Vintage-Piano-Bühnensound der 70er/80er-Jahre

Electric Grandpianos im Vergleich – Toontrack EZkeys, XLN Audio Addictive Keys, Modartt Pianoteq

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Einen Flügel auf die Bühne hieven, ihn stimmen und mikrofonieren erfordert Aufwand, Kosten, Schweiß und Know-how.Mit den CP-70B- und CP-80-Flügeln von Yamaha bekamen die Pianisten Mitte 70er bis Mitte 80er transportable Bühneninstrumente, die jetzt ihre virtuelle Wiederauferstehung feiern und eine interessante Alternative zum „normalen“ Klaviersound bieten.

Kennzeichen der Yamaha CP-Instrumente ist eine mechanische, halbakustische Klangerzeugung mit Hämmern und Saiten. Die Saiten wurden verkürzt und ihre Anzahl verringert, und weil außerdem ein aufwendiger Resonanzboden entfiel (aufgrund der Pickup-Abnahme der einzelnen Saiten), entstand ein transportables“ Instrument. Es kamen zwar trotzdem immerhin ca. 130 Kilogramm auf die Waage, allerdings konnte man das Instrument in zwei Teile zerlegen: den Saitenrahmen mit der kompletten Elektronik und die Mechanik mit der Klaviatur. Nicht nur der Transport, sondern auch die Abnahme des Signals wurde einfacher, denn es konnte ein Line-Signal genutzt werden. Zu den Charakteristiken des Klanges gehört die leichte Verstimmung der einzelnen Töne. Systembedingt erzeugt die kurze Saitenlänge eine starke Teiltonverstimmung, während die mit einem Lederstreifen überzogenen Hammerköpfe aus Kunststoffkern einen eher harten und obertonreichen Klang produzieren. Viele bekannte Songs wurden mit einem Yamaha CP-70 oder CP-80 eingespielt: Peter Gabriels Red Eyes und In YourEyes, Genesis’ That’s All (vgl. KEYBOARDSTranskription6.2007), Phil Collins’ A GroovyKind Of Love, Joe Jacksons Steppin’ Out undRaul De Souzas Sweet Lucy (vgl. KEYBOARDSTranskription9.1993), um nur einige zu nennen.Bereits in der ersten Hör-Session der drei Aspiranten wird deutlich, dass diese in eineranderen Liga spielen als gewöhnliche Hardware-Presets. Die leicht verstimmten Bässe, der klar definierte crispe Sound, der irgendwo zwischen Klavier und Gitarre liegt, die Interaktion der vom Pedal ausgelösten sympathischen Resonanzen, die Ansprache der Klangkontur auf die Anschlagsdynamik – all das macht auf Anhieb Spaß. Gerade weil der Klang eines CP-80 nicht so schwülstig, sondern eher schlank ist, setzt er sich im Bandkontext gut durch und behält einen eigenen Charakter. Und so ist dieser Klang immer noch oder nun wieder eine gute Alternative, wenn ein klavierartiger Klang gebraucht wird.

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Toontrack EZKeys Electric Grand

Das EZkeys Electric Grand ist Samplebasiert, der Speicherbedarf fällt mit 780 MB moderat aus. Die Anschaffungskosten von

139 Euro verringern sich auf 69 Euro, wenn man schon ein Grand Piano, Upright Piano,Classic Electrics (Wurlitzer und Rhodes) oder die Retro Electrics (Clavinet und Pianet) sein Eigen nennt. Zusätzlich wird eine komplette erweiterungsfähige Library an Style-Patterns und Vamps mitgeliefert – siehe weiter unten. Das EZkeys Electric Grand wurde von einem Yamaha CP-80-Flügel abgenommen. Neben dem reinen Line-Ausgangssignal wurde der E-Flügel hier noch über einen Music-Man-Verstärker und eine Custom Speaker-Box gespielt gesampelt – entsprechend stehe verschiedene Soundvarianten zur Verfügung. Zehn Presets decken die Einsatzgebiete von direktem Signal (Raw Tweaks) bis hin zu schwebenden Varianten (z. B. Holdsworthy) weitgehend ab, für eigene Varianten stehen User-Speicherplätze zur Verfügung.Als Editiermonster gebärdet sich das EZkeys-Instrument nicht: Es stehen maximal vier Effektregler zur Verfügung, wobei die Art der regelbaren Parameter von dem gewählten Preset abhängt – so lässt sich z. B. nicht bei allen Presets der Chorus regeln oder ein Phasing aufrufen. Wer um diese Besonderheit weiß und den richtigen Ausgangssound wählt, kommt aber auch zum Ziel, außerdem stehen im Plug-in-Modus die Effekte und EQEinstellungen des DAW-Programmes zur Verfügung. Sehr hilfreich ist die gut editierbare Velocity-Kurve, um die Dynamik an die Tastatur anzupassen. Der Klang ist ausgewogen, angenehm brillant und transparent, allerdings fehlt ein wenig die Klangtiefe.

XLN Audio Electric Grand

XLN Audio – ebenfalls aus Schweden –bietet das Addictive Keys Electric Grand für 69,95 Euro an. Es kann mit seinen Geschwistern Studio Grand, Modern Upright, Mark One (Rhodes) im gleichen Player genutzt werden. Bisweilen werden auch Bundles der XLN-Audio-Tasteninstrumente angeboten. Das Electric Grand hat 1,2 GB Speicherbedarf. Bei XLN ist die aufwendige Abnahme des Eingangssignals Tradition, diesmal hat man sieben Signale aufgefangen: in Mono das direkte Line-Signal der Pickups, alternativ in Stereo über Vintage Roland Dimension-DChorus, über einen Music Man 112 RD Tube Combo-Amps in Mono oder mit Stereo-Raumanteil, und zu guter Letzt wurde auch das Geräusch der auf die Saiten auftreffenden Hämmer mikrofoniert. Der Clou der Sache ist, dass man im Edit-Fenster zwischen diesen Aufnahmesituationen umschalten und bis zu drei Quellen mischen kann. EQ, Hall, Echo, Chorus, Filter, Phaser, Tremolo und Distortion stehen als detailliert regelbare Effekte zur Verfügung – hier bleibt kaum ein Wunsch offen. In den drei verschiedenen Explore-Pages lassen sich die 23 Presets mithilfe kleiner Demos vorhören.

Gleich beim ersten Anspielen des Grundsounds hat man sofort den Eindruck, dass man mitten im Klang sitzt. Der Sound ist sehr konkret und druckvoll, und über die Anschlagdynamik lassen sich erstaunliche Klangabstufungen realisieren. Das Hammergeräusch fällt – wie im Original – je nach Lage unterschiedlich aus, im Diskant kommt es stärker zum Vorschein und verleiht so dem Klang eine hohe Authentizität. Bei dem üppigen Angebot an Editier-Parametern lassen sich die Klänge mit Parametern wie Pedal Noise oder Saitenresonanz feinjustieren, aber auch völlig abgedrehte, verbogene Sounds sind möglich.

 

Modartt Piantep CP-80 ADD-ON

 

Die virtuellen Pianoteq-Instrumente von Modartt gibt es inzwischen in der Version 4, hier werden die Klänge tatsächlich mit komplexe  Algorithmen errechnet, der Klang basiert daher nicht auf Samples. Mit geringen 26 MB beschreitet das schlanke Instrument einen völlig anderen Weg als die großen Sample-Libraries. Das CP-80 gibt es als kostenloses Add-On, und es kann in alle drei Pianoteq-Versionen Stage (99,– Euro), Standard (249 Euro) und Pro (399 Euro) geladen werden. Das Pianoteq CP-80 läuft bei diesem Test ein wenig außer Konkurrenz, da dieser zusätzliche Klang nicht im Hauptfokus der Pianoteq-Soundentwickler liegt. Trotzdem deutet auch dieses CP-80 das außerordentliche Potenzial dieser Sound-Engine an. Der Klang der vier CP-Presets lässt sich in den Parametern Hammer Hardness, Spectrum Profile (Oberton-Balance), Hammer Noise, Sympathic Resonance und anderen Parametern feinjustieren. Noch detaillierter wird es, wenn jeder einzelne Ton in Volumen und Detune beeinflusst wird – da sollte man schon sehr genau wissen, welches Ziel man verfolgt. Fest steht aber eins: Um einen individuellen Sound des CP-80 zu erstellen, der durch gezieltes Detuning einzelner Töne Charme be- kommt, ist Pianoteq die richtige (und einzige) Wahl. Allerdings kann das Pianoteq CP-80 nicht ganz mit den beiden schwedischen Konkurrenten mithalten – die Klangergebnisse haben für meine Ohren ein wenig Cembalo  Appeal und ließen vor allem in den oberen Mitten die klare Definition vermissen. Im Kontext eines Band-Arrangements machte das Pianoteq CP-80 allerdings eine passable Figur.

Fazit

Von einer Wiederauferstehung der CPSounds zu sprechen ist vielleicht ein wenig übertrieben – allerdings muss man bei den Hardware-E-Piano-Workstations schon sehr lange suchen, um solch gut klingende CP-80- Imitate zu finden. Mein Favorit bei den virtuellen Nachbildungen ist das XLN Audio, das sehr detailreich und authentisch klingt und zugleich die Möglichkeit für weitgehende Editierungen bietet. Das Toontrack EZkeys Electric Grand ist ein ausgewogenes und gut einsetzbares Instrument und reicht für die meisten Anwendungen völlig aus. Wenn man dann noch die Arrangier-Option der MIDIPack  bedenkt, dann kann das EZkeys Instrument noch einen dicken Extra-Punkt für sich verbuchen. Das Pianoteq Add-On des CP-80 ist natürlich ein Muss für alle Pianoteq-User; wo bekommt man eine interessante Sound-Alternative einfach mal so umsonst?

Hören und Sehen — Die  Toontrack EZKeys MIDI-Packs

Auf der Suche nach aussagekräftigen Demos für die Electric Grand Pianos bieten sich die Toontrack EZkeys MIDI-Packs an.Neben der schon recht großen mitgelieferten Library gibt es mittlerweile neun zusätzliche Packs, die je 25 Euro kosten: Zu Blues, Jazz, Gospel, PopRock, Country, Funk und Latin sind jetzt neu R&B und Ballads dazugekommen – Beispiele aus diesen beiden Ideensammlungen gibt es in den downloadbaren Hörbeispielen. Im Prinzip handelt es sich um eine Sammlung von stilistisch geordneten MIDI-Klavierbegleitungen – der wesentliche Unterschied zu den Patterns einer Begleitautomatik liegt darin, dass es sich um Vamps inklusive der für den Style typischen Chord-Changes handelt. Damit ist EZkeys ein tolles Tool fürs Songwriting. Auch als wenig oder gar nicht geübter Pianist hat man so sehr schnell eine deutlich mehr als passable Piano-Begleitung zusammengeklickt. Anpassungen von Tonart und Harmonien lassen sich bis ins Detail über das Quintencirkel-Tool erledigen, wobei man auch auf Optionstöne und die Art des Voicings Einfluss nehmen kann. Extrem praktisch. Die einzelnen MIDI-Vamps lassen sich in einer DAW wie kleine MIDI-Files detailliert Ton für Ton editieren, hier hat man dann eine vollständige Kontrolle über alle Details. Ein weiterer Vorteil: Die Toontrack EZkeys können als VST-Instrument genutzt werden. Man kann die Auswahl der Vamps in der DAW vornehmen, denn das Plug-in hat die gleiche Bedienoberfläche wie die Standalone-Variante. Die genaue Funktionsweise dieser Packs werden im Testbericht in KEYBOARDS 2.2013 beschrieben. In den Demos für die drei EP-Instrumente kommen Beispiele aus den Ballads und R&B Packs zum Einsatz. Weitere Beispiele zu  Thema Funk findest du in unserem Funk- Special. Die Hörbeispiele geben einen Eindruck von der Lebendigkeit, Authentizität und Qualität der Arrangier-Bausteine.

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Ihr habt leider das wichtigste vergessen 😉 Das UVI EGP, ich halte das für das besste, unabhängig davon, dass ich selber ein CP-80 im Wohnzimmer stehen habe.

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