Moog Matriarch im Test – Semimodularer, paraphoner Analog-Synthesizer
Nachdem wir Mutti, Oma und Klein-Drummie schon kennenlernen durften, präsentiert Moog nun das neue Familienoberhaupt seines semimodularen Synthi-Clans: Matriarch gibt sich die Ehre. Da sagen wir nicht nein, putzen die Öhrchen und bitten höflichst um einen Besuch.
Sämtliche bisherigen Mitglieder der Moog-Family konnten mit einem sehr eigenständigen Charakter und bisweilen ungewöhnlichen Fähigkeiten überzeugen. Hat „Big-Mama“ nun von allen etwas (mehr)? Insbesondere die Verwandtschaft zu Granny ist unübersehbar. Matriarch ziert exakt dasselbe Farb- und Gehäusekonzept, wie wir es schon an der feinen alten Dame bewundern durften – eine Art Neo-Retro-Look, recht bunt anzuschauen, aber durchaus homogen, eigenständig und tageslichttauglich.
Wenngleich in reichlich Kunststoff gewandet, wirkt Matriarch auch auf den zweiten Blick wertig und solide. Die haptischen Qualitäten können locker mithalten: Das Keyboard ist recht tight, spielt sich aber sehr gut. Die Bedienelemente, vor allem Regler und Drehschalter, fühlen sich mustergültig an. Einzig die Handräder sind für meinen Geschmack zu schwergängig. Des Weiteren findet man auf Ober- und Gehäuserückseite insgesamt 90 Patch-Buchsen mit durchschnittlicher mechanischer Qualität. Ach ja, wie allen Moog-Instrumenten liegt auch Matriarch ein deutschsprachiges Handbuch bei.
Nachdem alle Äußerlichkeiten gebührend bestaunt, bewundert und für gut befunden sind, wird es höchste Zeit, das Tisch-Netzteil anzuschließen (verschraubter Stecker), den Stereo-Out zu verkabeln und alle Knöppe auf 10 zu drehen …
Und es macht Mooouug! Egal, ob man die Sound-Vorschläge im Handbuch erkundet oder Matriarch im Blindflug angeht: Es wird schnell klar, dass Moogs Neuzugang einiges zu bieten hat. Da sind zunächst die vier Oszillatoren mit ihrem strahlenden Grundsound. Sie arbeiten äußerst stimmstabil, lassen sich sehr präzise (ver)stimmen und schön zum Schweben bringen. Die Tonhöhenmodulation kann paarweise erfolgen, was zusammen mit Sync und den Paraphonic-Modes (s. u.) äußerst abgefahrene Klänge ermöglicht. Überfährt man den Mixer, bekommt man richtig breite Bratze-Sounds mit reichlich Schub. Zusammen mit dem Dual-Filter macht es laut und deutlich „Mooouug“ – genau so haben wir uns das vorsgestellt!
Das Filter des Matriarch kann aber deutlich mehr: Einerseits teilt es den Signalweg in einen Stereostrang und ermöglicht, abhängig von Cutoff- und Spacing-Einstellungen, sehr schöne und dynamische Panning-Effekte. Im seriellen Modus ist der Filterausgang zwar mono, man erhält jedoch flexible und klanglich ergiebige Bandpass-Sounds. Überhaupt liefert das Filter eine sehr breite Palette von dünn und „phasig“ über typische, holzig-warme Moog-Sounds bis hin zu Vokalähnlichen Klängen. Die beiden Envelopes liefern entsprechend knackige Soundverläufe. Hier erscheinen allerdings die Bereiche für kurze Werte zu klein.
Mit der Paraphonie ist es so eine Sache – einerseits ein interessantes Konzept, gleichzeitig auch ein Kompromiss, mit dem es sich anzufreunden gilt: Ohne abgerissene Hüllkurvenverläufe u. Ä. geht es nicht. Dennoch hat sich Moog dieser Technik wieder verschrieben – mit höchst respektablem Ergebnis. Nutzt man den Mono-Mode, ist Matriarch ein klassischer Mono-Synth mit vier Oszillatoren und entsprechend Dampf im Sound: tight, fett und knackig.
Bemüht man die beiden Paraphonic-Modes (zweibzw. vierstimmig), offenbart das Instrument ganz andere Qualitäten: Nach kurzer Annäherung wird man von freakig-verspielten, dabei sehr wandelbaren und wunderbar eigenständigen Sounds überrascht, die man an dieser Stelle kaum vermutet hätte. So erlaubt die einfach, aber effektiv ausgelegte Modulation interessante Effekte, wie etwa das „Zusammen- und Auseinanderfließen“ der Oszillator-Tonhöhen, wechselnde Intervalle, Sweeps oder auch oldschoolig-orgelige Sounds. Dreht man nun noch das Stereo-Delay samt Feedback ordentlich auf, sorgen selbst abgerissene Hüllkurvenverläufe und unvermittelt wechselnde Tonhöhen für herrlich verrückte Klanglandschaften, die sich mittels Arpeggiator oder Sequencer sogar noch rundum synchronisiert in Bewegung versetzen lassen.
Im Rhythmus bleiben: Delay und ARPeggiator / SEQuencer
Das Eimerketten-basierte Stereo-Delay zählt definitiv zu Matriarchs Highlights. Abgesehen von etwas Rauschen klingt es hervorragend und sorgt für reichlich Charakter sowie Bewegung im Sound. Besonders hervorzuheben sind seine Sync- und Modulationsoptionen. Sie machen die Anwendung des Delays absolut unkompliziert und sorgen zudem für außergewöhnliche Klangerlebnisse.
Die modulierte Verzögerung erzeugt nicht nur hübsche Sweeps, sondern auch tolle Chorus/ Flanger- und Tape-Delay-ähnliche Effekte, welche besonders im paraphonen Betrieb für vielschichtige und abgedrehte Sounds sorgen. Auch für externe Signale ist das Delay natürlich eine tolle Sache.
Schon bei Grandmother hat man den simplen, aber höchst effektiven Arpeggiator/Sequencer liebgewonnen. Bei Matriarch ist es nicht anders: Besonders der Arpeggiator sorgt spontan für riesigen Spielspaß. Synchron zu Modulationen und Delay zaubert er aus Matriarchs ohnehin schon sehr spannenden Klängen beeindruckende, dynamische Sound-Landschaften – oder einfach nur auf die Schnelle eine knackige Bassline.
Ähnliches gilt für den Sequencer, der mit Rest-, Tie- und Ratchet-Funktionen schon recht anspruchsvolle Phrasen wiedergeben kann. Im Paraphonic-Mode lassen sich vierstimmige Sequenzen erzeugen oder zu einer laufenden Sequenz (in Grenzen) live spielen. Die Bedienung ist schnell erlernt. Einzige Stolperfalle ist der Mode-Schalter: Bringt man ihn versehentlich in die Record-Position, löscht eine angeschlagene Taste die aktuelle Sequenz.
Unter der Haube
Im Global-Menü finden sich zusätzliche Funktionen für die meisten Module, darüber hinaus alle MIDI-Settings, die Bereiche der ausgegebenen Steuerspannungen, Clock-Teiler u.v.m. Natürlich ist eine Bedienoberfläche ohne Display gerade bei einem analogen Instrument wie dem Matriarch eine sehr schöne und wünschenswerte Sache. Ab einer gewissen Komplexität wird die Handhabung von versteckten Parametern jedoch zwangsläufig zum Problem. So finden sich beim Matriarch aktuell 47 Funktionen, die bei aktivem Global-Modus mittels Keyboard-Tasten ausgewählt und eingestellt werden wollen. Ohne bereitliegendes Handbuch ist das nicht möglich. Da sich hier auch Parameter befinden, die man durchaus gerne auf dem Panel gefunden hätte, d. h. häufiger nutzt (wie etwa Clock-Teiler, Arp/Seq-Swing), wünscht man sich dringend eine Editor-Software als Unterstützung.
Mit der uns zur Verfügung stehenden Firmware arbeitet Matriarch zuverlässig und ist weitestgehend vollständig ausgestattet. Einzig ein paar marginale Lücken (Bug beim Wechsel von Sequenzen mit laufendem Sequencer, ein paar fehlende Global-Funktionen) wären hier anzumerken. Bezüglich MIDI hat man sich auf wesentliche Dinge beschränkt, d. h. Keyboard, Spielhilfen, Arp/Seq sowie die diversen Clock-gesteuerten Parameter sind in der MIDI-Implementation enthalten. Eine Controller-Einbindung der Klangparameter findet sich nur für die Oszillatoren. Da Matriarchs Welt sicher eher in einer Eurorack-Umgebung (diesbezüglich ist die Konnektivität hervorragend) als im DAW-basierten Setup zu suchen ist, sollte diese Einschränkung in Ordnung gehen.
Fazit
Moog ist mit dem Matriarch ein großer Wurf gelungen. Sein Konzept, basierend auf einer ausgereiften und praxistauglichen Paraphonie, kombiniert mit üppigen Patch-Optionen, ist zweifellos überzeugend und derzeit einzigartig. Sehr gut durchdachte Oszillator-Zuordnungs- und Trigger-Modi sorgen dafür, dass die vier paraphonen „Stimmen“ ein Maximum an Spielbarkeit und musikalischer Flexibilität bereitstellen – hier hat man das paraphone Konzept wirklich konsequent bis zu Ende gedacht.
Ebenso einzigartig ist der Sound, der mühelos mit typischen Moog-Attributen erfreut, darüber hinaus aber auch eine gewisse „Freak-Komponente“ besitzt, die außergewöhnlich inspirierend wirkt und dem Instrument einen sehr eigenen und sympathischen Charakter verleiht. Um Matriarch großartige Sounds zu entlocken, braucht es zunächst weder Handbuch noch Hirnschmalz. Was sich auf der Bedienoberfläche befindet, liefert buchstäblich im Handumdrehen das gewünschte Resultat. Darüber hinaus können sich die Geister durchaus scheiden: Ob man den Verzicht auf Display und Menüs begrüßt, sollte jeder selbst für sich entscheiden. Stimmig ist das derzeitige Konzept jedenfalls. Sollte Moog nun noch mit einem Firmware-Update die kleinen Unvollständigkeiten nachbessern und eine Editor-Software für die Global-Funktionen anbieten, zählt Matriarch zweifellos zu den aktuell attraktivsten Analog-Synthies und hat das Zeug zum echten Klassiker.
Hersteller/Vertrieb: Moog Music/EMC
Internet: www.moogmusic.com/www.emc-de.com
Preis (UvP) 2.249,– Euro
Unsere Meinung:
+ gelungenes und eigenständiges Konzept
+ hoch qualitativer, sehr wandlungsfähiger Sound
+ sehr gute Einbindung in Eurorack-Systeme
– Zugriff auf Global-Parameter gewöhnungsbedürftig
– Hüllkurven nicht optimal skaliert