Software-Synthesizer – U-he Bazille
Schädliche Kleinstlebewesen scheinen eine gewisse Faszination auf Synthesizer-Entwickler auszuüben. Wer also bisher einer Virusinfektion entgangen sein sollte, kann sein Immunsystem mit Urs Heckmanns aktuellster Kreation auf Trab halten — direkt aus dem U-he-Labor in den KEYBOARDS-Testrechner: die Bazille!
Der Berliner Software-Hersteller U-he ist auf dem Klangerzeugermarkt kein Unbekannter. Urs Heckmanns Wunderwerke konnten bislang immer wieder Maßstäbe in Sachen Klangqualität und CPU-Leistungshunger setzen. Vor allem die virtuell-analoge Diva aus dem vergangenen Jahr genießt diesbezüglich einen geradezu legendären Ruf. U-hes Neuer mit Namen „Bazille“ hat mit virtuell-analoger Klangerzeugung jedoch nur im Ansatz etwas am Hut. Deutlich erkennbar an den ebenfalls semi-modularen ACE an – gelehnt, muten Oberfläche und ParameterAuswahl zwar sehr analog an, vor allem für den Oszillatorbereich hat Urs Heckmann jedoch einige typisch digitale Syntheseformen wiederentdeckt und diese mit einer quasianalogen Klangformung kombiniert. Das Konzept ist – so viel sei an dieser Stelle schon verraten – bestens aufgegangen: Bazille verbindet auf reizvolle Weise Neues und Alt – bekanntes, klingt hervorragend und macht vor allem eine Menge Spaß.
Was steckt drin?
Ein Blick auf die schnörkellose GUI verrät schnell Bazilles Natur: ein semi-modulares System mit „digitalen“ Oszillatoren, „analoger“ Nachbearbeitung, umfangreichen Modula – tionsquellen und einigen Effekten – äußerst viel versprechend, nicht zuletzt dank des gekonnt umgesetzten „Patch-Kabel“-Features. Installation und Freischaltung über die Seriennummer funktionieren schnell und reibungslos, das Manual ist übersichtlich und leicht verständlich geschrieben. Unsere TestBazille besaß noch keine Preset-Library, verlangte also nach eifrigem „Selbstschrauben“. Hier offenbart U-hes Neuer alsbald seinen ersten großen Trumpf: Das Teil bietet jede Menge Fun! Mittels Patch-Kabeln, gut skalierten Reglern und einigen kleinen Pull-Down-Menüs lässt sich intuitiv „stecken“ und „schrauben“. Wer sich mit subtraktiver Klangerzeugung ein wenig auskennt, findet sich ohne nennenswerte Schwierigkeiten zurecht.
Die etwas abstrakten Syntheseformen der Oszillatoren sind so aufbereitet, dass sie sich mittels weniger und anschaulicher Parameter sehr effektiv nutzen lassen. Ein klassisches FM-Patch mit zwei Operatoren und Hüllkurven (hier als Phase Modulation bezeichnet) ist schnell erstellt und klingt äußerst ergiebig. Das „Phase Distortion“-Feature ist Casios legendären 80er-Jahre-Synthesizern entliehen und im Gegensatz dazu bei Bazille vollkommen problemlos nutzbar: Modulationsquelle auf PMParameter patchen, Wellenform wählen und Modulationstiefe aufdrehen – schon wird man mit drahtig-rauen Klangfarben belohnt. Ebenso einfach zeigt sich die Fractalize-Funktion.
(Semi-)Modular ist „in“. Das gilt nicht nur für Hardware-Synthesizer. Bazille kombiniert virtuell-analoge und -digitale Elemente zu einer leistungsfähigen Klangerzeugung und verbindet sie mit einer intuitiven, „Patch-Kabel“-basierten Bedienoberfläche.
Allen drei Synthesemodellen ist gemein, dass sie Bazille mit äußerst bissigem und obertonreichem Klangmaterial versorgen. PD liefert schon auf Oszillator-Ebene resonanzähnliche Effekte mit interessant-harschem Digitalcharakter, Fractalize setzt noch einen drauf und raspelt, was das Zeug hält. Glücklicherweise macht Bazille keinen Unterschied zwischen Audiosignal und virtueller Steuerspannung. Man genießt also nahezu sämtliche Freiheiten eines „echten“ Modularsystems und kann nach Lust und Laune fast alles mit nahezu jedem modulieren. Entsprechend dynamisch und bei Bedarf komplex ist das klangliche Rohmaterial, welches sich schon auf Oszillatorebene bereitstellen lässt. Dennoch bietet Bazille eine umfangreich ausgestattete Filtersektion. Hierbei handelt es sich um vier klassische Multimode-AnalogModelle mit reichlich Modulationseingängen für Cutoff und Resonanz.
Abgesehen von den beiden Mapping Generatoren mit ihren komplexen Kurven – formen sind die diversen Modulationsquellen ebenfalls der analogen Welt entliehen und umfassen neben modulierbaren LFOs und Hüllkurven auch diverse Helfer wie Inverter, Quantisierer oder Verzögerer. Der Modulations-Sequencer ist eine Klasse für sich – all seine Features aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Tests sprengen. Bazilles klangliche Resultate lassen sich schließlich mithilfe der vier Effekte Distortion, Delay, Phaser und Federhall veredeln.
Sound
Wer angesichts der Analogsynthesizerinspirierten Oberfläche eine (semi-)modulare U-he Diva erwartet, erlebt definitiv eine Überraschung. Die Oszillator-Sektion mit ihren drei Synthese-Modi liefert brachialen Digitalsound im besten Sinne. Ihre Bandbreite reicht von typischen DX-Sounds bis hin zu drahtig-perkussiven oder breit sägenden Klängen. Begnügt man sich mit einem Oszillator und wenig Modulationen, lassen sich durchaus feine Klanggespinste zaubern, seine wahren Qualitäten entfaltet Bazille jedoch weit jenseits der Attribute „weich“ oder „subtil“. Es raspelt, röhrt und bratzt, dass es eine echte Freude ist. Dank der vielfältigen Modulationsquellen lassen sich sehr leicht äußerst dynamische Sounds bis hin zu ganzen Klanglandschaften erzeugen. Die sehr kräftig zupackenden Filter sind bisweilen nur notwendig, um das Oszillator-Feuerwerk ein wenig zu bremsen. Gleiches gilt für den sehr gelungenen Distortion Effekt. Er komprimiert und glättet wirkungsvoll allzu böses Klangmaterial. Steuert man die Hüllkurven mittels Velocity, werden die Klänge sehr anschlagssensitiv und entsprechend lebendig spielbar. Mit einer Drehung des Modulationsrades kann man Sounds zudem bei Bedarf problemlos „umkippen“. Die Stack-Voice-Funktion macht Bazille richtig breit und fett.
Praxis
Klangschrauben mit Bazille macht Spaß – Punkt. Man wird umgehend „infiziert“ und probiert neugierig aus, welche Modulation wohl welches Klangergebnis zaubern mag. Die Resultate wissen zu überzeugen, vielfach sogar zu faszinieren, finden sich doch – neben bisweilen spektakulärem Digitalkrach – oft genug musikalisch äußerst ergiebige Sounds mit hoher Inspirationskraft. Die ausstehende Preset-Library wird sicher den Zugang zu Bazilles Potenzial noch weiter vereinfachen. Nicht unerwähnt bleiben soll auch die einfache Controller-Zuweisung mittels LearnFunktion. Bedauerlicherweise gilt sie immer global und nicht als Teil eines jeden Presets. Für Editier-Zwecke ist dagegen nichts einzuwenden, beim „Beleben“ von Sounds mittels Master-Keyboard ist sie leider unpraktisch. Bazilles CPU-Leistungshunger hält sich in Grenzen. Komplexe Patches mit acht Stimmen und zwei- bis dreifachem Voice-Stacking konnten unseren allerdings recht betagten Dual-Core iMac mit Logic Pro nur im HighQuality-Betrieb in die Knie zwingen. Die klanglichen Unterschiede zum „Energiespar Modus“ sind jedoch absolut marginal. Auch der Einsatz mehrerer Instanzen verlief problemlos. Gleiches gilt für Bazilles Stabilität: Während der Testphase ließen sich keine Fehlfunktionen oder gar Abstürze verzeichnen – sehr angenehm!
Fazit
Mit dem U-he Bazille hat der Software-Synthesizermarkt höchst interessanten und rundum gelungenen Zuwachs erhalten. Bazille kombiniert perfekt ungewohnt Neues mit Altbekanntem. Konzept und funktionale Details erschließen sich rundum intuitiv und angenehm spielerisch. Komplexität ist möglich, aber kein Muss, um anspruchsvolle und inspirierende Klangergebnisse zu erzielen. Der äußerst durchsetzungsfähige und dynamische Sound überzeugt auf ganzer Linie und stellt mit seinem harschen, bisweilen brachialen Charakter ein erstklassiges Pendant zu virtuellanalogen Synthesizern – etwa U-he Diva – dar. Kritikpunkte wie die noch unflexible Controller-Zuordnung können den SoundBastelspaß nicht mindern und stehen zudem auf U-hes To-Do-Liste. Ich bin infiziert und empfehle: unbedingt antesten!