Marillion-Keyboarder Mark Kelly setzt auf die VST-Hosts Forte und Receptor
Anfang der Achtzigerjahre machten Marillion Art Rock wieder salonfähig – Punk und New Wave zum Trotz. Keyboarder Mark Kelly hat den Sound der Engländer seit jeher maßgeblich geprägt. Im Laufe der Jahre arbeitete er dabei mit so ziemlich allen relevanten Klangerzeugungssystemen.
Die Vorbereitungen für den Soundcheck in der Essener Grugahalle laufen auf Hochtouren: Mark Kelly, der vor vielen Jahren, noch bevor der damalige Marillion-Sänger Fish ihn als Keyboarder rekrutierte, einmal Elektrotechnik studiert hatte, geht zusammen mit seinem Keyboard-Tech auf die Suche nach einem Sound, der partout nicht erklingen will – neben den eigenen Sounds hat Kelly auch jene der Basspedale zu den Füßen seines Bandkollegen Pete Trewawas zu verwalten. Irgendetwas klappt hier nicht, also inspiziert Kelly die Rückseite seines Racks, wo sich Medusa-köpfig abertausende Kabel winden. Das Problem – ausgelöst durch ein verirrtes MIDI-Kabel – wird alsbald souverän behoben. Während der gesamten Aktion referiert Kelly in aller Seelenruhe ausgiebig über Inhalte und Funktionsweisen seiner VST-Banken und Keyboards. Multitaskingfähig muss man wohl wirklich sein, um dies alles mit jener stoischen Gelassenheit zu beherrschen, die Mark Kelly wenig später zeigen wird, wenn das Saallicht erloschen ist und die Fans das Resultat des erfolgreichen Verkabelns deutlich in der Magengegend wahrnehmen.
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Wie würdest du deine Rolle als Keyboarder in einer Band wie Marillion beschreiben?
Meine Rolle hat sich über die Jahre durchaus verändert: Zu Beginn standen immer wieder Soli und Arpeggien auf dem Programm; die sind heute so gut wie verschwunden. Ich war zu der Zeit noch sehr von Rick Wakeman beeinflusst. Heute spiele ich kaum noch Soli in dieser Form, das würde in den aktuellen Arrangements doch etwas altmodisch klingen. Ich versuche vielmehr, neue Sounds zu kreieren und an den Eigenschaften von Klängen zu arbeiten. Und wenn wir live spielen, fällt mir auch die Rolle zu, Originalparts der anderen Bandmitglieder in Form von Samples oder Loops ins Arrangement einzufügen. Ich muss also sehr flexibel sein.
Auf den letzten beiden Alben, Somewhere Else und dem Doppelalbum Happiness is the Road, haben deine Keyboards also eher die Funktion, bestimmte Atmosphären zu erzeugen?
Ja, ich habe mich in letzter Zeit sehr mit Klangfarben und Effekten auseinander gesetzt. Ich kann mich tagelang damit beschäftigen, einen bestimmten Sound zu kreieren, der mir vorschwebt. Aber was die Synths tun, schreibt letztendlich der Song vor: Auf Somewhere Else hört man beispielsweise sehr viel Piano, was wohl daher rührt, dass ich auch am Piano komponiert habe. Zusätzlich habe ich Piano oder Orgel auch oft mit Guitar-Rig-Effekten bearbeitet, wodurch man Keyboardsounds vielleicht auch zunächst nicht als solche erkennt. Im Gegensatz zu anderen Gitarren-Effekt-Plugins erzeugt Guitar Rig übrigens auch sehr warme, angenehme Sounds.
„Wenn wir einen Song ins Programm nehmen, den wir lange nicht gespielt haben , […] greife ich optimalerweise auf die virtuelle Version des Synthesizers zurück, den ich in den Achtzigerjahren wirklich gespielt habe.“
Welche Keyboards hast du früher gespielt?
Ich besaß einmal einen Yamaha CS15, und die Band hatte ein eigenes Mellotron, welches man auch auf einem der ersten Songs hört, die ich mitkomponiert habe: Three Boats Down From The Candy von unserer ersten EP. Nachdem wir unseren Plattenvertrag hatten, ging ich erst einmal einkaufen: einen Roland Jupiter-8, einen MiniMoog und einen Emu Emulator – der wahnsinnig teuer war. Den fütterte ich damals auch mit meinen eigenen Mellotron-Samples.
Damit du es nicht mit auf die Bühne nehmen musstest?
Genau, damals brauchte man live ja eh eine Menge Keyboards, und dauernd war ich mit dem Justieren von Sounds oder Nachladen von Disketten beschäftigt und konnte mich kaum aufs Spielen konzentrieren. Ich bin also ganz froh, dass ich heute mit einer Software wie [Brainspawn] Forte alles vorab programmieren kann und nur noch auf ein Pedal treten muss, um zum nächsten Sound zu gelangen.
Mark Kellys Rack gewährt Kabeln jeglicher Provenienz Asyl. Synthesizer, die anderswo Lagerhallen füllen würden, befinden sich hier in virtueller Form auf einem 2,66 GHz starken Windows-Rechner sowie dem Receptor Pro aus dem Hause Muse Research (u. a. bestückt mit Applied Acoustics Systems Lounge Lizard und Native Instruments Massive)
Wenn du auf die Achtzigerjahre zurückblickst: Von welcher Entwicklung hast du wohl am meisten profitiert?
Das waren neben MIDI wohl hauptsächlich das Aufkommen der FM-Synthese und später dann die PCM-Synths. Obwohl deren Sound im Rückblick doch recht schrecklich war – die Idee, Samples mit synthetischen Klängen zu mischen hatte etwas: Der Roland D-50 besaß ein Programm namens „Staccato Heaven“, ein Klassiker unter den Sounds. Korg M1 und PPG Wave 2.2 müssen wohl auch genannt werden – Letzterer ist übrigens auf unserem bekanntesten Song Kayleigh zu hören.
Du hast in deiner Karriere viele wichtige Entwicklungsphasen der Synthesizer miterlebt, von Analogsynths über die ersten MIDI-Geräte, FM-Synthese bis hin zu den VST-Plugins, die du heute ja ausgiebig nutzt.
Es hat sich wirklich viel verändert über die Jahre. Aber es kommt doch irgendwie alles wieder zurück, wenn ich mir meine aktuelle Sound-Library so ansehe: B4, FM7, Wavestation, M1 und MiniMoog habe ich alle in VST-Form parat. Und im Halion habe ich Samples von unsren alten Bändern. Heute bin ich in der Tat ein großer Fan von VST-Synths. Das Synthogy Ivory hat einige der besten Piano-Samples, die ich kenne. Oder nehmen wir die B4 von Native Instruments. Zugegeben – das Spielgefühl einer echten Hammond geht auch mit den Plugins natürlich verloren. Auf der aktuellen Tour mit Deep Purple habe ich natürlich die Gelegenheit genutzt, mal Don Aireys Hammond auszuprobieren. Das ist dann doch eine andere Welt.
Mit den Controller-Keyboards Remote 61 SL von Novation und dem Roland A-90 steuert Kelly VST-Plug-ins an. Unterstützung bekommen diese vom Korg Karma.
Auf der Bühne sticht neben deinen Keyboards sofort der Monitor mit der Forte Oberfläche ins Auge. Welche Rolle spielt Forte für deine Live-Performance?
Eine ganz essenzielle: Forte ist sozusagen das Herzstück meines Live-Equipments. Ich setze immer mehr VST-Synths ein, Forte verschafft mir den nötigen Überblick. Als Ergänzung zu meinem Windows-Rechner, den ich mit Forte manchmal bis an die Grenzen seiner Kapazität belaste, habe ich im Rack neuerdings auch den Muse Research Receptor: eine Art Rack-PC auf Linux-Basis. Um auch damit VST-Synths abzuspielen, läuft darauf eine Windows-Emulation.
Keyboards 01/16 – Live On Stage
In der neuen Keyboards-Ausgabe widmen wir uns zunächst dem Live-Spielen auf elektronischen Instrumenten, stellen danach Yamahas neuen Montage vor und machen dann noch einen Ausfallschritt zu Arranger Workstations und stellen zwei Topmodelle führender Hersteller vorstellen. Quasi als Gegenpol zu den großen Geräten, werfen wir außerdem noch einen Blick auf die kleinen Tasten von rucksack-tauglichen Synthies, die nicht nur Spaß machen sondern auch als klangliche (und optische) Ergänzung zur Keyboardburg fungieren. Zuletzt hat sich Wolfgang Wierzyk Sweet Lucy von Raul de Soulza & Gerorge Duke vorgenommen und säuberlich transkribiert.
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Du programmierst und verwaltest also die Sounds für alle Songs einer Tour komplett mit Forte?
Ja, mittlerweile müsste ich über 150 unserer Songs abrufbereit vorprogrammiert haben. Das erleichtert die Arbeit ungemein, weil ich sehr viel Wert darauf setze, den Fans die Songs so zu präsentieren, wie sie sie von der Aufnahme her kennen. Wenn wir also einen Song ins Programm nehmen, den wir jahrelang nicht gespielt haben, muss ich nicht versuchen, dessen charakteristische Sounds mit meinem aktuellen Hardware-Equipment zu reproduzieren, sondern greife optimalerweise auf die virtuelle Version des Synthesizers zurück, den ich in den Achtzigerjahren wirklich gespielt habe.
Viele Marillion-Songs, wie zum Beispiel der aktuelle Tour-Opener The Invisible Man, sind nicht nur sehr keyboardlastig, sondern zudem auch sehr lang. Wie behältst du den Überblick über alle Patch-Wechsel?
Das ist wirklich ein Extrembeispiel, bei dem ich auch noch den Überblick über die verschiedenen Regionen behalten muss, viele Tasten sind je nach Forte-Scene auch mit diversen Samples und Effekten belegt. Um mir das Leben nicht unnötig schwer zu machen, setzen wir hier auch einen Multitrack-Recorder ein. Der ist einerseits zuständig für die Klicktracks, andererseits gibt er auch einige der Effektsounds und Loops wieder, die ich nicht auch noch live reproduzieren kann.
Mit Forte 2.0 von Brainspawn befehligt Mark Kelly eine Heerschar von VST-Plugins, an vorderster Front dabei: Arturia Minimoog, Steinberg Halion, Synthogy Ivory Piano, die Korg Legacy Collection, Steinberg Hypersonic sowie 2 Native Instruments B4 II, FM7 und Guitar Rig 3.
Drei Keyboards stehen auf der Bühne – wie spielst du diese in Kombination mit den virtuellen Sounds?
Als Haupt-Controller-Keyboard spiele ich seit langem das Roland A-90. Es ist mir über die Jahre so wichtig geworden, dass ich kürzlich ein zweites Exemplar gebraucht gekauft habe, für den Fall, dass eines den Geist aufgibt. Es erfüllt einfach genau meine Bedürfnisse: Mit vier MIDI-Outs kann ich ganz unkompliziert die Split-Zones auf der Tastatur belegen und ohne Verzögerung von einer Belegung zur anderen wechseln. Ich hatte auch mal ein Oberheim MC 3000 mit acht MIDI-Outs, aber ich fand es nicht sehr benutzerfreundlich. Als weiteres Controller Keyboard benutze ich das Remote 61 SL von Novation. Lediglich den Korg Karma nutze ich als „richtigen“ Synth.
Neben deinen Keyboards ist die Gitarre von Steve Rothery eines der Markenzeichen des Marillion-Sounds. Wie schafft ihr es, euch nicht in die Quere zu kommen, sondern sinnvoll zu ergänzen?
Das Interessante an unsere Musik ist, dass die Instrumente die unterschiedlichsten Rollen spielen können: Mal ist die Gitarre das Lead-Instrument, mal ist es das Keyboard. Steve Rothery und ich halten es so, dass wir beide unsere Sounds mit festen Level-Einstellungen programmieren. So kann es nie passieren, dass z. B. ein Pad eine Sologitarre dominiert.
Wir sind uns des Raumes, den ein Klang einnimmt und den er benötigt, sehr bewusst und berücksichtigen das schon in der Phase des Komponierens und Arrangierens, um jede Art von Soundbrei zu vermeiden. Und live haben wir ein 16-Kanal-Monitorsystem, mit dem jeder die Lautstärken der anderen individuell anpassen kann