Kawai Novus NV5 – Hybridpiano im Test
Vor knapp zwei Jahren stellte die japanische Klaviermanufaktur Kawai mit dem NV10 das erste Modell einer bis dato nicht dagewesenen Hybridpiano-Klasse der Öffentlichkeit vor. Nun folgt mit dem Novus NV5 ein weiteres Modell mit ähnlichem Konzept.
Kawais Entwicklungsingenieure mögen einfach keine Kompromisse! Nachdem man mit dem ersten Vertreter der Novus-Reihe bereits erfolgreich eine Flügelmechanik in ein Premium-Digitalpiano implementierte, erscheint es nur konsequent, sich beim nächsten Projekt mit der Umsetzung einer Upright-Variante zu beschäftigen. Doch wurde im Zuge der Nummerierung im Modellnamen, abgesehen von den äußeren Dimensionen, auch der digitale Inhalt halbiert? Keineswegs!
Outline
Mit einer Höhe von lediglich 110 und einer Tiefe von atemberaubenden 46 cm wirkt das NV5 zunächst einmal ungemein kompakt, ohne dabei »niedlich« oder disbalanciert zu wirken − ganz im Gegenteil. Die Dimensionen des Hybriden, welche so manches Digitalpiano neidisch machen dürften, erwecken einen rundherum stimmigen Eindruck, welcher zudem sämtliche Erwartungen an ein mit Klavierlack überzogenes Upright-Modell im vollen Umfang erfüllt. Analog zum großen Bruder verfügt selbstverständlich auch der neuste Spross der Novus-Familie über eine echte Klaviertastatur inklusive vollständiger Mechanik. Diese wurde aus nichts Geringerem als Kawais K-Klavierreihe übernommen und hört ebenfalls auf den Namen Millenium III Hybrid.
Im Detail haben wir es beim NV5 mit leicht verlängerten Holztasten zu tun, über welche Kawai-typisch eine feuchtigkeitsresistente und verformungssichere ABS-Karbonmechanik samt Hammerkopf ausgelöst wird. Letzterer wurde allerdings aufgrund nicht benötigter Befilzung als formschöne Vollmaterialvariante ausgeführt, welche darüber hinaus im Sinne einer authentischen Graduierung mit einer entsprechend zusätzlichen Gewichtsbestückung ausgestattet wurde. Damit sich das Spielgefühl letztlich auch nicht im Geringsten vom akustischen Vorbild unterscheidet, wurde zudem ein äquivalentes und ebenfalls graduiertes Dämpfersystem addiert, welches selbstverständlich sowohl über den Tastendruck als auch mechanisch über das Pedalgestänge ausgelöst wird. Das einzige, was letztlich emuliert werden musste, ist logischerweise mangels vorhandener Saiten der eigentliche Anschlag, welcher anhand optischer Abtastung des Hammers ausgelöst wird − und natürlich der Sound!
Klanglich basiert das NV5 ebenfalls auf der SK-EX-Rendering-Engine, die sich grob gesagt aus einem Sample-Element und einer Modeling-Einheit zusammensetzt. Neben einem detailreich im Mehrkanalverfahren abgenommenen Premium-Flügel des Typs Shigeru Kawai SK-EX ergänzen ausgefeilte Algorithmen das statische Samplematerial zu einem dynamisch und facettenreich ansprechenden Instrument. So werden sämtliche Resonanz-Interaktionen zwischen Saiten, Klangkörper und mechanischen Elementen mithilfe von parallel bis zu 1.000 Parametern bestimmt und von einer leistungsfähigen DSP-Einheit in Echtzeit gerechnet. Dies führt nicht nur zu einem einzigartigen Obertonverhalten, welches letztlich von dem eines akustischen Instrument nicht mehr zu unterscheiden ist, sondern liefert auch nuanciert feinste Klavier-typische Interferenzen, welche das mechanische Feedback der Tastatur kongenial bis in die psychoakustische Wahrnehmungsdimension zu einem stimmigen Gesamterlebnis ergänzen. Aber wie erreicht das Ganze letztlich die Ohren des Zuhörers respektive Pianisten?
Klangwiedergabe!
Das NV5 ist nach dem NV10 bereits das zweite Hybridpiano, bei welchem Kawai auf ein spezielles in Kooperation mit Onkyo entwickeltes Soundsystem setzt. Angefangen bei 1-Bit DSD-Technologie und dualen D/A-Wandlersystemen bis hin zu Premium-Endstufen und Kopfhörerverstärkern ist bereits das Platinendesign der Novus-Modelle ein beeindruckendes Kunstwerk für sich. Damit diese intern weitergereichte Klangqualität allerdings letztlich ebenso kompromisslos Gehör findet und dabei noch den Eindruck echter schwingender Saiten transportiert, bedarf es noch ein paar weiterer Kunstgriffe.
Die von Kawai gefundene Lösung setzt sich zum einen aus einem intelligent an der Oberseite des Novus untergebrachten und ebenfalls von Onkyo entwickelten 2-Wege-Lautsprechersystems (zwei Höhentreiber und vier Mitteltöner) und einem mittels auf der Rückseite montierten klassischen Resonanzbodens mit aufgeschraubter Transducer-Bestückung zusammen. Das als TwinDrive bezeichnete Schwingungsübertrager-System, das sich bereits für die klanglichen Höchstleistungen der Aures-Modelle aus gleichem Haus verantwortlich zeigte, stammt ebenfalls komplett aus der Entwicklungsabteilung des Hi-Fi-Spezialisten.
Das Ergebnis dieses Setups ist ein Piano-Sound, welcher derart unfassbar nah an das Spektrum eines akustischen Pendants heranreicht, dass ein Unwissender mit verbundenen Augen die fehlenden Saiten wohl nicht bemerken würde. Hinzukommt, dass abgesehen vom Dämpfergeräusch, welches digital supplementiert werden muss, sich die mechanische Geräuschdimension eines Klaviers durch Vorhandensein einer originalen Mechanik besonders für den Spielenden völlig natürlich in den Klang integriert. Auf diese Weise wird digitale Klangerzeugung zu einem echten organischen Gesamterlebnis. Mittels Integration einer binauralen Abhöroption via Kopfhörer brauchen zudem auch Leisespieler nicht auf den passenden dreidimensional räumlichen Klaviersound verzichten.
Das Bedienkonzept des NV5 beruht ebenfalls auf dem bereits bewährten Touchscreen-OS-Design, wie es aktuell bereits beim großen Bruder sowie der Aures-Serie zum Einsatz kommt. Kinder der Generation Smartphone werden sich aufgrund der intuitiv gestalteten Oberfläche den Blick ins Handbuch wahrscheinlich weitestgehend sparen können. Die Auswahl der Presets im Pianist-Modus (SK-EX Rendering Engine) sowie im Sound-Modus (zusätzliche Sample-Library) wird durch »klassisches« Hin- und Her-Wischen realisiert. Auch die weiterführenden Funktionen vom Audio-Recorder bis zum Virtual Technician (Modifikation Piano-relevanter Parameter in Anlehnung der gezielten Einflussnahme eines Klavierstimmers) dürften für die meisten Anwender tatsächlich selbsterklärend sein.
Konnektivität
Das Kontrollfeld über welches sowohl der Regler der allgemeinen Lautstärke als auch sämtliche Anschlüsse zugänglich sind, befindet sich vor direkten Blicken geschützt an klassischer Stelle links unter der Tastatur. Hierüber stehen sowohl die bereits erwähnten Kopfhöreranschlüsse (6,3- und 3,5-mm-Klinke) sowie zwei USB-Ports (Host & Datenspeicher), MIDI-Buchsen und ein Line-In zur Verfügung. Darüber hinaus bietet das integrierte Bluetooth-Modul die Möglichkeit, MIDI- und Audiodaten bidirektional auch komplett drahtlos zu übertragen. Dadurch lassen sich sowohl drahtlose Wiedergabegeräte wie Kopfhörer, aber auch Smartphones, Tablets und (Mobil-)Rechner in das bestehende Setup einbinden. Dem Spiel zum eigenen Backing-Track oder dem Einbinden von Video-Lessons bis hin zur externen Aufnahme der eigenen Performance steht somit nichts im Wege.
“Das Ergebnis dieses Setups ist ein Piano-Sound, welcher derart unfassbar nah an das Spektrum eines akustischen Pendants heranreicht, dass ein unwissender mit verbundenen Augen die fehlenden Saiten wohl nicht bemerken würde.”
Fazit
Der Hersteller Kawai beweist mit dem NV5 erneut auf eindrucksvolle Weise, dass das Hybridkonzept der hauseigenen Novus-Serie eine bisher nur sehr unzureichend gefüllte und zurzeit konkurrenzlose Nische im Markt besetzt. Die Kombination aus State-Of-The-Art-Digitaltechnologie und Klavierbaukunst verbindet sich im NV5 zu einer stimmigen und klangvollen Melange aus dem Besten beider Welten. Mit seinen kompakten Abmessungen ist es zudem platzsparender als jedes akustische Klavier. Darüber hinaus erhält man mit dem neusten Novus sogar noch die kompromisslose Klangqualität eines echten Premium-Flügels sowie den vollen OS-Funktionsumfang des NV10 oben drauf. Vielseitiger kann ein hybrides Digitalpiano eigentlich schon fast nicht mehr werden. Aber warten wir mit diesem Urteil vielleicht besser bis zur Veröffentlichung des nächsten Familienmitglieds der Novus-Reihe …
Hersteller/Vertrieb: Kawai Europa GmbH
Preis ca. 6.000,− Euro
Unsere Meinung:
+ Hybridkonzept
+ Klangwiedergabesystem
+ Modeling-Technologie
+ Bedienung