Feinstaub: Frische Sounds, die in den Ohren bleiben
Es kann wirklich schön sein, zu sehen, dass etwas nicht in Vergessenheit gerät, zeitlos sein kann. Nach John Cage ist Zeit ja der einzig bleibende Parameter neuer Musik. In welche verdammte Richtung sie geht, ist hier egal. Verstaubtes kann man ja wieder polieren. Und Neues kann sehr schnell staubig werden, wenn man mal wieder nicht aufpasst. Ungeachtet von Aktualität und Brisanz stelle ich euch hier Staub vom Feinsten vor, Sounds, die — egal, ob alt oder neu — in irgendeiner Weise besonders sind oder die man zumindest einmal gehört haben sollte …
Das Gute steckt nun mal überall. Man muss nur offen für die kleinen Feinheiten sein. Und jetzt macht mir nicht so unbeeindruckte Mienen, bin ja auch bald fertig hier. Der eigentliche Mist kommt ja noch. Der Erwin Piscator wusste es auch schon: „Es ist unmöglich, Staub aufzuwirbeln, ohne dass einige Leute husten.“ Damit rechne ich ja schon. Also lasst euch gesagt sein: Selbst in den kleinsten Tonstudios findet sich ein staubiges Plätzchen.
Raz Ohara
Eine besinnliche Reise voll sanfter Elektronik, zu der Peter Rasmussen aka Raz Ohara uns mit seinem neuen Album Moksha einlädt beizuwohnen. Wattige Soundgerüste aus wabernden Harmonien und vibrierendem Dub, immer zwischen Melancholie und Glückseligkeit, lassen einen an geheime Fabrikhallen denken. Als „super spartanisch“ beschreibt Rasmussen seine Vorgehensweise, angefangen mit dem Aufnehmen einzelner Trommelschläge und der anschließenden Bearbeitung mit Logic: „Die Tracks entstanden zunächst rein rhythmisch; erst später kristallisierte sich daraus dann eine Melodie oder Botschaft.“
Und diese spielte er dann an Gitarre und Fender Rhodes ein, begleitet von seiner Stimme, alles mit dem Røde NT1 und über „einen guten Röhren-Mikrofonvorverstärker“ aufgenommen. Der in Berlin lebende Däne hat hier ein stimmiges Werk organischen Dubs erschaffen, nehmt euch die Zeit: Mittrippen lohnt sich.
Dane Joe (Adi Kum)
Adi kommt aus Israel, mag Glitzerkram, Tiere, die aussehen wie alte Menschen, und Zombiefilme mit Happy End. Und erschreckenderweise hört sich ihr akustisch bis elektronisch fabrizierter Hörstoff auch irgendwie genau danach an. „Wenn ich wirklich gelangweilt bin, mache ich mir graue Omeletts.“ Ob man das auch wieder hören kann? Sagen wir’s mal so. Dreckiger, schleifender, kratzender Elektro-Grunge, bei dem Betonwände rissig werden und auf einmal überall Leute mit ungewaschenem Haar gen Boden blickend hin und her wippen – das schreit doch gerade nach krümeligem Tabak und aschgrauen Omeletts als Beilage.
Oder einfach nur nach frischer Luft, wenn es einem dann doch zu dröge und dumpf wird. Mit anderen Worten: Nichts für endlose Nächte, aber dem Charme eines uralten, kastigen Gameboys kann man in so manch verqualmter Stunde schon erliegen.
Das Konglomerat
Hinter dem Namen verbergen sich eine Hand voll Herren, zusammengefunden in der bildungsbürgerlichen Provinz Weimar. Das Zusammenspiel aus Funk, Deephouse, Klassik, Techno, Downund Breakbeat, Post-Dubstep und, und, und lässt sich wohl am besten mit ihren eigenen Worten zusammenfassen: „Zeremonielle Trainingsjacke“ – das ist doch mal ein lifestyle-taugliches Genre. Tanzbar und bereichernd auf so vielen Ebenen. Es tut mir auch gar nicht weh, nochmals zu zitieren, was sie sich selbst zuschreiben.
Denn besser vermag ich es leider auch nicht: „Wir zelebrieren in der zeitweisen Vereinnahmung etablierter Raumwahrnehmungen durch deren visuelle und sonische Überformung die konkrete Erfahrung der bittersüßen Flüchtigkeit des Seins und spucken dem allseits liebgewonnenen Bewahrungsethos ins Gesicht.“ Darauf eine Brause, und alles ist gesagt.
Pasaje Universo
Ihrem spirituell anmutenden Namen machen die zwei Argentinier Gustavo Filograsso und Pablo Rozas alle Ehre, so viel schon mal vorweg. Zuerst und zuletzt gesehen auf diversen Festivals, meist nicht ganz von nüchterner Unschuld befleckt. Träumerische Augenblicke entstehen da, wenn sich ihr folkloristischer Instrumentenfundus gekonnt mit Loops und Synthis paart, bis daraus ein organisch-elektronisches Klanggewebe wird. Das kann dem empfänglichen Hörer durchaus die Sinne weiten.
Um noch ein wenig romantischer zu werden, synästhesiere ich auch mal ein wenig, das passt hier gut. Wie sanft einsickernde Schritte über weiches Moos, von den Ästen, Zweigen und Blättern gebrochenes Licht um einen herum, wie ein warmer Wind im Nacken … Ist ja gut, ich hör ja schon auf. Aber ich denke, ihr habt’s begriffen.
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