Zum Ursprung des Rhythmus'

Burnt Friedman über seinen aktuellen Longplayer

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(Bild: Bernd Friedman)

Ist Kunst Kultur? Macht ein Afrikaner automatisch afrikanische Musik? Wie entsteht Rhythmus? Diese und ähnliche Fragen stellt der Berliner Elektroniker Burnt Friedman in den Mittelpunkt seines aktuellen Albums Musical Traditions in Central Europa / Explorer Series Vol. 4. Musik, Cover und dessen »Klappentext« verbinden sich dabei zu einem konzeptionellen Gesamtkunstwerk.

Für sich genommen, ist Musical Traditions … zunächst einmal ein wundervoller Mix aus Dub, Electronica und Jazz-Elementen − faszinierend hypnotisch, gleichermaßen eingängig wie verwirrend, fließend und explosiv. Liest man den Covertext, taucht man in ein interessantes und polemisches Gedankenspiel um vertauschte Wahrnehmungen und Bezüge ein: Europäische Club-Musik erfährt hier eine Sichtweise und Kategorisierung, ganz wie sie Europäer üblicherweise auf »Weltmusik« anwenden. Dabei sind Friedmans zehn Tracks alles andere als typische Clubmusik − die Einordnung ist somit oberflächlich, bisweilen sogar unpassend und entspricht ganz einer »kulturellen Vereinnahmung«, gegen die sich Friedman vehement wehrt.

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Wir wollen mehr über die Entstehung von Konzept und Musik erfahren und treffen einen mitteilsamen Bernd Friedman im sommerlich heißen Berlin.

Das Konzept deines aktuellen Albums ist sehr interessant …

Die Betrachtung von Kunst durch Europäer beinhaltet fast immer eine kulturelle Vereinnahmung. Ein beispielsweise iranischer Musiker wird nicht als eigenständiger Künstler betrachtet, sondern als Repräsentant, gar als »Dienstleister« seiner Kultur. Sein Schaffen wird in einen kulturellen Rahmen gepresst, was es im schlimmsten Fall zu Folklore herabwürdigen könnte. Ich wehre mich gegen diese Vereinnahmung, indem ich eben jene Praxis umkehre und sie auf unsere hiesige Clubmusik anwende.

Die Musik sollte demnach für sich stehen?

Kunst und Kultur sind nicht dasselbe. Kultur ist eine Kollektivleistung, d. h. Aussagen und Vorgaben im Namen von Fußballverein, Nation, Religion, darüber hinaus Sprache und Gebräuche usw. Nun stellt sich die Frage, ob sich diese Dinge wirklich in der Musik wiederfinden lassen oder ob Musik ein Eigenleben hat? Nach meiner Annahme ist Musik umso erfolgreicher, je weniger kulturelle Prägungen enthalten sind, weil der Künstler dann für sich selbst steht und Bezug auf das Universelle nehmen kann.


Neben Logic und Pro Tools setzt Burnt Friedman vielfach auf Hardware,

u. a. zahlreiche MIDI-Soundexpander vom Nordrack über mehrere Roland Sample-Player bis hin zum Digital Mellotron. Auch mehrere Hardware-Effekte sind vorhanden. Zu den wichtigsten Tools zählen jedoch zwei altehrwürdige Korg MS-20 und das Zähl-Mischpult AM-1.

»Mit dem MS-20 kann ich jede Art von Solostimme in Nullkommanichts erzeugen. Das ist wie die Klarinette der Elektronik.«
RolandSample-Player aus zwei Generationen: der Integra-7 und zwei R-8MDrumsound-Module. Ganz unten ein Korg DVP-1-Effekt. Der Akai-Sampler ist nur noch gelegentlich in Gebrauch.
Bernd arbeitet hauptsächlich mit je einem Brauner VM1, Schoeps und AKG C414. »Ich will sotrocken wie möglich aufnehmen. Für einzelne Trommeln nutze ich nurein Mikro.« Künstlichen Hall liefert ein Eventide 2016 Reverb oder gelegentlich der Federhall vom Roland Space-Echo.

Ist nicht jede Musik zwangsläufig kulturell geprägt?

Dem kann man tatsächlich nicht entkommen. Es finden sich jedoch in der Musik bestimmte Gesetzmäßigkeiten, die nicht kulturell bedingt und nicht von Menschen ausgedacht sind. Dazu zählen das Naturprinzip der Obertöne oder die Oktave, also das Prinzip der Halbierung und Verdoppelung, sprich 1, 2, 4, 8, 16 usw., welche die Grundlage für das Rhythmusprinzip bilden. Erst der Hörer mit seinem emotional und kulturell geprägten Zugang macht die Musik für sich »fröhlich« oder »traurig«. Der musikalische Gegenstand selbst ist jedoch neutral, oder anders gesagt: Musik ist zu nichts zu gebrauchen.

Haben bestimmte musikalische Parameter nicht überall ihre gleiche Wirkung?

Anhand einiger Forschungen offenbar nicht. So scheint etwa für Pygmäen Musik grundsätzlich eine, die Gemeinschaft stützende, positive und als Befeuerung empfundene Kraft zu sein. Wenn sie »westliche« Popmusik hören, fehlt der Bezug zu den uns vertrauten, individuellen Befindlichkeiten.

Deine Musik ist somit nicht kulturell geprägt?

Ich versuche, mich auf das phänomenologische zu fokussieren. Vor allem die rhythmische Arbeit mit Jaki Liebezeit (2017 verstorbener Can-Drummer, auf der Album-Serie Secret Rhythms; Anm.d.Red.) war ausschlaggebend, auf diese Ebene vorzustoßen. Die übereinstimmende Rhythmuspraxis in einander fremden, lokalen Kulturen lassen darauf schließen, dass es universelle Gesetzmäßigkeiten in der Musik gibt.

Wie entstehen solche Gesetzmäßigkeiten?

Etwa, weil alle Menschen mit zwei Händen trommeln. Man bewegt sich auf eine, dem Körperbau entsprechende Art und Weise und findet somit zwangsläufig zu einer Rechts/Links-Balance (trommelt eine Figur). Eine balancierte, periodische Bewegung ist der Ursprung aller Rhythmik.

Hätten wir drei oder vier Arme, würde andere Rhythmik entstehen …

Vermutlich.

Was zeichnet deine Rhythmik aus?

Seit unserer Zusammenarbeit in 2000 nutze ich Jakis Konzept: In seiner Bewegungsnotation gibt es nur zwei Zeichen: kurz und lang, für die Zeitintervalle mit dem Wert 1 und 2. Dieses binäre Zeichensystem kann die Bewegungen mit der Balance von rechter und linker Hand festhalten. Entsprechendes Drumming erhält fast von selbst diese Präzision und Lebendigkeit, die Jakis Spiel ausgezeichnet hat.

Du arbeitest viel mit »schrägen« Rhythmen …

Ein Vierer-Beat mit durchgehender Bassdrum − wie im Rock oder Techno − enthält nur das durchlaufende Metronom sowie darüber eine beliebige Ornamentik. Spielt man einen Fünfer-Beat, aufgeteilt in ein Quintenverhältnis von zwei zu drei, erfordert das schon eine ganz bestimmte Balance bzw. harmonische Aufteilung der Beats auf rechte und linke Hand. Weiter geht es mit sieben, neun, elf, zwölf usw. − da werden die Aufteilungsmöglichkeiten richtig spannend!

Für dubbige Delays nutzt Bernd das Roland Space-Echo und die Strymon Timeline.
Das Zähl-Mischpult ist die Zentrale des Studios. Bernd schätzt den erstklassigen Sound und die zahlreichen Ausstattungsmerkmale wie etwa die umfangreiche-Aux-Sektion.
Ein Schrank voller Percussion-Instrumente
Das Outboard-Rack: Neve Dual-Preamp, Kompressoren und Röhren-EQ von SPL, ein Thermionic-Verzerrer und der Eventide 2016 Hall. Links im Eurorack finden sich mehrere Schippmann-Filtermodule.

Bei dir ist eine solche Rhythmik vielfach programmiert. Kommt dadurch nicht der »menschliche Faktor« wieder abhanden?

Ich würde sagen, Musik muss überhaupt keine menschlichen Attribute haben − warum auch? Musik hat einen kosmologischen Bezug.

Lass uns ein paar Infos über dein »Produktionshandwerk« anschließen. Wie entstehen deine Beats und Tracks?

Die Stücke des aktuellen Albums sind über einen Zeitraum von gut zehn Jahren entstanden. Ich habe bestehende Aufnahmen immer wieder verändert und ergänzt. Als ersten Arbeitsgang programmiere ich meist in Logic. Ich mappe mir Samples gruppenweise auf meine Einspiel-Tastatur − also immer bis zu zwölf Variationen eines Sounds nebeneinander. Dabei verwende ich ein bestimmtes System, was den Austausch der Sounds vereinfacht. Die Beats spiele ich dann per Hand in Logic ein, oder besser: an Trommeln entlang einer MIDI-Spur. Audio nehme ich ebenfalls in Logic auf. Wenn ich akustisch einspiele, versuche ich, den Track so weit und so präzise wie möglich durchzuspielen. Ob ich dann loope, schneide, quantisiere oder auch gar nichts korrigiere, hängt davon ab, wie das Stück gemeint ist. Entweder bleiben alle Elemente unbearbeitet oder werden quantisiert. Wenn ich Spuren bearbeite, dann meist wirklich jede Note und zwar ihre Position sowie ggf. Länge und Lautstärke. Schließlich schicke ich einen Mixdown in Pro Tools und ergänze dort noch Overdubs und Edits.

Warum Logic und Pro Tools?

An Logic schätze ich vor allem die MIDI-Verarbeitung. Pro Tools wird dagegen dem Musiker-Denken am ehesten gerecht.

Nimmst du die Synths mit Effekten auf?

Ich habe zwei Signalwege zur Auswahl: Entweder direkt und trocken am Pult vorbei oder über den (Neve) Preamp, die Effekte und die Klangregelung. Letzteres nutze ich, wenn ich gleich mit der zum Stück passenden Empfindung aufnehmen will.

Wo hast du das Album mastern lassen?

Das hat Rashad Becker bei Dubplates & Mastering gemacht. Wir arbeiten seit über 20 Jahren zusammen.

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