Der Buchla-Sound: Synthesizer der besonderen Art
Neben Robert Moog war es vor allem Don Buchla, der die Welt modularer Synthesizer entscheidend prägte und mitgestaltete. Don Buchla gilt zu Recht als Visionär elektronischer Klänge, entwickelte er doch schon in den 60er-Jahren außergewöhnliche Instrumente mit einzigartigen Fähigkeiten und noch heute ultra-futuristisch anmutenden Controllern. Sogar die audiovisuelle Ebene betrat er als erster mit einem Video-Synthesizer … lange, bevor man von Dingen wie VJing je geträumt hätte.
Auch heute ist Don Buchla aktiv, und seine Synthesizer-Systeme stehen bei anspruchsvollen Elektronikern hoch im Kurs – wer Sounds abseits ausgetretener Pfade sucht, der weiß, dass man hier an der richtigen Adresse ist. Besonders sind aber nicht nur Konzept und Klang eines Buchla-Synthesizers, sondern leider auch sein Preis. In der Synth-Lab-Folge dieser Ausgabe aber zeigen wir, wie man den Ansatz eines Buchla-Synths auch mit Doepfer A-100-Modulen für kleines Geld nachempfinden kann.
Eines steht fest: Wer diesen Sound will, bewegt sich nicht im Bereich „böser Bässe“, „schneidender Leads“ und „fetter Sweeps“ – um es mal mit den typischen Attributen zu besetzen, mit denen man üblicherweise einen guten zeitgemäßen Synthesizer beschreibt. Ein Buchla klingt viel mehr nach der Avantgarde-Elektronik der 60er-Jahre, man könnte auch sagen „akademischer“ oder „experimenteller“, was natürlich mit seinem prominenten Anwenderkreis verbunden ist.
Während Wendy Carlos‘ Elektronik-Klassiker Switched On Bach den Moog-Synthesizer populär machte, wurden Buchla-Synthesizer auf etlichen Produktionen der damaligen Headliner der Neuen Musik verewigt.
San Francisco Tape Music Center
Wir schreiben das Jahr 1962. Die jungen Komponisten Ramon Sender, Terry Riley und Pauline Oliveros hatten sich zusammengefunden, um in einem Dachbodenraum des San Francisco Konservatoriums ein improvisiertes elektronisches „Studio“ einzurichten. Hier organisierte man einen Reihe von Konzerten, die „Sonics“ genannt wurden, und weitere an elektronischer Klanggestaltung interessierte Komponisten anzog.
So kam auch Morton Subotnick zu der Gruppe, der damals am Mills College in Oakland unterrichtete und sich ebenfalls für elektronische Klänge interessierte. Man trug zusammen, was jeder an Technik einbringen konnte und gründete das San Francisco Tape Music Center (SFTMC) in neuen, größeren Räumlichkeiten.
Morton Subotnick ist einer der wahren Pioniere elektronischer Musik als eigenständige Kunstform, mit einer eigenen Klangästhetik, die nur auf elektronischem Wege erzeugt werden kann. „Als sie Switched On Bach machten, dachten die Leute, das sei elektronische Musik. Nein! Es ist Bach, auf einem elektronischen Instrument gespielt. Es ist keine elektronische Musik, es ist keine neue Kunstform.“
Zunächst bestand die technische Ausstattung aus nicht viel mehr als einigen Tonbandmaschinen und sechs Tongeneratoren. Dafür war man mit großem Enthusiasmus und frischen Ideen bei der Sache und nutzte Pauline Oliveros originäre Tape-Loop und -Delay-Techniken. Ein Wendepunkt kam mit dem jungen Techniker Donald Buchla, der ab 1965 zusammen mit Subotnick und Sender einen spannungsgesteuerten Synthesizer konzipierte und für das SFTMC baute. Die rasante Entwicklung der Elektronik, die insbesondere durch die Erfindung des Transistors einen mächtigen Schub erhalten hatte, machte preiswürdige und relativ kompakte Schaltungen möglich. Dank einer Förderung durch die Rockefeller Foundation entstand das „Buchla Modular Electronic Music System“, dessen einzelne Module bereits vor der offiziellen Vorstellung im Jahre 1966 zum Einsatz kamen, sobald sie fertiggestellt waren.
Buchla vs. Moog
An der Ostküste Amerikas entwickelte zur gleichen Zeit ein gewisser Robert Moog ein ähnliches, modulares Konzept der elektronischen Klangsynthese, dass jedoch diverse ästhetische und technische Unterschiede aufwies. Frühe Buchla-Synthesizer und schon das erste Exemplar für das SFTMC besaßen einen 16-Step-Sequenzer und statt eines traditionellen Keyboards 16 berührungs-sensitive Kontaktflächen, mit denen man Events triggern und mehrere voreingestellte Steuerspannungen abrufen konnte. Den Avantgarde-Komponisten der Zeit, die einen Tastatur-orientierten Ansatz in der elektronischen Musik vermeiden wollten, kam das sehr entgegen.
1966 begann Buchla mit dem Verkauf des „System 100“, aber schon bald zeigte sich, dass nur Moog der nötige kommerzielle Erfolg beschieden war. Bereits 1969 verkaufte Buchla sein System 100 an CBS, welche die Serie aber wegen „fehlendem kommerziellen Nutzen“ bald wieder vom Markt nahm.
Buchla and Associates
1970 hatte Buchla die Series 200 Electric Music Box entwickelt, die bis 1985 verkauft wurde. Hier findet man bereits fast alles, was heute den Buchla-Sound ausmacht und die Grundlage der aktuellen Serie 200e ist. Als der visionäre Pionier, der er immer war, wandte sich Buchla bereits 1971 der Computertechnik zu. Der Buchla Series 500 war der erste digital gesteuerte analoge Synthesizer, während der Buchla Series 300 bereits Mikroprozessoren enthielt. Mit dem 1972 erschienenen „The Music Easel“, der gerade dieser Tage eine zeitgemäß überarbeitete Neuauflage erlebt, schuf Buchla einen kompakten und transportablen Mini-Synth.
Die 80er-Jahre brachten den Buchla Series 400 mit Anschluss für einen Computermonitor hervor. 1987 hielt mit der Series 700 MIDI Einzug in die Buchla-Welt. In den 90er-Jahren entwickelte Don Buchla einen ganze Reihe außergewöhnlicher MIDI-Controller – „Lightning“ etwa, besteht aus zwei Drumstick-ähnlichen Stäben, die gestische Kontrolle diverser Parameter erlaubt. „Thunder“ dagegen liefert MIDI-Werte, die aus Berührung und Druck auf verschiedenen Touch-Pads gewonnen werden, und ist heute als „Tactile Input Port“ Teil der 200e-Serie. Die „Marimba Lumina“ verband beide Ansätze in einem Instrument mit klassischer „Tastatur“-Anordnung. Die aktuelle 200e-Serie ist seit 2004 auf dem Markt und wohl das einzige speicherbare Modular-System.
Zwischendurch war Buchla auch für andere tätig und entwickelte 1995 den OB-Mx für Oberheim oder den „Piano Bar“ für Moog (2003), mit dem man jedes Klavier ohne Modifikation des Instruments MIDI-fähig machen konnte.
Wescoast Sound
Was aber macht eigentlich den speziellen „Westcoast Sound“ der Buchla Synthesizer aus? Anders als im Moog-Universum, das vorwiegend auf den Prinzipien der subtraktiven Synthese beruht, hat man es bei Buchla eher mit komplexen Timbre-Modulationen zu tun. Bei subtraktiver Synthese wird der Klang aus einer obertonreichen Sägezahn- oder Rechteck-Welle mittels eines resonierenden Filters und anschließender Formung des Lautstärkeverlaufs mit einer Hüllkurve generiert. Der typische Buchla Sound dagegen entsteht, wenn Sinus-Schwingungen durch Ringmodulation, FM und Waveshaping obertonreiche Elemente erhalten, die dynamisch mittels Hüllkurven, Sample&Hold oder anderen Steuerspannungen geformt werden. Mit diesen Techniken kann man leicht metallisch-glockige oder hölzern-perkussive Klänge und eine ganze Reihe eher abstrakter Klänge erzeugen, die keinen Bezug zum Sound akustischer Instrumente haben.
Hands on: Buchla Skylab — auf den ersten Blick handlich und übersichtlich, aber doch ganz schön komplex in seinen klanglichen Möglichkeiten. Selbst für erfahrende Kenner sind einige Module alles andere als selbsterklärend. Die Vertiefung in die Arbeitsweise des Skylab-Systems aber lohnt sich. Gerade „Quad Sequential Voltage Source“ und „Tactile Input“ bieten Möglichkeiten, die man beim reinen Rumprobieren kaum entdecken und adäquat nutzen wird.
Der Buchla verwendet übrigens zwei verschiedene Kabelsysteme: Für Steuerspannungen werden Bananenstecker verwendet, für Audiosignale mit deutlich geringerem Pegel kommen Mini-Klinkenkabel zum Einsatz. Doch Vorsicht! Die Klinkenstecker sind etwas größer als die gängigen 3,5-mm-Klinkenstecker bei Euro-Rack-Modulen. Sie sollten nicht für Euro-Rack-Systeme verwendet werden, da sie deren Buchsen ausleiern würden. Umgekehrt kann man am Buchla aber problemlos Standard-3,5-mm-Kabel verwenden — angesichts der extrem steifen und ungelenken Originale eine gute Alternative.
Sehr deutlich wird der Unterschied, wenn man sich Werke von Wendy Carlos und Morton Subotnick anhört. Switched on Bach ist zwar komplett mit einem modularen Moog-Synthesizer eingespielt, weicht mit seiner Klangästhetik aber nicht sehr weit von den gängigen Hörgewohnheiten ab. Ganz anders dagegen die Werke von Morton Subotnick: Silver Apples of the Moon weist schon mit der psychedelischen Namensgebung in eine völlig andere Richtung. Die abstrakten Klangstrukturen sind von originärerer elektronischer Natur und klingen auch heute noch frisch und aufregend.
The Music Easel
Easel übersetzt sich nicht, wie viele annehmen mit „Esel“, sondern mit „Staffelei“. Der kompakte Modulare, von dem in den frühen 70ern nur eine recht geringe Anzahl von Geräten gebaut wurde, hat bereits alle Elemente, mit denen sich der charakteristische Lowpass-Gate-Sound, der für Buchla Synths typisch ist, erzeugen lässt. Der Music Easel ist kein von Grund auf neu konzipiertes Instrument, sondern beruht auf dem „Model 208 Stored Program Sound Source“-Modul, das bereits 1972 die Speicherung von Klangparametern über mit Widerständen bestückten Steckkarten ermöglichte und auch als System- 200-Modul zu haben war. Der neue Music Easel bietet dieselben technischen Merkmale, mit dem Unterschied, dass man zusätzlich zur Widerstands-Steckkarte in Zukunft modernere Speicher- und Steuermöglichkeiten via Bluetooth nachreichen will. Unschlagbar: das kompakteste Buchla Format, das zu haben ist. Trotz der überschaubaren Modul-Auswahl ist er klanglich ein echter Buchla.
Mit einem Ladenpreis von 4.000 Euro dürfte der Music Easel für Synth-Enthusiasten mit dem nötigen Kleingeld ein vergleichsweise „günstiger“ Einstieg in die Welt der Westcoast-Klänge sein. Wer nicht über die nötigen Mittel verfügt, kann immer noch versuchen, den Easel mit entsprechenden Euro-Rack-Modulen nachzuempfinden. In der nächsten Ausgabe möchten wir euch den Music Easel näherbringen (so er dann verfügbar ist) und zusammen mit Patrick Detampel (Alex 4) Bauvorschläge für Easel-Clones vorstellen.
Morton Subotnick, 1933 geboren, studierte zunächst englische Literatur in Denver und machte wenig später seinen Master in Komposition am Mills College. Dort lehrte er als Assistant Professor in Music und arbeitete als musikalischer Direktor für Ann Halprins Dancers Workshop Company. In dieser Zeit stieß er zu der Gruppe von Komponisten, mit denen er das San Francisco Tape Music Center gründete. Besonders seine frühen Werke, erschienen auf dem Label Nonesuch, sind Paradebeispiele für den Westcoast-Sound und seine originären Klänge, die einen eigenen Kosmos von bis dahin ungehörten, rein elektronischen Klangbildern schuf. Silver Apples of the Moon (1967) und The Wild Bull (1968) sind vollständig mit dem „Modular Electronic Music System“ produziert, das Don Buchla für Subotnick und das SFTMC gebaut hatte. fi www.mortonsubotnick.com