Roland AIRA System-1
Rolands AIRA-Serie schlug Anfang dieses Jahres ein wie eine Bombe: Gleich drei neue Geräte mit maximalem Kult-Faktor hatte keiner erwartet.
Die Roland-Geräte TR-808/909 sowie die Bassline TB-303 prägten den Sound einer Generation: Techno, Acid, Dance und viele weitere Spielarten der elektronischen Musik hätten sich ohne diese Instrumente sicher anders entwickelt. Als letztes Mitglied der AIRA-Familie brachte Roland nun System-1 heraus, ein virtuell-analoger Synthesizer, der an nicht weniger kultige Roland-Synths der SH-Serie anknüpft. Der System-1 ist ein kompakter, vierstimmiger Synth mit luxuriöser Retro-Bedienoberfläche. Dank digitaler Technik aber kann der System-1 verschiedene Klangerzeuger emulieren. Alternativ zur internen Engine lässt sich ein klassischer Roland-Synth aktivieren; momentan stehen der SH- 101 (der im Lieferumfang enthalten und vorinstalliert ist) und der SH-2 zur Verfügung, weitere Synths sollen folgen.
Möglich wird die Installation weiterer Synth-Modelle durch Rolands neue „PlugOut“-Technik. Die Modelle stehen als Software-Plug-In innerhalb der DAW zur Verfügung, sie können aber in den Hardware-Synth geladen und computerunabhängig gespielt werden – daher rührt die Bezeichnung „Plug-Out“. Sounds lassen sich dann auch zwischen Hard- und Software komfortabel hin und her schicken, und die Hardware fungiert als luxuriöser Controller. System-1 lässt sich auf Wunsch (wie die anderen AIRA-Klangerzeuger) auch als Audio-Interface einsetzen.
Tweak-Heaven
Der Synth ist in einem stabilen Plastikgehäuse beheimatet, dessen Maße ideal für den Live-Einsatz sind; notfalls lässt er sich auch in einer Umhängetasche transportieren. So gut wie alle Parameter sind mit einem eigenen, angenehm zu fahrenden Regler bestückt, der zudem noch mit einem Leuchtring ausgestattet wurde, sodass man vor allem bei Dunkelheit in ein Schrauber-Paradies auf kleinstem Raum eintaucht. Man findet sogar bei absoluter Dunkelheit die Regler, kann aber die Beschriftung nicht lesen – gut, man kann nicht alles haben. Dennoch: Ein Display wird nicht benötigt. Fast alle Reglerbewegungen werden über MIDI ausgegeben.
Systemfehler?
Spielt man die 2-oktavige Tastatur an, fährt einem der Schreck in die (Finger-)Glieder – war was mit dem Crystal Meth gestern Abend nicht in Ordnung, oder warum fühlt sich die Tastatur wie ein Versuch an, ein 3D-Universum in eine zweidimensionale Welt zu quetschen? Die System-1-Tastatur ist merkwürdig flach und hat nur geringen Hub; man kann zwar darauf spielen, aber es macht nicht wirklich Spaß. Außerdem ist sie nicht anschlagdynamisch, obwohl die interne Klangerzeugung Velocity-Daten verarbeitet.
Abzüge in der B-Note gibt es auch für die spartanischen acht (!) Speicherplätze; das ist der Retro-Seligkeit dann doch etwas zu viel, wir schreiben nicht das Jahr 1981, als Speicherplatz mit Gold aufgewogen wurde. Wir hoffen, dass Roland hier bald nachbessert; dank DSP-gestützter Engine ist das ja möglich.
Hält fit: Sound-Jogging
Als Spielhilfe dient nicht der gewohnte Roland-Bender, sondern eine Jog/Shuttle-Wheel-Kombination, die man z. B. von Video-Schnittplätzen kennt. Das macht das Instrument nicht nur flacher und transportfreundlicher, das innovative Bedienelement eignet sich auch sehr gut, um neben dem Pitchbending auch den Scatter-Effekt mit einer Hand zu bedienen.
Sound-Amphetamin
Der Arpeggiator ist standardmäßig ausgelegt und bietet alles, was man braucht. Spezielle Phrasen gibt es allerdings nicht, aber dafür hat man ja den Scatter. Die Scatter-Funktion wurde in jedem der AIRA-Geräte jeweils individuell designt. Mit dem inneren Rad wird einer der zehn Effekt-Typen angewählt, und mit dem äußerem Wheel fährt man stufenlos durch die Loop- und Quantisierungs-Effekte, die zusammen mit dem Arpeggiator interessante Arpeggio-Variationen erzeugen. Einige Effekttypen modulieren auch die Filtereckfrequenz.
Auch hier wird der Scatter-Effekt nicht über MIDI ausgegeben.
Und doch: ein klassischer Roland-Synth
Die virtuell-analoge Klangerzeugung des System-1 bietet zwei Oszillatoren mit den Grundwellenformen Sägezahn, Rechteck, Sinus und Supersaw. Die erstmals im JP-8000 implementierten Supersaws sind eine Roland-Spezialität, die extrem breite Sounds durch mehrfach gelayerte, gegeneinander verstimmte Oszillatoren ermöglicht.
Features wie Oszillator-Sync, Pulsweiten-Ring- und Cross-Modulation sind natürlich auch verfügbar. Die beiden Oszillatoren werden in einem Mixer mit einem Suboszillator und einem Noise-Generator zusammengemischt. Zur Klangformung stehen Amp- und Filterhüllkurven mit ADSR-Charakteristik sowie ein Low- und Hipass-Filter zur Verfügung. Die Resonanz des Tiefpass-Filters, das mit 12 oder 24 dB Absenkung arbeiten kann, lässt sich bis zur Eigenschwingung bringen. Ein schneller LFO mit sechs Wellenformen kann Pitch, Amp und Filtereckfrequenz modulieren. Der Klangcharakter lässt sich durch den Tone-Regler in der Amp-Sektion stark verändern.
Als Effekte kommen ein gut klingendes Reverb und ein Delay mit einfacher Parametrisierung zum Einsatz. Dazu gibt es noch einen bösen Crusher-Algorithmus, der das Signal schön anraut.
Sound
Der System-1 besitzt einen energischen, durchsetzungswilligen Grundsound, der sowohl strahlende Leads als auch druckvolle Bässe problemlos erzeugen kann. Wenn es besonders breitbeinig zugehen soll, lässt man die diversen Supersaw-Derivate von der Leine und aktiviert die Unisono-Funktion. Erfreulich ist, dass sich mit dem Instrument problemlos auch moderne Dubstep-Synths erstellen lassen, was durch das massive Fundament des Subbasses und den Einsatz des charakterstarken Distortion-Effekts erleichtert wird.
Leichte Schwächen zeigt der System-1 bei polyfonen Klängen; hier agiert er manchmal ein wenig zu ruppig und hat zuweilen die Neigung, (abhängig nach Einstellung des Tone-Reglers) etwas harsch zu klingen. Das kann zwar bei bestimmten Einsatzgebieten reizvoll sein, seidige Flächen à la Juno-106 gehören allerdings nicht zu seinen Stärken. Dafür ist er im tieffrequenten Bereich überzeugend und agiert viel konturierter und energischer als etwa der Gaia.
SH-101
Wer könnte besser geeignet sein, klassische Roland-Synths zu emulieren als Roland selber? Die analogen Schaltkreise der Vorbilder wurden mit der ACB-Technologie detailgenau digital nachgebildet. Im System vorinstalliert ist eine Emulation des SH-101. Der freche, direkte Klangcharakter des Originals wurde von den Roland-Entwicklern gut erfasst und kommt dem Vintage-Gerät oft sehr nahe. Dennoch kann die Klangerzeugung des System-1 ihre digitale Herkunft nicht verleugnen; die VA-Engine klingt wesentlich knochiger und etwas härter als das Original; deutliche Unterschiede hört man auch bei der Pulswellenmodulation und dem Lowpass-Filter.
SH-2
Kürzlich stellte Roland eine weitere Plug-Out-Vintage-Emulation vor, die für registrierte System-1-Besitzer moderate 75,– Euro kostet und ansonsten für 110,– Euro zu haben ist (und unabhängig von der Hardware als Plug-In genutzt werden kann). Der monofone Roland SH-2 gehört zu den eher raren Vintage-Synths der Roland-Riege und ist vor allem hierzulande relativ selten. Auch hier wurden die Schaltkreise des Originals kartografiert und nachgebaut. Er klingt etwas massiver und wärmer als das SH-101-Plug-Out und ist eine schöne Bereicherung, die man jedem System-1- Besitzer empfehlen kann. Die organische Klangfülle und Lebendigkeit des Originals kann man jedoch mit der begrenzten DSP-Power des Gerätes naturgemäß nicht emulieren. In den Klangbeispielen zu dieser Ausgabe finden sich übrigens auch Sounds der Vintage-Originale SH-101 und SH-2.
Fazit
Der interessanteste Roland-Synth seit Jahren … System-1 ist ein sympathischer, gut aussehender VA-Bolide mit einer tollen Bedienoberfläche, guten Designideen (Video-Edit) und einem innovativen Konzept (Plug-Out). Wegen seiner guten Klangeigenschaften verzeiht man ihm sogar seine geplättete Tastatur. Exakte Kopien der Roland-Klassiker sollte man aber nicht erwarten. Der Preis ist fair, nachbessern sollte Roland allerdings bei den Sparbrötchen-Speicherplätzen.
Hersteller/Vertrieb: Roland
Internet: www.rolandmusik.de
UvP/Straßenpreis: 630,— Euro / ca. 600,— Euro
+ Klang
+ Plug-Out-Konzept
+ Bedienoberfläche
— zu wenig Speicherplätze
— schlechte Tastatur