Clavinet-Erfinder Ernst Zacharias gestorben
Ernst Zacharias war der Daniel Düsentrieb der Traditionsfirma Hohner. Er erfand viele legendäre Instrumente, die die Popmusik prägten und mit denen Leute wie Stevie Wonder oder Sly & The Family Stone Welthits aufnahmen (siehe die Ernst Zacharias-Story ,die Pianet-Story und die Hohner-Story in Keyboards).
Vom gelernten Ingenieur Zacharias entwickelt und konstruiert entstanden 1958 das Cembalet (abgeleitet vom Cembalo), 1962 das Pianet, 1964 das Clavinet (abgeleitet vom Clavichord), und das Guitaret (eine Art elektrischer Kalimba oder Sansa). Außer dem Clavinet basieren alle diese Instrumente auf einer Klangerzeugung durch Metallzungen, die mit Plektrum (Cembalet), durch Hammer (Pianet) oder durch Fingeranschlag (Guitaret) in Schwingung gesetzt werden. Die Klänge werden mit elektromagnetischen Tonabnehmern abgenommen und an Verstärker angeschlossen.
Ernst Zacharias starb am 6. Juli 2020 im Alter von 96 Jahren.
Hier der Nachruf von Gerd Prix (Foto links neben Erst Zacharias) vom Eboardmuseum in Klagenfurt:
Meine erste persönliche Begegnung mit Ernst Zacharias erfolgte im Jahr 1990, durch meinen angekündigten Besuch in seinem Haus in Trossingen, verbunden mit der Bitte um ein Interview, um möglichst viel Information zu jenen grandiosen Instrumenten zu erhalten, mit denen ich schon Jahre zuvor meine ersten persönlichen Begegnungen hatte!
Es war der erste von noch vielen weiteren Besuchen, bei denen ich stets freundlichst von einem echten Sir der alten Schule empfangen wurde. Immer verbunden mit einem Quäntchen Ungläubigkeit, dass sich da jemand für einen Herrn im fortgeschrittenen Alter interessiert, der seine wahre und längerfristige Bedeutung für das Musikbusiness selbst offenbar so noch nicht wahrgenommen hatte.
Meine Bitte, unser Gespräch mitschneiden zu dürfen, wurde nach kurzem Überlegen höflich zurückgewiesen. Zu gross waren seine Bedenken, dass vielleicht auch kritische Äusserungen über seinen ehemaligen Dienstgeber Hohner akustisch irgendwo dokumentiert sein könnten. Immerhin lebte Ernst Zacharias nach wie vor in der Hohner-Homebase Trossingen, einer Kleinstadt mit etwa 17.000 Einwohnern.
Viele meiner Detailfragen zur Entwicklung von Cembalet, Pianet, Clavinet und weiteren Zacharias-Entwicklungen konnte er beantworten. Einiges auch nicht, was einerseits meiner detailverliebten Recherche zu verdanken war, aber auch der Tatsache, dass der Ingenieur Zacharias nicht in alle Entscheidungsprozesse um das Marketing seiner Entwicklungen eingebunden war, und es wohl auch gar nicht wollte!
Aber das zunehmende Leuchten in seinen Augen im Verlauf unseres langen Gesprächs ließ erahnen, dass der Welterfolg seiner Erfindungen ihm nicht nur unvergessliche Erinnerungen und persönliche Begegnungen mit Weltstars bescherte, sondern auch jene Wertschätzung, die das aktuelle Hohner Management vielleicht vermissen ließ. Eine neue Generation hatte das Ruder übernommen …..
Schnell aber lenkte Ernst Zacharias unser Gespräch auf seine aktuellen Neuentwicklungen, allen voran eine Pfeifenorgel mit dynamisch spielbarer Tastatur. Was in analogen und digitalen Schaltkreisen absolut keine Challenge darstellt, bedarf bei Blasinstrumenten – und nichts anderes sind die Pfeifen einer Orgel – eines kompletten Überdenkens traditioneller Strukturen. Mit der von ihm entwickelten Gewendeten Zunge demonstrierte er mir Ungläubigem, dass es sehr wohl möglich sei, bei Orgelpfeifen eine stabile Frequenz auch bei unterschiedlichen “Windstärken” zu erreichen.
Die kommerzielle Verwertung dieser revolutionären Idee verfolgte Ernst Zacharias bis zu seinem nunmehrigen Ableben. Immer wieder wurden unsere Gespräche von ihm behutsam von seinen grossen Welterfolgen in diese Richtung gedrängt, vielleicht auch hoffend, dass ich mit der Institution EBOARDMUSEUM im Hintergrund ihm noch zu diesem weiteren Durchbruch behilflich sein könnte.
Ich konnte es nicht … Leider! Zu groß scheinen die Vorbehalte jahrzehntelanger Organisten, die eben seit Jahrzehnten auch ohne diese dynamische Steuerung leben konnten …..
In ziemlich regelmäßigen Abständen hatte ich die Ehre, zu weiteren Besuchen und Gesprächen eingeladen zu werden. Und bereits unser zweites Interview durfte schließlich mitgeschnitten werden. Auf MC und in typisch schwäbischem Kolorit. Nicht nur erst seit dem 6. Juli 2020 ein absolut wertvolles Zeitdokument !
Bei diesen Meetings vertraute er mir schließlich bedenkenlos die Originaldokumente und Aufzeichnungen seiner Erfinder – Karriere an. Diese Pretiosen sind heute, wie auch fast alle Prototypen seiner Entwicklungen, im EBOARDMUSEUM ausgestellt. Eine historische Aufarbeitung vieler Details und Insiderinformationen wurde von mir bereits vor Jahren begonnen, ist aber noch nicht abgeschlossen.
Im Sommer 2011, Ernst Zacharias bereits im 88. Lebensjahr, erfolgte schließlich, begleitet von seiner Familie, sein Gegenbesuch hier am Wörthersee, und natürlich im EBOARDMUSEUM. Dieses Eintauchen eines Erfinders in sein Lebenswerk wurde medial entsprechend würdig begleitet und dokumentiert. Und doch, auch an diesem 5. August 2011 konzentrierte sich Ernst Zacharias mehr auf seine aktuellen Weiterentwicklungen, als in Ruhm und Ehre vergangener Zeiten zu verharren!
Im Laufe unsere vielen Gespräche wurde mir bewusst, dass geniale Ideen und Erfindungen nicht immer finanzielle Sorglosigkeit und Wohlstand bedeuten. Schon gar nicht, wenn man als Angestellter eines weltweit agierenden Konzerns seiner Kreativität nur den ihr zugestandenen Freiraum widmen darf. So besaß Ernst Zacharias von seinem Welterfolg Clavinet gerade mal ein Modell L, das mit seinem barocken Design auch die Lieblingsepoche des Erfinders widerspiegelte. Die etwas naive Annahme, dass zumindest je ein Exemplar der Evolutionsgeschichte von Clavinet 1 bis zum Clavinet Pianet Duo im Haushalt Zacharias zu finden sei, hat sich nicht annähernd bestätigt.
Ganz im Gegenteil: Um Geld zu sparen, bastelte sich der Erfinder sein “Reiseclavinet” aus Teilen zusammen, die in der Fabrik mehr oder weniger als Abfall herumlagen. Auch dieses Unikat mit seiner tragikomischen Vorgeschichte wird im EBOARDMUSEUM in Ehren gehalten.
Ernst Zacharias’ Abgang aus dem Hohner Konzern in die Pension, inklusive anschließender Rückkehr auf Honorarbasis für mehrere Jahre, fiel mit der Entscheidung der Hohner Führungsebene zusammen, die Zukunft des Traditionsunternehmens nicht mehr so sehr in der Weiterentwicklung von Musikelektronik zu sehen, sondern in dieser Sparte lieber fertige Produkte zuzukaufen und einfach mit dem Hohner – Logo zu versehen. Wertschätzung vergangener Höhenflüge sieht wohl anders aus …..
Was mich dann aber doch überraschte: Der Welterfolg Clavinet wurde also nun von Hohner in rein digitaler Form als Clavinet DP 1 angeboten. Ein für damalige Verhältnisse mediocres Elaborat, das Einiges, aber vor allem Charisma vermissen ließ. Jeder durchschnittliche Mensch, und ganz besonders dann, wenn man sich von seinem ehemaligen Dienstgeber vielleicht nicht ganz standesgemäß behandelt fühlen musste, hätte die Unzulänglichkeiten dieses Clavinet-Epigonen zur Aufrechterhaltung seiner eigenen Reputation benützt. Nicht so Ernst Zacharias! Mich ließ er wissen: ” Ist doch janz jut gelungen, dieses DP-1 “.
Da habe ich beispielsweise Bob Moog ganz anders in Erinnerung, als er sich mir gegenüber auf den Moog Source als offiziellen Nachfolger seines Minimoog angesprochen ziemlich abfällig äußerte. Menschlich absolut verständlich, und technisch zumindest teilweise.
Die Hammond-Orgel trägt den Namen ihres Erfinders. Ebenso die Fender Telecaster, das Rhodes Piano, das Leslie, der Moog – Synthesizer oder der Oberheim OB-XA. Genauso der Kurzweil 250, die Linn Drummachine oder rudimentär auch der ARP Odyssey.
Die Erfindungen des Ernst Zacharias, speziell Pianet und Clavinet, haben für Musiker neue Welten eröffnet, und hunderten Hits einen unverwechselbaren Sound verpasst. Kein ernst zu nehmendes Keyboard der letzten Jahrzehnte kommt ohne Imitat dieser Sounds aus. Der Name Zacharias hingegen blieb dabei stets im Hintergrund.
Bescheidenheit und Größe sind kein Widerspruch! Ernst Zacharias besaß beides.
Ich hatte die Ehre und das Glück, noch viele der Pioniere der Musikelektronik persönlich kennen zu lernen. Ernst Zacharias war da für mich nicht Einer von Vielen, sondern eine wertvolle, intensive und bilateral respektvolle Beziehung über fast 30 Jahre.
Gerd Prix
Herzlichen Dank für diesen tollen, wichtige und umfassenden persönlichen Bericht. Nur bei den Synths hätte ich gern den PPG von meinem Freund Wolfgang Palm dabei gehabt. OK, passt nicht so direkt zum Nachruf. Bitte dafür um Entschuldigung.