Die neue Legende

Clavia Nordlead 4 polyfoner Synthesizer

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(Bild: Dieter Stork)

Schnell passende Sounds zum Anfassen, Verbiegen, Spielen — aber gänzlich ohne Menüs, Submenüs und Software- Editoren mit USB-Verbindung. Clavias Nordlead ist seit seinem Erscheinen genau mit diesem Konzept eine Legende, jetzt bereits in der vierten Generation. Der Nordlead 4 ist dabei auf den ersten Blick keine konsequente Fortführung einer Entwicklungslinie. Er führt nicht etwa das Konzept des Nordlead 3 weiter, sondern orientiert sich mehr an den Idealen der Vorgänger.

LED-Endlospotis, Aftertouch, Vier-Operator-FM, Ringmodulation, ein größeres Display oder ein detailliertes Keyscaling einzelner Parameter sind nun leider Vergangenheit, aber dafür ist der Nordlead 4 wieder näher an der reinen Lehre: Eine Rückbesinnung auf die wesentlichen Dinge eines Synthesizers, diese aber ohne Umwege im Direktzugriff!

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400 Speicherplätze und 99 Performances reichen locker aus, um mehrere Stunden auf eine erste Entdeckungstour zu gehen. Mein erster Spontaneindruck beim Durchspielen der Presets war: Schau an, der Nordlead 4 kann jetzt auch Virus! Nein, natürlich haben die beiden Synthesizer einen völlig eigenen Klangcharakter, aber Unisono-Leads mit fetter Stereobreite, quietschendes 303-Gekreische mit Stampf-Bassdrum und Ähnliches findet sich jetzt eben auch in den Performance-Presets. Dazu gibt es jede Menge gelayerte Bass-, Lead- und Flächensounds sowie brauchbare Arpeggios. Auch die Effekte sind gut programmiert, insgesamt finden sich hier interessante Ausgangsstationen für eigene Klangexperimente.

Natürlich liegen dem Nordlead auch weiterhin die direkten, präzisen und klaren virtuell-analogen Sounds: Bässe mit durchsetzungsfähigem Attack, ölige Solo-Leads mit PWM und filigrane Arpeggio-Sounds. Übrigens lassen sich die internen Klänge über USB auch mit einer eigenen Soundverwaltungs-Software neu organisieren.

Wer noch mehr will, bekommt mit dem Mutator einen Zufallsgenerator, der aus den Klängen jede Menge sogar sinnvolle und durchaus interessante Variationen in verschiedenen Abstufungen herauskitzelt. Obwohl der Nordlead ein Instrument zum Selber-Schrauben ist, bringt einen die Mutator-Funktion definitiv auch auf neue Ideen.

Oszillatoren und Filter 

Beide Oszillatoren bieten die üblichen Wellenformen Sinus, Dreieck, Sägezahn, Rechteck mit Pulsweitenmodulation und obendrauf noch zwei feste Pulswellen. Der zweite Oszillator kann in der Tonhöhe gegen den ersten verstimmt werden. Die ungewöhnlich große Differenz von bis zu 60 Halbtönen macht Sinn, wenn man von den der Frequenzmodulation der Oszillatoren Gebrauch macht, denn so lassen sich eine Menge Wellenformspektren erzeugen.

Der erste Oszillator bietet als Neuheit 128 Wavetables, der zweite zusätzlich Rauschen mit integriertem Filter zur Feinabstimmung der Klangfarbe. Aufwendige Multisample-Wellenformen des Nord Wave gibt es hier nicht, dennoch stellen die Waves eine große Bereicherung beim Soundsschrauben dar. Beide Oszillatoren sind immer mono, ein Unisono-Effekt in der Voice-Mode-Sektion zaubert daraus aber auch weite Flächensounds mit entsprechender Stereobreite.

Die Filter sind seit jeher eine Stärke der Nordlead-Synthesizer. Neben drei Lowpass-Typen mit 12, 24 und 48 dB Flankensteilheit, einem Band- und Highpass – allesamt mit Resonanz und Filterverzerrung – sind nun zwei neue Typen hinzugekommen: Ladder M soll sich dabei an ein klassisches Moog-Filter anlehnen und mit Resonanz sowie Verzerrung in eine ähnliche Richtung zeigen. Ladder TB macht aus dem Nordlead dann auf Wunsch einen Bassline-Schreihals ganz im Stile von Rolands Plastikbüchse. Auch im Nordlead 3 gab es bereits ein ähnliches Moog-Filter, die Filter im Nordlead 4 spielen aber in einer anderen Liga. Hätte das Instrument drei Oszillatoren, würde man dem Minimoog-Sound sicher recht nahe kommen, für eine 303-Simulation fehlt dem Nordlead 4 eigentlich nur noch der charakteristische Sequenzer. Klanglich hängt der Nordlead 4 hier alle bisherigen Nordlead-Modelle ab.

Modulationen

Neben LFOs und Hüllkurven (siehe Kasten) wollen die Klänge des Nordlead aber vor allem live gespielt werden. Per Modulationsrad und Velocity kannst du die meisten Parameter der Oberfläche kontrollieren, die Zuweisung geht dabei denkbar einfach: Taster gedrückt halten, an einem Parameter drehen, und schon ist die Zuweisung programmiert.

Dass es keine LED-Kränze wie beim Nordlead 3 mehr gibt, wird durch kleine LEDs unterhalb der Drehknöpfe kompensiert. Sobald eine Zuweisung programmiert wurde, leuchtet diese und erlischt, wenn der Knopf wieder auf den Originalwert zurückgeschraubt wurde. Mit einer Bewegung des Modulationsrads oder über die Anschlagsstärke kontrollierst du so auf Wunsche viele Parameter gleichzeitig, daher spricht man auch von Morph-Funktionen. Ein Klang kann hier wirklich in einen anderen Sound verwandelt werden.

Neu sind die Impuls-Morph-Funktionen. Drei Taster schalten hier abrupt zwischen fünf gespeicherten Morph-Zuständen um. Das eignet sich natürlich für einfache Gate-Effekte beim Filter, aber auch für das Umschalten zwischen zwei Klangfarben gleichermaßen. Zudem ist die LFO-Geschwindigkeit als Morph-Ziel oder das Triggern von LFOs möglich, wodurch sich ganz neue rhythmische Muster spielen lassen: Einen Akkord zu halten und mit den Impuls-Tastern Klangverläufe einzustarten klappt hervorragend!

Effekte

Ganz neu im Nordlead 4 ist auch die Effektsektion. Zum einen gibt es einen Bereich, der mehr zu Klangsynthese gehört: Bitcrusher, Verzerrer, Talkbox und Kammfilter sind über den zweiten LFO auch als Modulationsziel zu steuern und erweitern sinnvoll die Klangpalette. Bitcrusher und Verzerrer sorgen für raues Schmirgelpapier auf sanften Flächensounds, Talkbox passt hervorragend als Erweiterung der Filterpalette, und mit dem Kammfilter lassen sich auch noch Phaser- und Chorus-Sounds per LFO basteln.

Obendrauf verfügt jeder Sound über Hall oder Delay mit Tempo-Sync, wobei zwischen drei Hallprogrammen oder drei Feedback-Werten umgeschaltet werden kann. Qualitativ ist das hier Gebotene sehr ordentlich und eine echte Bereicherung bezüglich der Klanggestaltungsmöglichkeiten.


Haptik und Verarbeitung des Nordlead 4 überzeugen. Vor allem mit kompaktem Ausmaß bei stabilster Konstruktion und leichtem Gewicht punktet der Nordlead 4 besonders beim Live-Einsatz. Nicht zuletzt überzeugt aber auch der Sound und die Performance des Synthesizers.


Multimode

Für den Live-Einsatz ist der schnelle Zugriff auf verschiedene Klänge wichtig. Vier gleichzeitig aktive Sounds bilden im Nordlead 4 eine Performance, und zwischen diesen vier Sounds kann jeweils mit einem eigenen Taster umgeschaltet werden. Layer sind durch gleichzeitiges Drücken der Taster möglich und eine Split-Funktion gibt es ebenfalls. Jeder Sound ist unabhängig, selbst Arpeggiator-Hold lässt sich für einen Sound aktivieren – ein Tastendruck, und man kann dazu einen Flächensound auf einem anderen Part wiederum live spielen.

Dieses Konzept überzeugt seit den ersten Modellen und wird beim Nordlead 4 mit den Impuls-Morph-Tastern noch interessanter. Hält man die Shift-Taste gedrückt, mit der man sonst Doppelbelegungen der einzelnen Taster auslöst, kann man übrigens auch alle vier Sounds gleichzeitig programmieren.

Reduktion auf das Wesentliche

Ein Vergleich per Datenblatt war noch nie die Stärke der Nordleads. Ein Access Virus oder Waldorfs Blofeld lesen sich auf dem Papier beeindruckender und haben garantiert Features, die es vielleicht auch in Zukunft niemals in einem Nordlead geben wird. Das ist aber immer nur die halbe Wahrheit, denn wie sich das Spielen eines Instruments gestaltet, kann ein Datenblatt nicht vermitteln.

Dabei holt der neue Nordlead 4 dann punktemäßig auf – allein bei der einfachen Handhabung: Weitgehend jeder Klangparameter besitzt einen eigenen Regler; außerdem: Eine einfache, aber klanglich überzeugende Effektsektion und digitale Wellenformen im ersten Oszillator sind zwei Dinge, die sich manche von uns schon jahrelang in einem Nordlead gewünscht hatten. Obendrauf gibt es zwei neue Filtertypen in Richtung Moog und 303 mit präziser Kontrolle über den Grad der Filterverzerrung sowie einen einfachen Unisono-Modus. Gleichzeitig wurden aber im Vergleich zum Vorgänger viele Funktionen reduziert. Für mich bleibt der Nordlead 3 klanglich das Synclavier der Neuzeit. Wer jemals DX7-Klangparameter in einen Editor auf dem Atari getippt hat, wird die FM-Oberfläche lieben. Aber der Zugriff auf bestimmte Bereiche eines Klangs wird durch diesen Feature-Umfang natürlich auch etwas indirekter. Woran muss ich noch einmal drehen, wenn ich die Obertöne reduzieren möchte …? Wieso ist ein Highpass-Filter aktiviert, aber ich höre doch einen Lowpass-Charakter?

Der Nordlead 4 setzt genau hier an: Digitale Wellenformen und lediglich drei FM-Modi sind einfacher zu kontrollieren und bilden trotzdem einen einfachen Basisbestand der Nordlead-3-Klangsubstanz ab. Ähnliche Klänge wie die bisherigen Multi-Filter sind nun über die neuen Filtertypen in der Effektsektion intuitiver zu steuern. Ein Ersatz für den 3er will der Nordlead 4 auch gar nicht sein.

(Bild: Dieter Stork)

Fazit 

Der Nordlead 4 ist ein Instrument, das nach sehr kurzer Einarbeitungszeit richtig viel Spaß macht. Es geht alles so einfach und simpel, und nach kurzer Zeit weiß man sofort, welchen Knopf man drückt, um eine bestimmte Sache zu steuern.

Vor vielen Jahren hatte ich mir für ein Gastspiel in einer befreundeten Rockband mal auf einem anderen Synthesizer eine Handvoll schöne Sounds programmiert, um dann bei der Probe direkt mit einem „Bäh, das klingt ja wie Techno!“ vom Gitarristen abgestraft zu werden. Dann begann das Suchen in Menüs und Strukturen, am Ende spielt man doch wieder Preset 22 bis 50 – das wäre mir mit einem Nordlead nie passiert, da das Anpassen von Klängen wirklich einfach bleibt! Wenn der Sound auf der PA-Anlage und im Zusammenspiel mit anderen Instrumenten anders wirkt, dann sind es nur ein paar Handgriffe, die den Klang wieder so verbiegen, dass er ins Gesamtkonzept passt.

Genau diese Einfachheit zeichnet Clavias Nordlead 4 aus. Mal eben noch ein Arpeggio dazupacken, mit dem Pitch-Stick dem Gitarristen die Show stehlen und den Rest der Band dann mit einer samtigen Fläche durch das Eis des Bitcrushers einlullen – das alles in einem kompakten, robusten Synthesizer, genau das ist der Nordlead 4.

Mein Fazit: Unbedingt anspielen!


+ hervorragender Sound

+ intuitive Bedienung

+ neue Filtertypen und Effekte

– kein Aftertouch

– sehr gutes Handbuch leider nur auf englisch

 

Hersteller/Vertrieb: Clavia/Soundservice

UvP/Straßenpreis: 2.200,— Euro / ca. 1.850,— Euro

Internet: www.sound-service.eu

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Danke für den netten Überblick des Nord Lead 4. Entweder bin ich zu
    Alt oder es geht nicht in meinen Kopf. Die Oszillatoren habe ich auf PWM gestellt jedoch wo stelle ich die Modulation ein bzw. die Geschwindigkeit.
    Wäre für Info dankbar.

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