Motion Sound PRO-3X – Hochton-Rotorkabinett im Test
Das habe ich mir in meiner Organisten-Karriere schon lange gewünscht: Ich komme zur Probe und habe in der einen Hand das Leadsheet für das neue Stück (Heute soll es „When a blind man cries“ von Deep Purple sein!) und an der anderen hängt ganz lässig mein Rotor-Kabinett. Wohlgemerkt: keine elektronische Simulation, kein „Konserven-Leslie“, sondern tatsächlich eine Box mit rotierendem Horn, Verstärker und tatsächlich auch noch integriertem Mikrofon …
Gut, was mir da so locker am Handgelenk baumelt, ist nur für die Frequenzen ab 800 Hz zuständig, alles, was darunter klingt, überlässt der PRO-3X einem separaten Verstärkersystem – pfiffig! Auf diese Idee sind die Macher von Motion Sound übrigens schon früher gekommen, denn die PRO-3-Serie gibt es schon länger (3, 3T, 3Tm), es gab aber eine Reihe Kritiker, die den Sound oder die unzureichenden Regelmöglichkeiten bemängelten. Man hat bei Motion Sound reagiert und das Gerät kontinuierlich weiterentwickelt. Seit dem PRO-3Tm wurden die Loblieder aus Organistenkreisen lauter, und jetzt ist man meiner Meinung nach an einem Punkt angelangt, wo man dem Hersteller bescheinigen muss: erstklassig! Oder auf amerikanisch: A1! Doch ich greife vor …
Das Testszenario
Wie gesagt, der PRO-3X musste seine Qualitäten nicht auf meinem Schreibtisch beweisen, sondern im Proberaum, in dem wir (dank nicht existierender Nachbarn) unsere Rockmusik durchaus in Bühnenlautstärke spielen können.
So hörten dann praktischerweise auch die durchaus kritischen Ohren meiner Bandkollegen mit, als es um die Beurteilung von Klangqualität und Durchsetzungsfähigkeit ging. Und ganz nebenher konnte ich durch einfaches Umstecken einen A/B-Vergleich mit einem Leslie 770, einem Dynacord DC200 und einem H&K Rotosphere II herstellen. Wenn das mal keine erschwerten Bedingungen für den kleinen PRO-3X waren!
Also rein in den Proberaum und den PRO-3X in Ohrhöhe positioniert. Der Kleine steht sicher auf zwei Holzschienen, kein Metall, kein Gummi. Je nach Untergrund sind die Holzschienen nicht die erste Wahl, gleiches lässt sich aber auch über die o. g. Alternativen sagen. Da ich das Gerät gerade in der Hand halte: Die Verarbeitungsqualität ist hervorragend, nichts wackelt, rappelt oder quietscht, die Kiste macht einen grundsoliden Eindruck.
Okay, Netzkabel hinten eingesteckt und eingeschaltet.
№4 2017
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Der erste Kontakt
Ich nähere mich mit einem Kabel und bin froh, dass ein Vorbesitzer meiner Hammond P-100 diese mit Klinkenbuchsen ausgerüstet hat, denn der PRO-3X verfügt nur über einen Klinkeneingang, den orgeltypischen Multipin-Anschluss sucht man vergebens. Das Gain-Poti ist zuständig für die grundsätzliche Pegelanpassung (und auch für den „Brat-Faktor“) der Röhren(!)vorstufe, über den Regler FET-Mode lässt sich die Qualität der Verzerrung regeln, vom sanften, warmen Röhren-Zerren bis zum brutalen Krachen mit vielen ungeradzahligen Harmonischen im Sound.
Der dritte Regler endlich bestimmt, wie laut das kleine Hörnchen im PRO-3X schreien soll. Die Endstufe leistet 45 Watt – für die Frequenzen oberhalb 800 Hz wohlgemerkt. (Das für die tiefen Frequenzen angeschlossene zuständige System sollte nach Herstellerangaben für ein homogenes Klangbild rund 150 Watt Leistung haben.)
Gefällt mir der „Hörnchen-Sound“ nicht, habe ich noch einen EQ für Mitten und Höhen zur Verfügung. (Klar, Bässe hat das Teil ja nicht.) Jetzt noch das Pedal zur Rotorsteuerung eingesteckt und ab geht die Post – schnell, langsam und Brake (Stop). Eine LED am PRO-3X und zwei auf dem Fußtaster informieren über die eingestellte Geschwindigkeit. Anlauf und Stopp-Zeiten lassen sich ändern, aber nur, wenn Sie Lust haben, das Gerät aufzuschrauben und mit einem kleinen Schraubendreher auf der Platine herum zu werkeln – lassen wir das lieber und schreiben Motion Sound diesen Punkt auf den Wunschzettel.
SIM lautet die Bezeichnung für die Buchse, an der die tiefen Frequenzen anliegen. Warum SIM? Weil diese Frequenzen zunächst noch durch eine elektronische Rotor-Simulation geleitet werden, damit auch die Bässe schön gequirlt das Ohr erreichen. Die Geschwindigkeitsumschaltung erfolgt natürlich wie beim Hochtonhorn. Für die Simulation steht ebenfalls eine 2-Band-Klangregelung bereit, hier mit Low und High bezeichnet. Vielleicht könnte man die auch weglassen, denn das angeschlossene Tieftonsystem hat oft auch noch eine Klangregelung. Zwar kann man dann ganz viel „klangregeln“, aber auch ganz viel verderben. Ich würde mich in so einem Fall auf eine Klangregelung (im Zweifelsfall die komplexere) beschränken und die andere neutral einstellen.
Klasse, alles angeschlossen, das Verhältnis von Tiefen und Höhen klanglich eingepegelt, der Rotor rotiert und die Simulation simuliert, alles klingt so klasse, dass sich mein 770-er ein bisschen zu dick vorkommt …
Soundmäßig brauchte der PRO-3X sich vor keinem zu verstecken. Einzig und allein die körperliche Erfahrung, wenn hinter dir eine riesige Holzkommode wie das 770-er anfängt zu beben, kann der Kleine nicht erzeugen, klanglich jedoch kann er auf alle Fälle mithalten. Ich habe mir den Spaß gemacht, meinen Kollegen nicht zu verraten, welches der „Leslies“ gerade am Start war, Dynacord und Rotosphere hörten die Kollegen heraus, 770-er und PRO-3X aber tippten sie nur zufällig richtig. Kein Wunder, hat man sich bei Motion Sound doch ein – hinten offenes – 147-er Leslie als klangliches Vorbild genommen.
On Stage
Doch da fallen mir noch eine Buchse und noch ein Regler auf: MIX und MIX Out? Tja, jetzt geht’s ab auf die Bühne! Event-Halle in Neuss am Rhein, großes Betriebsfest, 1.500 Gäste, Leslie auf die Bühne, Mikro unten, Mikro rechts, Mikro links, Ständer, Kabel, Übersprechen, Rückkopplung, Kabelsalat, „Spinnst du, drei Kanäle nur für die Orgel?“ – vielleicht kennen Sie das. Mit dem PRO-3X wird alles anders, dank der MIX-Abteilung und dem integrierten Mikrofon. An der MIX-Buchse liegt das komplette(!) Signal an, eine Kombination aus Horn-Mikro (H) und Bass-Simulation (R). In der Stellung (N) haben beide Teile das gleiche Gewicht, dreht man den Regler in die eine oder andere Richtung, verschiebt sich die Gewichtung. Dieses MIX-Signal geben Sie dann an die PA weiter. Schade nur, dass hierfür keine XLR-Buchse vorgesehen ist, an der dann auch ein symmetriertes Signal anliegen könnte. So aber kommt man um eine DI-Box nicht herum. Möchte
Ihr Mensch am Mischpult die volle Kontrolle über den Sound, geben Sie ihm über die MIX-Buchse und Reglerstellung (H) nur den Horn-Sound via Mikro und die Tiefen über den SIM-Ausgang. Dann kann er die Balance beider Komponenten für die PA am Mixer justieren.
Fazit
Der Traum aller rückengeschädigten Orgelkabinettschlepper ist wahr geworden: Der „gute, alte Sound“ kommt dank einer pfiffigen Idee aus nur wenigen Kilogramm. Schluss mit dem Gewürge von großen Kisten mit kleinen Rollen über unebene Böden! Schluss mit der an die Laokoon-Gruppe erinnernde Installation von Ständern, Kabeln und Mikros auf der Bühne! Für die Bühne wünsche ich mir allerdings noch einen symmetrierten MIX-Ausgang im XLR-Format, Orgel-Puristen vermissen mit Sicherheit den klassischen Multipin-Eingang. Trotzdem: Hallelujah! Absolut gelungen! A1!
+ gelungenes Konzept
+ guter Sound
+ Röhrenvorstufe
+ flexibel einsetzbar
+ geringes Gewicht
– kein Orgel-Multipin-Eingang
– kein XLR-Ausgang für MIX
Konzept: Orgelkabinett mit rotierendem Hochton-Horn, Rotor-Simulation für Bässe, Trennung bei 800 Hz, integriertes Hornmikro, Röhrenvorstufe, Endstufenleistung 45 Watt
Hersteller/Vertrieb: Motion Sound / G66 GmbH
Internet: www.motion-sound.com www.jiconcept.com
Maße / Gewicht: 16,5 × 50,8 × 41,9 cm (H × B × T) / 12,25 kg
Unverbindliche Preisempfehlung: € 775,–