Hybridpiano KAWAI K-500 im Test
Wie essenziell der Resonanzboden für den Klang eines akustischen Pianos ist, bemerkt man gemeinhin erst richtig, wenn er unter tragischen Umständen Schaden genommen hat, denn ohne diesen Schwingungsverstärker bleibt nicht viel vom Klavierklang übrig …
Die Idee, neben den akustischen Schwingungen der Saiten auch andere Klänge mithilfe des Resonanzbodens zu verstärken, ist nicht wirklich neu. Die Entwicklungsabteilung im Hause Kawai hat allerdings mit der neuen, Aures benannten Hybridpiano-Generation einen weiteren Meilenstein in Richtung Perfektion passiert. Dank neuster Technologien wachsen Digital- und Akustikpiano mit den neuartigen Modellen K-300 Aures und K-500 Aures nun noch enger zusammen − und dies ist ein wirklich spannender Prozess …
Zutaten: Man nehme ein ausgezeichnetes Upright-Piano samt Stummschaltungs-Mechanik und feinauflösender Tastatursensorik, ergänze es um die Features eines Premium-Digitalpianos und präpariere den Resonanzboden mit ausgewählten neuartigen Transducern. Geheimzutat rein − aufkochen − fertig! Halt, ganz so einfach ist das Ganze dann letztlich doch nicht …
Den Resonanzboden für eine andere Klangwiedergabe zu missbrauchen, birgt so einiges an zu überwindenden Hindernissen. Zum einen ist dieser ja nun mal in erster Linie dafür konzipiert, um die Schwingungen der Saiten so gut wie möglich zu verstärken und zu unterstützen. Von diesem spannungsgeladenen und aus vielen einzelnen Spänen zusammengeleimten Element nun so etwas wie die perfekte Wiedergabe eines produzierten Tracks zu verlangen, klingt nicht nur vermessen, sondern war es lange Zeit auch. Dabei war die Schwingungsverstärkung im unteren und mittleren Frequenzbereich bauartbedingt eigentlich nicht sonderlich kompliziert. Regelrecht spannend wird es hingegen im Hochtonbereich, welcher eine letztlich doch recht träge Holzstruktur an ihre physikalischen Schwingungsgrenzen führt.
Zur Erinnerung: 1 kHz steht für satte 1.000 Schwingungsvorgänge pro Sekunde. Ein gesunder Mensch mit durchschnittlichem Hörvermögen ist in der Lage, Frequenzen bis circa 16 kHz (humanoide Fledermäuse ausgenommen) ohne Einbußen wahrzunehmen (bei Kindern geht dieser Bereich noch bis zu 20 kHz). Um dem menschlichen Ohr also ein annehmbar ausgewogenes Klangbild vorzugaukeln, bedarf es schon einer Darstellung bis mindestens um die 10 kHz. Dass Kawai mit seiner Aures-Technologie nun an dieser kritischen Marke kratzen darf, ist einer neuartigen, in enger Zusammenarbeit mit Onkyo entwickelten Transducer-Generation und jeder Menge Klavierbauerfahrung geschuldet.
Transducer? Während die generelle Funktionsweise eines Lautsprechers den meisten doch geläufig sein sollte, ist die beim Aures eingesetzte Audio-Übertrager-Technologie vielen noch immer ein wenig suspekt. Dabei handelt es sich bei einem solchen Körperschallwandler, vereinfacht gesagt, eigentlich um überhaupt nichts anderes als einen Speaker − nur eben ohne Membran. Übrig bleibt ein elektromagnetischer Schwingungsgenerator (Schallwandler), der in der Lage ist, durch Oberflächenkontakt verschiedenste Körper als Membranersatz in Schwingung zu versetzen. Bekannt ist diese Technologie heutzutage vor allem im Kino- oder Home-Cinema-Bereich, wo sogenannte »Shaker« für die fühlbare Tieftonerweiterung bis hin zur Erdbebensimulation eingesetzt werden. Letztlich wird aus genau diesem Zusammenwirken und durch eine mit Bedacht gesetzte Platzierung der Elemente aus dem Soundboard eines Pianos eine riesige Lautsprechermembran.
Bei den Aures-Modellen kommen insgesamt vier Transducer zum Einsatz, die vor allem auf die Wiedergabe der integrierten digitalen Pianosounds hin optimiert wurden. Jedes Modell verfügt neben einer schicken Digitaleinheit samt Touchscreen ebenso über eine mechanische Stummschaltung des akustischen Klangs, welche über das mittlere arretierbare Pedal realisiert wird. Der ansonsten an dieser Stelle untergebrachte Moderator verschwindet in Hebelform nahezu unsichtbar und elegant unter die Tastatur.
Praxis
In der Praxis ergeben sich durch diese technische Finesse verschiedene Möglichkeiten. Zum einen − und dies ist kein unwesentliches Detail − lässt sich ein Kawai K-500 Aures Piano ungeachtet der integrierten Technik genauso spielen, wie man es von einem hochwertigen Klavier erwartet. Darüber hinaus lassen sich über die Transducer aufwendige Sample-Instrumente, angefangen bei einem unglaublich realistischen Shigeru Kawai EX Flügelsound über Streicher und Synthesizer bis hin zur Hammond, beimischen.
Wer im Sinne guter nachbarschaftlicher Verhältnisse in den Abendstunden mal einen Gang zurückschalten möchte, kann das Aures mittels bereits erwähnter Stummschaltung auch in ein erstklassiges Digitalpiano mit Kopfhöreranschluss verwandeln. In diesem Zusammenhang sollte aber Erwähnung finden, dass sich ein stummgeschaltetes Klavier trotz aller romantisch idealisierten Vorstellungen und des mittlerweile überstrapazierten Attributs »Silent« beim Spiel via Headphones nicht wirklich still verhält. Das sonst angenehm mit dem Klang der Saiten verschmelzende Mechanikgeräusch kann nach Mitternacht eine Etage tiefer die oft beschworene Toleranz der Mitmenschen nämlich ebenfalls auf eine harte Probe stellen. Auf der anderen Seite bedeutet dieser Umstand aber auch, dass genau diese »Klanganteile« kopfhörerfrei einer perfekt modellierten Premium-Pianosample-Library die klangliche Krone aufsetzen. Womit wir beim Wesentlichen sind:
Flügel oder Upright?
Die direkt auf dem Resonanzboden des Pianos montierte Transducer-Technologie besitzt gegenüber herkömmlichen, von Digitalpianos her bekannten Lautsprecher-Lösungen einen gewaltigen Vorteil, wenn es denn um die naturgetreue Reproduktion eines körperreichen, in Einsen und Nullen vorliegenden Klaviersounds geht. Befinden sich beide »Instrumente« in der exakt gleichen Stimmung, ist der im Falle von Kawais Aures digital implementierte und in der »Hardwareversion« knapp 140.000 Euro teure Shigeru Kawai EX Premiumflügel (samt Rendering-Sound Technologie) in der Lage, das komplette Oberton- und Resonanzspektrum des akustischen Pianos zu nutzen und auf diese Weise eine perfekte Symbiose aus Samplebasierter Klangarchitektur und dreidimensionalem Körperschall zu erzeugen.
Im klanglichen Ergebnis ist dies so überzeugend, dass man sich beim Spiel immer wieder reflexhaft die Frage stellt, ob man die Stummschaltung des Pianos denn nun wirklich auch aktiviert hat. Im Prinzip erhält man mit dieser Lösung also eigentlich zwei platzsparend verpackte Klaviervarianten in einem einzigen Gehäuse, wobei die digitale Variante des Dupletts alles andere als eine klanglich »zweite Wahl« darstellt.
Was dem Grand Piano nicht schadet, kann aber auch anderen Sounds zu mehr Tiefe verhelfen. Vor allem E-Pianos á la Rhodes, Wurli & Co entfalten durch das Aures gespielt eine ungewohnte Dreidimensionalität, und das ohne den Eindruck zu vermitteln, man hätte etwas womöglich Klangverfälschendes hinzuaddiert. Auch andere Saiteninstrumente wie Gitarre oder Solostreicher profitieren enorm von Resonanzboden und Klaviersaiten.
Aber auch wahlweise über den integrierten USB-Port oder drahtlos per Bluetooth und Mobilgerät auf das Aures übertragene Backing-Tracks klingen ungemein ausgewogen und natürlich. Für den audiophilen Hi-Fi-Enthusiasten wird diese Lösung zwar wahrscheinlich nicht die Stereoanlage ersetzen können, für die gepflegte Party mit Stil (Nachbarn einladen nicht vergessen!!!) reicht es aber allemal.
Touch, Swipe, Drag & Drop!
Das zur linken Seite der Tastatur eingebettete Touchscreen-Display durften wir vor einiger Zeit ja bereits beim High-End- Digitalpiano Novus aus gleichem Haus bewundern (s. Ausgabe KEYBOARDS 02/03-2018). In Folge dessen begegnet uns hier das bekannte Setup aus komfortabler Bedienung und funktioneller Flexibilität. So findet sich eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen einem Pianist- und einem Sound-Modus. Ersterer ist der ausgesprochen Speicher- und Prozessor-hungrigen Hybrid-Library Shigeru Kawai EX gewidmet, welche sich zum einen aus exquisitem Samplematerial und zum anderen aus einer in Echtzeit gerechneten Komponente zusammensetzt und die Grenzen zwischen Sampling- und Modeling-Technologie zugunsten eines optimierten Klangerlebens einreißt. Das Ergebnis fühlt und hört sich vor allem kombiniert mit dem Aures-Konzept ungemein authentisch an, und man hat tatsächlich den paradox wirkenden Eindruck mit einem echten Flügel in insgesamt zehn Charakter-Inkarnationen (von Classic über Jazz, Pop bis hin zu Boogie) zu interagieren, während man ganz offensichtlich (Augen jetzt wieder öffnen!) vor einem Upright sitzt!
Die Sample-Libraries (inklusive abgespeckter nonmultikanal SX-Version) des Sound-Modus lediglich als Zugabe zu bezeichnen, wird ihnen zwar qualitativ nicht gerecht, dennoch müssen diese hinsichtlich der alles überstrahlenden SK-EX-Rendering-Sound-Technologie verständlicherweise etwas zurückstecken.
Erwähnung finden sollte noch, dass Kawai seinen Hybriden komplett mit einem kongenialen Kopfhörer-Paar für ein ermüdungsfreies Klaviererlebnis ausliefert. Davon abgesehen wurde das Thema Headphones insgesamt alles andere als Stiefmütterlich behandelt, denn das Aures bietet softwareseitig ganze sechs DSP-Presets (von »normal« über offen bis geschlossen und In-Ear) sowie einen SHS(Spatial Headphone Sound)-Modus für räumlichen 3D-Sound, mithilfe dessen man tatsächlich auch im Digitalen akustisch vor dem Klavier sitzen kann. Diese Features sind nicht nur detail- und komfortverliebte Extras, sondern machen das pianistische Erleben wirklich intensiver.
Fazit
Mit dem Aures-Konzept kommt Kawai dem lang gehegten Traum vom akustischen Klavier, welches dazu auch noch ein vollwertiges Digitalpiano ist und außer Kaffeekochen so ziemlich alle Wesentlichkeiten beherrscht, die man dazwischen so gebrauchen kann, einen gewaltigen Schritt näher. Ich würde so weit gehen zu behaupten, dass die Aures-Modelle mit ihrer ausgezeichneten Millenium-III-Tastatur aktuell das Beste im Hybridmarkt sind, was man für Geld kaufen kann. Bleibt nur noch die Frage, wie es die Onkyo-Ingenieure geschafft haben den Resonanzboden zu solchen Höchstleistungen zu überreden? Vielleicht durch den Einsatz unmöglich zu beschaffender Einhornschweiffaserspuren? Ja, das könnte es sein!
Hersteller/Vertrieb: Kawai Europa GmbH
Internet: www.kawai.de
Preise: K-300: 9.500,– Euro
K-500: 12.500,– Euro
Unsere Meinung
+ Umsetzung des Hybrid-Konzepts
+ Klang
+ Bedienung