Schnee von Gestern?

Remaster – Alphaville im neuen Glanz

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(Bild: Jim Rakete)

Aphaville hat seine Erfolgsgeschichte längst hinter sich, könnte man meinen. Doch seit Neustem erscheint ihre Musik, die nun inzwischen auch gut 30 Jahre auf den Buckel hat, wieder im neuen Glanz – als Remaster. Dies sind die Geschichte und die Gründe hinter dem Remaster von Forever Young, Afternoons in Utopia und The Breathtaking Blue.

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Wann immer alte Musik neu belebt wird – sei es durch eine Cover-Version oder, wie im vorliegenden Fall, durch ein Remaster, beschleicht mich das Gefühl, dass dort jemand entweder tief in nostalgische Gefühle verfallen ist, in den „guten alten Zeiten“ schwelgt, in der Musik noch „richtige Musik“ war, und an vergangenen Ruhm anknüpfen will, oder dass sich jemand einfach an niedrigen Früchten – vielleicht noch nicht mal den eigenen – bedienen will.

Oder sollte es doch noch einen anderen Grund geben, Altbewährtes abzustauben und neu aufblühen zu lassen? Im Falle von Alphaville und ihren ersten drei Alben Forever Young, Afternoons in Utopia und The Breathtaking Blue war Altbewährtes vielleicht nie so ganz staubfrei, und so erstrahlt es nun vielleicht zum ersten Mal in einem Glanz, den es eigentlich damals schon verdient hätte, zu dem es aber aus verschiedenen Umständen nicht kam.

Bernhard Lloyd, der zwar offiziell kein Alphaviller mehr ist, aber dennoch eng verbunden ist mit seiner alten Band, und Marian Gold haben in Stefan Betke von Scape Mastering einen potenten Mastering-Engineer gefunden, der ihre alten Aufnahmen nun in nie dagewesenen Glanz erstrahlen lässt.

Hallo zusammen, und frei heraus: Wie kam es zum Remastering eurer Platten Afternoons in Utopia und The Breathtaking Blue?

Bernhard: Also das Remastern ging nicht jetzt erst los, sondern schon vor ein paar Jahren mit dem Forever-Young-Album. Der Anlass war auch damals schon, dass vor allem ich mit dem Sound der CDs von damals nicht wirklich zufrieden war, was auch daran liegt, dass das CD-Mastering damals noch in den Kinderschuhen steckte – bei Forever Young auf jeden Fall.

Das wurde also auch damals schon – 1984 – direkt für CD gemastert?

Natürlich war das primäre Medium damals noch Vinyl, aber gleichzeitig kam es auch schon auf CD heraus. Aber die CD spielte damals noch keine große Rolle und wurde daher sehr stiefmütterlich behandelt. Das war so, dass damals in irgendwelchen Studios irgendwelche Sony-Geräte rumstanden und man dann erstmal gucken musste, wie das überhaupt geht – PQ-Daten eingeben z. B. – das war eine schöne neue Welt, aber keiner wusste so wirklich, wie das geht. Bei einem Stück wurde da z. B. auch mal links und rechts vertauscht. Ist nur auf der CD so, nicht auf der Platte – und keiner weiß, wie das passiert ist.

Und so klingt eben die CD von Forever Young nicht besonders. Die ist 6 dB unter Limit – also das Gegenteil von Loudness-War. Dadurch hat man jetzt auch nicht besonders viel Dynamik, das hätte man, wenn man bei 0 ist und nichts komprimiert hätte. Da man aber unter dem Pegel ist, klingt es wirklich nicht besonders rund, aufgelöst und so weiter.

Bei Afternoons in Utopia war es so, dass wir absolut unter Druck standen und überhaupt keine Zeit hatten. Das Vinyl-Mastering ist damals an einem Nachmittag durchgegangen, und das Band ging dann weiter zum Presswerk von Warner und ist dann da quasi direkt auf CD überspielt worden, und auch diese CD klingt einfach nicht wirklich gut.

Bei The Breathtaking Blue geht es so halbwegs, aber auch 1989 war das CD-Mastering noch nicht ausgereift. Einen Brickwall-Limiter [seufzt] gab’s da nicht wirklich.

Aus diesen Realitäten ist dann eben der Wunsch entstanden, ein Remastering zu machen, und damit auch die Überlegung, wie wir das angehen wollen – nämlich mit den originalen Bändern.

Auf dem Mastering-Pult von Scape Mastering (Stefan Betke) liegt das glücklicherweise noch vorhandene Master-Band. (Bild: Bernhard Lloyd)

Wo findet man denn diese alten Bänder? Sind die nicht verschollen in einem Keller von Warner oder Konsorten?

Marian: Wenn wir etwas suchen, dann finden wir das eigentlich immer bei Bernd (gemeint ist Bernhard; Anm. d. Red.) im Keller – dort finden wir alle Sachen, die im Universum verloren gehen. [lacht] Wären die Bänder beim Label gewesen, wären sie mit hoher Wahrscheinlichkeit für immer verschollen.

Bernhard: Richtig. Wir hatten schon immer einen Bandübernahme-Vertrag und waren daher auch selber dafür zuständig. Die sind tatsächlich auch unser Eigentum.

Die Frage ist aber dann immer, wenn ich so ein altes Band auflege, was passiert dann? Bleiben die Magnetpartikel am Band oder nicht, wie viele Höhen haben die noch? Und schon beim Forever Young Album hatten wir tierisches Glück. Denn eigentlich wurde auch damals bereits auf digital gemastert, zwar auch auf Band aber mit 16 Bit und 44.1 kHz – das waren solche komischen Videokassetten, und auch das klang damals schon nicht besonders gut. Zum Glück wurde zudem damals noch einmal auf Band gemastert, eigentlich nur eine Sicherungskopie, und das klag auch nach 35 Jahren noch sensationell gut. Das war also der Startpunkt, zu dem wir dann wussten, dass das auch wirklich funktioniert und machbar ist.

Für Afternoons in Utopia und The Breathtaking Blue war das ein klein wenig schwieriger, da die Bänder unterschiedlich beschriftet waren. Die Alben wurden damals in verschiedenen Studios und auch von verschiedenen Produzenten gemastert, und jeder hatte da seine eigene Art, die Bänder zu beschriften. Stefan Betke hat zum Glück – das hat ja auch nicht jeder rumstehen – eine Halbzoll- sowie eine Viertelzollbandmaschine. Damit konnten wir alles sichten, und das Material wurde dann erstmal digitalisiert.

Mit Stefan Betke habe ich dann auch zusammen entschieden, welches Material am geeignetsten ist zum Remastern. Das Material war nämlich auch nicht alles in gleicher Qualität.

Hattet ihr von ein und den gleichen Songs verschiedene Masters? 

Ja, gerade bei Afternoons in Utopia gab es durchaus mehrere Master bzw. Masterkopien. Normale Safeties, die direkt beim Mastern damals erstellt wurden, aber auch später erstellte Kopien. Da damals in verschiedenen Studios mit verschiedenen Produzenten aufgenommen und auch gemischt wurde, ist ein sehr unübersichtlicher Berg an Bändern entstanden. Und mit analogen Bändern ist es ein wenig wie mit Rotwein: Man weiß nicht, ob und wann sie „kippen“.

Ihr habt also auch versucht, ein optimales Master von 1984, 1986 bzw. 1989 zu imitieren und nicht, eure Musik im 2020er-Stil erscheinen zu lassen?

Bernhard: Auf der einen Seite soll es natürlich dem Flair von damals entsprechen, auf der anderen Seite aber auch den heutigen Hörgewohnheiten entsprechen. Man muss ja nicht gleich Trabbi fahren, um sich an die DDR zu erinnern …

Marian: Genau, der ganze Mix, der Stil und die ganze Art der Musik, das hat ja alles so einen Sinn gehabt, und es war auf keinen Fall unsere Absicht, irgendwas daran zu ändern. Das ist eher eine Art Polieren, dass man den Spirit der Songs besser erkennt und mehr Details hören kann, aber wir wollten nichts daran verändern.

Bernhard: Was den Sound angeht, da ist es natürlich so, dass man heute mehr Bass hört als früher und auch ein bisschen mehr Höhen, aber es ist mehr ein „Ent-trashen“ des Sounds. D.h., man überlegt, wie sollte es denn damals eigentlich schon klingen.

Marian: Es ging also in erster Linie darum, die Intension, die wir damals hatten, besser hervorzubringen. Stichwort „mehr Bass“ oder so etwas, wie eben von Bernd erwähnt, da geht es um sehr subtile Veränderungen. Wir haben also nicht [lacht] den Bass brutal angehoben.

Und das haben Bernhard und Stefan wirklich wahnsinnig gut hinbekommen. Besonders als ich Afternoons in Utopia gehört habe, da habe ich auf einmal Spuren gehört, die ich sonst noch gar nicht wahrgenommen habe in der ursprünglichen Musik. Vor allem im A-B-Vergleich: Hört man nur die alte Version, denkt man, es klingt doch eigentlich ganz okay, aber im direkten Vergleich hört man plötzlich auch Dinge, die extrem wichtig sind für den ganzen Mix – Sachen, die vorher überhaupt nicht zu hören waren.

Jüngst remastert und auch in die Charts frischeingestiegen sind die beiden Alben Afternoons inUtopia und …

… The Breathtaking Blue. Auch das Artwork musste „remastert“ werden, da alte Vorlagen verschollen sind. Glücklicherweise waren alte Fotoaufnahmen noch in privater Hand – ebenso wie die Bänder.

Dass ihr mit euren remasterten Alben heute so erfolgreich seid, ist das auch ein Produkt dessen, dass zurzeit die 80er wieder relativ populär sind?

Marian: Also natürlich ist es so, dass wir drei Alben in den 80ern veröffentlicht haben und der phänomenale Erfolg von Forever Young in die 80er fiel. Natürlich werden wir da immer wieder in die 80er-Jahre geschoben. Aber, um beim prominenten Beispiel von Forever Young zu bleiben: Das ist eigentlich keine 80er-Jahre-Musik, sondern free-floating. Da sind überhaupt keine 80er-Elemente drauf, dafür aber z. B. ein Trompetensolo. Dass das damals trotzdem funktioniert hatte war, weil wir eben die Musik gemacht haben, die unseren Vorstellungen entsprach. Das einzige 80er-Jahre-Mäßige bei Alphaville in dieser Zeit ist das Equipment.

Beeinflusst waren wir damals auch mehr von der späten 70er-Jahre-Phase, als es die ersten elektronischen Punk-Bands gab – also nach dem Gitarren-Punk wie Sex Pistols z. B. – Orchestral Manouvers in the Dark wäre da zu nennen.

Ansich aber haben wir keine Probleme damit, wenn Leute uns dennoch in die 80er-Jahre-Schiene einsortieren, wenn ihnen das hilft. Es wäre nur dann ärgerlich, wenn uns damals kein Schwein gehört hätte – und dann noch obendrein mit dieser Begrifflichkeit bestraft zu werden, das wäre hart. [lacht]

Bernhard: Auch diesen Satz: „Die 80er sind jetzt wieder en vogue“, den hört man schon wieder seit 20 Jahren. Und das hat meiner Meinung nach auch einen Grund: Rund um modernes Songwriting und Arrangieren ist in den 80er-Jahren natürlich extrem viel passiert. In den 80ern – eigentlich auch schon ab ‘77 – da sind wahnsinnig viele Songs herausgekommen, die nicht nur Synths haben und heute immer noch eine hohe Relevanz haben. In den 90ern und Nullern ist da nicht so viel passiert, was seine Relevanz behalten hat.

Mit welchem Equipment geht man da ran, wenn man 32, 35 und 37 Jahre alte Musik mastert? Funktioniert das dann heute alles in-the-box?

Bernhard: Nein, längst nicht. Stefan arbeitet viel mit Geräten von Dangerous Music in seiner Analogkette oder auch mit den Weiss-Sachen, den Weiss DS1 MK 3 und Q1 MKII, die allerdings wieder digital sind. Außerdem den Chandler Limited TG 12345 Curve Bender von EMI und natürlich noch vieles mehr. Das sind aber zeitlose Geräte, die jetzt mit speziell den 80ern nichts zu tun haben.

Und selbstverständlich: So etwas wie Brickwall-Limiting, das passiert natürlich auf der digitalen Ebene – das geht ja nur in-the-box. Da nutzt er iZotope.

Gibt es auch Überlegungen, neben dem Mastering noch mehr anzugehen? Eventuell einen Remix z. B.?

Also wir haben tatsächlich auch noch die 24-Spur-Bänder, die auch schon digitalisiert sind. In der jüngeren Vergangenheit kamen die auch schon zum Einsatz. Einmal einen 12″-Remix von Blank & Jones und einmal mit Schiller für sein aktuelles Album Summer in Berlin. Ob die des Weiteren nochmal verwendet werden, da gibt es im Moment noch keine weiteren Bestrebungen. Während des Remasterns kam bei mir jedenfalls nicht der Wunsch auf, das auch zu remixen.

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