digitales Remake

Mellotron M4000D im Praxistest

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Man kann es als merkwürdigen Anachronismus bezeichnen, dass in Zeiten von Software-Samplern der einst analoge Bandschleifen-Sampler nun als digitales Remake vorliegt. Aber im aktuellen Retro-Trend liegt die Mellotron-Company mit dem digitalen M4000D am Puls der Zeit.


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Schon mit Optik und Namensgebung als Reminiszenzen an das wohl berühmteste aller Mellotron-Modelle, das M400, dürfte die Mellotron-Company goldrichtig liegen. Ein solches Retro-Instrument soll nicht nur so klingen wie das Original, es soll auch so aussehen. Selbst wenn einige Liebhaber ein Mellotron nur mit echten Tapeframes akzeptieren – es gibt einige Vorteile, die selbst Hardliner unter den Vintage-Fans nicht ignorieren können. Zumal man ja immer noch zum Mellotron Mark VI greifen kann – es handelt sich dabei um ein modernes analoges Remake des Mellotrons, das neben vielen technischen Verbesserungen auch richtige Tapeframes besitzt.

>>>>Erfahre mehr über die Mellotron-Company und die Entwicklung des Mellotron Mark VI

Das Mellotron ist eines der schrulligsten Instrumente der 70er – und zugleich das visionärste, denn es war dem digitalen Sampler einige Jahre voraus. Neuartig war die Möglichkeit, Aufnahmen von echten Instrumenten über eine Tastatur zu spielen. Der Flötensound in Stairway To Heaven oder die Strings in Nights In White Satin – um nur wenige von den vielen berühmten Songs zu nennen – das Mellotron hatte damals schon einen Signature-Sound, der bis heute gefeiert wird. Bands wie Air haben den Sound in den 90ern wieder ins Bewusstsein gespielt, und es gibt etliche aktuelle Produktionen, die den Sound des Mellotron ganz bewusst als Vintage-Patina nutzen.

Da die originalen Instrumente sehr anfällig und außerdem wegen ihres hohen Gewichts nicht sonderlich praktikabel sind, stieg in den letzten Jahren die Nachfrage an handlichen Instrumenten, die man auch live einsetzen kann. Wichtig dabei ist die Optik: Es soll schon nach einem Mellotron aussehen. Außerdem darf es gerne wartungsfrei sein, und nicht zuletzt soll es natürlich authentisch klingen. Mellotrons Antwort auf diese Nachfrage lautet M4000D.

Klingt wie echt!

Die Mellotron-Company mit Sitz in Stockholm und Los Angeles hat damals aus der Konkursmasse des ursprünglichen Herstellers nicht nur den Namen erworben, sondern neben Bauteilen auch die originalen Tonbänder sämtlicher Instrumentenaufnahmen. Damit ist Mellotron im Besitz der originalen Vorlagen, die zum Bespielen der Tapeframes (auch heute noch) genutzt werden. Die Aufnahmen wurden behutsam restauriert und digitalisiert, damit die integrierte Sample-Engine mit 24 Bit lupenreine Qualität liefert – so sauber hat sicher nicht einmal das beste M400-Exemplar jemals geklungen. Dabei aber klingt das M4000D kein bisschen weniger authentisch – ohne Loops übrigens: wie beim alten Vorbild reißt der Ton nach ca. 8 Sekunden Haltezeit ab, sofern man die Presets der Kategorie Mellotron spielt. Das M4000D beinhaltet nämlich auch die Library des Chamberlin, das damals bereits per Tape-Endlosschleifen Sounds mit geloopter Sustainphase realisieren konnte.

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Direct Access

Die Libraries „Chamberlin“ und „Mellotron“ sind über die beiden Displays zugänglich, die außerdem die dual arbeitende Sound-Engine darstellen. Die Sounds lassen sich den beiden Sektionen über den SELECT-Regler zuweisen. In den hochauflösenden und gut lesbaren Displays werden die Library-Modelle angezeigt, was schick ausschaut und bei der ersten Orientierung hilfreich ist. Man kann die Libraries aber auch als Liste darstellen und scrollen, was die Anwahl der Sounds übersichtlicher gestaltet.

Die Soundauswahl berücksichtigt gleich mehrere Mellotron-Modelle wie eben M300, M400 und das legendäre MK II sowie auch Klänge aus der o.g. Chamberlin-Library. Ohne umständliche Framewechsel stehen so bis zu 100 Klänge spielbereit zur Verfügung, weitere Sounds lassen sich per CompactFlash-Speicherkarte nachfüllen.

>> Mehr über das Mellotron und weitere Vintage-Keyboards erfährst du in unserem KEYBOARDS-Special <<

Purer Retrosound aus den 70ern!

Das Mellotron war so etwas wie der erste Sample-Player, entsprechend bekommt man hier eine breit gefächerte Soundauswahl der verschiedensten Sound-Kategorien an die Hand – alles natürlich mit 100% Patina von damals: Die typischen mittig sägenden Strings und Chöre, elektrische Gitarren, aber auch Vibrafon, Blech- und Holzblasinstrumente als Solo- und Ensemble-Sounds, Akkordeon, Orgeln usw. Mit heutigen Sample-Playern oder Workstations will das Mellotron dabei gar nicht konkurrieren, es handelt sich eben um Sounds, die einige Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Und genau das macht das M4000D so besonders, denn verglichen mit so einigen modernen Sound-Libraries bestechen die Mellotron-Sounds mit ihrem Ausdruck, der auch von den Unreinheiten herrührt: Manchmal rauscht es eben leicht in den Loops einiger Chamberlin-Sounds, das Tuning ist nicht immer so genau, und auch Intonation und Timing der Attacks variiert von Ton zu Ton, was besonders den Ensembleklängen sehr viel Charme gibt. Man fühlt sich bei fast allen Sounds in eine andere Zeit zurückgebeamt, muss aber auch feststellen, wie sehr geschmackvoll diese Sounds damals gemacht wurden.

Ein wichtiger Unterschied zum Original: Die Sounds werden technisch gesehen optimal wiedergegeben und sind nicht beeinträchtigt durch Laufschwankungen des Tape-Antriebs oder etwa durch fehlerhafte Positionierung der Tonabnehmer – die verstellen sich gerne mal bei den alten Geräten. Ein anderer Unterschied betrifft die Anzahl der maximal spielbaren Stimmen: Das M4000D ist nicht vollpolyfon, sondern mit maximal 12 Stimmen spielbar, was aber in musikalischer Hinsicht bei 99% aller Anwendungen ausreichen sollte.

Spielt sich edel!

Das authentische Spielgefühl des Instruments ist nicht allein auf die speziell zugeschnittene Holzklaviatur zurückzuführen, sondern auch auf die polyfone Aftertouch-Funktion. Bei diesem Instrument ist das nicht nur einfach ein Ausstattungsmerkmal, sondern essenziell für das authentische Spielen der Mellotron-Sounds. Beim originalen Instrument hat die Andruckstärke des Tonbandes auf den Tonabnehmer nämlich Einfluss auf die Lautstärke, sodass sich einzelne Töne in Akkorden hervorheben lassen. Das gelingt beim M4000D auch. Großartig!

Mehr noch: Im Settings-Menü kann man den Level jedes einzelnen Tons individuell einstellen, ebenso findet man hier Setting-Menüs für MIDI-Funktionen und System-Einstellungen.

Die weitere Ausstattung mit vergoldeten XLR- und Klinkenanschlüssen unterstreicht den professionellen Ansatz des Instruments, das ohne Frage höchsten Musikeransprüchen gerecht wird und die Herzen von Vintage-Liebhabern glücklich macht. Ein Top-Instrument, das auch einen entsprechenden Preis hat (ca. 3.000,– Euro). Wer bereit ist, beim Spielkomfort – also Holztasten und polyfoner Aftertouch – Abstriche zu machen, kann sich für das kleinere M4000D Mini (ca. 2.000,– Euro) oder das M4000 Rack (ca. 1.700,– Euro) entscheiden. Einziger Kritikpunkt: Es wäre sicher kein großer Aufwand gewesen, an der Unterseite Gummifüße anzubringen, um dem guten Stück seine gebührende Standfestigkeit zu geben.

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Fazit

Ein tolles Instrument für Vintage-Fans, die ein „echtes“” Mellotron haben möchten, aber auf analoge Klangerzeugung keinen Wert legen, sondern den Schwerpunkt bei der praktikablen Nutzung setzen: Alle Sounds lassen sich direkt anwählen, das Instrument lässt sich leicht transportieren und nicht zuletzt kann es per MIDI in moderne Recording-Umgebungen und Keyboard-Setups integriert werden. Der Preis von ca. 3.000 Euro erscheint auf den ersten Blick recht hoch, aber das M4000D ist keine Massenware und wendet sich an Liebhaber und professionelle Musiker, die genau das wollen: Die authentischen Vintage-Sounds des originalen Mellotrons als eigenständiges Instrument mit Retro-Look und wertiger Ausstattung. Ein ebenso außergewöhnliches Ausstattungsmerkmal sind die Holztasten, die für ein authentisches Spielgefühl sorgen.

Pro und Contra

+ authentischer Sound der 70er
+ authentisches Spielgefühl dank Holztastatur
+ Sounds aus den wichtigsten Mellotron-Modellen und Chamberlin

Produkt- und Herstellerinfos
Hersteller/Vertrieb: Mellotron / EMC
Internet: www.mellotron.com / www.emc-de.com


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KEYBOARDS 4/2016

Das sind die Themen dieser Ausgabe:

  • Sampletalk mit And.Ypsilon (Die fantastischen Vier)
  • Tobias Enhus spricht über sein Synclavier
  • Die Groove-Mutter: Yamaha RS7000
  • Real Samples – Historische Tasteninstrumente digitalisiert
  • Software-Sampler am Rande der Wahrnehmung
  • Korg DSS-1 als Hardware-Plug-in
  • Cinematique Instruments – Filmreife Sample-Instrumente
  • Groovesampler in der Praxis
  • Die Mellotron-Story
  • Vintage Park: Fairlight CMI
  • Transkription – Ten Sharp: You

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