Kurzweil Artis Stagepiano im Test
Der amerikanisch-koreanische Hersteller bringt mit dem Kurzweil Artis ein Instrument auf den Markt, das vor allem den ambitionierten Bandpianisten ansprechen soll: mit solider Hardware und vielen Controllern, hammermechanischer Klaviatur sowie genügend Sounds und Effekten für alle Fälle!
Die Bedienoberfläche des neuen Stagepianos Kurzweil Artis mischt Elemente der Kurzweil PC3K8- Workstation und des SP5-8-Pianos. Auch preislich liegt das Kurzweil Artis zwischen diesen Modellen. Relativ schnörkellos konzipiert, verzichtet das Artis in Abgrenzung zur PC3-Serie sowohl auf einen integrierten Sequenzer, einen erweiterbaren Samplespeicher sowie ein komplexes Sound-Editing.
Die Verarbeitung ist Kurzweil-typisch solide mit metallener Gehäuse-Ummantelung; die Seitenteile bestehen am Artis aber aus Kunststoff und nicht aus Holz. Dafür gibt es am neuen Stagepiano eine schicke Aluleiste zwischen Bedienoberfläche und Tastatur. Wie von Kurzweil gewohnt kommt der Spieler auch am Artis in den Genuss diverser Echtzeit-Regler und -Buttons für die Klanggestaltung und das MIDI-Controlling.
Neben den beiden Wheels und den darüber liegenden Controller-Tastern sind dies vor allem die neun teils programmierbaren Slider und Switches. Komfortabel ist natürlich auch der 3-Band-Master-EQ mit seinen vier Knobs (inklusive Frequenzregler für die Mitten). Bezüglich der Klangerzeugung braucht man sich nur zwei Zahlen zu merken: Das Stagepiano besitzt laut Hersteller ein 256 MB großes Sample-ROM, von dem allein 128 MB für einen neuen Flügelklang draufgehen. 128 ist auch die Anzahl der verfügbaren Stimmen.
Je 256 Factory und User-Programs (Einzelsounds) sowie je 256 Factory- und UserMultis (ein Multi organisiert bis zu vier Programs) bilden die Sound- bzw. User-SpeicherAusstattung. Damit gibt es am Artis deutlich mehr Sample-ROM als an anderen KurzweilInstrumenten (PC3-Serie/SP5-8: 64 MB). Des Weiteren sind diverse „handverlesene“ Multisamples aus der PC3(K)-Erweiterung KORE 64 (Test in KB 4.2013) an Bord. Auf ein GM-kompatibles Klang-Set wurde dagegen verzichtet.
Jetzt mit German Grand
Keine Angst: Das berühmt-berüchtigte „Triple Strike Piano“ ist auch im Artis an Bord, wurde allerdings auf den letzten Programspeicherplatz für die 32 Werkspianos verbannt. Kurzweil hat tatsächlich einen neuen – „German“ – Flügel gesampelt, dem jetzt am Artis der Status des Hauptklangs zukommt. Schlicht „Concert Piano“ genannt, ist dieser Sound eines Steinway-D-Flügels dem Hersteller sehr gut gelungen. Solo gespielt klingt er zwar ein wenig „unprätentiös“ gegenüber manch heutigem Top-Digitalpiano-Sound von Kawai, Roland oder Yamaha, die sich durch ihre Saitenresonanz-Effekte und mehr Klangfülle abheben.
Doch insgesamt ist er nicht nur stimmig getroffen, sondern besitzt seine Stärken in der ausgezeichneten, stufenlosen Dynamikentfaltung und in der guten Durchsetzungsfähigkeit im Zusammenspiel mit einer Band. Auch im Ausklang überzeugt er deutlich mehr als das zuletzt arg in die Jahre gekommene alte Kurzweil-Grand, mit dem die Marke schon fast identifiziert wurde. Regelbar per Fader ist im neuen Flügel zudem ein „Damper Noise“- Geräuschanteil, der im Solo für zusätzliche Authentizität sorgt.
Dieser Grand-Piano-Sound ist neu und doch typisch Kurzweil – aber vor allem auch konkurrenzfähig. Die Klaviatur von Fatar, Typ „TP/100“, kann sich ebenfalls „spielen lassen“: Sie ist mit angenehm leichtgängig und mit gutem Grip und überzeugender Hammermechanik-Simulation. Keine Frage, das Artis lässt ein sehr ausdrucksstarkes (Digital-)Pianospiel zu.
Soundausstattung des Kurzweil Artis
Die Klänge des Artis sind à 16 Stück in ebenso viele Bänke einsortiert – somit kommen wir auf die 256 Factory-Programs. In den Kategorien „Piano“, „Electric Piano“ und „Organ“ gibt es jeweils zwei Bänke. Die Grand und Upright Pianos bilden einen sehr guten Grundstock mit diversen Klangfarben für alle Stilrichtungen – durch das neue Steinway-Multisample sowie die alten Kurzweil-Pianos eine insgesamt starke Auswahl. Die E-Pianos bieten realistische Sounds von Fender Rhodes, Wurlitzer, CP70/80 und DX7-Klängen sowie diverse weitere digitale Klänge, ohne auf lebenswichtige Chorus-, Phaser-, Flanger- und WahWah-Effekte zu verzichten – die eingebauten Effekte gibt es nämlich auch am Artis in gewohnt hervorragender PC3-Qualität.
Beim ersten Antesten insbesondere der Fender-Rhodes-Sounds kam mir das Ganze noch etwas nüchtern vor, doch über meinen Keyboard-Amp ging sofort die Sonne auf: auf eine unspektakuläre Weise authentisch, von sehr guter Dynamik und gewürzt mit hervorragenden Vintage-Amp- und Overdrive-Effekten. Zwei tolle Sound-Bänke!
Die Bank „Organ 1“ ist ausschließlich mit KB3-Klängen bestückt: Diese Digital-Drawbars mit eigener additiver Sinuston-Klangerzeugung werden über die neun Fader des Artis stilecht generiert. Die KB3 widmet sich Hammond-B3- und weiteren elektromagnetischen Orgel-Sounds (Vox, Farfisa), während in der „Organ 2“-Bank auch einige normale Multisamples vorrangig Pfeifenorgel-Klänge sowie Harmonika und Akkordeon ergänzen. Die Orgel-Abteilung macht insgesamt einen sehr guten Eindruck, und die KB3 liefert schmutzig-warme Sounds mit Charakter.
Mit „Clavinet“ widmet sich fast eine ganze Soundbank dem Hohner D6 sowie digitalen Ablegern – rundum überzeugendes Material, wohingegen die beiden hier ebenfalls untergebrachten Cembalo-Klänge nur mittelmäßig sind. Kurzweil-typisch sehr realistisch, vollmundig und warm klingendes Material finden wir in den „Brass/Wind“- und „Strings“-Bänken des Artis. Hier dominieren Ensemble-Sounds, die für Digitalpiano-Verhältnisse ein breites stilistisches Spektrum abdecken. Eher nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind die wenigen Solo-Bläser und -Streicher, die aber dennoch Pep in Layer-Sounds (Multis) bringen können. Unter „Voices“, „Synths“ und „Pads“ findet sich durchweg edles Material, das das Artis als klaren V.A.S.T.-Ableger (Variable Architecture Synthesis Technology) identifiziert.
Kurzweils komplexe Klangsynthese ist zwar am Artis nur hintergründig vorhanden, weil in nur ausgewählten Parametern über die Controller zugänglich, aber die Qualität der Filter, die Flexibilität der Hüllkurven und die Modulationsmöglichkeiten sind herauszuhören. Ebenfalls werkelt im Hintergrund die virtuell-analoge VA-1-Synth-Engine der PC3- Modelle. Die „Guitar“-Bank versammelt fast nur elektrische und Heavy-Gitarren, die einen guten Eindruck hinterlassen.
Nur Durchschnitt sind zwei akustische Stahlsaiter sowie Mandoline und Banjo, welche ohnehin nicht recht ins Konzept passen. Auch den „Bass“-Sounds fehlen für heutige Verhältnisse ein paar dynamische Velocity-Layer, ganz zu schweigen von Extra-Samples für Spielgeräusche; sie machen jedoch gut Druck und werden von einigen guten Synthi-Sub-Bässen flankiert. Ebenfalls im Angebot hat das Artis je eine Bank „Drums“ und „Percussion“. Die Schlagzeuge klingen alle etwas auf old fashioned getrimmt und lassen es für heutige Verhältnisse an Brillanz und einem offenen Klangbild fehlen, haben jedoch Power und setzen sich gut durch.
In der letzten Bank werden unter anderem noch wichtige chromatische Percussion-Sounds wie Vibes, Marimba und Co ergänzt. Das Artis bietet also in der Summe Klangmaterial aus fast jedem wichtigen Bereich an und lässt Bühnenpianisten in Sachen stilistischer Bandbreite damit nicht so schnell im Regen stehen. Über den Nutzen manch wenig überzeugender Solo-Natursounds und vor allem der Drumkits lässt sich aber auch streiten – da keine MIDI-Player-Funktion an Bord ist, benötigt man solche Sounds am Artis sicher eher selten. Stattdessen hätte ich lieber noch einige modernere Lead- und Synth- oder Keyboard-Klänge vom neuen Kurzweil-Piano gehört. Eine Unmenge an Effekten veredelt die Programs: Es fehlt an nichts, und die Klangqualität ist fast immer erstklassig.
Es gibt über 1.000 Typen bzw. Multi-Effekte aus der PC3-Serie (Effect Chains); dabei kommen laut Kurzweil bis zu 16 Effekteinheiten gleichzeitig zum Einsatz. Leider fehlt im Program-Mode die Möglichkeit, Effekte auch zu editieren. Stattdessen muss man mit der Vorauswahl auskommen, die den Programs werksseitig zugewiesen ist. Man kann nur via MIDI-Controller zum Teil Einfluss auf Hallzeiten, Chorus-Tiefe oder Rotorgeschwindigkeit nehmen. Auch in den Multis darf man nicht in die (Un-)Tiefen der Effektprogrammierung einsteigen. Doch zumindest ist es im Multi-Editing möglich, selbst eine Effect-Chain auszuwählen – das kann zum Beispiel ein einzelner Effekt wie „Small Dark Room“ oder eine MultiEffekt-Kombination wie „CmEqDeRe4Drms – ST3“ sein.
Multis und MIDI-Controlling
User-Programs können am Kurzweil Artis selbst nur als Modifikation eines schon fertigen Factory-Programs realisiert werden – vernünftig editieren kann man diese Single-Sounds also nicht. Für die Multis wiederum als Split-/ Layer-Kombinationen gibt es einen Edit-Mode, in dem man aber natürlich jeweils auf bis zu vier bereits komplette Programs zurückgreift. Ein simpler Split oder Layer ist schon direkt aus dem Program-Mode heraus schnell erstellt. Hat man das Ganze als User-Multi gesichert, kann es ans Eingemachte gehen: Neben der Auswahl einer Effect-Chain können Transponierungen, Volume-Mixe, Tastaturzonen und Dynamik-Einstellungen sowie Controller-Einbindungen für die bis zu vier Sounds vorgenommen werden. Dabei werden zugleich vier Tastaturzonen gebildet.
Sämtliche Zonen-Einstellungen können nämlich nicht nur für die Sounds der internen Klangerzeugung, sondern wahlweise über MIDI auch an Klänge externer SoundExpander gesendet werden – oder sogar ausschließlich extern via MIDI wirken, ohne einen internen Klang zu triggern. Mit diesen Möglichkeiten wird das Artis zu einem recht ausgefuchsten Controller-Keyboard. 256 User-Multis als Speicherplätze auch für solche reinen MIDI-Setups sind eine sehr gute Ausstattung, und mittels USB-Stick kann man Multi-Bänke schnell nachladen. Unter den ebenso vielen Factory-Multis finden sich schon mal viele brauchbare Stacks, üppige Synthi-Layer und viele Piano- oder Guitar-Pad-Variationen.
Fazit
Sie haben es wirklich getan: Durch das frisch gesampelte „German Piano“ – für Kurzweil-Verhältnisse eine schon „revolutionär“ zu nennende Entscheidung – ist das Artis ein tolles Stagepiano mit konkurrenzfähigen Hauptklängen geworden; dazu trägt aber auch das Gesamtpaket bei, zu dem die sehr gute Fatar-Tastatur und die Ausrichtung als ziemlich starkes Controller-Keyboard zählen. Die weitestgehend sinnvolle zusätzliche Soundausstattung ist von fast durchweg sehr guter Qualität, denn aufgrund der im Kurzweil Artis versteckten PC3-Basis schlummert die V.A.S.T.- Synthese unter der Haube – und lässt sich leider nicht erwecken: Natürlich, das Piano soll ja auch kein neues PC3 sein; dennoch wirken die Beschränkungen des Editing spätestens bei der Einbindung der – zumeist hervorragend klingenden – Effekte wenig schlüssig.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass hier noch per Funktions-Update etwas nachgebessert werden könnte. Ansonsten aber ist das Kurzweil Artis ein Instrument geworden, das man einfach nur spielen will. Ein Stagepiano mit Charakter, das viele eigene, insbesondere performante Akzente setzt.
Plus/minus
+ überzeugende Tastatur
+ Soundqualität
+ hervorragende Effekte
+ flexibles Controller-Keyboard
– kein Program- und Effekt-Editing