Klangjäger

Software-Pianos von Galaxy Instruments und Modartt

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Mit dem Piano in der Musikproduktion verhält es sich ähnlich wie mit zum Beispiel Drums: Hat man ein gutes Instrument, gute Mikrofone, gute Preamps und das tontechnische Know-how, heißt es: stimmen, mikrofonieren, aufnehmen! Fehlt es nur an einem der genannten Elemente, dann greift man besser zu einer Software-Lösung − und es ist erstaunlich, welchen Klangrealismus man damit erreichen kann.

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Mikrofonierung für den Sampling-Flügel Maverick (Bild: Galaxy Instruments, Modartt, J. Sunderkötter)

Digitale Pianoklänge werden auch heute noch hauptsächlich durch Sampling-Technik erzeugt; das trifft in der Regel für Digitalpianos und Software- Instrumente zu. Ausnahmen bedienen sich der Physical-Modeling-Synthese, die sich in den letzten Jahren immer mehr etablieren konnte. Allein beim Begriff »Synthese« verkneifen Klangpuristen nun gerne die Augen und attestieren dieser Technik einen gewissen künstlichen Beigeschmack. Mit Blick auf die ersten Physical-Modeling-Instrumente findet dieses Vorurteil durchaus eine Berechtigung. Physical Modeling ist heute aber auf einem ganz anderen Niveau angelangt. Genaugenommen gilt das Künstliche auch für Sampling-Instrumente. Aber egal, ob gesampelt oder gemodelt − man kommt mit beiden Techniken zu erstaunlich realistisch klingenden Ergebnissen. Es kommt nur darauf an, was man von dem Software- Instrument erwartet.

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Grundsätzlich unterscheiden darf man zwischen zwei Merkmalen: Auf der einen Seite bekommt man die lupenreine stereofone Abbildung des aufgenommenen Flügels (Sampling), auf der anderen Seite findet man eine flexible Klangbildung und Artikulation durch Spieltechnik und Intonation (Physical Modeling). Aber die Übergänge sind inzwischen fließend.

Wir haben uns bei zwei führenden Herstellern umgeschaut, die für Software-Instrumente mit speziellen Fähigkeiten bekannt sind. Während die Galaxy- Instrumente auf Native Instruments Software-Sampler Kontakt basieren, macht die französische Firma Modartt mit dem Physical-Modeling-Instrument Pianoteq von sich reden. Was beide Hersteller für uns so interessant machte: Technologisch betrachtet gehen beide recht unterschiedliche Wege, aber in den Kriterien, was ein interessantes Software-Piano ausmacht, zeigen sich doch viele Parallelen.

Beide sind ständig auf der Suche nicht nur nach der perfekten Simulation des Pianos, sondern vor allem nach den Ausdrucksmöglichkeiten, die sie in ihre virtuellen Instrumente implementieren. Das Entdecken, das Herausspielen von verschiedensten Artikulationen für den Musiker ist für beide der Anspruch an ihre Software-Instrumente. Wie man den perfekten Sound findet, darüber haben uns Uli Baronowsky (Galaxy Instruments) und Philippe Guillaume (Modartt) einige Details verraten und Einblicke in ihre Arbeit gewährt.

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Virtuelle Mikrofonierung in Modartt Pianoteq 5 Pro (Bild: Galaxy Instruments, Modartt, J. Sunderkötter)

Pianos mit Wow-Effekt.

Eigentlich komme er aus der Tontechnik, hat früher ganz klassisch in Studios gearbeitet und Platten produziert, verrät uns Uli Baronowsky. Ersten Kontakt zum Piano-Sampling bekam er in den Galaxy Studios − der Steinway des Studios sollte in Surround aufgenommen werden, und es folgten mit dem Galaxy II ein Bösendorfer, ein Blüthner und später der Vintage D. Als Native Instruments anfing, die Kontakt-Library für Komplete immer stärker auszubauen, wurde Uli vom Berliner Softwarehaus auf eine Kooperation angesprochen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er The Giant bereits aufgenommen, der dann wenig später die Piano-Instrumente um eine ungewöhnliche Klangfarbe ergänzen sollte.

Eigenständige Instrumente finden.

The Giant, ein gigantisches Klavier mit 3,70 Meter Höhe vom Klavierbaumeister David Klavins geschaffen, beschreibt recht gut Uli Baronowskys Interesse für den besonderen Sound und spezielle Ausdrucksmöglichkeiten. »Das Interesse an besonders charaktervollen Instrumenten begann eigentlich schon während des Galaxy-II-Projekts mit einem alten Blüthner von 1929, dessen Klang ich absolut großartig fand. Seitdem beschäftigt mich immer die Frage: Welches Instrument ist es wert, aufgenommen zu werden aufgrund einer gewissen Eigenständigkeit?«

Um das besondere Instrument zu finden, nimmt Baronowsky auch einige Reisetätigkeit in Kauf. Bei Klavieren ist es eben so − man muss erst mal zum Instrument. Für erste Testaufnahmen ist er dann mit einem kleinen Setup unterwegs, für spätere Sampling-Sessions wird dann doch weitaus mehr Aufwand betrieben. Für ein aktuelles Sampling-Projekt ließ Baronowsky sogar ein Instrument eigens anfertigen, um daraus ein Software-Instrument mit besonderen Klangeigenschaften zu schaffen.

Vom Instrument zum Sampling.

Instrumente zu sampeln erfordert neben dem ton- und instrumententechnischen Know-how eine Menge Geduld und eine gewisse Akribie. Es werden unzählige Aufnahmen gemacht, und das ist mit viel logistischem Aufwand verbunden. Wenn man sich vorstellt, den ganzen Tag lang einzelne Töne zu spielen und voll ausklingen zu lassen … die Tätigkeit des Sampling ist etwas sehr anderes als ein Stück Musik aufzunehmen. »Früher war das ja noch übersichtlich. Wurden beim Galaxy Steinway pro Ton ca. 20 Velocities aufgenommen, von denen es dann zehn ins Sampling-Instrument schafften, so haben heutige Galaxy-Instrumente bis zu 18 Velocity-Layer, für die bis zu 100 Anschläge aufgenommen werden«, erklärt Uli.

Es entstehen etliche Gigabytes an Rohmaterial − festplattenweise türmt sich dieses in Baronowskys Studio. Einer der Gründe liegt sicher in den vielen Velocity-Aufnahmen. Man muss aber auch bedenken, dass jeder Ton als Mehrspuraufnahme vorliegt. Selbst wenn das Software-Instrument später »nur« stereofon erklingt, steht während der Recording-Sessions ein ganzer Wald von Mikrofonen um das Instrument herum. Zunächst geht es darum, möglichst viele Aspekte des Klanges bis in die letzten Winkel des Aufnahmeraums in der Recording-Session mitzunehmen.

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„Das Ziel ist ein Instrument, das so viel wie nur irgend möglich lebt.” – Uli Baronowsky (Bild: Galaxy Instruments, Modartt, J. Sunderkötter)

Software-Pianos bauen.

Allein das Sampling ist ein riesiger Aufwand, danach geht aber die Arbeit erst richtig los, denn aus allen Aufnahmen gilt es, die auszuwählen, die gemeinsam im Sampler einen schönen Gesamtklang ergeben sollen. Mehrere Monate benötigt das dreiköpfige Galaxy-Team, bis ein SoftwareInstrument fertig ist. Und bis es zum Release kommt, durchläuft es viele Phasen des Editierens und der Aufbereitung bis hin zum Scripting der Sampling- Engine in Kontakt und dem finalen Erstellen der Patches.

Am Ende kommt dann ein Software-Instrument heraus, das den originalen Flügel möglichst naturgetreu zum Klingen bringt, aber für Uli Baronowsky ist dies nur der Pflichtteil. Die Kür ist es, ein Instrument zu schaffen, das in seinen Ausdrucksmöglichkeiten begeistert und beim Spielen auch einen gewissen Freiraum bietet, um eigene Artikulationen und Klangmöglichkeiten zu entdecken. »Das Ziel ist ein Instrument, das so viel wie nur irgend möglich lebt. Ich finde, das ist der spannende Part an einer Produktion, wenn man sich überlegt, wie und was ich besonders reizvoll umsetzen kann. Das beginnt bereits bei der Auswahl des Instruments.«

Flügel aus Mathematik.

Kommen wir nun zum Thema Physical Modeling. Tonangebend im besten Sinne des Wortes ist auf diesem Gebiet der französische Hersteller Modartt, dessen Software-Instrument Pianoteq − inzwischen mit der Versionsnummer 5 − Sounds vom Allerfeinsten liefert und selbst auf kleinen Laptops hervorragend läuft.

Beim Physical Modeling wird ein Instrument durch ein mathematisches Modell repräsentiert. Der Vorteil: Es lässt sich in viele Richtungen »verformen«, »was große Freiheit bei der Klanggestaltung bietet.« So beschreibt es Philippe Guillaume, der Chef-Entwickler des SoftwareInstruments Pianoteq.

Vor seiner Professur für Angewandte Mathematik war Philippe Guillaume als gelernter Klaviertechniker damit beschäftigt, Pianos für Konzertpianisten zu tunen, wobei er feststellte, dass neben dem Tuning eine Menge weiterer Faktoren den Klang eines Flügels entscheidend beeinflussen. »Mit einer guten Intonation kann man wunderbare Klänge entwickeln«, erklärt uns Philippe Guillaume. »Nichtsdestotrotz sind die Möglichkeiten limitiert. Ich wollte ein Instrument, bei dem man die volle Kontrolle über sämtliche Klangdetails hat, um völlig neue Klänge und Soundscapes erfinden zu können.«

Mit dieser Idee begann Philippe Guillaume 2003 an der Universität INSA in Toulouse gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Julien Pommier, ein physikalisches Modell eines Pianos zu erarbeiten, das in Echtzeit spielbar sein sollte. Damit war der Grundstein für Pianoteq gelegt, dessen erste Version 2006 auf den Markt kam.

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Julien Pommier und Philippe Guillaume (Bild: Galaxy Instruments, Modartt, J. Sunderkötter)

Stufendynamik ade!

Ein Detail, mit dem Sampling-Sounds auch heute noch ihre Problemchen haben, ist die Darstellung der dynamischen Obertonänderungen des Klaviers über Velocity-Layer. Pianoteq dagegen kann die Entwicklung des Obertongehalts über die Anschlagdynamik stufenlos darstellen. »Dies ist einer der großen Vorteile von Physical Modeling«, bestätigt Philippe Guillaume. »Es lässt sich besser spielen, da es das gesamte Klangverhalten berücksichtigt. Dabei kommt gar nicht einmal nur das Klangverhalten des einzelnen Tons zum Tragen, sondern umso mehr noch die Interaktion der Töne untereinander. Hier spielt neben den harmonischen Saitenresonanzen das Zusammenspiel von Sustain- und Soft-Pedal ebenso hinein.«

Klang und Gestaltung.

Nicht nur das spielerische Formen, sondern vor allem auch die Intonation eines Instruments macht Pianoteq möglich. In der ProVersion der Software kann man dies sogar Ton für Ton justieren − die Möglichkeiten umfassen das Tuning, die Verstimmung der Saiten über die Hammereigenschaften, den Anschlagpunkt im Bezug auf die Saitenlänge, das Ausklangverhalten usw. Damit kann man recht schnell sogar einen Pianosound erstellen, der seine ganz individuellen Ecken und Kanten bekommt. Aber das Ganze geht noch weiter bis hin zur virtuellen Mikrofonierung − ein gewaltiges Werkzeug für den Musiker und auch bei der Musikproduktion. »So hat man alle Faktoren der Klanggestaltung zur Verfügung«, sagt Philippe Guillaume begeistert, »von der Stimmung über das Design und die Intonation bis zur Aufnahmetechnik.«

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Mikrofonierung für das Sampling-Instrument The Gentleman (Bild: Galaxy Instruments, Modartt, J. Sunderkötter)

Faszination Piano.

Auf die Frage, was ihn am meisten am Pianoklang fasziniert, antwortet Philippe Guillaume etwas zögerlich. Es falle ihm immer schwer, Klang mit Worten zu beschreiben, aber »es sind die Resonanzen und die Art, wie diese sich als aufeinanderfolgende Wellen überlagern und immer wieder neue Muster bilden.« Ein anderes faszinierendes Element ist für ihn, wie aus der Kombination von Holz und Metall der Klang entsteht. »Die Balance zwischen dem Metallischen und dem Holzigen ist eine Frage des Geschmacks, und tatsächlich hat sich dieser über die Zeit ständig geändert.

Im 19. Jahrhundert gab es eine weitaus größere Klangpalette, als wir sie heute vorfinden. Aber gerade diesen Klangreichtum des Piano-Sounds finde ich so faszinierend. Deswegen sind mir auch die Nachbildungen der historischen Instrumente der Krimsegg Collection für Pianoteq so wichtig. Denn wo bekommt man schon die Gelegenheit, sich die Musik von Mozart, Beethoven, Schubert usw. so anzuhören, wie sie zu deren Zeiten geklungen hat?«


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KEYBOARDS 4/2016

Das sind die Themen dieser Ausgabe:

  • Sampletalk mit And.Ypsilon (Die fantastischen Vier)
  • Tobias Enhus spricht über sein Synclavier
  • Die Groove-Mutter: Yamaha RS7000
  • Real Samples – Historische Tasteninstrumente digitalisiert
  • Software-Sampler am Rande der Wahrnehmung
  • Korg DSS-1 als Hardware-Plug-in
  • Cinematique Instruments – Filmreife Sample-Instrumente
  • Groovesampler in der Praxis
  • Die Mellotron-Story
  • Vintage Park: Fairlight CMI
  • Transkription – Ten Sharp: You

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