 5 Millionen. Da war für uns klar, dass unsere Epic Covers extrem gut ankommen. Unser zweites Album (Release September 2018) besteht deshalb nur aus Cover-Songs. Das Schwierige ist bei einem Cover immer, die Magie und das Besondere des Originals zu behalten und es dann trotzdem in die heutige Zeit, ins Hier und Jetzt zu bringen.
Christian: Genau dadurch kommen die Covers auch am besten an: wenn es eine Verschiebung gibt, also wenn man die Lieder durch die Bilder in einem anderen Kontext wahrnimmt, als man es sonst gewohnt ist.
Würdet ihr manchmal auch für Filmmusik gerne ein Cover verwenden?
Simon: Das muss natürlich mit dem Regisseur besprochen werden, aber wenn es da Interesse gibt, dann absolut! Und das gilt genauso für Werbung. Häufiger haben wir aber Aufträge, bei denen sich Kunden nicht die Master- und Verlagsrechte eines Songs leisten können und dann sogenannte »Soundalikes« bei uns anfragen, d. h., wenn sich der Kunde beispielsweise einen Coldplay-Song − der für die Lizenzierung ca. 500.000 Euro kosten würde − nicht leisten kann und stattdessen bei uns eine Musik beauftragt, die stilistisch und kompositorisch in eine ähnliche Richtung geht, ohne urheberrechtlich problematisch zu werden. Neben Coldplay sind auch Kanye West, Phoenix und andere Artists sehr gefragt. Es gibt immer wieder Phasen für bestimmte Künstler und Bands.
Christian: Wir beraten die Kunden dann, möglichst weit weg vom Original zu bleiben und schalten meist noch einen Musikgutachter ein. Für uns sind diese Aufgaben eher anstrengend und undankbar, da man nicht wirklich kreativ sein kann und nichts Neues schafft.
Simon: Und egal wie gut der neue Titel ist, man kommt niemals ganz an das Original heran, weil es ja einfach ein anderer Song ist, der gar nicht die Emotionen oder Erinnerungen vermitteln kann, da er ja für den Rezipienten völlig unbekannt ist.
Wie sieht denn die Filmmusik State of the Art aus?
Christian: Es gibt hier eine interessante Entwicklung: In der heutigen Filmwelt fällt auf, dass es in den meisten Hollywood-Filmmusiken kaum noch große Melodien z. B. à la John Williams gibt. Die Soundtracks sind viel subtiler geworden, da offensichtlich befürchtet wird, dass große Melodien und Themen zu sehr von dem Bild oder der Story ablenken.
Ähnlich wie bei der Werbemusik hat das damit zu tun, dass der Film schon »getempt« ist, wenn die Komponisten ihn bekommen. Das heißt, dass schon musikalische Platzhalter, sogenannte Temptracks, unter den Bildern liegen − meistens ist dies bestehende Filmmusik oder Klassische Musik. Der Regisseur nutzt diese, um zu sehen wie bestimmte Szenen, aber auch der ganze Film mit Musik wirkt und funktioniert. Und das hat dann zur Folge, dass sich die Regisseure und Producer an die Musik gewöhnen und es immer schwerer wird, gedanklich davon loszukommen − klassische »Moodlove«, wie wir es nennen. Hätte man direkt zu Anfang einen Vergleich mit einer neuen Komposition gehabt, die vielleicht viel besser passen würde, hätte man das objektiver gegenüberstellen können. Aber das ist nach dieser Gewöhnung oft nicht mehr möglich. Und deswegen sind viele Scores nur ein Abklatsch von schon Bestehendem, was sehr schade ist. Allerdings gibt es auch immer wieder sehr positive Überraschungen und Ausnahmen.
Simon: Hans Zimmer hat eigentlich immer wieder ein Talent dazu, etwas Neues zu kreieren und einen Sound zu komponieren, den es so vorher noch nicht gab. Bei Interstellar z. B. oder Dunkirk hört man Sounds, die vorher keiner in diesem Kontext gebracht hat. Und das sind dann wieder die Scores, zu denen es bald danach Soundalikes gibt. (lacht)
Christian: Oder bei Birdman, da gibt es nur ein Jazz-Schlagzeug, und es funktioniert. Dazu braucht es Leute, die den Mut und eine Vision haben, dass andere Leute denken: »Wie krass ist das denn? Aber wie geil!«
Interessant. War das die Idee des Komponisten oder des Regisseurs? Wisst ihr das?
Das weiß ich in dem Fall nicht, aber es wird da prinzipiell immer viel ausprobiert, und was am besten funktioniert, wird am Ende dann verwendet. Bei Castaway z. B. gibt’s in der ersten Hälfte überhaupt keine Musik, dann kommt ein Stück von 15 Minuten, und dann war’s das auch schon wieder. Tatsächlich wurde für die erste Hälfte eigentlich auch Musik geschrieben, es ist aber fast alles wieder rausgeflogen, da der Film ohne viel besser funktionierte.
Wie sieht denn eure Zusammenarbeit mit den Regisseuren typischerweise aus? Arbeitet ihr viel mit ihnen zusammen?
Simon: Meistens ja. Und das mögen wir auch immer gerne, da die Regisseure schon tief in dem Film drinstecken, im Gegenteil zur Zusammenarbeit mit beispielsweise TV-Producern, die ihrerseits wieder nur wissen, was sie von den Creatives gehört haben. Stichwort: Stille Post.
Aber auch bei der Zusammenarbeit mit Regisseuren ist oft das alte Problem, dass jede Beschreibung von Musik − sanft, cool, kraftvoll, modern, etc. pp. − bei jedem was ganz anderes bedeuten kann. Deswegen ist Kommunikation und ein enger Gedankenaustausch mit der Regie sehr hilfreich und wichtig.
Es hilft sehr, sich gemeinsam bestehende Musik anzuhören. Dann kann der Regisseur sagen: »Die Instrumentation ist hier gut, aber die Stimmung bei dem anderen.« Daran orientieren wir uns und komponieren dem Regisseur dann zwei, drei, vier verschiedene Vorschläge, um ihm eine musikalische Spannbreite zu bieten.
Christian: Als ich in LA war, war das sogar von Regisseur zu Regisseur sehr unterschiedlich. Einige Regisseure wussten sehr genau, was die Musik bei jeder Szene bezwecken sollte, und bei anderen Regisseuren war die Musik eher zweitrangig. Da wurden dann verschiedene Möglichkeiten komponiert und danach entschieden, was am besten gefällt.
Ganz interessant war es bei George Millers Mad Max, einer der letzten großen Filme, an denen ich in LA mitgearbeitet habe. George hatte nie über die Musik selbst geredet, sondern immer Anekdoten erzählt, um zu erklären, was er eigentlich fühlen will. Das hat damals gut funktioniert, auch für uns.
Arbeitet man heute noch mit der traditionellen Technik, dass einzelnen Leuten bestimmte Themen zugeordnet werden?
Christian: Ja, schon. Aber wie gesagt sind die Themen mehr so auffallend. Manchmal sind es sogar nur Sounds, die z. B. den Bösewicht ankündigen − also keine erkennbare Melodie. Der Zuschauer merkt dies dann nur unterschwellig. Das ist inzwischen eher der Fall.
Auch werden Themen nicht zwangsläufig einer bestimmten Person zugeordnet: Bei einem Liebesfilm gibt es dann eher ein Thema, dass das Liebespärchen beschreibt. Wie Melodien eingesetzt werden, hat sich also ziemlich verändert, aber um Szenen zu verknüpfen und den Bogen zu spannen, helfen solche Themen nach wie vor schon sehr.
Welche Software- und Hardware-Instrumente haben sich denn für euch bewährt?
Christian: Wir arbeiten in Cubase, was extrem praktisch ist, da Steinberg − wie wir − in Hamburg sitzen und wir direkt im Austausch mit ihnen sind. Wenn wir einen Wunsch oder eine Idee haben, dann können wir das auf dem kurzen Dienstweg weiterleiten, sehr cool. Für uns bewährt sich Cubase aus zwei Gründen. Zum einen eignet es sich fürs Songwriting, und zum anderen auch zum Scoren. Da wir fürs Scoring in gigantischen Templates mit mehr als 1.000 Tracks arbeiten, ist dies noch mal eine ganz andere Welt.
Simon: Prinzipiell sind unsere fünf Studios hier alle gleich aufgebaut. Wir haben immer zwei PCs, wobei einer ein VSL-Rechner ist, der den anderen mit Samples speist.
Christian: Gerade bei orchestralen Aufträgen haben wir dann schon hunderte von Spuren geladen, müssen also nicht jedes Instrument einzeln laden, bis es bereitsteht − das funktioniert dann deutlich schneller. Ansonsten ist Kontakt unser Software-Sampler. Bei Sounddesign machen wir aber auch viel selbst, zum Beispiel mit MetaSynth. Fab-Filter machen super Plug-ins, die nutzen wir gern und viel, und Arturia hat sehr coole analoge, alte Sounds. Aber eigentlich picken wir uns von vielen verschiedenen Firmen die Sachen raus, die uns am besten gefallen. Da sind wir nicht wirklich festgelegt.
Welche Keyboards nutzt ihr im Studio?
Simon: In meinem Studio habe ich das Native Instruments Komplete Kontrol …
Christian: … und ich nutze ein Yamaha Stagepiano, da ich da die gewichteten Tasten sehr mag. Simon: Ansonsten nutzen wir das Fireface 800 als Audio-Interface, Christian hat Focal-Speaker, ich nutze Genelecs, das unterscheidet sich ein wenig nach persönlichen Vorlieben.
Auf welches kommende Projekt freut ihr euch denn gerade am meisten?
Dadurch, dass wir dieses Jahr bei den Cannes Werbefilmfestspielen einen goldenen Löwen für die beste Musik gewonnen haben, sind internationale Werbeagenturen auf uns aufmerksam geworden, mit denen wir momentan sehr spannende Projekte realisieren. Der angesprochene Film, der nächstes Jahr erscheinen soll, wird außerdem ziemlich für Furore sorgen. Das wird sicher gut.
Ansonsten arbeiten wir gerade viel mit dem DJ Dimitri Vegas zusammen, der auf uns zukam, nachdem er unser Survivor-Cover gehört hat. Und durch seine guten Verbindungen nach Hollywood pitchen wir gerade um den Titelsong vom kommenden James Bond und einen neuen Film mit Arnold Schwarzenegger. Das wird ein Film mit lauter 80er-Ikonen, der auch etwas humoristisch werden soll. Auch das wird bestimmt ’ne feine Sache.