Eine Faust voll Zen

Erica Synth – Zen Delay im Test

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(Bild: Bob Humid)

Das in London, U.K. beheimatete legendäre elektronische Freestyler-Label Ninja Tunes und die in der Synthesizer- und Modulszene extrem geschätzte und stets inspirierte Hardwareschmiede Erica Synths aus dem hübschen Riga, haben sich mit viel Verve, Vision und glühenden Lötkolben zusammengetan, um ein aufregendes Echoeffektgerät für den Liveeinsatz zu kreieren. Aber eines das sich nicht schon wieder nur an Studionutzer oder (Live-)Gitarristen richtet, sondern die elektronisch geprägte Generation Dub-, Noise- und jambegeisteter Liveact-Piloten begeistern soll.

Wenn ziemlich gut vernetzte alte Freunde wie Matt Black (Coldcut) und Dr. Walker (Liquid Sky artist collective / Air Liquide) gemeinsam über die dicht und überbordend mit Synthesewundern und wilden Klangverdrehern angestopfte Superbooth schlendern, scheint das direkt ernsthafte Folgen für den elektronischen Musikalienmarkt zu haben – es ruft sozusagen ein Echo hervor! Und zwar in Form eines pechschwarz lackierten und gefährlich drein schauenden Desktopgeräts namens Zen Delay, das in Zusammenarbeit mit einer der renomiertesten Synthesizerschmieden Europas, nämlich Erica Synths, realisiert wurde.

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Das ist nicht zuletzt musikhistorisch relevant, denn bisher hat noch kein Plattenlabel für elektronische Musik ein Hardwareeffektgerät richtungsweisend mitgestaltet oder designed, welches dann in Serie ging oder gar professionell vertrieben worden wäre. Zwar ging der in den 70ern von Chris Carter (Throbbing Gristle) entstandene Gristleizer unlängst 2017 als Eurorackmodulnachbau tatsächlich in Serie, aber auch nur, weil sich über Jahrzente der Re-Evaluierung dieser wegweisenden Band sich parallel eine ansehnliche synthesizerafine Fangemeinde herausgebildet hatte, die einen Nachbau dieses äußerst verwegenen Preamps für das gewisse Je-ne-sais-qoui im Vollgasverzerrungsbereich, besitzen wollten. Außerdem ist gerade der Gristleizer ursprünglich eine Adaption von Roy Gwinns Guitar-Effects-Pedal-Design, einer im Juli 1975 in der Fachzeitschrift Practical Electronics erschienen Schaltung zum Nachbauen für Gitaristen, auch wenn zugegebenermaßen TG da jede Menge Synthesizer durchgejagt haben.

Beim Zen Delay war es völlig anders: Basierend auf den eigenen Vorstellungen, Wünschen und gewachsenen Bedürfnissen, die auf unzählbaren elektronischen Livegigs im Dub-, Noise-, Electro-, Techno-, Ambient und Experimentalbereich der Raveera der 90er bis Heute hinein in den Underground-Warehouses dieser Welt entstanden waren, galt es eine gefühlt schon ewig fällige Produktlücke zu füllen. Zwar besitzt das Zen Delay rückseitig auch einen mit CTRL IN bezeichneten Input um per Fußschalter TAP und  BYPASS zu treten, was Gitarristen freuen wird, die Hauptzielgruppe des Produktdesigns sind aber elektronische Liveperformer, DJs und Synthfreaks an der schwer modulierenden Front.

Dr. Walker machte also Matt kurzerhand auf der Messe mit Erika Synths bekannt und der Rest ist die Geschichte die ihr gerade lest. Schon beim Ausprobieren eines ersten Prototypen zeigten sich hartgesottene Legenden wie The Bug gleich von ihrer hingerissenen Seite: „Das Zen Delay ist das analoge Delay-Gerät auf das ich immer gewartet habe. Stereo Wärme, Klangfarbe und Textur. Perfekt für den Livemissbrauch and Studiowahnsinn. Ich liebe es.“

Riga, wo die Lötkolben ewig glühen

Hübsch, einladend und gefährlich wirkt das ZEN DELAY wenn es erstmal eingeschaltet und angeschlossen auf dem Tisch steht. Wie von Erica Synths gewohnt, ist auch dieses Tischgerät in edel anmutenden mattem Tiefschwarz lackiert (Also in „Matt Black“, Haha! Anm. d. A.) und mit den haptisch äußerst einladenden Drehknöpfen aus würdevollen Bakelit ausgestattet, die man sonst eher im Interieur eines 1938 Phantom Corsair vermuten würde. Ein erster neugieriger Blick trifft als erstes auf das gebürstete Stück Metall(-bügel) in der hinteren Mitte des Gerätes, das wirkt, als sei es aus dem Dieselpunkuniversum von Sky Captain & The World Of Tomorrow entwendet worden und schütze den User und sein Studioinventar sicher vor der darin gefangenen mysteriösen Energieform und ihren Millionen Grad heißen, wild umherspratzenden Plasmafetzchen. Aber nein, unter jenem Aluminiumbügel erkennt der Audio-Connaisseur das letzte obere Drittel einer sanft orange leuchtenden Röhre und nicht etwa die radioakive Lebenskraft von She. Findet man so etwas in einem Delayeffekt vor, ist sie offensichtlich in seiner Funktion als Brennofen für zusätzliche Sättigung im Signalweg gedacht und wartet geduldig, aber sprungbereit, auf ein paar satte dB Kohleschaufeln vom DRIVE-Regler rechts.

Bei den Geräten vieler anderer, zumeist oft im Discountbereich angesiedelter Hersteller oder bei etwas zu günstiger Chinaware auf manch abstruser Händlerseite von der dunklen Seite des Ebay-Mondes, finde ich solche Röhrengeschichten oft verdächtig, tonal irrelevant oder im schlimmsten Fall unnötig dämpfend oberhalb des Präsenzbereichs ab 5KHz. Vor allem wenn eine wirklich langweilige Röhre drin steckt. Dieser Skeptizismus ist bei einem gewissenhaft werkelnden Team wie Erika Synths, die schlichtweg dafür bekannt sind selbst in alte und längst bewährte analoge Schaltungen noch weitere sinnstiftende und hörbare Modernisierung oder Optimierungen einzuweben, komplett unangebracht. Oft klingt die litauische Schaltungsvariante im fertigen Gerät dann sogar einen deutlichen Ticken sauberer, stimmstabiler oder schlicht amtlicher als selbst das Finanzamt von Darth Vader Amtlichkeit einfordern könnte (Siehe Black Polivoks VCF, Black Multimode VCF u.v.a.). Entsprechend ist die verwendete Röhre eine in HiFi-Kreisen sehr gern Gesteckte vom Typ 12AU7 aka ECC82 und darf im Zen Delay prinzipbedingt auch in extreme Overdrive-Bereiche gefahren werden.

(Bild: Bob Humid)

Dieses Filter da, von der Erica!

Als Nächstes bleibt der neugierige Blick des Gearheads rechts an VCF CUTOFF, RESONANCE und VCF MODE mit seinen vier Schaltzuständen BYPASS, HP, BP und LP (24dB) hängen. Nicht nur Bakelitfans atmen an dieser Stelle im Text erleichtert aus, denn wie jeder Dubhead weiss: Es ist ja wohl bitteschön kein Delay, wenn es nicht mindestens ein Filter im Signalweg hat! Interessant hierbei auch die Möglichkeit über BYPASS das Filter gänzlich aus dem Signalweg zu nehmen. Weitere gezielte Blicke auf das Gerät, entlarven das ZEN DELAY, dank gut sichtbaren und oben angebrachten TAP-Schalter für den BPM-Wert, sowie der rückseitig verbauten Standard-MIDI-In-Buchse, als ein Livepraktiken eher zugeneigtes Gerät. Wird der TAP-Schalter etwa zwei Sekunden lang gedrückt, aktiviert er MIDI-Sync. Egal ob gesynct oder nicht, in 12 Uhr-Stellung liegt die TAP-Taktung auf 1/1, nach links und rechts ergeben sich alle möglichen Vielfachen wie x2, x3, x4 oder Halbierungen wie /2, /3, /4 etc.

Das Zen Delay will das Tempo wissen, es möchte sich förmlich synchronisieren, bzw. das ist sein Hauptbetriebsmodus: Das Zen Delay ist ja im Grunde ein BPM-synchronisiertes Stereo-Delay, das extreme Feedbackwerte für dubbige bis experimentellere Genres mit einem 24 dB VCF und einem röhrenbasierten Overdrive kombiniert. Das Besondere daran: Delay, Filter und Drive können dabei auch einzeln genutzt werden, was das Maschinchen in den richtigen Händen auch zum versatilen Studiobegleiter macht. Z.B. sitzt der DRY/WET-Regler hinter der DRIVE-Schaltung, um dies zu ermöglichen. Wer also einfach ein Signal veredeln, crunchen oder aus seinem gefühllosen In-The-Box-Ästhetikgefängnis befreien will, kann die Echos auch schlicht weglassen und besitzt mit dem ZEN DELAY ein echt schönes Stück Outbard, das sogar Stereosignale wertig aufpimpen kann. Dies ist unterhalb einer 500,- Euro-Klasse keine Selbstverständlichkeit und ein echter Bonus hinsichtlich seiner Funktionalität.

Einfach mal machen…

DELAY TIME, FEEDBACK, DELAY MODE und ein obligater DRY/WET-Regler stellen bereits das Benutzerinterface eines kompletten Echogeräts dar. Hinein ins Rabbit-Hole der Zen-Delay-Erfahrung geht es folgerichtig mit dem Drehschalter DELAY MODE. Hier finden wir verschiedene Programmschaltungen die zu den wichtigsten Delayeffekten, welche durch einen DSP realisiert werden, führen, die man eben so kennt und schätzt. TAPE simuliert ein Bandecho, inklusive seiner wunderbaren typischen Pitch-Shift-Effekte bei Änderung der DELAY-TIME. Ein Soundartefakt das man in klassischen Dub- und moderneren Shoegazekreisen leidenschaftlich liebt und schätzt. Diesen gibts auch in einer schicken Stereoausführung als TAPE PING-PONG, was einen deutlichen Vorteil gegenüber nur Quasi-Stereo-Outboard darstellt, wo das Delay einfach nur im Panorama herumgeschoben werden kann. DIGITAL ist die übliche sauberere Variante, bei der hysterisches Rumdrehen an der DELAY-TIME eben keine Pitchsauereien anrichtet. Auch hier gibt es eine Stereovariante, die als DIGITAL PING-PONG bezeichnet wird. Gerade in Verbindung mit den vielfältigen Filtereinstellungen und Drive, werden die meisten anspruchsloseren User hier schon ihren gesamten Echobedarf in gehobener Qualität abdecken können. Die kleinste einstellbare Delayzeit von 3ms ist, da sie unter der als Echo wahrnehmbaren Schwelle von >25ms liegt, eigentlich gar kein Echo. Aber gerade hier erahnen langjährige Studiofüchse, die bei schönen Erstreflxionen und Ambiences erstmal eine Kerze für Helmut Haas – dem Erfinder des Haas-Effekts – anzünden, ein weites Spielfeld um quasi unhörbare Ambiences und tiefengestaffelte Texturen zu erschaffen, die mit je eigener Signatur durch sensibles Hinzufügen von Verzerrung und Filterfärbung erforscht werden wollen. Hallo Tiefenstaffelung!

Ach ja, last but not least gibt es bei DELAY MODE noch den Betriebsmodus VINTAGE: Hier wird das Signal und die DELAY TIME ganz unanalog und kackendreist mit 1 Bit gecrusht, was wundervoll kaputte Texturen erlaubt, die in langweiligen Kreisen streng verboten sind.

(Bild: Bob Humid)

Bakelit Taktil!

Es ist über die acht Potis alles an Funktionen vorhanden und direkt anfass- und regelbar, was grundsätzlich bei einem Delayeffekt verpflichtend vorhanden sein sollte, während die Auswahl spezieller Betriebsmodi sinnvollerweise über Drehschalter realisiert ist. Im Prinzip klassifiziert sich das ZEN DELAY so auch gleich ganz oben in der Kategorie „Intuitiv voll gut bedienbar“ und kann somit auch von echobegeisterten Elekotronikproduzenten die unter einer schweren Form von Handbuchintoleranz leiden, ohne Meltdowngefahr betrieben werden. Man möchte, sollte und kann damit sofort ohne Anleitung loslegen – und die Dinge nehmen ihren Lauf. Nicht Wenige finden sich alsbald in infernalen Dub-Jam-Overdrive-Delaymassaker-Eskalationen, an dieser schwer magnetischen, verdammten intensiven Höllenmaschine, wieder, ohne jeden Wissens wie die letzten Minuten oder Stunden verdampft sein könnten. Sobald also der Endorphinlevel im eigenen Stoffwechsel langsam wieder halbwegs normale Werte erreicht hat, die Atmung stabil zurück gekommen ist, das Dimensionstor sich geschlossen und der Qualm aus dem Verstärker sich wieder gelegt hat, sollte ruhig mal zur Entspannung im Manual gelesen werden. Hilfreich und inspirierend sind darin vier didaktisch sinnvoll zusammengestelle Illustrationen mit sehr nützlichen Ausgangs-Patches zu finden. Außerdem wird darin die schrullige, aber voll funktionale Firmware-Update-Methoder per Audiofile am Input erklärt. Hier hat sich Erica Synths also eine Hintertür für Optimierungen am DSP-Code geschaffen, wie immer löblich und vor allem stilgerecht.

Apropos: Einen Presetspeicher hat dieses Gerät selbstverständlich nicht, der gewiefte und erfahrene Dubpilot macht standesgemäß mit seinem Smartphone ein Foto und legt es in den Ordner „Krasser Shize / Irrer Sound“ ab. Alte Analogkonsolenkapitäne dürfen selbstverständlich dafür auch ihre Hasselblad Grossformatkamera einsetzen, sollten beim Ausleuchten dann aber die satanisch-lichtschluckende Wirkung der matten Erica Synths-Lackierung nicht unterschätzen.

Fazit

Das Jammen mit der kleinen Höllenkiste macht irre Spaß, alle kommen auf ihre Kosten. Man kann es signaturtechnisch sauber und “edel” betreiben oder Audiosignale komplett zerstören. Ob es nun eine dichte, warme beat-synchrone oder eher eine metrisch asynchrone, gar freaky eiernde Dubwolke oder doch lieber ein fallender Abgang in den Harsh-Noise-Bereich sein soll. Das ZEN DELAY deckt dieses Alpha bis Omega-Spektrum an Signatur- und Einsatzbreite enorm gut ab. Genrebezogen würde ich daher mutig ins mystisch dunkelorange leuchtende Innenleben der Röhre hinein raten, dass sich Berühmtheiten wie Mad Professor, Mick Harris (Scorn), Adrian Sherwood (Tack Head, On-U-Sound) oder ein angesagtes Neo-Tech-Dub(step)-Kaliber wie Pinch (Tektonic) bereits alle jeweils eins gekauft haben und es Nachts unter dem Kopfkissen hüten. Als absolut gesichert, darf in meiner persönlichen ZEN-DELAY-Mythologie bereits jetzt gelten, dass The Bug zurzeit dagegen nicht mehr einschlafen kann, weil er es direkt als Kopfkissen benutzt. Davon raten wir wegen der recht unzerstörbaren Bakelitdrehregler dringend ab.
Ansonsten gibt es von mir eine unbedingte und frenetische Kaufempfehlung.

www.ericasynths.lv/shop/standalone-instruments-1/zen-delay/

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