Arturia V-Collection 6 im Test
So stellt sich der Synth-Freak das Leben nach dem Tode vor: Abhängen in einem komfortablen Studio, vollgestellt mit fetten Vintage-Boliden, alle funktionierend und spielbereit … Arturias V Collection hat dieses Paradies zumindest auf Siliziumbasis realisiert?
Schon die Version 5 von Arturias V Collection war ein Synth-Paradies: die Softwaresammlung (für Windows und Mac im VST und AU-Format) umfasst u.a. Synclavier, Minimoog, Moog Modular, Oberheim Matrix-12, Oberheim SEM, Roland Jupiter-8, ARP 2600, Yamaha CS-80 und SCI Prophet. Aber nicht nur Synthesizer, auch klassische Keyboards wie etwa die Solina Stringmachine, Orgeln (Hammond B3, Farfisa Compact, Vox Continental) akustische Pianos und E-Piano-Klassiker, wie das Fender Rhodes und das Wurlizer 200a, sind in der V Collection enthalten. In der Version 6 der V Collection sind drei attraktive neue Instrumente hinzugekommen: Buchla Easel, Fairlight CMI und das Hohner Clavinet.
TAE
TAE steht für „True Analog Emulation“ und ist das Arturia-eigene Modeling-Verfahren, Hardware-Klangerzeuger in Software zu transferieren. Dabei werden die einzelnen Schaltkreise und ihr Verhalten sorgfältig analysiert und liebevoll nachgebildet. Das Resultat sind äußerst lebendig agierende Soft-Synths. Man merkt der V Collection an, dass Arturia schon viele Jahre Erfahrung in diesem Bereich hat; Highlights der V Collection sind u.a. das Solina String-Ensemble, der Oberheim SEM und der Roland Jupiter-8.
Buchla Easel: Der Freak von der Westküste
Zu den Stärken der V Collection gehört seit jeher die detailgenaue Gestaltung der Bedienpanels der Instrumente, die sich meist sehr stark am Original orientieren. Das zahlt sich insbesondere beim neuen Buchla Easel-Softsynth aus (für alle Esel: Easel bedeutet natürlich nicht Esel, sondern Staffelei). Don Buchla, der große Synthesizer-Visionär von der amerikanischen Westküste, schuf 1973 einen ungewöhnlichen Klangerzeuger mit einer unkonventionellen Bedienoberfläche und Parameter-Auswahl. Wer ungewöhnliche Soundlandschaften entdecken will, ist hier richtig. Der Easel (der übrigens als ca. 5.000,- US Dollar teure Hardware zeitweise auch wieder verfügbar war) kann den Uneingeweihten beim Erstkontakt etwas verwirren, was der Kreativität jedoch zuträglich ist, da man aus seiner gewohnten Routine geworfen wird und vieles ausprobiert. Ausgestattet ist der halbmodulare Experimental-Synth mit einem komplexen Haupt-Oszillator, dessen Output von zwei Timbre-Sektionen bestimmt wird, mit denen man (u.a. unter Einsatz eines Wavemultipliers) die Wellenformen heftig verbiegen kann. Ein weiterer Oszillator mit den Wellenformen Dreieck, Rechteck, Sägezahn lässt sich als Modulations-LFO einsetzen (u.a. zur Ring-, Frequenz- oder Amplituden-Modulation) oder fungiert im ultraschnellen Hi-Mode auch als zweiter VCO. Die Oszillatoren durchlaufen sogenannte Lopass-Gates; dabei handelt es sich um Vactrol-basierte Schaltungen, die als Lowpass-Filter oder VCA arbeiten. Das zweite Lopass-Gate ist phasengedreht. Als zusätzliche Modulations-Quelle kommt der Pulser ins Spiel, ein Impulsgenerator mit Loop-Fähigkeiten der z.B. als zusätzlicher LFO oder Clock-Generator dient. Die Hüllkurve ist wahlweise als ADSR- oder AD-Envelope ausgelegt. Schließlich gibt es noch einen ziemlich merkwürdigen, maximal fünfschrittigen Step-Sequenzer, mit dem man durch das triggern verschiedener Keyboard-Tasten interessante Ergebnisse erzielen kann.
Klinge lieber ungewöhnlich
Wer klassische, tonal gut spielbare Synth-Sounds braucht, sollte sich lieber bei den Moog-Modellen der V Collection umschauen. Beim Buchla Easel (der auf einer speziell entwickelten Physical Modelling-Engine basiert) geht es meist um kranke, merkwürdige und unvorhergesehene Soundereignisse, die entweder zu krank (manchmal auch zu banal) sind, oder einen heftigen Kreativitätsschub auslösen. Die vielen Patchpoints erweitern die Möglichkeiten erheblich. Arturia hat das Konzept sehr gut umgesetzt, der Easel klingt toll und besitzt einen großen Fun- und Entdecker-Faktor. Wer anfangs nicht durchblickt, kann die 300, zum Teil sehr schönen Presets, als Ausgangspunkt für eigene Kreationen nehmen.
Fairlight CMI: Die Gottesmaschine der Achtziger Jahre
Die hochpreisige Fairlight-Workstation, die 1979 herauskam, war der erste seriengefertigte Sampler überhaupt und galt als die Allmachts-Geheimwaffe der Top-Produzenten. Legendäre Songs wie Kate Bushs „Running Up That Hill“, Herbie Hancocks „Rockit“ oder Peter Gabriels „Sledgehammer“ wären ohne die Wundermaschine der Australischen Firma nicht möglich gewesen. Ein Gerät wie der Fairlight CMI, der Sampler, Digital-Synthesizer und Sequenzer in einem Gerät vereinte, nahm schon das „In-The-Box“-Produktionsverfahren des 21. Jahrhunderts vorweg. Die ersten CMI-Geräte (1979 bis 1982) boten eine Samplerate von 8 Bit bei einem Frequenzgang von 24 kHz. Die Speicherkapazität betrug 128 Kilobyte (!), sodass die gesamte Sampling-Zeit auf vier Sekunden begrenzt war.
Modell II verfügte dann über einen besseren Frequenzgang von 30,2 kHz. Arturias Fairlight bietet flexibel einstellbare Samplingraten, (1 bis 16 Bit, 2,1 bis 44,1 kHz) die von knurrigen Bitcrusher-Sounds bis zu CD-Qualität reichen; die maximal Samplezeit wurde auf 30 Sekunden erweitert, eigene Samples lassen sich auch laden und durch die interne Klangerzeugung mit Filter, Hüllkurve und LFO bearbeiten. Bis zu 10 Instrumente (max. 32-stimmig) sind gleichzeitig verfügbar. In der Edit-Page können die Samples zwei- oder auch dreidimensional editiert werden.
Add me
Auch der Additive Synthesizer des Originals mit 32 Harmonischen ist an Bord. In der Software-Version lassen sich hier nicht nur Sinuswellen, sondern auch andere Wellenformen verwenden, sodass harmonisch komplexere Ergebnisse erzielt werden können. Außerdem hat man die additive Engine um den sogenannten Spectral-Synth erweitert; mit ihm lässt sich die additive Synthese komfortabler bearbeiten, da man hier effektive Makros einsetzen kann mit denen die Parametermassen gezähmt werden. Ein Stück Musikgeschichte erhält man mit den wunderbaren 300 Presets aus der Fairlight-Library – viele Samples und Sounds sind durch diverse 80er-Jahre-Hits im kollektiven Bewusstsein verankert. Darüber hinaus hat Arturia auch 150 neue Presets mit aktuellen Sounds erstellt.
Yamaha DX 7: der FM King
In einer Synth-Sammlung, die Anspruch auf Vollständigkeit hat, darf natürlich Yamahas DX 7 nicht fehlen. Die Bedienoberfläche der FM-Legende von 1983 ist wegen ihrer Unzugänglichkeit berüchtigt und wurde von Arturia optimiert und u.a. mit vier Data-Reglern (mit denen sich auch mächtige Macros steuern lassen) und einem großen Display ausgestattet; die DX-typische Ästhetik hat man aber beibehalten. Wer tiefer in die komplexe Programmierung eintauchen will, kann – wie bei fast allen Arturia-Soft-Synths – zusätzliche Menues (Advanced Modus) aufklappen und komfortabel in die FM-Materie eintauchen.
Die Klangerzeugung des DX7 mit ihren sechs Operatoren wurde originalgetreu nachprogrammiert (und klingt wie das Vorbild!), hat aber jetzt 32 Stimmen statt 16. Erheblich erweitert werden die klanglichen Möglichkeiten durch eine Modulationsmatrix, einen zweiten LFO, flexiblere, loop-fähige Hüllkurven und vor allem neue Wellenformen. Während der DX7 nur mit Sinus-Wellen arbeitet, kann man hier auf 25 Wellenformen zurückgreifen, darunter auch diejenigen des TX 81Z-Expanders und der OPL 2 und 3-Chips. Zudem verfügt jeder Operator über ein Resonanzfilter. Noch mehr Sound-Power bringt die Effektsektion, die u.a. mit Analog Delay, Analog Chorus, Reverb, Distortion und parametrischem EQ ausgestattet ist. Abgerundet wird der FM-Bolide durch einen Sequenzer und einen Arpeggiator. Die Sounds der Originale können via SysEx importiert werden, viele klassische Presets werden schon mitgeliefert. Auch die nebengeräuschreichen D/A-Wandler der ersten, manchmal leicht dreckig klingenden DX7-Generation, lassen sich auf Wunsch emulieren, sehr schön! Mir fehlt hier lediglich noch die Möglichkeit, den Arturia DX7-Softsynth auch als Editor für DX-Hardware einzusetzen oder zumindest SysEx-Daten zu exportieren; dies bietet z.B. der kostenfreie DEXED-Softsynth.
Hohner Clavinet: Der Soul-Funk-Brother
Die Funk-Geheimwaffe Clavinet wurde von 1964 bis 1980 gebaut; es existieren viele Modellvarianten, die bekanntesten sind wohl das D6 im Holzgehäuse und das E7 im schwarzen Tolex-Outfit. Obwohl es eigentlich als Cembalo-Variation konzipiert war, wurde sein drahtiger Klang, der durchsetzungsfähig ist, aber anderen Instrumenten viel Raum lässt, vor allem von Funk und Soul-Bands, geliebt.
Arturias Physical Modelling-basierte Version ist sehr flexibel: Clavinet V emuliert nicht nur den durchsetzungsfähigen und drahtigen Sound der diversen Original-Modelle sehr schön, es lassen sich darüber hinaus auch diverse Einstellungen vornehmen, um eigene Anpassungen zu realisieren und auch völlig artfremde Klänge zu erstellen. So kann man aus fünf „Harmonic Profiles“ auswählen, die einen jeweils anderen Grundsound repräsentieren. Außerdem lässt sich neben dem Klangcharakter auch das Alter und der Zustand des virtuellen Instruments bestimmen; dafür stehen Parameter wie Hammer Hardness, Pickup Noise, Hammer Noise, Dynamics, Key Release, Release Time, Tuning etc. zur Verfügung. Passende, typische Clavinet-Effekte wie Delay, Phaser, Flanger, Compressor, Vocal-Filter, Wah-Wah (siehe z.B. Stevie Wonders „Higher Ground“) und Röhren-Amp-Simulation werden natürlich auch mitgeliefert.
Weitere Update-Features
Weitere Verbesserungen betreffen die überarbeiteten zum Teil sehr inspirierenden Presets, und die liebevoll gestalteten Bedienpanels, die sich jetzt sehr komfortabel in mehreren Größen skalieren lassen. Optimiert (u.a. mit Playlists und Tags für das schnellere Finden von Presets) wurde auch das Analog Lab, mit dem man die Presets der virtuellen Geräte zentral abfeuern und die Instrumente kombinieren, splitten und layern kann.
Das einzige, was ich bei der V Collection vermisse ist eine Update-Funktion. Schön wäre evtl. auch eine Recording Funktion, sodass, wie etwa bei Native Instruments Reaktor, spontane Kreativ-Eruptionen unkompliziert festgehalten werden können.
Kreativkraftwerk
Die neue V Collection ist ein echtes Kreativkraftwerk. Klanglich überzeugt die Tasteninstrumente-Sammlung mit einem lebendigen, kraftvollen Sound, der die charakteristischen Eigenheiten der Originale sehr gut wiedergibt. Toll sind die vielen inspirierenden Presets der V Collection, die sich auch sehr gut in aktuellen Musikrichtungen einsetzen lassen (egal ob Pop, R & B, HipHop, Techno oder Grime). Nicht alle Synths der Sammlung sind absolut getreue Abbilder ihrer Vorlagen; sucht man etwa eine sehr wirklichkeitsnahe Kopie des SCI Prophet 5 so ist man evtl. mit U-Hes Repro 5 besser bedient; dafür wird aber die Arturia-Version noch mit dem Prophet VS kombiniert, der mit den Wellenformen des Originals bestückt ist, was die klanglichen Möglichkeiten erheblich erweitert. Überhaupt bietet die V Collection ein extrem großes und stilistisch breitgefächertes Sound-Universum. Die drei neuen Modelle machen das Update für alle V Collection-Besitzer zum Pflichtkauf und das Gesamtpaket noch attraktiver; vor allem der unkonventionelle Buchla Easel und der großartige Fairlight CMI stechen heraus.
Der Preis für die 21 Modelle der V-Collection ist mit einem Straßenpreis von 399,- Euro absolut fair; unterm Strich bezahlt man dann 19,50 Euro (!) pro Instrument, das einzeln bis zu 199,- Euro kostet.
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klanglich überzeugende neue Instrumente
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Advanced-Modus mit erweiterten Möglichkeiten
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Gute, auf das Instrument zugeschnittene Effektausstattung
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Sehr viele inspirierende, klassische und moderne Presets
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keine Undo-Funktion
V Collection 6 Hersteller Arturia
Straßenpreis ca. 399,– Euro