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Bastl Kastle – Halbmodularer Miniatursynthesizer im Test

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Bastl-Kastle-1
(Bild: Bob Humid)

Zuletzt schossen enthusiastische D.I.Y.-Bastelstuben und Synthesizermanufakturen nur so aus dem Boden. Eine der sympathischsten ist die in Tschechien ansässige Truppe Bastl Instruments, die sich als »Community driven Company« vor allem auch als Netzwerk versteht und immer wieder interessante Ideen produziert. Der neueste Streich: ein extrem miniaturisierter Modularsynth, der höllischen Lärm und Spaß verursacht. Bastl? Kastle!

Ich wette die Einleitung »Liebling, ich hab’ das Modularsystem geschrumpft!« hat garantiert schon mal jemand da draußen in eine Tastatur gehackt. Schließlich gibt es mit dem 0-Coast von Make Noise bereits einen recht beeindruckend klingenden und vielseitigen semimodularen Kleinstsynth am Markt, der von elektrisierendem Gebritzel bis zum türeintretenden Oomph-Faktor alle Spielarten beherrscht. Nun, der Kastle ist allerdings wirklich winzig. Mit seinen gerade mal 68 x 58 x 40 Millimetern (!) ist er der kleinste patchbare Modularsynth der Welt, und ich vermisse ernsthaft eine Schluckwarnung für Kleinkinder oder Besitzer von Kapuzineräffchen.

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Trotz seiner diebstahlfreundlichen Maße verfügt er über eine Mini-Patchbay mit 16 (!) verschiedenen Patchpunkten, die zu einem komplexen Oszillator führen, der insgesamt drei Syntheseformen beherrscht: Phase Distortion, Phase Modulation (FM) und »Track & Hold«-Modulation sind an Bord. Irre! An dieser Stelle hier ein Verbesserungsvorschlag für die Öffentlichkeitsabteilung bei Bastl: Noch cooler sind oft die deutschen Benennungen von Signalschaltungen, hier speziell der S&H-Modulation: Wer möchte denn bitteschön nicht eine Abtast-Halte-Glied-Schaltung im Synthesizer einstellen? Eben!

Weiterhin gibt es Patch-Punkte für Pitch/Timbre/ Waveshape-Control mit Offset, allesamt mit CV-Input und Abschwächer ausgestattet. Ein spannungsgesteuerter LFO mit Dreieck- und Rechteck-Outputs und Reset-Input (dazu später mehr) sowie ein Stepbasierter Spannungsgenerator mit Random-, 8-Step- oder 16-Step-Loop-Modus sind ebenfalls an Bord. Großzügigkeit scheint fürwahr eine tschechische Eigenart zu sein, denn die Featureliste ist noch nicht zu Ende: Ich zähle zwei I/O-CV-Ports, die an jeden (!) Patchpunkt geroutet werden können und eine Anbindung an externe Geräte wie Modularsysteme, Volcas, Teenage Engineering POs oder Signalquellen von 0 bis 5 V erlauben.

Der Audioausgang ist übrigens kopfhörerkompatibel verstärkt und gibt an einem Superlux HD668B bei 56 Ohm eine recht angenehme Lautstärke aus, mit der es sich auch mischpultbefreit arbeiten lässt. Ach ja: Der Kastle ist batteriegetrieben, wobei der Hersteller zu echten Alkaline-Batterien rät, denn diese haben im Gegensatz zu NiMh-Akkus eine höhere Spannung von 1,5, statt 1,2 Volt. Dass die integrierten Attiny-85s (programmierbar über Arduino) in ihrer Funktion als LFO und OSC von lötkolbenversierten Händen ausgetauscht werden können, zaubert sicher ein Lächeln auf die DIY-Heads dieser Welt. Abgerundet wird das Paket mit zehn farbigen drahtstrippenartigen Patch-Käbelchen. Wie süß! Es kann losgehen …

Modulare Welten? Der Einschaltknopf gibt dem Kastle knackfrei Leben – das ist bei vielen Billiggerä- ten keine Selbstverständlichkeit. Auch sonst knackst hier rein gar nichts, sobald man irgendwo patcht oder mutig ein externes Audiosignal in den I/O-Port steckt. Steuersignale sind zwar spannender an dieser Stelle, aber ich hab’s in meinen Experimenten auch hingekriegt, ein Drumpattern eines Yamaha Q10 als Audiosignal in das Kistchen zu schicken. Auf dem Patchpunkt liegt es dann als idealisierte Pulswelle an und kann z. B. verbunden mit dem Mode-Patchpunkt die Synthesestufen rhythmisch durchhacken, was in etwa wie ein archaisches Morsesignal aus der Spätviktorianik klingt und sich per OSC Timbre/Pitch usw. stark variieren lässt. Nikolai Tesla hätte an dieser Stelle sicher vor Freude gesabbert oder seinen Zylinder weit weg geworfen.

Im Übrigen ist es vom Entwickler ausdrücklich erwünscht, dass man mit den Schaltmöglichkeiten herumexperimentiert. Es ist nicht mal eben möglich, über eine falsche Verbindung seinen kleinen Kastle zu zerstören. Das vereinfacht Modularsynth-Einsteigern definitiv das Leben. Überhaupt, Missbrauch wird belohnt: Alles, was man z. B. am zweiten Patchpunkt des OSC-Out anschließt, wird passiv zum Out-Signal hinzugemischt.

Morsesignale sind schick, aber wie groß kann der Kleine klingen? Dazu nehme man exakt nur eine Strippe und verbinde einen der beiden OSC-Pulse-Punkte mit dem OSC-Out. Wer dann noch OSC Pitch und OSC Mod auf 12 Uhr sowie OSC Timbre auf ziemlich genau 10 Uhr stellt, erzeugt eine wunderschöne, harmonische, akkordartige Schwebung, die beim Durchfahren der Werte des Waveshape-Potis sämtliche Klangfarben des Kastle einmal aufheulen lässt und bei sachgemäßer Verstärkung Gebäude zum Einstürzen bringen kann. Die Mauern von Jericho einreißen? Als Volkssport jetzt endlich auch on-the-go möglich. Der Frühling ist ja nun da, und ich sehe mich bereits − eines dieser trolleyartigen portablen Soundsysteme hinter mir herziehend − durch den Park meandern und taubenvergiftende Wutrentner mit einer entschlossenen Potibewegung von den Bänken fegen. Hmm. Fördert Kastle etwa das Böse im Menschen? Ja, sicher!

Sequenca! Kaum zu glauben, aber ein Stepped Generator, der als Sequenzer fungieren kann, ist ebenfalls an Bord. Er ist angelehnt an die RunglerSchaltung von Rob Hordijk, einem der legendärsten Soundskulptoren unserer Zeit, auf den ein nicht unerhebliches Konto von Vorträgen, Schaltungen und Aktivitäten rund um den Bereich Sounddesign und Modularsynthese geht: Der Stepped Generator produziert acht verschiedene Spannungen. Zwei Mal pro LFO-Durchlauf (jeweils am Wendepunkt von Wellental zu -berg und zurück) generiert er eine neue Steuerspannung. Diese basiert auf einem von 3 Bits eines 8-Bit-Registers, das intern durchlaufen wird und sich jeweils pro Spannungswechsel verschiebt. Der dazu gehörende Bit-In-Schaltpunkt dient dann final als Steuermöglichkeit von Sequenzvarianten. Sicher wird irgendwann irgendwer sein archaisches Roland System- 700-Modularsystem mit dem kleinen Kastle sequenzmäßig ansteuern und dabei für allerlei Raunen im Bart sorgen.

Wall of Zschounpff? Nein, das ist kein Minimoog: Der Kastle klingt nicht dick oder sahnig oder warm oder brillant. Solche klanglichen Bereiche beherrscht er nicht. Er ist das, was man gemeinhin einen Noise-Synthesizer nennt, dabei allerdings so vehement flexibel und vielseitig, dass er nicht so schnell langweilig wird. Aliasing-Artefakte und Rauschen hat er ebenfalls nicht zu knapp, aber das addiert sich einfach zum rotzfrechen Lebensgefühl des Kleinen. Sein Potenzial entfaltet er im Verbund mit anderen Geräten, glücklich also, wer ein paar Stompboxen oder noch besser Alesis Gekko, MOD/FX oder Kaoss-Pads sein Eigen nennt. Er blüht regelrecht auf an der Seite eines Modularsystems, wo er als Quelle von wilden Texturen dank CV-I/O und Sync-Möglichkeiten eine sehr gute Figur abgibt und aufgrund seiner Größe auch immer überall hin mitgenommen werden kann.

Überhaupt möchte ich den Kleinen nicht mehr als Meditationswürfel missen. Es hat schon was sehr Entspannend-Erdendes, wenn man sich, nach anstrengendem Arbeitstag, mit geschlossenen Kopfhörern auf dem Kopf im Schneidersitz in seine Wohnzimmercouch setzt, um ein paar Aggressionen stilecht per Noise-Gewitter zu sublimieren. Außerdem bereitet es beistehenden Partnern große Freude, die dabei entgleisenden Gesichtszüge zu beobachten. Es folgt also eine unbedingte und gnadenlose Kaufempfehlung (erhältlich schon für 79,– Euronen), mehr Spaß pro Kubikzentimeter hab ich ehrlich gesagt noch nirgendwo anders erlebt …

www.bastl-instruments.com/instruments/kastle/

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