Test: Pianoverse – IK Multimedia
Das Klavier gehört zu den wichtigsten und beliebtesten Instrumenten unser Kultursphäre. Mit einer Geschichte von mehr als 300 Jahren hat es den Klang der klassischen und jeweils zeitgenössischen Musik geprägt und wird dabei sowohl solo als auch im Verbund mit weiteren Instrumenten genutzt. Entsprechend ist es kaum verwunderlich, dass die Suche nach virtuellen Umsetzungen ständig voranschreitet. Mit Pianoverse verfolgt IK Multimedia einen umfassenden Ansatz.
IK Multimedia blickt auf bereits 27 Jahre Firmenhistorie zurück. Das Unternehmen aus Modena begann als Hersteller von Software, hat inzwischen aber längst auch Hardware-Produkte wie Audio-Interfaces, Lautsprecher und Synthesizer im Angebot, die zu guten Teilen in einer hauseigenen Fabrik in Italien gefertigt werden. Software macht weiterhin einen wesentlichen Teil des Produktportfolios aus. Im Bereich der samplebasierten Software-Instrumente gehörte der Hersteller 2001 mit SampleTank zu den Vorreitern virtueller Workstations. Seither hat man diesen Sample-Player kontinuierlich verbessert und um weitere Produkte ergänzt. Mit Pianoverse liegt nunmehr ein spezialisierter Player vor, der standalone und in allen gängigen Plug-in-Formaten unter macOS und Windows arbeitet.
Konzept. Den Anfang markieren fünf Instrumente, die jeweils ein Datenvolumen von 20 GB aufweisen. Zur Auswahl stehen fünf Konzertflügel: der prestigeträchtige Fazioli F278, der Bösendorfer 280 Vienna Concert, jeweils ein Steinway D-274 aus Hamburg und New York sowie der Yamaha CFIII. Hinzu kommt ein Yamaha-Klavier Typ U5.
Beim Kauf entscheidet man sich für den dauerhaften Erwerb spezifischer Einzelinstrumente oder für ein monatliches bzw. jährliches Abomodell, bei dem alle aktuell verfügbaren Modelle nutzbar sind. Letztere Variante umfasst also auch die angekündigten weiteren Modelle: ein kleinerer Bösendorfer 200 sowie ein Klavier aus dem Hause Koch & Korselt. Neu hinzugekommen ist die Option »Pianoverse
MAX«, mit der man aktuell für relativ kleines Geld alle aktuellen Modelle sowie die beiden angekündigten Modelle bekommen kann. Neben realistischen Klavierklängen stellt Pianoverse explizit Möglichkeiten der Klanganpassung bereit, darunter eine Raumsimulation und Effekte. Entsprechend gehören ungewöhnliche, experimentelle und cineastische Klänge fest zum Angebot.
Engine: Der Player ist ganz auf den Umgang mit komplexen Multisamples, Dynamikabstufungen, Round-Robin-Abfragen und eine effiziente Stimmverteilung optimiert. Das Sampling fand im Fonoprint-Studio in Bologna statt. Dabei kam ein eigens konstruierter Roboter zum Einsatz, der das Anschlagsverhalten eines Fingers nachbildet.
Taste für Taste wurde so erfasst, wobei man nach eigenen Angaben bezüglich der Dynamikabstufungen nicht nur rein technisch, sondern mithilfe spezieller Software und nach Gehör arbeitete. Sobald eine Veränderung der Anschlagsstärke zu einer hörbaren Klangveränderung führte, wurde ein neuer Dynamik-Layer erfasst, um so zu stimmigen, fein akzentuierten Ergebnissen zu gelangen.
Natürlich wurden beim Sampling sämtliche Pedale berücksichtigt, Hammer- und Pedalgeräusche erfasst, das Mitschwingen nicht angeschlagener Saiten und die Öffnung des Deckels. Dazu liegen je zwei Mikrofonierungen im Nah- und Mitteldistanzbereich vor. Als wichtige Ergänzung wartet der Player aber eben auch mit einer Raumsimulation und einer Reihe ergänzender Effekte auf.
GUI und Praxis. Die skalierbare Bedienoberfläche bietet mehrere Ansichten. Im Browser mit Such- und Favoritenfunktion wählt man das gewünschte Modell und Preset aus. Die meiste Zeit wird man sodann in der Piano-Ansicht verbringen, die das jeweiligen Instrument dekorativ abbildet und die zwei Reihen von Funktionen (Master, Model) in Form von Reglern bereitstellt, um den Klang schnell und flexibel an den eigenen Geschmack anzupassen. Regelbar sind die Stimmung und Transponierung, der Höhengehalt, der Pegel der Raumsimulation, das Zuschalten erwähnter Effekte, eine Sample-Kompression, die Stereobreite und die Dynamikkurve. Dazu lassen sich die Pegel der Release-Samples, der Hammer- und Pedalgeräusche und die Saitenresonanzen justieren. Des Weiteren gibt es Zugriff auf die Deckelöffnung, eine Formantverschiebung zur Klangveränderung (Tone Shift), die Einfluss auf den Obertongehalt und die Brillanz nimmt, ein möglicher Versatz der Anschlagsdynamik und eine variable Ausklingzeit. Schließlich kann man sogar ein resonanzfähiges Synthesizerfilter in den Signalweg schalten.
Eine weitere Ansicht widmet sich der integrierten Raumsimulation (Space). 30 Räume, teils auf der Basis von Impulsantworten und teils in mehreren Parametern editierbar, versetzen das Instrument in unterschiedlichste Räumlichkeiten – von Aufnahmeräumen über Konzertsäle bis hin zu Wäldern und sogar extraterrestrische Landschaften. Hier verfolgt IK Multimedia nicht allein den Anspruch höchster Authentizität, sondern sorgt explizit auch für Inspiration.
Weitere Möglichkeiten der Klangmanipulation bietet die Effektansicht. Ein Klang lässt sich um zwei Insert-Effekte und einen parallelen Effektweg ergänzen, die sich aus zwölf Effekttypen von Delay über Overdrive bis zu Lo-Fi- und Granularprozessoren bestücken lassen. Hinzu kommt die Möglichkeit, Effektparameter in variabler Intensität über jeweils zwei LFOs und Hüllkurven automatisiert in Bewegung zu versetzen.
Die Ausgabe erfolgt schließlich über ein übersichtliches Mischpult in Stereo. In dieser Ansicht hat man die Auswahl des gewünschten Mikrofonpaars, das man per Equalizer und Kompressor in Form bringen kann. Gleiches lässt sich für die Raumsimulation erledigen, die ebenfalls über einen EQ und Kompressor verfügt. Im Master-Kanal schließlich lassen sich der Klang und die Stereobreite justieren, die Effekt-Slots bestücken und zwischen Spieler- und Zuhörerperspektive umschalten.
Pianoverse setzt in der Testversion 1.03 für einen flüssigen Betrieb einen schnellen Prozessor und Festplatten voraus. Dennoch nimmt das Aufrufen der einzelnen Modelle leider beträchtliche Zeit in Anspruch. Selbst das Umschalten von Presets, die auf ein gleiches Modell zurückgreifen, kostet Zeit. Das mag bei der Produktion kein Problem darstellen, ist aber im Livebetrieb so kaum nutzbar. Die generellen Ausgangsvoraussetzungen für das Spiel sind durch die Unterstützung dreier Pedale und eine mögliche Steuerung über MIDI-Controller hingegen gut. Gleichwohl bleibt Pianoverse derzeit mehrheitlich auf den Einsatz im Studio begrenzt. Zukünftig würde ich mir noch wünschen, multiple Mikrofonierungen oder gar Pianos in einem größeren Mischpult zu kombinieren.
Klang. Der Fokus von Pianoverse liegt allein auf dem Bereich Flügel und Klavier und lässt andere Keyboard-Klänge bislang unberücksichtigt. Das Produkt ist klanglich erstaunlich flexibel und kann sich dank der integrierten Effekte durchaus weit von konventionellen Klängen entfernen. Die Instrumente selbst wurden bewusst trocken aufgenommen, um diese mit den ergänzenden Prozessoren effizient manipulieren zu können.
Der Steinway New York klingt edel und ausgewogen. Er hat die typische Definition in den tiefen Lagen, eine gelungene Kombination von Wärme und Straffheit sowie eine schöne Transparenz nach oben, ohne dabei hart zu klingen (der Steinway Hamburg war zum Testzeitpunkt noch nicht erhältlich). Im Unterschied dazu klingt der Bösendorfer generell wärmer. Auch hier fehlt es nicht an Definition und Griffigkeit. Der Charakter ist aber insbesondere bei geringeren Dynamikstufen intimer. Der CFIII wiederum klingt konturiert im Bass, griffig in den Mitten und glänzend offen bis leicht drahtig nach oben heraus. Ihm ist ein gutes Durchsetzungsvermögen zu eigen. Dem Fazioli eilt ebenfalls ein hervorragender Ruf voraus. Auch dieser Flügel überzeugt durch beste Dynamik und brilliert durch seine besonders hohe Definition aus. Er ergänzt eine besonders straffe Klangrichtung.
Das Yamaha Upright klingt erwartungsgemäß weniger groß. Es ist im Bass dünner, weist eine gewisse Mittenwärme auf, tönt aber gleichzeitig auch eher schlank, bei offenem Höhenbereich.
Für jedes Instrument gibt es eine Auswahl an Presets, die den puren Pianoklang abdecken – von Klassik über intime Balladen bis hin zum Jazz. Auch aufgemotzte Versionen für den Einsatz in Pop-Produktionen fehlen nicht. So habe ich keine Bedenken, dass man bei der Musikproduktion stets klanglich passende Sounds finden wird.
Naturbelassene Klänge sind aber eben nur ein Ausschnitt von Pianoverse. Unter den Presets finden sich immer auch Klänge, die mit eher cineastischem Charakter aufwarten. Mit der Möglichkeit, Klänge zu verändern und neue Klangfarben zu schaffen, die zwar eindeutig im Kontext dieses Instrumentes stehen, bewegt man sich hin zum Scoring-Bereich und zum Sound-Design. Sehr schön!
Die Qualität der Effekte ist durchaus überzeugend, denn der Hersteller kann auf eine üppige Auswahl eigener Algorithmen zurückgreifen. Und natürlich lassen sich jederzeit über die DAW weitere Plug-ins ergänzen.
Fazit: Pianoverse liefert beachtlich umgesetzte, vielseitige und vor allem bestens klingende Klavierklänge, die sich mit einer geeigneten Klaviatur und schnellem Rechner bestens für Produktionen aller Art im Rechner im Studio eignen. Beim Kauf hat man aktuell die Wahl, die fünf Konzertflügel und das Klavier einzeln oder als Gesamtpaket zu erwerben, jeweils als Einmalzahlung oder im Abo. Alle Instrumente sind umfassend an das Spielgefühl, klanglich und hinsichtlich möglicher Effekte und Raumsimulationen anpassbar. Mit einer praxistauglichen Balance aus Spielgefühl, Klangqualität und -variabilität sowie einer nahtlosen Integration in die digitale Produktionsumgebung erhält man ein leistungsstarkes Werkzeug für die Studioproduktion. Ein echter Haken sind die Ladezeiten, die den Livebetrieb bislang eher ausschließen.
Gegenüber den zahlreichen Mitbewerbern entscheidet neben dem Geldbeutel und der potenziellen Bühnentauglichkeit vor allem die Auswahl der Instrumente selbst, der Bedarf für ergänzende Effekte und natürlich der eigene Geschmack. Dank einer attraktiven Preisgestaltung liefert IK Multimedia für meine Begriffe hier eine ansprechende Leistung ab, hat allerdings auch noch Raum zur Optimierung. Auf die nächsten Versionen und Instrumente darf man durchaus gespannt sein. Bleibt nur die Qual der Wahl: Wer sich entscheiden möchte, der mietet für ein, zwei Monate und kauft dann das passende Instrument.
Hersteller: IK Multimedia
Unsere Meinung:
+ hochwertige Klavierklänge zum attraktiven Preis
+ umfassende Nachbearbeitung
+ Abo- und Kaufmodell
– zu lange Ladezeiten, schneller Computer notwendig
– keine mischbaren Mikrofonpositionen
Preise inkl. MwSt.:
- pro Modell: 118,99 Euro, außer NY Grand S274 (83,29 Euro)
- Pianoverse MAX: 237,99 Euro
Abo (für alle Modelle):- 17,84 Euro exkl. MwSt. (monatlich)
- 178,49 exkl. MwSt.Euro (jährlich)