Kleine Geschichte der elektronischen Musik
Kein Instrument hat die Musik der letzten Jahrzehnte so maßgeblich beeinflusst wie der Synthesizer. Diese Entwicklung hat eine unglaubliche Vielfalt an Instrumenten hervorgebracht. Doch nach all den digitalen Wundern der letzten Jahre steigt das Interesse für echte analoge Synthesizer. Warum?
Da ist es wieder, dieses Kribbeln in den Fingerspitzen. Dieses silbrige Glitzern irgendwo zwischen Amygdala und Kleinhirn, das sagt: “Aaaargh …” Tja, schon wieder erwischt: Diesmal von einem Foto in einer alten KEYBOARDS-Ausgabe: Saga-Tastenmann Jim Gilmour in einer stilechten Synth-Burg, 80erJahre-Haare im Wind einer Open-Air-Bühne − und ein breites Grinsen im Gesicht. Kein Wunder! Der Mann hat einen Minimoog, zwei (!) PPGs und einen Memorymoog um sich herum aufgetürmt, dazu ein Roland MKB-1000, das unter anderem einen PPG Waveterm und zwei (!) Super-Jupiter zum Brüllen bringt. “Aaaargh …, nur einmal ein Konzert mit diesen Dingern bestreiten! Hier, Gott, nimm meinen linken Arm dafür!”
>> Monsters of Phätt! Polyphone Synthesizer der 80er <<
OK. Obwohl der Gig nach diesem Tauschgeschäft schon etwas schwierig werden würde: Stoßseufzer wie dieser waren bis mindestens in die 1980er-Jahre völlig normal. Ebenso wie die unter Keyboardern weit verbreitete, heute jedoch nur noch etwas nerdig erscheinende Gabe, selbst die kleinsten Bestandteile eines Keyboard-Setups auch dann noch treffsicher identifizieren zu können, wenn lediglich Quadratzentimeter davon für zwei Mikrosekunden in einem verwackelten Rockpalast-Kamerabild zu sehen waren. Die dazugehörigen Signature-Sounds rief die Groß- hirnrinde dann gratis ab. Liebe Nerds, für euch: Gilmours PPGs waren ein Wave 2 und ein Wave 2.2 (mit 2.3er-Update). Signature-Sounds: einmal Tangerine Dream auflegen, Kiew Mission (aus dem Album Exit), Bingo.
Synthesizer in den 70er-Jahren. Damals für viele unerschwinglich, heute heiß begehrt und zu Sammlerpreisen gehandelt.
Ganz neue Sounds! Dabei war Gilmour noch ein Spätberufener − im Vergleich zu Synth-Päpsten wie etwa Rick Wakeman, der sich bei Yes an vielen, vielen Tasten verausgabte, oder Keith Emerson mit seinem Telefonschrank-Monster-Moog. Oder Vangelis, der – in den 1970ern noch (fast) rank und schlank – einer ganzen Legion von Synths seinen musikalischen Willen aufzwang (siehe das Artwork einer frühen VangelisPlatte, das manchem Musikalienhändler ein anständiges Auskommen gesichert haben dürfte). Und natürlich Elektronik-Gurus wie Klaus Schulze, der sich während seiner Sphären-Konzerte zuweilen auf einem Flokati fläzte, um den herum er seinen Synthi-Wall aufgetürmt hatte − die Liste der verwendeten Instrumente macht heute noch auf der Stelle wahnsinnig.
Damit die Zuschauer was sahen, gab’s immerhin einen großen Spiegel. Aber warum? Wozu das Ganze? So viel Zeug? Nun, bis heute hält sich hartnäckig das Gerücht, dass Synthesizer erfunden wurden, um Naturinstrumente zu imitieren. Sagen wir mal so: Wer es geschafft hat, nicht vor Lachen tot umzufallen beim 1:1-Vergleich zwischen dem Piano-Preset eines CS-80 und einem echten Klavier, weiß: Das war nix. Dabei war dieser Synth das Heißeste, was man um 1978 kaufen konnte! Dafür brachten Synthis aber Klänge in die Welt, die es bis dahin nie gegeben hatte. Nicht vergessen: 1968, als es allmählich losging mit Moog & Co, wischte man sich hierzulande noch zu Heintjes Du sollst nicht weinen die Tränen aus den Augen. Elektronik im Rock: Das waren nach Bier riechende Amps und vielleicht mal eine B3; selbst transistorisierte Schweineorgeln galten noch als Rocket Science. Und plötzlich: Booom, Tschack, Wooosh! Waaah! Was für ein Schock! Plötzlich reichte es, ein paar Knöpfe zu drehen, um Dinge zu hören, die man sonst nur im Drogenrausch sah! Und das Publikum mach – te mit! Wurde hungrig! Immer neue Sounds! Her damit!
Aber die Sache hatte einen Nachteil: Während die Gitarren-Kollegen ungestraft über Jahrzehnte auf ein und demselben Instrument schrammeln durften, musste man als Keyboarder wohl oder übel ständig neue Hardware anschaffen, um dranzubleiben. Seither, liebe Enkel, gelten wir als Nerds, immer in Geldnot.
oh mann, genau so wars damals, welcher synth/ welcher Keyboarder is das/ wie geht der standard minimoogsolosound mit einem 1 oszi grind synth (ms10), warum klingt der poly 61 nicht annähernd wie die ganzen großen obis und prophis, woher überhaupt die kohle für den schrott nehmen(damals kosteten schon kabel ein vermögen), endlose stunden den musikalienhändler des vertrauens (danke hr. dvorsky!) genervt mit herumklimpern/schrauben an den ausstellungsgeräten (obwohl klar war dass man eh nichts kaufen wird), schonungslos ausgeliefert den (heute utopischen) Gewinnspannen des Einzelhandels (Amazon+co gabs noch nicht), und: man hätte schon auch noch spielen können (nicht so wie heute wo musik nur mehr am lappi zusammengebastelt wird)….. jedenfalls bekam man damals noch was für sein Geld (nix plug ins, Hardware satt!)