Boing – Peng – Bumm – Tschack

Dave Smith Instruments Tempest – analoge Drum-Machine im Test

Anzeige

In der aktuellen Ausgabe stellen wir u.a. den Pioneer Toraiz SP-16 vor – Dave Smiths Groove-Kreation in Zusammenarbeit mit dem DJ-Hersteller Pioneer. Genauer gesagt vergleiche wir ihn mit dem Arturia DrumBrute und den TR-09 von Roland.

Der Tempest wurde bereits Anfang 2012 von uns getestet. 

Anzeige

Dave Smith Instruments Tempest_01

Wenn die Instrumentenbauer-Legenden Dave Smith und Roger Linn einen gemeinsam entwickelten Drum-Synthesizer ankündigen, steigt die Pulsfrequenz der Fans in schwindelerregende BPM-Bereiche. Geniestreich oder All-Star-Hype?

Während sich All-Star-Bands meist sehr schnell als fragwürdige Erfindung der Plattenindustrie disqualifizieren, darf man bei den Herren Smith und Linn durchaus eine Liaison aus Leidenschaft erwarten. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an diese geradezu historisch zu nennende Kollaboration. Seit einer gefühlten Ewigkeit verfolgt auch der KEYBOARDS-Tester mit steigender Spannung die unendliche Geschichte von vom neuen Drumwunder, das erst Boom-Chick, dann Linndrum III und schließlich Tempest heißen sollte … Der spontane Ersteindruck: sehr schick und erstaunlich kompakt! Das hohe Gewicht lässt auf eine solide Hardware hoffen, und richtig: Sämtliche Potis und Encoder fühlen sich absolut erstklassig an, die gesamte Verarbeitungsqualität überzeugt rundum. Das Bedienfeld wirkt trotz dichter „Bebauung“ aufgeräumt, die 16 Pads entsprechen dem gewohnten Standard von MPC und N.I. Maschine. Auf der Rückseite finden sich zahlreiche Audioausgänge, MIDI, USB-Port und ein Netzschalter. Und unter der Haube?

Was bin ich?

Zunächst muss klargestellt werden: Tempest ist kein Sample-Drumcomputer – auch wenn Roger Linns Name auf dem Gehäuse selbiges impliziert. Tempest besitzt einen multitimbralen, weitgehend analogen Synthesizer mit sechs Stimmen, kombiniert mit einem Patternbasierten Sequenzer für Step- und Echtzeitprogrammierung. Gleichwohl nutzen Tempests Oszillatoren Samples, deren Import ist jedoch, zumindest bis auf Weiteres, nicht vorgesehen – wie wir noch feststellen werden, kein Grund zu Trübsal. Tempests unterste Hierarchieebene sind Sounds. Ein „Sound“ umfasst sämtliche Klangeinstellungen des Synthesizers. Darüber befinden sich „Beats“, welche aus bis zu 16 Sounds (geplant sind 32) und einem mehrtaktigen Sequenzer-Pattern bestehen.

Ein „Project“ beinhaltet wiederum bis zu 16 Beats inklusive Sounds sowie diverse globale Einstellungen, etwa einen übergeordneten Tempo- und/oder Shuffle-Wert. Der dazu gehörende Song-Mode (hier „Play-List“ genannt) wartet noch auf seine Implementierung, ebenso das Handling von kompletten Drumkits. Nachdem ein Projekt geladen ist, lässt sich pro Pad ein kompletter Beat anspielen. Man kann jederzeit bestimmen, ob die Beat-Umschaltung sofort, auf einer Zählzeit oder am Takt- bzw. Pattern-Ende erfolgen soll – sehr praktisch und sehr flexibel, wenn man die Beats in einer Live-Performance „spielen“ will.

Das Display zeigt die Namenskürzel der Pad-Belegung, außerdem Tempo und Quantisierung. Zudem lässt sich mit Stotter/Repeat-Taste, zuweisbaren Touch-Slidern und Filter-Reglern sehr lustig performen. Wechselt man den Pad-Funktionsmodus, liegen alle Sounds des aktiven Beats spielbereit auf den Pads. Zudem bietet Tempest hier eine Mute/Solo-Funktion. Alle Klangparameter sind jetzt zugänglich und wirken, wie auch TouchSlider und „Stotter“-Taster, nicht mehr global, sondern auf den via Pad angewählten Sound. Bei ununterbrochen laufendem Beat lassen sich nun alle dem Beat zugehörigen Sounds ohne Umwege verbiegen. Ebenso ist es möglich, den Sequenzer zu editieren.


>>> Jetzt die neue KEYBAORDS 1/2017 Electrified versandkostenfrei bestellen! <<

Die wichtigsten Themen im Überblick:

Modular-Kolumne: Schneider ist Schuld

MARK REEDER: Der Wegbereiter des Hypno-Trance im Interview

MARC ROMBOY: Stellare Ausflüge mit dem Produzenten, DJ und Label-Inhaber

Live und Modular: MAX LODERBAUER im Interview

Interview mit DAPAYK & PADBERG über ihr Urban-Pop-geprägte Album Harbour

RHYTHMICON — LOCHSCHEIBEN-GROOVES von Leon Theremin

Behringer DEEPMIND 12 − Klassisch inspirierter Polysynth

Digitale Wiedergeburt: U-HE REPRO-1

GROOVE-PRODUZENTEN-TRIO: Pioneer Toraiz SP-16, Arturia DrumBrute, Roland TR-09

Desktop-Synthesizer: Korg MONOLOGUE im Test

Bastl Instruments: KASTL – Semi-modularer Zwerg

Vintage: Seltene und seltsame Rhythmusmaschine – EKO COMPUTERHYTHM 

Transkription – DAVID BENOIT: Gothic Jazz Dance

Das Letzte − Kolumne


Step by Step

Das Step-Programming eines Beats erfolgt mithilfe des Grafikdisplays. Es zeigt einen Grid-Editor, in dem sich mittels umliegender Encoder und Taster navigieren und editieren lässt. Sichtbar ist grundsätzlich ein vierspuriger Ausschnitt des Beats und – entsprechend der gewählten Quantisierung – maximal 16 Steps. Die Pads dienen je nach Darstellungsmodus entweder der Spur- bzw. Instrumentenauswahl oder der Lauflichtprogrammierung. Velocity, Länge, Tonhöhe sowie vier zuweisbare Klangparameter lassen sich für jeden gesetzten Step editieren. Zahlreiche Funktionen dienen der Arbeitserleichterung. Man kann Instrumentenspuren umsortieren, den im Display dargestellten Takt als Loop abspielen oder den Swing-Faktor jederzeit ändern. Die Step-Editierung ist sinnvoll und logisch aufgebaut, erfordert jedoch aufgrund der dicht gepackten Displaydarstellung und der notwendigen Umschaltung zwischen mehreren Funktions- und Darstellungsmodi einige Konzentration. Auf der Wunschliste stehen ein beliebig zu setzender Work-Loop (bzw. Locator) und vor allem das gleichzeitige Editieren mehrerer Steps.

Realtime-Editing

Das Realtime-Programming präsentiert sich äußerst intuitiv: Zu einem Metronom-Click spielt man Beats über die präzise reagierenden Pads ein, bei Bedarf auch ohne Velocity. Während des Einspielvorganges kann man einzelne Steps oder ganze Spuren sehr einfach überspielen bzw. löschen, ohne dazu den Record-Modus zu verlassen oder gar den Sequenzer stoppen zu müssen. Die Echtzeit-Aufzeichnung von Soundveränderungen via Touch-Slider ist ebenso einfach möglich. Zudem lässt sich während des Spiels die Quantisierung pro Spur oder Overdub ändern und die Veränderung sogar aufzeichnen – vor allem in Verbindung mit der Roll-Funktion ein großartiges Feature, welches nicht nur hohen Spaßfaktor, sondern auch äußerst vertrackte Beats im Handumdrehen garantiert – erstklassig!

Klangerzeugung und Sound

Tempest generiert seine Sounds mithilfe eines weitgehend analogen Synthesizers. Alle sechs Stimmen besitzen zwei analoge Oszillatoren (leider ohne Sinus) plus Sub-Oszillator sowie zwei digitale Oszillatoren, welche einen Vorrat von insgesamt 450 One-Shot-Samples und Wellenformen abspielen. Hier finden sich zahllose Drum- und Percussion-Sounds akustischer und synthetischer Herkunft, verschiedenste Noises und Wellenformen. Die Auswahl ist riesig, musikalisch interessant und qualitativ hochwertig, deshalb vermisst man in der Praxis eine Importfunktion für eigene Samples nicht wirklich. Leider ist der interne Sample-Fundus unsortiert. Hier sollten unbedingt Kategorien einge führt werden.

Den Oszillatoren schließen sich Tief- und Hochpassfilter sowie VCA und Feedback-Weg an. Im Ausgang sitzen ein global arbeitender Distortion-Effekt und ein Kompressor. Zudem finden sich fünf Hüllkurven und zwei LFOs. Die Zuordnung erfolgt über eine Modulations-Matrix mit acht Modulationswegen. Tempests Synthesizer bietet somit alle Features, die für das Erzeugen von Drumsounds wichtig sind: mehrere Oszillatoren, die sich in ihren Nulldurchgängen starten und einzeln (!) in Tonhöhe sowie Lautstärke modulieren lassen, ein flexibles Filter und eine ausreichende Anzahl schneller Hüllkuren. Der Parameterzugriff ist ebenfalls gut gelöst: Tempests Klangerzeugung befindet sich immer im Edit-Modus. Während des Ab- oder Einspielens von Beats lässt sich jederzeit Zugriff auf die einzelnen Sounds nehmen. Die wichtigsten Parameter sind direkt auf der Bedienoberfläche zu finden, alle weiteren werden über eine angenehm flache Menüstruktur erreicht.

Wie klingt’s?

Tempest liefert eine gigantische Klangpalette, die sich keinesfalls auf Drum- und Percussion-Sounds beschränkt. Einige der Werks-Projects lassen die riesige Bandbreite erahnen. Bässe, Pads, Effekte, Bleeps – Tempest generiert im besten Workstation-Sinne Sounds für eine komplette Produktion. Der Grundsound erinnert an Dave Smiths Evolver- und Mopho-Serie. Er wirkt modern, durchsetzungsfähig und besitzt eine nicht unangenehme Härte. Dementsprechend gut klingen Oszillatoren und Filter. Vor allem beim Verwenden der digitalen Oszillatoren fällt jedoch auf, dass komplexere Modulationen den Sound häufig etwas unpräzise erscheinen lassen – ein Phänomen, welches gerade bei extrem kurzen Hüllkurveneinstellungen zunehmend deutlich zutage tritt und sich darin äußert, dass viele Sounds in letzter Konsequenz Punch und Direktheit vermissen lassen – für einen Drum-Synthesizer dieser Preisklasse nur schwer nachvollziehbar. Auch eine Neukalibrierung kann nicht für Abhilfe sorgen.

Licht und Schatten

Tempest läuft und läuft … Egal, ob man sich in einem bestehenden Project über dessen Beats bis hinunter zu den einzelnen Sounds arbeitet oder einen neuen Beat in Echtzeit einspielt und danach die Sounds tweaked: Von der Betätigung der Save/Load-Funktion einmal abgesehen, braucht man Tempests Sequenzer nie zu stoppen. Das Konzept des Gerätes ist zweifellos ebenso gelungen wie die hervorragende Hardware. Tempest steckt voller brillanter Ideen und bietet alle Möglichkeiten, sowohl vielseitigste Klänge als auch rhythmisch anspruchsvolle Beats zu erstellen. Die Komplexität hält sich glücklicherweise dennoch in überschaubaren Grenzen. Besonders gelungen ist die Echtzeit-Programmierung und der Livezugriff auf Sounds und Beats.

Beim Step-Editing ist die Benutzerführung dagegen (noch) nicht in allen Details ganz glücklich gelöst. Man hätte sich weniger doppelt belegte Taster und eine bessere Übersicht gewünscht. Besonders wünschenswert ist vor allem eine baldige Fertigstellung des Gerätes. In der zum Test vorliegenden Version 1.0 ist die To-Do-Liste noch recht umfangreich: Es lassen sich bislang ausschließlich 4/4-Beats mit zwei Takten programmieren, Song-Mode, USB, Reverse-Funktion und Tap-Tempo fehlen, die MIDI-Funktionalität beschränkt sich auf den Clock-Datenempfang. All das, was Tempest jetzt schon kann – und das ist beileibe nicht wenig – funktioniert absolut Bug- und absturzfrei. Neben den aufgelisteten und angekündigten Features erhofft man sich einige Detailverbesserungen und nicht zuletzt eine Überarbeitung der Klangerzeugung, damit der Sound die zu recht hohen Erwartungen, welche mit dem Gerät verbunden sind, voll und ganz erfüllen kann.

Glücklicherweise stimmen die unveränderlichen Eckdaten von Konzept und Hardware – somit besteht die begründete Hoffnung, dass Dave und Roger den Tempest sehr bald und endgültig zu dem Geniestreich heranreifen lassen, den wir uns alle seit Jahren erträumen

Plus/minus

+ gelungenes Konzept
+ erstklassige Verarbeitung
+ flexible Klangerzeugung
+ praxisnahe Funktionalität

– Bedienung stellenweise etwas verwirrend
– Features unvollständig – hoher Preis

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.