30 Jahre KEYBOARDS – wir feiern!
„Männer nehm’ in den Arm, Männer geben Geborgenheit …“ – na, was fällt dir zu diesen Textzeilen ein? Keine Sorge: Über Grönemeyers neue Platte wollen wir diesmal nicht reden. Sondern … na ja: Erinnerst du dich an den Song? Diese charakteristische Knödelstimme, ja sicher. Aber darunter: schiebender Moog-Bass, bonbonfarbene FM-Akkorde? Stimmt: Grönemeyers Männer-Song ist so was von Eighties, mehr geht fast nicht mehr!
Und damit war 4630 Bochum, Grönies Männer-Album, in seinem Geburtsjahr nicht allein: Alphavilles Big In Japan, Depeche Modes People Are People, Nenas Fragezeichen, Frankie goes to Hollywood, ja sogar Nino de Angelo in Jenseits Von Eden: Willkommen im Jahr 1984, dem Jahr, in dem die Maschinen die Kontrolle übernahmen! Klickt man sich in die „Hitparade“ dieses Jahres, muss man tatsächlich lange suchen, bis man auf einen Song stößt, in dem kein Oberheim oder Prophet Teppiche legte, kein FM-Synth klingelte und kein digitaler „Wooosh“ die Produktion veredelte. Das Jahr war für Keyboarder ein Paradies!
Oder? Nun ja: Etwas fehlte wie ein Cutoff-Poti am DX7. Und wir, die KEYBOARDS-Redaktion, können mit großem Stolz verkünden: Nur bis zum Ende des Jahres. Denn vor 30 Jahren gab es zwar begnadete, glückliche Keyboarder in Germany – aber kein Magazin, das sich gezielt mit den Bedürfnissen und Macken dieses erlesenen Menschenschlags auseinandersetzte. Es war bittere Tatsache: Wer der Tastenzunft angehörte, musste sich seine Medien mit den Kollegen der anderen Instrumentengattungen teilen. Was das bedeutete, lässt sich schon an den Seitenzahlen ablesen, mit denen eins der führenden Musiker-Fachmagazine dieser Zeit, Riebes Fachblatt, seine tastendrückende Kundschaft erfreute: Wenn man Glück hatte, fand man etwa auf einem Dutzend Paginas Infos, die einen hinter der Keyboardburg hervorlocken konnten – wozu man wissen muss, dass das Heft in guten Zeiten schon mal die 300 Seiten-Schallmauer sprengte. Der Rest: Gitarren, Gitarren, Gitarren, Amps, Frequenzweichen und Gitarren. Und, ach ja: Interviews, die sich um ähnliche Themen drehten.
Urknall im Tastenland!
Das hat sich zum Glück geändert. Tataa: Seit Dezember 1984 gibt es KEYBOARDS, ein Magazin nur für uns! Gut, auf dem Cover der Erstausgabe musste man nach einer Tastatur schon eine Weile suchen. Und die, die man (unten links) findet, gehört ausgerechnet zu einem Klavier. Stattdessen: Ein olles Heimcomputer-Keyboard, das den Exklusiv-Test des Yamaha CX5M ankündigt – obwohl, nicht vergessen: Der war damals das heißeste Ding seit Konrad Zuse, und das neue Blatt hatte ja wohlweislich auch Homerecording & Computer – Zeitschrift für Tasteninstrumente und Heimstudio unter dem Titel stehen.
In der Bucht ist dieses erlesene Sammlerstück für Tasten-Archäologen nur noch selten zu finden, also blättern wir ein wenig für dich drin: Schon die Umschlaginnenseite ist eine Augenweide: Eine PPG-Anzeige! Habenwollen-Faktor 129,7! Wolfgang Palm wirbt zwar damals noch wie Mercedes-Benz – „PPG – noch ein deutsches Spitzenprodukt erobert den Weltmarkt“ – aber wer liest so was schon, wenn einem die Tränen die Sicht nehmen! Da stört es dann auch erst einmal nicht, dass ein Manifest oder doch zumindest ein Vorwort à la „Wir sind da! Folgt uns! Liebt uns!“ eigenartigerweise fehlt: Man tritt mit angenehmem Understatement an. Dafür finden wir eine herzerfrischende „Fragen“-Seite. „Was ist Metal?“, lautet die allererste Wissenslücke eines JX-3P-Users, die hier gestopft wird: „Bei Metal moduliert ein DCO einen zweiten mit einer Schwingung, die im Hörbereich liegt.“ Diese Antwort in ihrer Zen-artigen Dichte sollte man auch heute noch parat haben! Nur eben ausschließlich bei der richtigen Gelegenheit zücken, ganz wichtig.
War 1983 ein echter Renner: Der Roland JX-3P bot sogar 2 DCOs pro Stimme, mit denen sich per Cross Modulation metallische Sounds erzeugen ließen. Der Synth ist auch heute sehr beliebt für seine warmen Sounds. Infos liefert dir der Vintage-Park-Artikel. In den Klangbeispielen ist natürlich der Sound „Metal“ zu hören.
In einem Extra aus der KEYBOARDS 5/2007 Seite 108, findet ihre weitere Infos zu Roland JX-3P.
Sounds zum Abtippen!
Weiter am Start: Coole Interviews! Mit Fotos! Schwarzweiß zwar, aber: Keyboards in freier Wildbahn! Sofort abscannen … Unter anderem mit Jean Jacques Kravetz (Instrumente: Ja, die will ich alle haben!, Frisur und Reißverschluss-Overall: Eher nicht mehr so) und dem Keyboarder von Jethro Tull – so mancher wusste bis dahin gar nicht, dass die überhaupt einen hatten … Dann eine Fotoreportage: Wie entsteht ein Klavier? Und natürlich ausgedehntes Intellektuellen-Futter in Form einer spärlich bebilderten Bleiwüste zur aktuellen Ars Electronica, 1969 war schließlich noch gar nicht so lange vorbei, uuuund, Tschingbumm: Testberichte!!! Unter anderem: Yamaha CX5M, Steinberg Multitrack Sequencer Software („Plus: Gute Bildschirmaufteilung , Minus: Keine Einzeltoneditierung ohne Zusatzprogramm“) – Kinder, waren das Zeiten!
Über den Musikcomputer Yamaha CX5m schrieb KEYBOARDS-Autor Andreas Hau zur Jubiläumsausgabe „20“ in seinen „8-Bit-Memoiren“. Den Artikel kannst du hier herunterladen. Die Klangbeispiele auf dieser Seite solltest du dir auf keinen Fall entgehen lassen.
In der Ausgabe KEYBOARDS 1/2005 Seite 186 gibt es ein Extra zum YAMAHA CX5M
Wer einen DX7 hatte, hat das alles aber sehr wahrscheinlich erst einmal links liegen lassen, das Gerät angeschmissen und die zwei Parameterlisten aus der „Soundbörse“ auf Seite 51 eingehackt – ja, liebe Nerds, nicht heruntergeladen, sondern händisch eingetippt! So waren wir damals drauf! Was in der Regel zu seltsamen Ergebnissen führte, weil man sich ja immer mal gerne verhaut. Und ja: Es waren wirklich nur zwei Sounds und nicht 200! Aber immer noch besser als in der Computerzeitschrift Chip seitenlange Fortran-Listings abzutippen wie andere Nerds.
Den Reigen des Gebotenen beendete ein Set von Workshops, in denen uns kein Geringerer als Ex-Passport-Keyboarder Kristian Schultze, dem wir neben Christian Bruhn unter anderem den Soundtrack zur TV-Serie Captain Future verdanken, einen Zugang zur Klangsynthese eröffnet. Ein paar Seiten später fragt ein Workshop noch, ob man sich mit einem Synthi-Bass ein zusätzliches Bandmitglied sparen kann, ein weiterer zeigt, wie man auf einem C64 MIDI-Software selber schreibt (ohne Abtipp-Listing). BANG! Das war die erste KEYBOARDS-Ausgabe!
Von Anfang an Jood Jejange!
Und ja: Auch die Anzeigen des „Synthesizerstudio Bonn“ waren von Anfang an mit am Start. Im alten Mutterschiff Fachblatt gehörten sie praktisch mit zu den ersten Dingen, die der Tasten-Connaisseur rituell nachschlug. Auf Seite 45 der KEYBOARDS-Erstausgabe hatte sie zwar ein klein wenig Homeoffice-Charme – was schlicht daran lag, dass die Herren Matten & Wiechers ausgerechnet einen eierschalenbeigen Fairlight aufs Podest gehoben hatten –, aber in den kommenden Jahren sollten die Anzeigen der Firma breite Tore zu einem ganz eigenen ästhetischen Kosmos eröffnen.
Und? „Jood jejange!“, wie der Kölner sagt? Davon kannst du ruhig ausgehen – schließlich hältst du das Ergebnis der Evolution, die Ende 1984 ihren Ausgang nahm, gerade in der Hand. Gründer und Ur-Chefredakteur Gerald Dellmann wusste ziemlich genau, was er sich im Orwell-Jahr mit dem Experiment KEYBOARDS vorgenommen hatte: Als langjähriger Fachblatt-Tester und Top-Tasten-Fachmann eines bekannten Kölner Musikalienhändlers hatte er Erfahrung. Auch mit großen Zahlen konnte er umgehen – legendär Geralds Test-Fazit zu Yamahas DX-Vorläufer GS-1, dem er 1982 ein „etwas problematisches“ Preis/Leistungs-Verhältnis bescheinigte: Das Ding kostete 30.000 Mark.
So ging es 1985 denn auch gepflegt weiter: Zu den Top-Acts, die sich vor den Mikrofonen der KEYBOARDS-Reporter drängelten, gehörten schon bald nicht nur einheimische Künstler wie Reinhold Heil (Keyboarder bei Nina Hagen und Spliff), Tangerine Dream, Klaus Schulze und Michael Rother, sondern auch internationale Ruhmesträger wie Depeche Mode, Howard Jones, Bill Sharpe (Shakatak) und Chuck Leavell, um nur einige wenige zu nennen. Und Roger Linn erklärt seine Linn Drum! Was ein Line-up! Wobei man vielleicht dazu sagen muss, dass etwa Depeche Mode selbst erst ein paar Jahre vorher aus dem Taufbecken gestiegen und noch weit von ihrem heutigen Ruhm entfernt waren; damals war sogar Alan Wilder noch dabei. Übrigens, wo wir gerade beim Thema People sind: Der erste Mensch, der es an Stelle von Dingen mit Tasten aufs Cover des jungen Magazins brachte, war Reinhold Heils Freundin Cosa Rosa (Millionenmal), die sich für das Foto im Badeanzug in einem unglaublich blauen Pool lümmeln durfte. Der Rummel sei der Dame gegönnt – sie starb bereits 1991, keine 40 durfte sie werden. Traurig, das. Aber solche Geschichten gehören wohl zu einem Magazin, das inzwischen älter ist als viele seiner Leser. Auch Kristian Schultze ging übrigens schon 2011 von uns.
Damals waren Synthesizer von gestern noch von heute.
Der nächste Mensch auf einem KEYBOARDS-Cover war übrigens der Weihnachtsmann. Später tauchten zwar immer wieder einmal Musiker auf, weibliche blieben aber – seltsam, seltsam – in der Unterzahl: Eine inoffizielle Zählung ergibt ein Verhältnis von 5:1 (als Dame musste man schon Madonna [2 Mal], Tory Amos oder Alicia Keys sein, um auf den Titel zu kommen) – insofern ist das Cover der KEYBOARDS-Ausgabe 6.2014, die du in der letzten Adventszeit in der Hand gehalten hattest, ein echter Meilenstein! Zumal es Jahrgänge gab, an denen unser Leib- und Magen-Magazin covermäßig eher nach „c’t“ oder „Stiftung Warentest“ aussah – dafür allerdings gab es wieder andere, die in ihrer neonhaften Farbigkeit vermuten ließen, man könne das Heft vielleicht rauchen, aber das kommt später.
Technisch passiert 1985 natürlich auch wieder eine ganze Menge: nur einige der Instrumente, nach denen man sich heute noch die Finger leckt – damals frisch auf den OP-Tisch der Tester gelegt: Allen voran der Oberheim Xpander! Das Instrument schneite seinerzeit in die Weihnachtsferien von Matthias Becker, der später für die Serie „Synthesizer von Gestern“ verantwortlich zeichnete – damals war der Xpander aber noch alles andere als von gestern, sondern von heute bzw. eben damals. Dreieinhalb eng beschriebene Seiten – und dennoch nur ein blasser Vorgeschmack auf die Test-Prosa, die in den kommenden KEYBOARDS-Jahren Platz greifen würde: Damals hat man eben noch gelesen, Folks! Ein „Minus“ mochte Matthias trotzdem nicht in seinen Fazit-Kasten zu schreiben.
Ebenfalls ein Schmuck des Jahres war der Kurzweil 250, von Ray Kurzweil angeblich eigens für Stevie Wonder entwickelt, Korgs DW 6000 (stilecht mit Tonbandgerät abgelichtet!) sowie DW 8000 und natürlich die Überwaffe für FM-Lover: der fette Yamaha TX816, quasi ein Rackeinschub mit bis zu acht (!) Modülchen, die jeweils einem DX7 entsprachen. Kein Wunder, dass einigen der ersten Nutzer dieser Kiste – vornehm ausgedrückt – eine gewisse Protzsucht angedichtet wurde. Chick Corea soll einer davon gewesen sein …
Kaum noch Potis weit und breit
Weiter: Roland JX-8P („klingt ausgesprochen gut, […] im unteren Bereich ungemein voll, […] wobei allerdings Wunderdinge nicht erwartet werden dürfen“ – „Optimal ist sicherlich die Kombination mit dem DX-7, die kaum noch Wünsche offen lässt“), Chroma Polaris, PPG Wave 2.3, DX21, Oberheim Matrix-12,Jellinghaus DX-Programmer (!), von dem die Geschichtsschreibung heute weiß, dass kaum ein Dutzend davon verkauft wurden, Casios durch und durch digitaler PD-Synth CZ-5000 („satte Analog-Klänge als auch metallische und perkussive Sounds à la DX7“), Roland TR 707 und, ach ja: der OSCar von der Oxford Synthesizer Company! Auch heute noch einer der schrägsten Monosynths der Welt, der dem Vernehmen nach ständig ausfällt, wenn’s drauf ankommt – dem das aber niemand wirklich übel nimmt, weil er sonst einfach genial klingt. Der Tester wunderte sich allerdings über die 36 (!) Potis und das „All-Plastic-Gehäuse“: „In einer Zeit, wo Keyboards eher futuristisch gestylt und mit bunten Displays und Lämpchen bestückt sind, fällt dieses Design doch sehr aus dem Rahmen.“ Aus heutiger Sicht ein bemerkenswerter Satz – aber vielleicht auch nur Anzeichen eines Stockholm-Syndroms in Zeiten, in denen Synthesizer eher mit Zehnertastaturen glänzen: Keyboarder waren 1985 halt Musikanten mit Taschenrechner an der Hand. Schön, wenn wenigstens die auf dem Synth aufgedruckte Parameterliste in Siebensegment-LED-Optik fast so gut ist wie ein gedrucktes Handbuch, wie ein Tester einmal lobend erwähnt.
Auch die Sampler kamen bereits zu ihrem Recht, etwa mit dem Emulator II und „SP-12 Sampling Percussion“ von E-mu Systems, Akais S 612 und Sequentials Prophet 2000. Und natürlich Ensoniqs „Volks-Sampler“ Mirage mit eingebautem 333-Event-Sequencer und sagenhaften acht Sekunden Sampling-Zeit pro Keyboard-Hälfte – wenn man bereit war, an der Sampling-Rate von maximal 29.700 Hz gewisse Abstriche hinzunehmen. Aber was wollte man sagen: Dafür kostete die Kiste auch nur umgerechnet 6.000 Euro. Den Linn-Sequencer, von einer eigenartig verdreckten Hand aufs Titelbild gehoben, hatte man sogar exklusiv im Heft – was vielleicht auch daran gelegen haben könnte, dass das Magazin damals zumindest unter Tastenmenschen schon keine Konkurrenz mehr hatte.
Workshops für Sound-Nerds
Ansonsten entwickelte sich das Blatt weiter zu einer bunten Volkshochschule für Elektronik-Musiker: Workshops gingen zum Beispiel der Frage nach, wie Digital-Hall funktioniert – ja, so was gab’s damals tatsächlich schon! Kundige Rechnerkenner verglichen DX7-Editoren, die man wahrscheinlich auch für die obligaten Kurse zur Programmierung der Parameterwüsten dieses Instruments benötigte, und „Musikprogramme“ für den C64. Wer keine Angst vor Lötkolben hatte, freute sich über die Bauanleitung für einen Ringmodulator, die Serie „Homerecording für Einsteiger“ erklärte, wie man mit dem 4-Spur-Cassettenrecorder die nächste Platte macht. Und Kristian Schultze beschreibt, wie man String-Sounds auf einem OB-Xa, einem Prophet-5 und einem Poly 800 hinbekommt, was in etwa auf die Frage hinauslief, ob man auch mit einem Trabi auf die Autobahn darf.
Auch die „Soundbörse“ mit Klängen zum Abmalen kam so gut an, dass sie auf zwei Seiten aufgeblasen wurde. Die Sounds für JX-3P, DX9 und Poly 800 hießen „Rock-Piano“, „Synthi-Bläßer“, „Glockenähnlich“ oder „Glucose“ und klangen manchmal auch so. Trotzdem darf man sich getrost tränenreiche Szenen am Kiosk vorstellen: „Mist, schon wieder nichts für mein Synclavier dabei!“ Anders als heute gab es damals halt noch keine Billig-Plugins zum Nachschrauben, da blieb im Zweifel nur der Blick in den Kleinanzeigenteil (eBay gab’s noch nicht, noch nicht mal E-Mail): Damals konnte man dort tatsächlich noch regelmäßig auf Leute stoßen, die einen CS-80 oder OB-8 verkauften. Wobei an dieser Stelle vielleicht die Anmerkung erlaubt sein darf, dass der Verfasser dieser Zeilen in der „Soundbörse“ seinen ersten Beitrag zum Gelingen dieses Hefts leisten durfte: In Form eines Sounds namens „Peak Bass“ für den Korg MS-20 in der Cosa-Rosa-Ausgabe (und „Cyborg Follow“ für einen MS-10 im Heft danach). Ob Reinhold Heil den gesehen hat? Vielleicht – wenn er nicht bei den Home-Computer-Workshops hängengeblieben ist, die Thomas Dachsel inzwischen nun doch regelmäßig mit Programm-Listings versieht: Seitenlanges, eng gedrucktes Zeug in einer seltsamen Programmiersprache namens „Modula 2“, die heute wahrscheinlich nur noch Rentner kennen. Wahlweise auch in „Assembler“, mit dem man seinen Rechner im Falle eines Vertippers gleich ganz an die Wand fahren konnte.
Ein Magazin nur für uns!
Aber allmählich gewöhnte man sich an den Gedanken: Endlich ein Magazin für uns Keyboarder! Nur für uns! Kein Gitarrist, der mir Bierflecken reinmacht! Die meisten Leser entwickelten damals erste Leserituale: 1. Gucken, was das Synthesizerstudio Bonn wieder für seltsame Anzeigen schaltet, und dabei überlegen-wissend lächeln, obwohl man den Sinn nicht versteht. 2. Heft durchblättern und Heulkrämpfe kriegen beim Anblick des Equipments irgendeines Keyboarders irgendeiner verdammten Band, die man noch nie gehört hat, der aber genug Kohle am Start hat, um sich mehr Synthis zu leisten, als man für sein Auto bekommen würde. 3. „Soundbörse“ filzen, ärgern. 4. Neuigkeiten ansehen: „Aha, neue DX-Synths! Aha, es gibt jetzt Curtis-Chips, aus denen man sich eigene Synths bauen kann! Aha, der neue Fairlight III kostet doch nur 170.000 Mark!“ 5. Testberichte lesen. Wieder ein Weinkrampf beim Preisschild. 6. Interviews lesen. Neue Taschentücher holen. 7. Klangforschung mit Kristian Schultze am sauer ersparten Poly 800. 8. Versuchen, den DX7 mithilfe des gleichnamigen Workshops zu programmieren. Es dann schnell wieder lassen. 9. Aus Langeweile „Modula 2“-Listings abtippen. Den Rechner bzw. den C64 bricken. 10. Auf das nächste Heft warten.
Aber hey: Man traut sich was! 1986 kommt, und es ist das Jahr der großen Marktübersichten! Alle polyfonen Synthesizer! Überschrift: „Da blickt doch keiner mehr durch!“ Doch, einer schon: Gerald halt! Nicht weniger als 39 Modelle trägt er für die August-Ausgabe zusammen – darunter einige, die bis dahin noch gar nicht erschienen waren. KEYBOARDS ist inzwischen für die Synth-Schmieden zu einer festen Adresse geworden. Alle Masterkeyboards (11), alle 4-Spur-Cassettenrecorder … wir überlegen, wen wir anpumpen könnten.
Messeberichte voller Screenshots
In der Redaktion dagegen ist inzwischen offenbar genug Geld in der Kasse, um einen Abgesandten zur NAMM in Kalifornien zu schicken; sieben Seiten lang ist sein Bericht und Beginn einer Tradition, die bis heute hält. Tasteninstrumente sind darin zunächst kaum zu finden; dafür beginnt ein neuer Computer dem alten Commodore C64 den Rang abzulaufen: der Atari ST. Wir erinnern uns: In der Grundversion mit 512 Kilobyte Speicher, immerhin acht Mal so viel, wie der alte Brotkasten drauf hatte! Prompt gibt’s auch ein erstes Abtipp-Listing für diese Maschine.
Das Betriebssystem hieß damals übrigens noch „GEM“. Schon mal gehört? Nicht so wichtig. Wichtiger: Für Musiker war der Atari der heißeste Holy Shit, weil das Ding mit fertig eingebauter MIDI-Schnittstelle im Karton lag. Wer nicht vom Leben bestraft werden wollte, ahnte; Ich sollte langsam auf Computer setzen. Artikel mit der Überschrift „Warum eine Hard Disk?“ (nebst Schnittzeichnung einer solchen) halfen, einen Know-how-mäßig auf das nächste Level zu heben. O-Ton: „Die Hard Disk kann 46 Sound-Banks aufnehmen, während es bei einer Floppy gerade eine ist.“ Zur Erinnerung: Die Floppy war eine Art Vorläufer der CD-ROM und fasste damals etwa 1,44 Megabyte. Wer seinen Emulator mit dieser Technik aufbohren wollte, musste nur mal eben 6.500 Mark anlegen.
Dafür scheint der Stern der guten, alten, analogen Schlachtschiffe unaufhaltsam zu sinken: Das Who’s Who der transistorisierten Charaktersäue, die sich die Tester zur Brust nehmen, dünnt allmählich aus. Roland α Juno-1 und Super-JX – quasi ein doppelter JX 8P –, Ensoniq ESQ1 und Oberheim Matrix – anders, als dem Namen zu entnehmen, war das leider kein halber Matrix 12 – dürften heute noch dem einen oder anderen ein Begriff sein; die Digitalfraktion läuft sich mit Casio CZ-1, Prophet VS und Korg DSS-1 tüchtig warm. Und Sampler, natürlich, bekommen dickere Eier – wie etwa der Akai S900, der mittlerweile mit 750 kB Arbeitsspeicher aufwarten kann; das Synclavier, sogar für arrogante Bandkeyboarder weit weg von gut und böse, bekommt ein eigenes kleines Feature. Dafür darf sich der beliebte Poly 800 im Leser-Test bewähren: „typische analoge Klänge mit einem warmen Sound“, heißt es – aus einer Kiste, wohlgemerkt, die mit einem Filter auskommen musste und deren digitale Oszillatorsektion, höflich gesagt, „einzigartig“ war. Auch Orgeln und E-Pianos finden jetzt breitere Aufnahme ins Heft. Und Stars. Richtige Stars: Elton John, Chick Corea, Joe Zawinul, Brian Eno, Stevie Wonder! Woah!
Die Testberichte werden länger
Angekommen!, könnte man sagen. Die Jahre zieh’n ins Land, und das Blatt wird selbstbewusster. Der DX7IIkommt und wird im März 1987 auf zwölf Seiten durchgekaut – den Leser lenken lediglich ein (!) Foto und eine Grafik vom Prosagenuss ab. Und im September desselben Jahres startet eine neue Serie, die bis heute Kult-Charakter hat: Synthesizer von Gestern. Wobei man einwerfen möchte, dass es damals noch gar nicht so viel „gestern“ gab: Der Minimoog, mit dem die Folge beginnt, war immerhin noch bis 1981 erhältlich. Mit ähnlichem Recht könnte man heute den Microkorg in die Serie aufnehmen.
Uuund: Homerecording wird allmählich Taschengeld-tauglich! Wenn man einen Ferienjob bei Tiffany’s erwischt: Ein einfacher 4-Spur-Recorder und ein Mikrofon, das „nicht unbedingt nach Telefon klingt“, sind Ende der 1980er schon für 1.200 Mark zu haben, dazu noch ein billiger Digitalhall (rund 500 Mark), und schon kann man losrocken! Dabei werden Tonbänder ganz langsam, aber sicher pfui – stattdessen macht man lieber in MIDI. Wobei ein besorgter Craig Anderton anmerkt: „Ein Problem der MIDI-Studios ist die schreckliche Versuchung, jedes Detail zu bearbeiten.“ Prophetische Worte …
Synthis – und vor allem Sampler – kommen und gehen: Prophet 3000, Emulator III, Ensoniq SQ80 und VFX,Kawai K1. Dafür kommt Software zur Welt, die heute noch einen Namen hat, etwa der C-Lab Notator (für Atari ST natürlich). Auch als das Workstation-Zeitalter beginnt, steht KEYBOARDS am Taufbecken: DemKorg M1 (Neupreis 4.600 Mark!) widmet das Magazin 1988 einen Testbericht, der lockere 13 (!) Seiten überspannt: „[…] möchte ich die Behauptung wagen, dass sich der M1 als ein Renner dieses Jahres erweisen dürfte“, schreibt der Tester. Das wiederum dürfte rückblickend die Untertreibung des Jahrzehnts gewesen sein: Glöckchen, Röcheln und sogar ein Klavier – wozu braucht es dann einen resonanzfähigen Filter! Für die Bedienoberfläche, die mit einer geradezu stoischen Aufgeräumtheit daherkommt, gibt es allerdings auch ein „dickes Lob“. Da sagen wir mal nix zu.
Einsatz von Computern in der Musik: eine Sackgasse
Das waren die 1980er? Fast. Man könnte noch den Waldorf Microwave erwähnen, den sich Peter Gorges vornahm, die Emu Proteus-Serie, die eine Art Emulator in kleinen Dosen war; der heutige Über-Komponist Hans Zimmer und Häuptling aller Analog-Fans verdient sich mit Rain Man erste Sporen, die ersten Interview-Partner kommen zum zweiten Mal dran, etwa Tangerine Dream und Brian Eno – so viele Tasten-Stars gibt’s dann auch wieder nicht. Dafür stellt man die Frage, was wohl nach MIDI kommt – tja, inzwischen wissen wir: bis heute irgendwie nix. Schade. Immerhin, so schreibt KEYBOARDS: „Auch wenn der Einsatz von Computern im Musik-Bereich gelegentlich als Sackgasse bezeichnet wird, so ist doch nicht in Abrede zu stellen, dass die Computerunterstützung für den Musiker an Bedeutung noch zunehmen wird.“ Aber, Obacht: „Musiker wird man nicht dadurch, dass man einen Computer bedient …“.
Damit sind wir in den 1990ern:
Die Wildwest-Jahre des Magazins sind vorbei, das Heft bekommt ein neues Layout, endlich doch ein Editorial und einen eckigen Rücken, mittlerweile darf sich der geneigte Leser bei der Lektüre durch deutlich über 200 Seiten graben – was auch daran liegt, dass die Testredakteure zunehmend versuchen, sich gegenseitig in der Erfindung möglichst weitschweifiger Einleitungen zu übertrumpfen. Beispiel, kein Fake: „Es ist Ostern. Die cholesterinreichste Zeit des Jahres verbringt man üblicherweise im Stau von und nach Österreich oder Holland (abhängig davon, welches Gebiet die weiteste Anreise ermöglicht), im feiertäglichen Familienzwist über die psychotischen Frustrationssymptome von Tante Annabel oder bei der – dank geschlossener Waren-Ausgangstüren dann noch preiswerten – Auswahl der kommenden Sommermode in der teuersten Schaufenster-Meile der gerade verfügbaren Einkaufszone.“ So beginnt der JD-900-Test, und so geht er noch eine Weile weiter, bevor dann in Zeile 25 erstmals zwar noch nicht das Instrument, aber immerhin dessen Hersteller erwähnt wird.
Der Synthesizer von morgen sieht tatsächlich so aus wie von heute. Der Test von Yamahas DX-NachfolgerSY77 kommt 1990 auf 14 Seiten, Dirk Matten vom Synthesizerstudio Bonn schaltet immer noch seltsame Anzeigen, die Wavestation kommt, und Microwave-Designer Axel Hartmann macht sich Gedanken über den Synthesizer von Morgen, der erstaunlich an die Keyboard-Version von Arturias Berliner-Schule-Wundertüte Origin erinnert. Aber worüber sich der Mann alles Gedanken gemacht hat! „Die Oberflächenbeschaffenheit sollte grobe Verschmutzungen kaschieren, wie z. B. Speicheltropfen, die beim Livebetrieb zwangsläufig entstehen …“ Auch die Leser durften Vorschläge beitragen, und was am Ende herauskam, sieht doch tatsächlich so aus, als hätte man ein aktuelles Masterkeyboard in die 1990er transplantiert – inkl. Pads! Ob es Spucke abkann, verliert sich leider im Dunkel der Geschichte.
Die kommenden Jahre bleiben dennoch bunt für Nerds aller Couleur: Pocket-Workstations kommen auf den Markt, und „GM“ erscheint auf der Bildfläche – ein Standard, der unter anderem dafür sorgt, dass Piano-Sounds beim Sampleplayer des Vertrauens immer auf der „1“ kommen und Drums über MIDI-Kanal 10 laufen –, Steve Jobs’ Mac tut dem Atari ST weh, die M1 bekommt einen Nachfolger mit einem eigenartigen Namen, der PC tut dem Mac weh, Tory Amos schafft’s aufs Cover – und die Leute fangen an, ihr altes, analoges Zeug zu verticken, um sich endlich die geilen digitalen Kisten ins Studio zu stellen. Den Wertverfall der Ur-Synths dokumentiert KEYBOARDS natürlich in einer eigenen Rubrik. Minimoog: 1.600 Mark, MS-20: 250 Mark, bitte sehr. Man möchte eine Zeitmaschine haben. Ab 1993 kann man im Heft Sammelkarten finden, die 100. Ausgabe erscheint, 262 Seiten stark, inzwischen hat man auch das „Home“ aus dem „Homerecording“ gestrichen und dem Heft einen neuen Titelzug verpasst.
Hier findet ihr das Heft in unserem Shop: Keyboards 2015/01
30 Jahre Know-how im Web!
Ach, es gäbe noch so viel zu schreiben … Waldorfs Mega-Synth Wave wird auf nicht weniger als 21 Seiten getestet, wobei man den Bericht gnädigerweise auf zwei Hefte verteilt; ob das Handbuch der Maschine wirklich länger ist? Auf weiteren zehn Seiten tauschen sich Heros der Tastenzunft darüber aus, wie sie das Instrument finden – Gear-Porn vom Feinsten! Physical Modeling („Synthese der Zukunft?“) und CD-ROM kommen 1994 über die Leser, u. a. mit „4,8 Gigabyte Techno-Samples – Keyboards Quality Check Passed“, der Power-PC tut dem PC weh (aber nicht lange), Oberheim will es noch mal wissen (allerdings ohne Tom Oberheim), die Hefte des Jahrgangs 1995 erscheinen mit psychedelischen Rücken – und: Bang! Mit dem Clavia Nord Lead kommt der erste virtuell-analoge Synthie auf die Welt. Fazit des Testers: „Der Nord Lead ist mit Sicherheit ein erster Schritt hin zu Synthesizern, die aufgrund ihrer Bedienbarkeit, ihrer Ausdrucksstärke und ihres Klangpotenzials die Bezeichnung Musikinstrument – nach eher mageren Jahren in der Entwicklung neuer Synthesizer-Konzepte – endlich wieder zu Recht tragen.“
Wir verneigen uns in Ehrfurcht und lassen das einfach einmal so stehen. Denn damit, liebe Leser, sind wir zwar noch lange nicht in der Gegenwart angekommen. Aber wir sind in der Moderne. Dabei schreiben wir erst das Jahr 1995, KEYBOARDS ist gerade einmal zehn Jahre alt. Die 20 Jahre, die danach kamen, waren mindestens genau so spannend – und KEYBOARDS war immer dabei.
Die Ernte von insgesamt 30 Jahren Wahrheitssuche kann man heute immer noch einfahren. Und zwar unter www.keyboards.musikmachen.de/Magazine/KEYBOARDS/Magazinarchiv. Alle alten Ausgaben bis zum Urknall 1984, Testberichte, Workshops und Interviews – und bis auf den aktuellen Jahrgang sogar kostenfrei. Wir wünschen gute Unterhaltung!
Autor: Dr. Stefan Albus, Fotos: Dieter Stork, Jörg Sunderkötter, Archiv