Dexibell: Orgel Combo J7 im Test
Die Instrumente von Dexibell sind kurioserweise immer noch ein Geheimtipp. Dies sollte sich aber nun spätestens mit Erscheinen der neuen Combo J7 grundlegend ändern, denn mit dem neusten Sprössling widmen sich die Italiener nicht nur der Emulation der Hammond-Orgel, sondern bedienen namenskonform mit Vox- und Farfisa-Sound die europäische Transistorkonkurrenz direkt mit.
Eingefleischte Combonauten werden ihren Augen nicht trauen: Combo & Drawbars in einem Gerät? Während der Begriff »Combo« synonym für transportable Orgelinstrumente der Transistorklasse à la Vox und Farfisa steht, sind Zugriegel doch eher den nahezu unverrückbaren holzverkleideten Tonewheel-Boliden aus dem Hammond-Universum vorbehalten. Sehen wir daher diese Kombination als Versprechen des neusten Dexibell-Mitstreiters, das Beste beider Welten auf gelungene Art zu vereinen. Ein robustes Metallgehäuse und die edlen Holzseitenteile zeugen auf jeden Fall schon einmal von ernsten Absichten, die einen Bühneneinsatz geradezu einfordern.
Basics zur Klangerzeugung
Die von Dexibell bereits mit der VIVO-Piano-Serie vorgestellte T2L-Technologie (»True To Life«) ist eine der zurzeit mächtigsten Engine-Konzepte am Markt. Teilte sich die Digitalpiano-Soundgemeinde bisher in Verfechter der Sampling-Vorherrschaft und Jünger des neueren Modelling-Verfahrens, ist es nun auch möglich, beiden Umsetzungsverfahren in einem Gerät gebührend zu huldigen. Die T2L-Klangerzeugung setzt nämlich sowohl auf hochwertige Samples als auch auf eine durch modernste Quad-Core-CPUs gestützte Modelling-Architektur, die den Samples mit bis zu 320 Oszillatoren gleichzeitig unter die Arme greift. So werden aus hochwertigen, aber der Natur der Sache geschuldeten statischen Samples dynamisch agierende und modulierbare Sounds.
Sämtliche zum Einsatz kommenden Wellenformen liegen zudem in einem echten XXL-Format vor − will heißen, wir haben es hier mit Samples zu tun, die loopfrei bis zu 15 Sekunden lang sind, und das bei einer Auflösung von 48 kHz und 24 Bit Wortbreite. Mit dieser konsequent umgesetzten Philosophie konnten die Italiener bereits mit ihren Pianosounds punkten, welche im Übrigen trotz Waterfall-Tastatur auch bei der Combo J7 nicht fehlen.
Technik, die begeistert
Kommen wir zu Beginn schon einmal zu einem der Highlights dieser Digitalorgel: Motorfader-Drawbars! Eine überflüssige technische Spielerei? Mitnichten! Auf diese Weise sieht man unmittelbar und maximal komfortabel direkt, welche Einstellung dem gewählten Preset zugrunde liegt. Die Fader bewegen sich im Übrigen nicht, wie zunächst erwartet, gleichzeitig, sondern schön nacheinander − wie von Geisterhand − genauso, wie sie ein versierter Organist eben auch einstellen würde. Schöner Nebeneffekt ist im Übrigen, dass sich dies logischerweise auch auf den Soundübergang auswirkt. Neben der Standard-Einstellung lässt sich dieser »Morphing« benannte Übergang zudem auch mit einem Expression-Pedal flexibel steuern. Dieses Feature vermeidet glücklicherweise auch das geliebt gehasste Verhalten einer »klassischen« Rückholfunktion, wie man sie von Parameterpotis her kennt. Darüber hinaus bildet auch das messerscharfe OLED-Display die entsprechende Zugriegelstellung in der Preset-Ansicht ab, und das für Upper- und Lower-Keys/Basspedal.
Überhaupt erweckt alles den Anschein, dass bei der Konzeption großer Wert auf ein funktionell logisches und praxisgerechtes Bedienkonzept gelegt wurde. Dementsprechend sind die meisten Schalter und Potis der insgesamt sechs Rubriken auch angenehm selbsterklärend. In der Orgelsektion unmittelbar neben den Zugriegeln lassen sich die zur Verfügung stehenden Orgelmodelle selektieren. Neben einer B3/C3-Variante steht aus der Tonewheel-Klasse auch noch ein A-100-artiges Wohnzimmermodell zur Verfügung.
Als Nächstes bietet die J7 mit einer Farfisa Compact einen echten Transistor-basierten Klassiker, der bei einer Digital-Orgel eines italienischen Herstellers natürlich nicht fehlen darf. Die britische »Conti« findet man, dieser Logik folgend, daher auch erst auf Platz 4 der Orgelpalette. Abgerundet wird das Angebot zudem noch mit einer ausgesprochen schönen Pfeifenorgel, die augenblicklich zum Ausflug in eine kleine Bach-Fuge einlädt. Auf den beiden mit User1 und User2 gekennzeichneten Plätzen lassen sich bei Bedarf zusätzliche Sounds über die Dexibell-Website ergänzen.
What is that Sound?
Ist da was kaputt? Kaum hat man den ersten Hammond-Sound ausgewählt, beginnt es, im Lautsprecher zu rauschen und zu rotieren. Wir hören tatsächlich den Sound eines leerdrehenden Leslie-Kabinetts! Ich habe nun schon einige Hammond-Klone mit digitaler Leslie-Simulation unter den Fingern gehabt, aber daran hatte bisher wirklich noch niemand gedacht. Genauso wie bei einem guten Piano im Nahbereich die Mechanik samt Hämmern natürlich einen Anteil am Gesamtsound hat, besitzt die Mechanik eines Leslie-Kabinetts ja auch ein notwendiges Eigengeräusch. Wer bereits mit der VIVO-Serie vertraut ist, wird sich zudem denken können, dass die Lautstärke dieses »Effekts« natürlich auch via Edit-Menu in 128 Schritten anpassbar bis abschaltbar ist. Auf eine geringe Lautstärke justiert, verbreitet dieser »Sound« aber bereits in der Spielpause ein angenehm analoges Gefühl, dem nur noch der Geruch von Öl und glühenden Röhrenkolben fehlt.
Nun muss nur noch der Hammond-Sound überzeugen − und das tut er zur vollsten Zufriedenheit mit und ohne Rotationslautsprecher. Die RPM von Hochton und Tieftonbereich sowie die Anlauf- und Auslaufzeit des Leslies lassen sich im Übrigen in einem vorgegebenen Bereich flexibel justieren. Wer das Analog-Erlebnis richtig zelebrieren möchte, kann zudem noch den Grad des Leakage, also das Übersprechen der benachbarten Tonewheels (ein integraler Bestandteil des Hammond-Sounds) und das Brummen der elektromagnetischen Pickups graduell einstellen. Auch der ursprünglich als konstruktionsbedingter Defekt angesehene charakteristische »Click On«- bzw. »Click Off Noise« lässt sich wie alle anderen Parameter in 128 Schritten an den eigenen Geschmack anpassen.
Eine wirklich positive Überraschung hält der von vielen Herstellern oft stiefmütterlich behandelte Farfisa-Sound bereit. Der italienische Klassiker verbreitet in der Dexibell-Wiederauflage ein deutliches Mehr an analoger Wärme und vor allem die richtige Portion des subtil kratzenden Grundsounds, der schon Alben wie Pink Floyds Dark Side Of The Moon veredeln durfte. Der Vibe alter Germanium-Transistoren lässt grüßen.
Auch der britische Gegenspieler in Form der bereits eingangs erwähnten Vox-Continental-Nachbildung trifft charakterlich voll ins Schwarze und macht im besten Sinne Türen auf und Lichter an. Der nadeldünne und spitze Charakter hat erfreulicherweise auch im Zusammenspiel eine vergleichbare Durchsetzungskraft wie das Original.
Insgesamt stehen dem User im Übrigen 100 Presets aus dem Orgeluniversum und noch einmal knapp 100 zusätzliche Klänge von Piano über Rhodes & Wurli bis hin zu Brass und Synths zur Seite. Darüber hinaus lassen sich auch noch weitere Sounds über den Hersteller oder Drittanbieter-Samples im SF2-Format nachladen.
Tweak Me!
Bei der Combo J7 ist wirklich alles vorbildlich auf den Live-Einsatz ausgerichtet. Besonders schön in diesem Zusammenhang ist auch die Möglichkeit, innerhalb der Effekt-Sektion mittels 3-Band-Master-EQ samt durchstimmbaren Mitten in bester Farfisa-Tradition im Handumdrehen den Gesamtklang an Band und Ambiente anzupassen. Effekte und bei Bedarf auch ein ganzer Stimmbereich (Upper/ Lower) lassen sich zudem konzeptkonform mit nur einem Knopf muten und mittels Poti blitzschnell in Intensität oder Lautstärke anpassen. Über die drei Buttons unter dem Display sind zudem die Parameter der T2L-Engine (je nach Sound unterschiedlich), Reverb und die allgemeinen Einstellungen zu erreichen.
Zwei USB-Schnittstellen auf der Rückseite sichern nicht nur die mögliche Verbindung zu einem Rechner, sondern mittels USB-Flash-Speicher auch Audioaufnahmen sowie die Übertragung und das Abspielen von Audiodateien (MP3, WAV, AIFF). Darüber hinaus lassen sich via externem Speichermedium auch Systemeinstellungen sowie Presets sichern, archivieren und bei Bedarf wieder herstellen. Wer sich mit dem Gedanken trägt, auf der Bühne Backing-Tracks oder Zuspieler zu verwenden, kann komfortablerweise auch noch drahtlos sein Smartphone oder Tablet via Bluetooth-Audio mit seiner Combo J7 verbinden.
Der jüngste Neuzugang der Dexibell-Familie bietet ganz schön viel Orgel in einem praxisgerechten und formschönen Design zu einem mit knapp 2.400,− Euro durchaus angemessenen Preis. Was Klang und Handling anbelangt, leistet sich die Combo J7 keinerlei nennenswerte Schnitzer. Auch die verbaute und primär natürlich für den Orgeleinsatz prädestinierte Waterfall-Tastatur mit ihren 73 Tasten lässt sich durchweg auch mit anderen Sounds angenehm spielen. In puncto Leistungsfähigkeit und Variabilität hat Dexibell mit seiner T2L-Engine wieder einmal eindrucksvoll bewiesen, dass die etablierten Hersteller eine mehr als ernstzunehmende Konkurrenz im Süden Europas bekommen haben.
+++ 100 Sounds der wichtigsten Orgeln an Board (Hammond, Farfisa, Pfeifenorgel, A-100 und nochmal knapp 100 Piano, Rhodes, Wurlizer-Sounds)
+++ Gute, authentische Samples mit allen Nebengeräuschen der Originale
++ Motorisierte Fader
++ praktische Verbindungsmöglichkeiten mit PC oder Tablet via USB oder Bluetooth
+ Wertig Optik